Schlafstörungen bei Babys und Kleinkindern Prim. Dr. Franz Paky, LKH Vöcklabruck 29. Südtiroler Herbstgespräche, Bozen Herbst 2014 1 Grundfragen Muss Schlafen gelernt werden? Muss Schlafen gelehrt werden? Wozu Schlaf? 2 Paky Nov 02 1
Schlaf-Wach-Zyklen FIGURE 1 Zyklisches Geschehen Trink-Schlaf- Zyklen (2-3 H) Durchschlafen Durchschlafen zw. zwei Zyklen Tagschlaf? 3 Schlaf-Wach-Zyklus Scott A. Rivkees. Developing circadian rhythmicity in infants. Pediatrics 112:373-381,2003. Rest-activity patterns of a newborn human infant. 4 Paky Nov 02 2
Schlafdauer, REM-, NREM-Schlaf 25 20 15 10 REM FIGURE 2 WACH 5 0 NREM Frühgeborene Neugeborene 3-6 Monate 7-12 Monate 1-2 Jahre 3-5 Jahre 6-14 Jahre Erwachsene 5 Normalwerte für Schlafdauer Wieviel Schlaf braucht denn ein Kind? Aus: Iglowstein I, Jenni OG, Molinari L, Largo RH (2003) Sleep duration from infancy to adolescence: reference values and general trends. Pediatrics 111:302-307. 6 Paky Nov 02 3
Babyschlaf - Besonderheiten REM Erwachsener NREM Baby Babys starten in REM (20 ) Babys schlafen mehr REM, insgesamt leichter (aktiver Schlaf, Traumschlaf) Trinken oft, Atmung stimuliert Zyklen kürzer (60 statt 90 ) Früh-tief-lang-Training unphys 7 Babyschlaf - Besonderheiten Schlaf-Zyklen: 60-90 Magenentleerung: 60-90 Trinkfrequenz bei Gestillten: 6-19 mal pro Tag (6W-6M) 27-134ml pro Mahlzeit (nach Peter Hartmann, Australien, Stillkongress Göppingen 2007) 8 Paky Nov 02 4
Schlafen - Erziehungsziele Problemloses Einschlafen -> Frühes Durchschlafen -> Allein-Schlafen -> Elterliche Selbsteinschätzung Elterliche Kompetenz Elterliches Kontrollbedürfnis 9 Problemloses Einschlafen Sowohl das Schreien der Babys als auch das Einschlafproblem konzentrieren sich auf die Abendzeit Vater kommt nach Hause Mutter ist erschöpft wünscht sich Ablöse Fernsehgerät wird eingeschaltet Baby ist überfüllt 10 Paky Nov 02 5
Frühes Durchschlafen Traditionalistische Normvorstellungen mit 2 Mon. einzelne mit 3 Mon. 75% (-33%) mit 5 Mon. 90% Gestillte Babys? Monate -> Jahre? Schlafunterbrechung fällt weniger auf 11 Alleinschlafen Co-sleeping über Jahrtausende bevorzugte Schlafsituation von Menschen (McKenna 1993). Erst seit weniger als 200 Jahren getrenntes Schlafen von Eltern und Kindern (Montagu 1992). 12 Paky Nov 02 6
Leben ist Rhythmus О О О О О Schlafen und Wachen Ein- und Aus-Atmung Essen/Trinken und Ausscheiden Geben und Nehmen in der Sexualität Bindung und Lösung Aspekte kindlicher Autonomieentwicklung 13 Eltern-Kind-Bindung Entwicklungsgeschichte: Aufrichtung, größerer Kopf, engeres Becken -> Frühgeburt -> sozialer Uterus Hilfsbedürftigkeit des Neugeborenen groß Bindung zwischen Eltern und Kind sehr eng Obsorge intensiv und langdauernd Abhängigkeit für den Menschen spezifisch -> Pädagogik, Gesellschaft, Politik 14 Paky Nov 02 7
