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Gesundheitsreform Das hat sich zum 1. Januar 2011 geändert Quelle: Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit, www.bundesgesundheitsministerium.de, Stand 5. Januar 2011. Mit Kommentaren der Verbraucherzentrale Hamburg (Schrift Arial, rot). Der Beitragssatz Der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung wurde bei 15,5 Prozent gesetzlich festgeschrieben und ist nun wieder so hoch wie vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Arbeitnehmer und Rentner zahlen insgesamt 8,2 Prozent ihres beitragspflichtigen Einkommens bzw. ihrer Rente, Arbeitgeber bzw. Rentenversicherungsträger 7,3 Prozent. Kommentar: Damit ist die paritätische Finanzierung der Leistungen unseres Gesundheitswesens durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer endgültig beendet. Sie wurde vor 127 Jahren unter Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführt und gilt weltweit als vorbildlich. Aber schon frühere Gesundheitsreformen schränkten sie stark ein. Und ab jetzt müssen die steigenden Kosten für Gesundheit und Krankheit von den Versicherten völlig alleine geschultert werden. Einkommensunabhängige Zusatzbeiträge Wenn Zusatzbeiträge erforderlich sind, werden sie von der Krankenkasse als einkommensunabhängiger Betrag in Euro und Cent erhoben. Über die Höhe entscheidet jede Krankenkasse selbst. Der Zusatzbeitrag ist für alle Mitglieder einer Krankenkasse gleich. Sie führen diesen Beitrag direkt an ihre Krankenkasse ab. So können sie künftig Preise und Leistungen zwischen den Krankenkassen besser vergleichen. Im Jahr 2011 wird die große Mehrheit der Krankenkassen noch keinen Zusatzbeitrag erheben müssen. Kommentar: Die Zusatzbeiträge sind ein versteckter Einstieg in die Kopfpauschale, bei der die Krankenkassenbeiträge nicht mehr in Prozent des Einkommens also sozial ausgewogen nach den individuellen finanziellen Möglichkeiten berechnet werden, sondern Jeder denselben Beitrag bezahlt, egal ob reich oder arm. Über diese als Zusatzbeiträge verkleidete Kopfpauschale werden die steigenden Kosten des Gesundheitswesens den Versicherten aufgebürdet. Diese Entwicklung wird, Prognosen zufolge, ab 2012 verstärkt einsetzen. Außerdem führen die Zusatzbeiträge wieder dazu, dass die Krankenkassen unterschiedlich teuer sind. Um ihren Preis niedrig zu halten, haben sie wieder großes Interesse an guten Risiken, also an jungen, alleinstehenden und gesunden Versicherten, die mehr Beitrag einbringen als sie Kosten verursachen. Oder an gesunden Alten, denn Alter, Familienstand und Geschlecht bringen der Krankenkasse Ausgleichszahlungen im Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen. Das gilt seit der letzten Gesundheitsreform auch für die 80 wichtigsten chronischen Krankheiten. Wer eine von diesen hat, kann von den Kassen ebenfalls umworben werden. Neu ist übrigens auch, dass säumige Zahler nach sechs Monaten einen Verspätungszuschlag zahlen müssen.

