Rechtliche Verankerung von Prävention eine Basis für Mental Health Promotion? Prof. Dr. phil. Ulla Walter Medizinische Hochschule Hannover Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung Abt. Epi., Sozialmed. und Gesundheitssystemforschung German Network for Mental Health Köln 21.-22. Okt. 2004
Gliederung Relevanz von Mental Health in Sozialgesetzbüchern Verankerung von Prävention im SGB Ausgewählte Ergebnisse: - Begriffe - einzelne Gesetzbücher: Relevanz Mental Health, Inhalte Prävention und Umsetzung - Kooperationen - Finanzierung Präventionsgesetz: Chancen für Mental Health?
SGB III Arbeitsförderung SGB V Gesetzliche Krankenversicherung SGB VI Gesetzliche Rentenversicherung SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe Prävention SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen außerhalb SGB BSHG ÖGD Schule etc. SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung SGB XI Soziale Pflegeversicherung
Expertisen im Auftrag des BMGS Juristische Sicht (Seewald) Identifikation der Regelungen im SGB sowie in den Bereichen Schule und ÖGD Defizite und Hindernissen Sozialmed. Sicht (Walter) Wahrnehmung und Umsetzung der rechtlichen Regelungen Angemessenheit in Bezug auf Transparenz und Zielorientierung Inwieweit besteht ein Harmonisierungs-, Ergänzungsund Präzisierungsbedarf? Wie könnten bestehende Probleme überwunden werden?
Vorgehen (1) Analyse der Literatur u.a. graue Literatur, Vereinbarungen, Stellungnahmen zu den Themen Prävention, Rehabilitation und Pflege für SVR 2001, Anhörungen zur Prävention im Bundestag (2) Schriftliche Stellungnahmen Ausgewählte Entscheidungsträger und Vertreter der Versorgungspraxis, insges. 21 Stellungnahmen (3) Leitfadengestützte Interviews Interviews mit Entscheidungsträgern bzw. Fachkräften mehrerer in einem Bereich tätiger Einrichtungen, 25 Interviews mit 32 Experten geführt, Dauer i.d. 73 Min. (min 40, max. 130 Min.)
Relevanz von Mental Health für Sozialgesetzgebungsbereiche
Verteilung von Ausgaben auf Diagnosekapitel GKV (KKH 2004) Muskel-Skelett-System Herzkrankheiten Psychische und Verhaltensstörungen Neubildungen Kreislaufsystem o. Herz
Stationäre Aufenthalte: Die Diagnose Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol ist bei Männern der zweithäufigste Anlass für Behandlung im Krankenhaus (nach chron. ischämische Herzkrankheit). Die mit Abstand höchsten Einweisungshäufigkeiten weisen Arbeitslose auf (184 KH-Fälle/1000 Vers.jahre) (GEK 2004) Medikamente: Werden mit Abstand am häufigsten für Arbeitslose verschrieben. Verordnungen von Antidepressiva zeigen bes. bei Arbeitslosen merklich erhöhte Raten (Spitzenstellung Berufsgruppen) (TK 2004) Ausgaben: Ausgaben für Ischämische Herzkrankheit liegen bei Arbeitslosen (Männer, 2002) um Faktor 2,09 höher als bei Berufsgruppe mit höchsten Ausgabe (Bürofachkräfte) (KKH 2004)
Arbeitsbelastung: psychische Fehlbelastung 43%, deutliche Zunahme von vor fünf Jahren (BKK/HVBG 2004) Arbeitsunfähigkeit: psychische Belastungen: 31% aller AU-Fälle, davon 14% kog. Belastungen geringer Handlungsspielraum Bewilligte Rehabilitationen (BfA, 2001): psychische und Verhaltensstörungen 13%
Wahrnehmung und Umsetzung der rechtlichen Regelungen zur Prävention im Sozialgesetzbuch
Begriffe im SGB Verwendete Begriffe: Prävention / Primäre Präv. Gesundheitsförderung Vorsorge Prophylaxe Früherkennung Verhütung/Vermeidung Vorbeugung Aufklärung Beratung (Gesundheits-)Fürsorge Arbeitsschutz Kinder- und Jugendschutz Nicht verwendete Begriffe: Screening Sekundäre Prävention Tertiäre Prävention Gesundheitserziehung Hygiene Gesundheitsschutz universelle, selektive, indizierte Prävention
SGB III SGB V SGB VI SGB VII SGB VIII SGB IX SGB XI Prävention Primäre Prävention Vorsorge Früherkennung Verhütung/-meidung Vorbeugung Prophylaxe Gesundheitsförderung Beratung Aufklärung
Prävention und Gesundheitsförderung Ziele entsprechen Definition von Prävention, adaptiert an spez. Fokus des jeweiligen SGB Kaskade: Prävention vor Reha vor Pflege Primäre Prävention nur im SGB V 20: salutogen orientierte Zieldefinition, erstmals gesetzliche Fixierung der Verringerung der sozial bedingten gesundheitlichen Ungleichheit Gesundheitsförderung: 20 SGB V etabliertes WHO- Konzept (betriebl. GF), 7 SGB XI Hinwirkung auf Maßnahmen: nicht def.