Eltern-Kind-Bindung und Trennung Schlafen lassen ist ein Trennungserlebnis In-Verbindung-Bleiben und In-den-Schlaf-Entlassen Ent-lassen setzt Ver-lassen voraus Entwöhnung setzt Ver-wöhnung voraus Verwöhnung schafft Sicherheit Verwöhnung ermöglicht Klarheit 15 Verwöhnungsangst Wenn ich reagiere, muss ich immer reagieren. Kind wird immer mehr wollen. Wenn ich gebe, muss ich immer geben. Ich mache mich vom Kind abhängig. Auch das Kind wird es schwer haben mit seinen Ansprüchen, wird abhängig. 16 Paky Nov 02 8
Das Gegenteil ist der Fall! Je früher und sensibler die Reaktion, desto besser die Kommunikation Je sensibler die Reaktion, desto besser die Entwicklung der vorsprachlichen und der sprachlichen h Entwicklung (Grossmann) Auswirkungen auf zukünftige Partnerschaft 17 Ein schlimmer Mechanismus! Hilferuf fehlende Reaktion Eskalation fehlende Reaktion Resignation Zufriedenheit des Betreuers 18 Paky Nov 02 9
Gefühle ums Einschlafen Kind Trennung von Eltern? Wachsein? Kein Zeitbegriff morgen früh... Eltern Trennung vom Kind Kann es ohne meine Hilfe einschlafen? wieder aufwachen? Kind wendet sich ab Identifikation u. Regression -> Wiederholung Einfühlung und Reflexion -> Veränderung 19 Grundannahmen Je kleiner ein Kind, desto mehr spürt es seine Umgebung. Es gibt kein Baby für sich allein, es gibt nur ein Baby und jemanden in seiner Umgebung (Winnicott) 20 Paky Nov 02 10
Schlafparadox Erwachsene: Ich kann nicht schlafen, wenn ich will! Kind: Ich kann nicht schlafen, wenn ich muss! 21 Arten von Schlafstörungen Dyssomnien meist organisatorisch oder psychisch bedingte Ein- und/oder Durchschlafstörungen Parasomnien ungewöhnliche Verhaltensweisen im Schlaf dramatisch aber harmlos) 22 Paky Nov 02 11
Einschlafstörung Dyssomnien Einschlafprozedur dauert >1 Std. Durchschlafstörung abhängig von Alter und Art der Ernährung Kind (>1a) schläft nie >6 Std. am Stück 23 Parasomnien I - Aufwachstörungen 1. Schlafwandeln 2. Verstörtes Aufwachen aus dem Tiefschlaf 3. Pavor nocturnus (Nachtschreck) 24 Paky Nov 02 12
Parasomnien I - Aufwachstörungen 1. Schlafwandeln <5% der Kinder; Beginn 4-6a, Ende 15a Aufwachen von Bewegungsabläufen ohne Bewusstsein meist im ersten Schlafdrittel, in NREM, d.h. ohne Zusammenhang mit Träumen, oft mit offenen Augen Dauer 30 sec-30 min meist kein psychischer Hintergrund Auslöser: Schlafmangel, Stress, TV, Fieber, Medikamente) Sicherheitsmaßnahmen (Treppen, Türen, Alarm), andere Interventionen fragwürdig, oft verwirrend 25 Parasomnien I - Aufwachstörungen 2. Verstörtes Aufwachen aus Tiefschlaf ca. 10%; 3-5a Kind wacht auf, weint oder schreit, kennt sich nicht aus, ist weder zu wecken noch zu beruhigen Dauer: 1-15 min, meist ohne Erinnerung, oft familiär; Interventionen unergiebig wie bei 1. 3. Pavor nocturnus (Nachtschreck) <1% Wie 2, nur mit heftigen vegetativen Symptomen (<15 min) Endet meist in Pubertät 26 Paky Nov 02 13