Seite 2 von 6 Sozialausgleich schützt vor Überforderung Die bisherige Deckelung der Zusatzbeiträge bei 1 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen bzw. 8 Euro entfällt. Stattdessen wird ein Sozialausgleich eingeführt, der sich am durchschnittlichen Zusatzbeitrag orientiert. Übersteigt der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen eines Mitglieds, so greift der automatisch vom Arbeitgeber oder Rentenversicherungsträger durchzuführende Sozialausgleich, der aus Steuermitteln finanziert wird: Der einkommensbezogene Krankenversicherungsbeitrag des Mitglieds wird um den Betrag der Überforderung also den Differenzbetrag aus durchschnittlichem Zusatzbeitrag und zwei Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen reduziert. Das ausgezahlte Einkommen ist entsprechend höher. Der Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt berechnet jährlich, wie hoch der durchschnittliche Zusatzbeitrag für das Folgejahr sein wird. Für das Jahr 2011 liegt er bei Null Euro, deshalb wird die neue Regelung erst ab 2012 Wirkung zeigen. Kommentar: Das klingt sehr sozial. Ein Sozialausgleich über das Steuersystem könnte tatsächlich sehr sozial sein aber nur wenn das von der Politik dauerhaft gewollt ist. Kritiker halten diesen Weg dagegen für sehr viel anfälliger gegenüber kurzfristigen Politiker-Launen als den jetzigen Ausgleich innerhalb des eigenständigen Systems der Sozialversicherung. Und siehe: In den ersten Jahren soll der Sozialausgleich noch gar nicht aus Steuermitteln, sondern aus Rücklagen des Gesundheitsfonds der GKV bezahlt werden schon beginnt das Hin- und Hergeschiebe. Trickreich ist es auch, den durchschnittlichen Zusatzbeitrag für 2011 auf null Euro festzusetzen. Dadurch fällt zunächst gar nicht auf, was noch auf uns zukommt. Neue Beitragsbemessungsgrenze Die Beitragsbemessungsgrenze wurde im Vergleich zu 2010 um ein Prozent abgesenkt. Im Jahr 2011 liegt sie bei 3.712,50 Euro im Monat bzw. 44.550 Euro im Jahr. Die Beitragsbemessungsgrenze ist die Einkommensgrenze eines Mitglieds in der gesetzlichen Krankenversicherung, oberhalb derer das Einkommen beitragsfrei bleibt. Kommentar: Die Absenkung dieser Grenze schwächt die Kraft der gesetzlichen Krankenversicherung, wo doch gleichzeitig die Ausgaben ständig steigen. Offenbar ist sie aber nur eine Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise. Neue Versicherungspflichtgrenzen Die allgemeine Versicherungspflichtgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wurde gegenüber 2010 um 0,9 Prozent gesenkt. Im Jahr 2011 liegt sie bei 4.125 Euro im Monat bzw. 49.500 Euro im Jahr. Die Versicherungspflichtgrenze bestimmt die Einkommensgrenze, ab der ein Arbeitnehmer nicht mehr in der GKV pflichtversichert ist. Die besondere Versicherungspflichtgrenze für Arbeitnehmer, die am 21.12.2002 privat krankenversichert waren (Besitzstandsregelung), wurde ebenfalls abgesenkt und beträgt im Jahr 2011 3.712,50 Euro monatlich bzw. 44.500 Euro im Jahr. Kommentar: Auch diese Grenze sinkt infolge der vergangenen Krisen. Die damit verbundene Senkung der Schwelle zum Übertritt in die private Krankenversicherung begrüßen wir nicht. Wechsel in die PKV für Arbeitnehmer erleichtert Die Voraussetzungen für einen Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung (PKV) wurden verändert. Jetzt kann jeder gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, dessen Monatseinkommen (anteilig erzielte Jahresarbeitsentgelte werden hochgerechnet) im Kalenderjahr die allgemeine Versicherungspflichtgrenze von 49.500 Euro überschreitet, als freiwilliges Mitglied in der GKV bleiben oder in die PKV wechseln. Da diese Regelung bereits

