Vom Wachen und Schlafen, von Licht und Dunkelheit Anna Wirz-Justice PhD Zentrum für Chronobiologie Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel www.cet.org
Schlaf ist durch zwei Prozesse reguliert Schlaf Schlafdruck die innere Uhr Wenn diese zwei Prozesse nicht synchronisiert sind, wirkt sich dies auf den Schlaf aus
Eine innere Uhr bei allen Organismen (vom Bakterium bis zum Menschen) Cyanobacteria Neurospora Gonyaulax Drosophila Kalanchoe Mesocricetus auratus auf allen Ebenen der Organisation (von den Genen bis zum Verhalten) Homo sapiens
Pflanzen schlafen (de Mairan 1729)
Uhrengene ticken (L Pagani et al, 2010)
Zirkadiane Rhythmen gibt es in allen biologischen Funktionen RelativeClockTime(h) 8 16 24 8 16 37.5 C C 37.0 Körperkerntemperatur CoreBody Temperature 36.5 pmol/l pg/ml 20 10 Plasma Melatonin Plasma Melatonin 0 Schlaf 8 16 24 8 16 15 #per30-sepoch1 0 Tageszeit (h) EyeBlink Rate
Externe Zeitgeber und innere Uhren Externer 24h-Rhythmus Endogener zirkadianer Rhythmus Auge SCN = Schrittmacher" Zeitgeber SYNCHRONISATION SYNCHRONISATION Oszillatoren in Organen Oszillatoren in Zellen Uhrengene" V Bromundt
Spektralkomposition ist wichtig Zapfen, Stäbchen SCN zirkadianer Photorezeptor mit blau-empfindlichem Photopigment Melanopsin
Nichtvisuelle Wirkungen von Licht Kortex Thalamus Hypothalamus Zirkadiane Rhythmen Stimmung Kognition Wachheit Leistung Schlaf Hirnstamm - Locus coeruleus Limbisches System - Amygdala - Hippocampus Vandewalle et al. Trends Cogn Sci, 2009
Die Lichtintensität ist wichtig! Lux (log Skala) Mittagssonne Tageslicht Sonnenaufgang Dämmerung 100,000 10,000 1,000 400 Lichttherapie 100-300 Lux Innenbeleuchtung Vollmond 0.2 Sternenlicht 0.0001
Der Zeitpunkt der Lichtexposition ist massgebend Morgenlicht synchronisiert die innere Uhr mit >24- stündiger Periodik auf 24 Stunden Rhythmen sind vorverschoben Abendlicht wirkt anders Rhythmen sind nachverschoben
Das natürliche Sonnenlicht
Tageslicht ist dynamisch 100000 10000 Sonnenaufgang 06:56 Sonnenuntergang 19:40 1000 100 10 1.1.01.001.0001 Olten 47 22' N, 7 54' E 29.09.2016
Unsere Vorfahren erwachten bei Sonnenaufgang und schliefen nach Sonnenuntergang ein
Tage Wie schliefen unsere Vorfahren vor der Erfindung des künstlichen Lichts? Erster Schlaf Zweiter Schlaf Konsolidierter Schlaf Sommertag moderner Schlaf Wintertag archaischer Schlaf Durchschlafstörungen Frühes Erwachen Einschlafschwierigkeiten TA Wehr, 1991
Zuwenig Licht am Tag Zuviel Licht in der Nacht
Architektur beeinflusst Gesundheit! West Ost Klinikaufenthalt bei depressiven Patienten in West-Zimmer: 3,5 Tage länger als Ost-Zimmer Intensivstation nach Herzinfarkt: Patienten in Zimmern ohne Sonne 1 Tag länger hospitalisiert, höhere Mortalität
Kultur, Arbeitszeiten, Krankheit, Reisen, Architektur und "Life Style" beeinflussen unser Schlaf-Wach- Verhalten und auch unsere Lichtexponiertheit und umgekehrt
Aufpassen! Abendlicht verschiebt die innere Uhr nach später und später Cold Cathode Fluorescent Lamp LED screen Und die neuen LED Computer-Bildschirme auch - blau macht wach! C Cajochen et al, J Appl Physiol 2011
Depression und Schlafstörungen sind weit verbreitet: welche Aspekte moderner Gesellschaften könnten dafür verantwortlich sein? Unsere gebaute Umgebung "kontaminiert" die natürlichen Illuminationsmuster des solaren Tag-Nacht-Zyklus
Licht ist wichtig für Schlaf, Stimmung, Leistung, Kognition und Gesundheit
Melatonin: Signal der Dunkelheit Das Pinealorgan synthetisiert Melatonin während der Nacht Licht supprimiert die Melatoninproduktion Melatonin ist ein Zeitgeber für das circadiane System
Die thermoregulatorische Kaskade am Abend vor dem Einschlafen 1. Melatoninsekretion fängt an 2. Endogene circadiane Regulation von Wärmeverlust am Abend 3. Abliegen Infrarot Thermometrie Wach 4. Entspannung nach Licht aus Schlaf K Kräuchi et al, Nature 1999
zum Einschlafen: warme Hände und Füsse! am Tag vor dem Einschlafen oder nach Melatonin-Einnahme
Chronotypus: Wann schlafen wir? 23 7 "Normal" Alterseffekte 20 4 "Lerchen" schlafen früh "Senile Bettflucht" 3 11 "Eulen" schlafen spät Teenagers
Ältere Leute sind eher phasenvorverschoben und sie sehen wenig Abendlicht Abendlicht könnte hilfreich sein, z.b. während dem Fernsehen Wohnstuben sind generell zu dämmrig (~30 Lux) kleine Verbesserungen wirken Wunder
Sozialer Jetlag Früh- und spät-chronotypen sind desynchronisiert
Zirkadiane Schlaf-Wach-Zyklus Störungen Affekt Depression, Stimmungsschwankungen, Manie Erschöpfung Irritabilität, Impulsivität, Frustration, Wut Kognition verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration verminderte Gedächtnisund Exekutivfunktion Somatik Müdigkeit, Microschlaf- Episoden erhöhtes Schmerz- Empfinden erhöhtes Risiko für somatische Erkrankungen
Was ist normal?
