Früherkennung von Tumoren

Ähnliche Dokumente
PSA Screening Sinn oder Unsinn? Prof.Dr.Rüdiger Heicappell Asklepios Klinikum Uckermark Schwedt

Wie ist die Datenlage zur Früherkennung des Prostatakarzinoms

Tumorscreening. Christoph Rochlitz

Brustkrebs Screening mittels Mammographie : Contra oder «a case for reasonable doubts»

Neue Datenlage bestätigt PSA gestützte Vorsorge

Epidemiologie 3. Thomas Kohlmann Maresa Buchholz. Institut für Community Medicine Abteilung Methoden Universitätsmedizin Greifswald

ifobt, PSA und HKS: der heilige Gral der Früherkennung practica 2018: Kurs 159 ifobt, PSA, HKS:

Diagnose Krebs Wo steht Man(n)? T.Klotz Kliniken Nordoberpfalz AG

VORLESUNG ALLGEMEINMEDIZIN. Auswahl Folien Früherkennung

Krebsvorsorge für den Mann

Schilddrüsen-Ca- Screening

PSA? PSA ist ein von der Prostata gebildeter Eiweißkörper. auch bei gesunden Männern vorhanden.

Täuschung und Manipulation mit Zahlen Teil 1

Muss Mann zur Früherkennungsuntersuchung?

Früherkennung und Diagnostik

Brustkrebs Screening mittels Mammographie : Contra oder «a case for reasonable doubts»

Täuschung und Manipulation mit Zahlen

Watchful waiting- Strategie

Screeningmaßnahmen - klinische Beispiele

Vorsorge und Früherkennung Welchen Krebs kann man verhindern? Dr. med. Michael Steckstor

Tumormarker Nutzen und Schaden. Stefan Aebi Medizinische Onkologie Luzerner Kantonsspital

Diagnostische Verfahren

Alter. Der Sinn der Primärprävention: Compression of Morbidity Fries James, Stanford University. Wichtiger als länger leben ist länger gesund leben

Dickdarm Screening was ist die beste Methode?

Diagnostische Tests Über den Umgang mit Risiken

Doktor, bin ich gesund? Was Screening leistet und was nicht

Prostatakarzinom lokal Dr. med. J. Heß

Prostatakrebs. Vorsorge mit dem PSA-Test. Das Labor an Ihrer Seite

PROBASE: Große deutsche Studie zum Prostatakrebs-Screening. PROBASE Große deutsche Studie zum Prostatakrebs-Screening

Mammographie-Screening in der Diskussion um Nutzen und Schaden: Was glauben wir und was wissen wir über den Nutzen?

Überblick. Frauengesundheit aus gynäkologischer Sicht. welche Krankheiten wollen wir mit der gyn. Krebsvorsorge. verhindern/ frühzeitig entdecken?

3.10 Gebärmutterhals. Kernaussagen. Inzidenz und Mortalität: Die altersstandardisierten

3.10 Gebärmutterhals. Kernaussagen. Inzidenz und Mortalität: Die altersstandardisierten

Wenn Viren Krebs verursachen. Das Humane Papilloma Virus und die Entstehung von Mund und Rachenkrebs

Früherkennung und Diagnostik

Die neue TGAM-Information Gebärmutterhalskrebs Vorsorge und Früherkennung Dr. Christoph Fischer 1

Prävention. 1. Einleitung. 2. Charts. 2.1 Osteoporose-Tests. 2.2 Blutzuckerkontrollen. 2.3 PSA-Screening. 2.4 Darmkrebs-Screening

EVIDENZ KOMPAKT. PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs

Kolonkarzinomscreening

HPV- Feigwarzen- Analkrebs

Verzicht auf die Operation bei DCIS? Senologie-Update 2018

Pro und contra Früherkennung. Thomas Enzmann Steffen Lebentrau Klinik für Urologie und Kinderurologie

Ist gut gemeint auch gut gemacht? Chancen und Grenzen von Screening-Programmen

HPV Infektion und Vulvakarzinom: Pathogenese und. Prävention durch Impfung

- Kolorektalkarzinom -

Überdiagnose im Mammographie- Screening

Früherkennung und Diagnostik

Klaus Kraywinkel. Überlebenszeitanalysen in Epidemiologischen Krebsregistern

Darmkrebs Prävention

Prostatakarzinom Überversorgung oder Unterversorgung? Rüdiger Heicappell Urologische Klinik Asklepios Klinikum Uckermark Frankfurt /Oder,

lyondellbasell.com Prostatakrebs

Vorsorgeuntersuchungen. G.Köveker, Kliniken Sindelfingen-Böblingen

Chancen und Risiken der digitalen Gesundheitsversorgung: Diagnose vor Therapie und Abwägung vor Versand

Prostatakrebs entdecken. Kay M. Westenfelder

EXPERTEN-MEETING Mammographie-Screening

Seminar Diagnostik L5

Prostatakarzinom wann operieren oder bestrahlen wann überwachen?