Seite 3 von 6 zum 31.12.2010 in Kraft tritt, kann ein Wechsel zur PKV auch schon ab dem 01.01.2011 erfolgen, wenn das anteilige Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers die Versicherungspflichtgrenze im Jahr 2010 überschritten hat und auch im Jahr 2011 überschreiten wird. Berufsanfänger und Personen, die erstmals eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen, können einmalig zwischen GKV und PKV wählen, sofern ihr Arbeitsentgelt oberhalb dieser Grenze liegt. Darüber hinaus können bisher privat Versicherte in der PKV bleiben, die nach der Eltern- oder Pflegezeit eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen und ein Einkommen unterhalb der Versicherungspflicht beziehen. Dabei muss die Arbeitszeit mindestens um die Hälfte reduziert sein. Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht ist innerhalb von drei Monaten bei der Krankenkasse zu stellen, an die die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Kommentar: Diese Änderung ist ein Rückschritt. Mit der Gesundheitsreform 2007 war der Wechsel in die private Krankenversicherung erschwert worden, indem die Wartezeit auf drei Jahre verlängert wurde. Das wird jetzt wieder zurückgenommen und die Schwelle für einen Wechsel wieder gesenkt. Das wird dazu führen, dass Menschen wieder häufiger in ihrer Jugend unschuldig und unwissend von den privaten Versicherungen mit Dumping-Angeboten geködert werden, später aber die steigenden Prämien im Alter nicht mehr bezahlen können. Gern würden sie wieder in die Gesetzliche Krankenversicherung zurückkehren, können meist aber nur noch mit dem unattraktiven und teuren Basistarif der PKV vertröstet werden. Kürzere Bindungsfrist für Kostenerstattung Die Bindungsfrist für die Kostenerstattung wurde auf ein Kalendervierteljahr gesenkt. Versicherte können sich jetzt leichter dafür entscheiden, die Arztrechnung zu prüfen, die Kosten selbst zu begleichen und die Rechnungen später bei ihrer Kasse zur Erstattung einzureichen. Die Abschläge, die die Kasse dabei vornehmen darf, wurden auf maximal fünf Prozent gesenkt, sie dürfen sich lediglich auf die Verwaltungskosten beziehen. Außerdem wurde die Pflicht des Patienten, die erfolgte Beratung durch den Leistungserbringer vor Wahl der Kostenerstattung schriftlich zu bestätigen, mit dieser Reform abgeschafft, was die Schwelle zum Missbrauch der Kostenerstattung noch weiter senkt. Kommentar: Wir raten ab! ( Näheres siehe unser Merkblatt Kostenerstattung.) Die Kostenerstattung (geregelt in 13 SGB V) ist eigentlich ein Element der PKV, das in der GKV nichts zu suchen hat. Versicherte haben dabei fast nur Nachteile. Arztrechnungen können Patienten genauso gut durch die Patientenquittung prüfen, die sie bei ihren Ärzten oder bei ihrer Krankenkasse anfordern können ( 305 SGB V). Außerdem befürchten wir, dass Patienten, die Kostenerstattung gewählt haben, von Ärzten bevorzugt behandelt werden, zum Beispiel schneller Termine bekommen. Das würde zu einer Dreiklassen-Medizin führen (1. Klasse: Privatpatient; 2. Klasse: Kostenerstattungspatient; Holzklasse: GKV-Patient). Bedingungen für Wahltarife gelockert Die Mindestbindungsfrist für die Tarife Prämienzahlung, Kostenerstattung und Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wurde auf ein Jahr reduziert. Auch bei Wahltarifen gibt es ein Sonderkündigungsrecht immer dann, wenn die Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erstmals erhebt, ihn anhebt oder ihre bisherige Prämienzahlung verringert. Für die Dauer der Mindestbindungsfrist gilt das Sonderkündigungsrecht nicht beim Wahltarif Krankengeld. Kommentar: Die Kürzung der Bindungsfrist und die Einführung eines Sonderkündigungsrechts bei Wahltarifen wäre nur für solche Tarife zu begrüßen, die den Versicherten echte Vorteile bieten, aber dazu gehören die drei hier genannten Tarife nicht. Wir raten ab.