Zwischenfazit I - Begriffe Verständnis gesundheitsbezogener Prävention nicht in allen Sozialgesetzbüchern gegeben Nebeneinander verschiedener Begriffe, nicht klar abgegrenzt und nicht einheitlich verwendet Unterteilung der Prävention nach Caplan ansatzweise verwandt (Primärprävention, Früherkennung) Angleichung der Begriffe Interdisziplinärer Diskurs über Präventionsverständnis Ausfüllung mit spezifischen Inhalten der Bereiche Handlungsorientierung, Qualifizierung
SGB III Arbeitsförderung (ab 2005: zusätzl. SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende) Prävention i.s. Vermeidung von (Langzeit-) Arbeitslosigkeit > indirekter gesundheitsbezogener Bezug Wo direkter gesundheitsbezogener Bezug gegeben wäre (z.b. Berufsberatung, freie Förderung), nur implizit formuliert Kaum gesundheitspräventive Maßnahmen Gesundheitspräventive Potenziale in der Berufsberatung kaum genutzt Keine gesundheitspräventiven Fragen im Profiling bei Langzeitarbeitslosigkeit Sinnvoll: Kontakt Anlass für weitere Schritte wie z.b. Beratung zur Suchtprävention, Vermeidung Chronifizierung psychischer Auffälligkeiten
SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe Weder gesundheitsbezogene Prävention noch Gesundheitsförderung explizit in Aufgabenkatalog Verständnis Prävention: i.s. von Vermeidung von Erziehungsdefiziten und Gewährleistung einer stabilisierenden Sozialisation Gesundheit als Thema der täglichen Arbeit kaum präsent (Familienförderung, Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Kinder- und Jugendschutz) Problem: ungenügender Ausbildungsstand der Erzieher im Bereich Prävention/Gesundheitsförderung Kaum Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Gesundheitsbereich (Ausbildung und Praxis)
SGB V Krankenversicherung I Mundgesundheit: Gruppen-, Individualprophylaxe, Erweiterung auf Einrichtungen für behinderte Jugendliche Primärprävention 20 SGB V: Handlungsfelder: Stressmanagement, verantwortlicher Umgang mit Sucht- und Genussmitteln; 2002: 0,5 % der Vers. indiv. Kursangebote, davon 16% Stressmanagement, 0,5% Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln Setting Schule: ab 2003: gemeinsame Modellprojekte in drei Bundesländern (Nds., S-Anhalt, Rheinl.-Pfalz) Problem: große Unterschiede zwischen Kassen, Wettbewerb, wenig Kooperationen, gezielte Angebote kaum möglich
SGB V Krankenversicherung II U-Untersuchungen: Früherkennung von Krankheiten, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen Check-up und Krebsfrüherkennung: entsprechen z.t. nicht internationalen Empfehlungen (Bsp. Prostatakrebs, Zervixkarzinom) Defizite: Testqualität, Wirksamkeit der Screeningdiagnostik, Akzeptanz, Durchführungsqualität fehlende Begleitevaluation kein gezieltes Einladungssystem
SGB VII Unfallversicherung Neuerungen des Arbeitsschutzes und Anpassung des SGB VII 1996: deutliche Ausweitung der Aufgaben zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren -> Ausweitung Personal und neue Disziplinen dennoch stark geprägt vom traditionellen Verständnis des Arbeitsschutzes, erweitertes Verständnis setzt sich erst allmählich durch weiterhin Defizit: Prävention psychischer Belastungen
SGB IX Rehabilitation 2001: Bündelung der Reha-Leistungsgesetze der GUV, GKV, GRV, Arbeitsförderung, Kinder- und Jugendhilfe Gesetzlicher Mangel: nicht Einbezug der Pflegeversicherung in die Trägerschaft der Reha Probleme: Missverhältnis zw. Bedarf und Inanspruchnahme, frühzeitige Erkennung, Nachsorge Kritische Zielgruppen: Kinder, Ältere, Suchtabhängige
SGB XI Pflegeversicherung Problem Pflege: Hinwirkung auf andere Leistungsträger - ohne das andere Leistungsträger Interesse haben -, kein eigenes präventives Leistungsgesetz in der Pflege (außer: Schulungskurse für Angehörige) Prinzip Prävention vor Reha vor Pflege ist obsolet Schulungskurse: psychosoziale Aspekte z.t. in Kurs eingebunden, kaum eigenständiges Angebot Einteilung in Pflegestufen kein präventiver Anreiz