Tastuntersuchung, PSA, Bildgebung Wie diagnostiziert man Prostatakrebs?

6. Heidelberger CRC-Symposium Darmkrebsvorsorge PD Dr. Christian Rupp

Neue Wege in der Früherkennung

Europa Uomo Switzerland. Pressekonferenz Zürich, den 22. Oktober 2010

Impfen zur Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs Die wichtigsten Fragen und Antworten

Gutes RCT? Krebsfrüherkennungs. herkennungs- programme schaden, manche können. Alle. Alle

Organbegrenztes Prostatakarzinom

Das Mammakarzinom: Diagnostik und Therapie

MICORYX Weitere Informationen

Statistical Coaching. Thomas Forstner

Gesundheit in Deutschland, 2006

Screening Einführungsvorlesung

Gesundheitsakademie Der Pathologe als Lotse der Therapie

Ärztliche Behandlung von Krebserkrankten. Univ.-Prof. Dr. Martin Schuler Innere Klinik (Tumorforschung)

HPV Impfung: Effektivität und Impfplan

Kann Darmkrebs verhindert werden?

Mammographiescreening und Gynäkologische Vorsorge: Aktuelle Kontroversen

Fakten zu Prostatakrebs

Der HPV-Test verschafft Sicherheit. So schützen Sie sich vor Gebärmutterhalskrebs

Active Surveillance & Watchful Waiting. Überwachungsstrategien beim lokal begrenzten Prostatakarzinom ohne aggressive Tumoranteile

Vom Preis der Prävention Nutzen und Nachteile aus psychologischer Perspektive

Früherkennung findet oft Krebsgewebe, das nie Beschwerden verursacht hätte. Prostatakrebs: PSA-Test kann auch schaden

Intensiviertes Früherkennungsund. Studienbedingungen. Dresden Dr. med. Cornelia Meisel

Screening und Überleben

Krebsvorsorge. Ihr Ratgeber für die persönliche Krebsvorsorge und Früherkennungs untersuchungen. Eine Informationsbroschüre der

Aspirin auch bei Typ-2-Diabetikern nur gezielt zur Sekundärprävention einsetzen

Evaluation der Vorsorge in Deutschland - am Beispiel der Früherkennungs- Koloskopie -

Die Vorsorgekoloskopie -Nutzen und Risiken-

Prostatakrebsvorsorge im Fokus

VII. Inhalt. Vorwort...

Bronchus - Karzinom. Bronchus - Karzinom. 2. Screening. Bronchus Karzinom - Allgemein. 1. Einleitung allgemeine Informationen. 3.

PROSTATA (C61) SITUATION IN DEUTSCHLAND SITUATION IN RHEINLAND-PFALZ

Welche Präventionsangebote gibt es?

Wie effektiv ist die Darmkrebsvorsorge wirklich?

PROSTATA (C61) SITUATION IN DEUTSCHLAND SITUATION IN RHEINLAND-PFALZ

Effektgrößen. Evidenz-basierte Medizin und Biostatistik, Prof. Andrea Berghold

Screening Lungenkrebs. Lutz Freitag

Krankheiten von Männern Interdisziplinäre Betrachtungen. T. Klotz, Weiden

Einfluss der Vorsorgekoloskopie auf die Karzinominzidenz. R.Grüner

Sinnvolles Tumorscreening nach Nierentransplantation

Krebsfrüherkennung Prostatakarzinom: contra. S. Lebentrau

Transkript:

Früherkennung von Tumoren Miriam Reuschenbach Matthias Kloor Magnus von Knebel Doeberitz Abt. für Angewandte Tumorbiologie Institut für Pathologie Universitätsklinikum Heidelberg

Formen der Prävention Primärprävention Verhinderung der Entstehung einer Erkrankung Sekundärprävention Erkennen von Erkrankungen im Frühstadium bevor Beschwerden oder Symptome auftreten Tertiärprävention Vermeidung von Folgeschäden nach Eintritt einer Erkrankung krankheitsfrei asymptomatisch klinischer Verlauf z.b. Impfungen, Bewegung z.b. Krebsscreening z.b. Rezidivprophylaxe

Früher erkennen, schneller behandeln, länger leben? Beginn Erkennbarkeit Symptome Früherkennung Diagnose Metastasen Überleben Tod K r e b s e r k r a n k u n g frühe Therapie späte Therapie Sojourn time