Parasomnien II - andere 1. Albträume (eine REM-Schlaf-Parasomnie) bes. bei Kleinkindern, Therapie wenn >1x/Woche 2. Zähneknirschen (Kleinkinder, 50%) 3. Bettnässen 4. Schnarchen (20%) 5. Obstruktive Schlafapnoe mit Tagesmüdigkeit 27 Schlafstörungen - Ursachen Kulturell/gesellschaftlich: Zwanghafte Erziehungsziele Schlafzwang für Leistung Untergrabung elterlicher Kompetenz Großeltern (Durchschlafen?) Bekannte, Freunde (Durchschlafen?) Ärzte (Durchschlafen?) Konflikte der Eltern Partnerkonflikte Meinungsunterschiede Trösten, Schreien lassen? Hunger und Sättigung Schmerzen, Temperatur, Lage Eifersucht auf Nähe zum Kind Ängste der Eltern bezüglich Verwöhnung, Schlafstörung Versagen in Schlaferziehung Verhungern (Überbesorgt->Füttern) Zahnen, Infekte, Atmung, SIDS Kindliches Temperament? Organisatorische Probleme Schlafzwang (Schlafparadox) Erschöpfung der Eltern (Beruf, Kinder, Haushalt) Wohnverhältnisse, Nachbarn 28 Paky Nov 02 14
Voraussetzungen für guten Schlaf Emotionelle Sicherheit h it (Geborgenheit) Autonomie (Selbstkontrolle) Organisatorische Sicherheit (Gewohnheit) 29 1. Emotionelle Sicherheit Eltern bleiben mit dem Kind verbunden (Übertragung von Gefühlen, Stress, Hunger) Schlaf ist einer der geheimen Kanäle, über den Eltern mit ihren Kindern kommunizieren. Konzepte für Halten und Beschützen Schutzengel, Mutter-Kind- Kreislauf (Brazelton), holding (Winnicott), Bindung - ein Phänomen, das über Raum und Zeit hinaus wirkt (Ainsworth) Eindeutigkeit: wie kann sie hergestellt werden? Mangel an Eindeutigkeit? 30 Paky Nov 02 15
2. Autonomie Vertrauen in die Selbstregulation Loslassen setzt Einlassen voraus Ver-wöhnen -> Ent-wöhnen Ver-lassen -> Entlassen Selbständigkeit durch Vertrauen, dass jemand kommt, wenn man etwas braucht. Selbständigkeit durch Überzeugung, dass niemand kommt, wenn man schreit. 31 3. Organisatorische Sicherheit Konstanz, Wiederholung, Verlässlichkeit Räumlich (Zimmer, Licht, Bett, Kleidung) Rituale (Baden, Trinken, G-N-Geschichte) Rhythmik (Wiege, Wiegenlied, Schaukeln) Schlaforganisation beginnt am Tag!!! Eigenproduktion von Sicherheit Wackeln, Nuckeln 32 Paky Nov 02 16
Wechselwirkungen Emotionelle Sicherheit (Geborgenheit) Autonomie (Selbstkontrolle) Organisatorische Sicherheit (Gewohnheit) 33 Schlaf und kindliche Entwicklung Neugeborenenzeit - Bindung (bonding, attachment) Erstes Lebenshalbjahr - Entwicklung einer gemeinsamen Sprache Zweites Lebenshalbjahr - Krabbeln, Fremdeln, Distanz, Lösung Kleinkindalter - Trotz, Nein Jugend - Selbständigkeit 34 Paky Nov 02 17
Schlafprobleme bei Kleinkindern Trotz Schlaf verweigern Anlehnungsbedürfnis Kuscheln, Co-sleeping Kindergarten? Geschwister? 35 Zusammenfassung Schlafstörungen sind fast immer harmlos, aber sehr belastend, haben fast nie eine organische Ursache, sind eine Chance, an der Beziehung von Eltern und Kind etwas zu verbessern. Nur bei starkem Druck und wenig Zeit können Patentrezepte und Dressur sinnvoll sein. 36 Paky Nov 02 18
Paky Nov 02 19