Seite 4 von 6 Neue Kostenerstattungsmöglichkeit bei Arzneimitteln Medikamente, die im Rahmen von Rabattverträgen abgegeben werden, unterscheiden sich in der Qualität nicht von anderen Arzneimitteln. Dennoch kann es Gründe für Patienten geben, sich bewusst für ein anderes Präparat zu entscheiden. Ab dem 01.01.2011 können die Versicherten frei wählen und sich auch für ein anderes als das rabattierte Medikament ihrer Kasse entscheiden. Wer diesen Weg gehen möchte, bezahlt zunächst sein Wunschmedikament aus eigener Tasche. Dann kann er sich von seiner Krankenkasse einen Teil der Kosten erstatten lassen: nämlich den Betrag, den sie für ein entsprechendes Mittel aus einem Rabattvertrag gezahlt hätte. Kommentar: Hier wird unter dem Deckmantel der Wahlfreiheit eine neue Zuzahlung eingeführt. Sie trifft vor allem Menschen, deren Medikamente sich entgegen der genannten Annahme z.b. wegen unterschiedlicher Bioverfügbarkeit doch in Qualität und Wirkung von denjenigen Medikamenten unterscheiden, für die es Rabattverträge zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen gibt. Und für die, die sich für ein anderes als das rabattierte Medikament entscheiden, ist es unzumutbar, dass sie beim Kauf eines Medikaments nicht erfahren, wie viel ihnen ihre Krankenkasse später erstattet, da die Kassen ihre Rabattverträge sogar gegenüber den Apothekern geheim halten. Unabhängige Patientenberatung Ab sofort gehört eine unabhängige Patientenberatung in Deutschland zur Regelversorgung. Kostenlos und anonym kann sich jeder Bürger telefonisch, im Internet oder persönlich in bisher 22 Beratungsstellen bundesweit informieren. Zu den beratenden Experten gehören Mediziner und Juristen. Die UPD Unabhängige Patientenberatung Deutschland ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss unabhängiger Beratungsstellen. Im Internet: www.upd-online.de Kommentar: Falsch! Durch die viel zu späte Ausschreibung der Patientenberatung für 2011 und die Folgejahre mussten alle Beratungsstellen der UPD zum Jahresende 2010 schließen. Ein Neuanfang, teils in neuen Räumen und mit neuen Mitarbeitern, ist erst im Frühjahr 2011 zu erwarten. Außerdem garantiert die Finanzierung der unabhängigen Patientenberatung durch die Krankenkassen leider nicht die wünschenswerte volle Unabhängigkeit. Umsetzungsvorgabe für elektronische Gesundheitskarte Die gesetzlichen Krankenkassen werden verpflichtet, bis Ende des Jahres 2011 zehn Prozent ihrer Versicherten mit der elektronischen Gesundheitskarte (egk) auszustatten. Kommen die Kassen dieser Verpflichtung nicht nach, müssen sie zusätzlich zu der ohnehin geltenden Begrenzung der Verwaltungskosten weitere zwei Prozent einsparen. Sobald die egk ausgehändigt ist, verliert die bisherige Versichertenkarte ihre Gültigkeit. Kommentar: Obwohl die Gesundheitskarte bereits 2006 eingeführt sein sollte, verzögert sie sich immer weiter. Eine große Zahl der Ärzte, Zahnärzte, Patienten, Apotheker und viele andere wehren sich seit Jahren gegen die vernetzten Computersysteme, auf denen die Krankheitsdaten der Versicherten gespeichert werden sollen. Datenskandale bei Banken, der Deutschen Bahn und anderen Großunternehmen nähren das Misstrauen in die Zuverlässigkeit der Technik und vor allem der sie bedienenden Menschen. Angesichts dieser massiven Skepsis ist der Zwang gegenüber den Krankenkassen, die egk jetzt zügig einzuführen, ein Schlag ins Gesicht der Versicherten und Patienten.