Lead time bias

Krebsvorsorge: was gilt es zu bedenken? Vorteil: Das Leben einiger Screeningteilnehmer kann sich durch die Erkennung und rechzeitige Therapie von Krebs(vorstufen) verlängern Nachteil: Für andere Screeningteilnehmer kann das Testergebnis zusätzliche Untersuchungen zur Folge haben Psychologische Probleme (Hab ich wirklich Krebs? Muss ich bald sterben?) Kosten Folgeerkrankungen/Mortalität durch Untersuchungen/Therapien, die vielleicht die Lebenserwartung nicht erhöhen Deshalb vor Empfehlung (Kostenübernahme durch GKV) wichtige Fragen zu beantworten: 1. Wie gut ist die analytische Sensitivität/Spezifität des Tests? 2. Wie gut ist die diagnostische Sensitivität/Spezifität des Tests? 3. Wie ist die klinische Effektivität des Tests: nur mehr Krebs entdeckt oder auch Mortalitätsreduktion? (Kontrollierte randomisierte Studien) 4. Zu welchem Preis das alles?

GKV Leistungen in der Krebsvorsorge Frauen: Zervixkarzinom: Zytologische Untersuchung nach Papanicolaou (Pap-Abstrich). Beginn: 20. LJ, 1x/Jahr Hautkrebs: Auflichtdermatoskopie. Beginn: 35. LJ, alle 2 Jahre Kolorektales Karzinom: Hämokkulttest auf Blut im Stuhl. Ab dem 50. LJ, 1x/Jahr Koloskopie (Darmspiegelung) ab 55 Jahre, zweimal im Abstand von zehn Jahren, dann Verzicht auf Hämokkulttest. Mammakarzinom: Einladung zur Mammographie. Ab dem 50. LJ bis 69. LJ. Alle 2 Jahre. Männer: Hautkrebs: Auflichtdermatoskopie. Beginn: 35. LJ, alle 2 Jahre Prostatakrebs: Digital-rektale Untersuchung (Abtasten der Prostata). Beginn 45 Jahre, 1x/Jahr Kolorektales Karzinom: Hämokkulttest auf Blut im Stuhl. Ab dem 50. LJ, 1x/Jahr Koloskopie (Darmspiegelung) ab 55 Jahre, zweimal im Abstand von zehn Jahren, dann Verzicht auf Hämokkulttest.

Wichtige Faktoren für die Bewertung von Früherkennung Diagnostisch / therapeutisch? Komplikationsrate Konsequenzen: Heilbarkeit?... Beispiel Koloskopie-Screening in Hochrisiko-Kollektiven Engel et al. CGH 2010

Prävalenz, Inzidenz Hier Prävalenz von rotem Pulli: 3 von 60 Angabe in der Regel bezogen auf 100.000 = Erkrankungsrate (Ergebnis von Querschnittsstudien)

Prävalenz, Inzidenz Inzidenz= Neuerkrankungsrate (Ergebnis von Längsschnittstudien) Angabe in der Regel pro 100.000 Personen und pro Jahr ( Personenjahre ) Genesung Tod Mortalität= Sterberate (allgemein oder krankheitspezifisch)

Krebsinzidenz und -mortalität Deutschland Männer Frauen GLOBOCAN 2008

Diagnostische Sensitivität, Spezifität, PPV, NPV Test positiv Hier Sensitivität des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 2 / 3 = 66.6% (Test positive mit rotem Pulli / alle mit rotem Pulli) Hier Spezifität des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 55 / 57 = 96.5% (Test negative ohne roten Pulli / alle ohne roten Pulli) Test positiv Hier positiver prädiktiver Wert (PPV) des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 2 / 4 = 50.0% Test positive mit rotem Pulli / alle Test positiven) Hier negativer prädiktiver Wert (NPV) des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 55 / 56 = 98.2% (Test negative ohne roten Pulli / alle Test negativen)

Zervixkarzinomscreening Daten für Deutschland Einführung des Pap-Abstrichs Mortalitätsreduktion durch Screening mit Pap-Abstrich?