Zwischenfazit II Umsetzung heterogene Tradition, mit unterschiedlicher Differenzierung umgesetzt Kooperationen: bloße Möglichkeit reicht nicht aus, Erfolgreiche Umsetzung und Weiterentwicklung, wenn eindeutige funktionsbezogene Vorgaben vorhanden sind (z.b. Gruppenprophylaxe Zahngesundheit, Zusammenarbeit GKV-GUV) Definition von Aufgabenfeldern und Zuschreibungen von Verantwortlichkeiten für einzelne Akteure Identifikation weniger, aber zentraler Kooperationen, wo deutliche Synergieeffekte erwartet werden
Zwischenfazit II Umsetzung Divergenz Investoren und finanzielle Gewinner der Prävention: verhindert ein verstärktes Engagement Poolfinanzierung erforderlich z.t. Veränderungen und Konkretisierungen in rechtlichen Einzelregelungen bzw. z.t.explizite Aufnahme erforderlich Gesetzbücher ohne präventiv wirksame Leistungsgesetze ergänzen prinzipiell rechtlich Prävention psychischer Erkrankungen möglich, aber kaum angeboten
Präventionsgesetz Rahmenbedingungen für mehr Prävention
Präventionsgesetz 2000 Gutachten Kommission Humane Dienste - Prävention in Deutschland (Walter, Schwartz) 2001 Pressekonferenz Opposition: Forderung nach Präventionsgesetz 2002 Aufnahme in Koalitionsvereinbarung 2002 Dt. Forum Prävention und Ges.förd.: Expertisen 2003 Kassen: Forderungen an Präventionsgesetz, GKV-Stiftung 2003 Bundesrat: Aufforderung zur Erarbeitung 2004 GMG: Präventionsgesetz 2004 Eckpunkte Bund-Länder
Präventionsgesetz - Ziele Definition von (primärer) Prävention und Gesundheitsförderung, Entwicklung Präventionsverständnis Einbindung Renten-, Unfall-, Pflegeversicherung in primäre Prävention (nicht: Arbeitsförderunng) Verbesserung Abstimmung Sozialversicherungsträger und ÖGD, Einbindung weiterer Akteure (Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Bildung, Jugend etc.) Entwicklung Präventionsziele Forderung Präventionsforschung
Handlungsebenen Bundesebene: Entwicklung Präventionsziele Modellprojekte Kampagnen Evaluation Koordination Stiftung Landes-kommunale Ebene: Settingprojekte in Abstimmung mit Soz.vers.träger Sozialversicherungsträger: individuelle Maßnahmen
Finanzierung Sozialversicherung jährlich 250 Mio. GKV 180 Mio. RV 40 Mio. UV 20 Mio. PflV 10 Mio. Ressourcen Bund/Land (RKI, BZgA, ÖGD etc.) Verteilung auf Handlungsebenen: 20:40:40
Stiftung - Organisation Vorstand Entscheidung Stiftungsrat - max. 30 Mitglieder Festlegung - Aufgaben Stiftung - Leistungen - Präventionsprogramm Beratung Kuratorium - Dt. Forum Präv. u. GF -RKI -BZgA -weitere Beratung - Präventionsziele - Teilziele Wissenschaftlicher Beirat Mitwirkung
Präventionsziele - Kriterien Epidemiologische und ökonomische Bedeutung Präventive Beeinflussbarkeit Verbesserungspotenzial für Gesundheit Messbarkeit/Verfügbarkeit von Daten Gesellschaftliche Akzeptanz Zielgruppenorientierung, insbes. Berücksichtigung sozial benachteiligter Gruppen Geschlechtersensibilität Verhaltens-, verhältnis-, krankheits-, risiko- und zielgruppenspezifisch
Chance für Mental Health Promotion? großer Bedarf Sachverständigenrat 2000/2001: nationale Kampagne Depression gesundheitsziele.de: gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung Erforderlich: Konzepte in der Primärprävention Akzeptanz, Erreichbarkeit und Ansprache von Zielgruppen
außerhalb SGB ÖGD Schule Betriebe etc. SGB V Gesetzliche Krankenversicherung Zentraler und dauerhafter Stellenwert Präventionsgesetz einer nachhaltigen, Mental Health einschießenden Prävention in Deutschland SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung SGB VI Gesetzliche Rentenversicherung SGB XI Soziale Pflegeversicherung