Seite 5 von 6 Zuschlag für Ärzte in unterversorgten Gebieten Um die ärztliche Versorgung in unterversorgten Gebieten zu verbessern, hier geht es meist um ländliche Regionen, werden finanzielle Anreize gesetzt: Ärzte, die sich in diesen Regionen niederlassen, können wieder so genannte Sicherstellungszuschläge erhalten zusätzlich zum Honorar. Die bisherige Regelung zu Sonderpreisen im Fall von Unter- und Überversorgung wird für die Jahre 2011 und 2012 ausgesetzt. Kommentar: Die Sicherstellung der Versorgung in ländlichen Gebieten ist wichtig. Ob diese Zuschläge allerdings ausreichen oder weitere Veränderungen in den Anreiz- und Zulassungsbedingungen nötig sind, bleibt abzuwarten. Entbürokratisierung der Arzneimittelverordnung Die bisher zur Steuerung der ärztlichen Arzneimittelverordnung geltende Bonus-Malus- Regelung sowie die Zweitmeinungsregelung werden abgeschafft. Darüber hinaus werden die Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Ärzten vereinfacht. Kommentar: Vereinfachung klingt immer gut. Zumal diese Regelungen früherer Gesundheitsreformen sehr umstritten waren und enorme Bürokratie verursachten. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sie durch andere gern einfachere, aber bitte zugleich auch wirksamere Kostenbremsen ersetzt werden oder ob sich einfach nur die Pharma-Lobby durchgesetzt hat. Niedrigere Preise und Nutzenbewertung für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen Bei Markteinführung eines Medikaments mit neuen Wirkstoffen muss der Hersteller jetzt ein Dossier vorlegen, das den zusätzlichen therapeutischen Nutzen für die Patienten gegenüber vorhandenen Medikamenten belegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss bewertet den Nutzen innerhalb von sechs Monaten nach der Markteinführung. Wird ein Zusatznutzen nicht nachgewiesen, kann für das neue Arzneimittel ein Höchstbetrag festgelegt werden, den die Krankenkassen maximal erstatten. Wird ein zusätzlicher Nutzen anerkannt, müssen die Hersteller mit den Kassen über den Preis verhandeln. Die Hersteller können also nicht mehr wie bisher ihre Preise für neue Arzneimittel frei festsetzen. So können deutliche Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben erzielt werden. Kommentar: Bemerkenswert ist das Eingeständnis, dass die pharmazeutische Industrie bisher ihre Preise in Deutschland völlig frei festsetzen konnte. Schön, dass das endlich zu Ende sein soll. Dafür müssen allerdings sowohl das Verfahren der Nutzen- bzw. Kosten-Nutzen- Bewertung transparent als auch die damit beauftragten Institute unabhängig sein. Veröffentlichungspflicht für Studien Hersteller, die ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen, müssen künftig die Ergebnisse ihrer zuvor durchgeführten klinischen Studien (Phase III-Studien) innerhalb von sechs Monaten nach der Zulassung im Internet veröffentlichen. So wird die Arzneimittelforschung gefördert, die Bewertung neuer Arzneimittel erleichtert und die Transparenz gestärkt. Kommentar: Ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings sind damit noch nicht alle Studien veröffentlichungspflichtig, sondern nur diejenigen, die sich auf ein neu eingeführtes Arzneimittel beziehen. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass Studien mit unerwünschten Ergebnissen verschwiegen werden.

Seite 6 von 6 Kartellrecht kommt zur Anwendung Ab dem 01.01.2011 wird bei freiwilligen Verträgen von Krankenkassen und Leistungserbringern auch das Kartellrecht angewendet (z. B. bei Rabattverträgen). Kommentar: Diese Neuerung scheint unbedeutend, sie kommt kurz und ganz am Ende daher, könnte aber weitreichende Auswirkungen auf unser Gesundheitswesen haben. Denn bisher gelten Krankenkassen nicht als Unternehmen, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, sondern als Organe der sozialen Sicherung mit solidarischer Umverteilung der finanziellen Mittel. Die neue Regelung rückt sie nun stärker in die Richtung von Wirtschaftsunternehmen, die ganz andere Regeln beachten müssen, eben zum Beispiel das Kartellrecht. Das soll für Krankenkassen allerdings zunächst nur ein bisschen gelten, nämlich nur für ihre freiwilligen Verträge, nicht für die, die sie aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung abschließen müssen. Die Folge: Krankenkassen haben sich künftig an zwei Fronten zu bewähren, einerseits der sozialrechtlichen (wie bisher), andererseits der neuen kartellrechtlichen, die ihnen teils sehr viel strengere Grenzen vorgibt. Das ist nicht nur für die Krankenkassen eine enorme Herausforderung und erzeugt möglicherweise einige Rechtsunsicherheit, es gibt auch die Marschrichtung vor, die die Regierung für das Gesundheitswesen wünscht: Es wird vom solidarisch organisierten Sozialversicherungs-Versorgungsbetrieb zum ganz normalen Teil des Wirtschaftssystems. Krankheit und Gesundheit werden zur Ware.