Wie lange schläft man? Umfrage bei 1 Million Erwachsenen Kripke et al., 1979 30 Jahre später 1 Stunde weniger enorme individuelle Variation
Schlafdauer und Alter Neugeborenes 1-jährig 4-jährig 10-jährig Erwachsener Wo ist unser Power Nap? Älterer Mensch 18 24 6 12 18 Tageszeit
% mi t regelmässiger Nickerchen Nickerchen sind in der Schweiz doch relativ weit verbreitet (oder waren, vor 25 Jahren) 100 66.7 50 38.3 52.0 12.6 13.9 23.5 19.8 0 20-30 31-40 41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 Altersgruppen A Wirz-Justice et al., 1991
Was kann schief gehen: zuwenig Licht (Verhalten, Architektur, Krankheit) Schlaf-Wach-Zyklus
Was kann schief gehen: das Auge Schlaf-Wach-Zyklus
Im Alter nimmt der Lichtinput ab, insbesondere der blauen Wellenlängen, die notwendig sind für circadiane Synchronisation Linsen werden gelb (Blaufilter) Altersbedingte Miosis der Pupille Retinale Degeneration Katarakte reduzieren primär die blauen Wellenlängen Glaukom reduziert die Anzahl Ganglionzellen
Verminderter SCN-Output im Alter Schlaf-Wach-Zyklus
Licht exposition SCN-Aktivität Schlaf-Wach-Zyklus Jung ±5 St/Tag Alt ±1 St/Tag Demenz ±2 Min/Tag E. van Someren 2002
Die Lichttherapie Sensationeller Erfolg im Kampf gegen die Winter- Depression Lichttherapie ist eine Erfindung der Chronobiologie
Anwendungen der Lichttherapie - Behandlung der Wahl bei SAD + sub-sad - SAD bei Jugendlichen und Kindern - (Saisonale) Bulimie - Prämenstruelles Syndrom - Depression während Schwangerschaft & post-partum - nicht-saisonale Depression - Circadianbedingte Schlafstörungen - Verhaltensstörungen bei Alzheimer-Demenz
Umgebungslicht als Zeitgeber ~ 20 lux S Ancoli-Israel 2002
Grundlagen der Chronobiologie Gute Synchronisation der inneren Uhr ist notwendig für die Gesundheit Bessere Synchronisation besserer Schlaf bessere Kognition bessere Stimmung bessere Leistung Synchronisation braucht Zeitgeber Licht ist der stärkste Zeitgeber
Altersheime: Die Beleuchtung muss circadiane Komponenten einbauen, um Schlafqualität, Wohlbefinden und Gesundheit zu fördern
Nur die Beleuchtung zu verbessern reicht nicht! Sonnweid, Wetzikon Kein Unterschied zwischen dynamischem hellem Licht und normalem Licht in den Aufenthaltsräumen eines Heims für Alzheimer-Patienten, gemäss einer grossen kontrollierten Studie. Nur Patienten mit insgesamt höherer Lichteinwirkung zeigten Verbesserungen im Schlaf und in der Stimmung, Agitation, und Lebensqualität. M.Münch 2016 Entscheidend ist licht-gerichtetes Verhalten! M Münch et al, 2014 in press
Empfehlungen - bezüglich der inneren Uhr regelmässige, natürliche Lichtexposition ("Zeitgeber") in Dunkelheit schlafen (bernsteinfarbiges Licht in der Nacht z.b. im Badzimmer) bernsteinfarbige Brille tragen, um Licht-Wirkung zu vermeiden (Schichtarbeit, Jetlag) regelmässige Mahlzeiten und Training Einschlafhilfe ( warme Füsse ) - bezüglich Schlafhomöostase Siesta - "Power nap (kurz!)