Zervixkarzinomscreening George Papanicolaou, 1941 Vorteile: Erkennung von Krebsvorstufen möglich, einfache Probengewinnung, relativ niedrige Kosten für einen einzelnen Test Nachteile: keine randomisierten Studien zur Effektivität/Kosten-Nutzen, niedrige diagnostischen Sensitivität, viele uneindeutige Befunde wiederholte Tests, weitere Abklärungen, unnötige Therapien, hohe Kosten

Zervixkarzinomscreening Nach wie vor ist der Pap-Abstrich der von den gesetzlichen Kassen in Deutschland gezahlte primäre Screeningtest. Niedrige Sensitivität wird durch häufiges Testen zum Teil kompensiert. Besseres Screening durch molekulare Tests? Höhere Sensitivität durch HPV-DNA Test, aber niedrigere Spezifität (Problem: hohe Prävalenz von HPV-Positivität bei viel niedrigerer Prävalenz an Krebsvorstufen oder Karzinomen) Neue, spezifischere Biomarker in der Evaluierung (p16 INK4a u.a.)

Primärpävention Zervixkarzinom Prophylaktische HPV Impfung mit Virus Like Particles (VLP) Gardasil (Sanofi-Pasteur MSD) Aluminiumhydroxyphosphatsulfat Cervarix (GlaxoSmithKline) Aluminiumhydroxid + MPL (AS04) Momentane Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO): 12 bis 17 j. Mädchen Verhinderung von Zervixkarzinomvorstufen durch die in der Impfung enthaltenen Typen bewiesen. Zukunft: Senkung der Mortalität wahrscheinlich.

Senkt Aspirin das Risiko an Krebs zu sterben? 8 Studien (25 570 Patienten, 674 Krebstote) Aspirin senkt Risiko an Krebs zu sterben (pooled odds ratio [OR] 0.79, 95% CI 0.68 0.92, p=0 003). Rothwell et al. Lancet, online Dec 7, 2010

Mammakarzinomscreening

Mammakarzinomscreening Mammographie senkt Brustkrebsrisiko um 20% 200 von 1000 Frauen wird das Leben gerettet? Nein. Senkung der Mortalität von 5,0/1000 auf 3,9/1000 10% der Mammographien sind abnormal ohne dass in weiteren Untersuchungen Krebs gefunden wird. Überdiagnose-Problem: DCIS Fletcher et al, NJEM, 2003

Prostatakarzinomscreening Häufigste Karzinomerkrankung bei Männern (Inzidenz ~70/100.000) Vorsorgeuntersuchung: Digital-rektale Untersuchung Sensitivität: ~65%, Spezifität ~75% (sehr schwankend von Studie zu Studie) Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) PSA: Serinprotease. Sekretionsprodukt der Prostata zur Verflüssigung des Ejakulats. Auch beim Gesunden im Blut nachweisbar, bei Prostataerkrankungen erhöhte Werte Sensitivität:~90%, Spezifität ~30% (abhängig von cut-off, d.h. Schwelle für positiven Test) Geeignet für die Früherkennung von Prostatakarzinomen?

Prostatakarzinomscreening Smith et al, MJA, 2008

Prostatakarzinomscreening Kontrollierte, randomisierte Studien: Screening-Gruppe: jährliche digital-rektale Untersuchung und/oder PSA Test. Kontrollgruppe: kein Screening-Programm oder kein kontrolliertes Screening ~70.000 Teilnehmer, 10 Jahre Dauer Signifikanter Anstieg der Inzidenz in den Screeninggruppen um 22% bis 50% (z.b. 4,8% auf 8.2% in der ERSPC Studie) Keine Reduktion der Mortaliät durch Screeningprogramm in einigen Studien, in anderen Reduktion um 20% Aber: um einen Todesfall durch Prostatakarzinom zu verhindern, müssen 1410 Männer getestet und 48 Männer behandelt (OP, Radiotherapie) werden Andriole et al, New Engl J Med, 2009

Studienproblematik Seltene Erkrankungen (Prostatakarzinominzidenz ~70/100.000) Studienschwächen: selbst 100.000 Teilnehmern, im Vergleich zur Krankheitsinzidenz gering. 8-10 Jahre Nachbeobachtung zu kurz?. Schlechte Messbarkeit der Mortalität. 40.000 Menschen Prostatakrebs-Screeningstudie: 200.000 Studienteilnehmer 10 Jahre Dauer Theoretisches Ergebnis: Überlebensvorteil in 75 Männern Dubben, Lancet Oncol, 2009

Diagnostische Sensitivität, Spezifität, PPV, NPV! Abhängig von der analytischen Sensitivität/Spezifität des Tests (diese ist an die Anforderungen des Tests anzupassen (soll er möglichst eine hohe diagnostischen Sensitivität oder Spezifität haben?) Beispiel ROC Kurve für die Festlegung eines Grenz-Messwertes, ab dem der Test als positiv gelten soll! Abhängig von der Prävalenz des zu erkennenden Merkmals in der zu screenenden Population (Test für Früherkennung in Gesamtpopulation (niedrige Prävalenz) oder Test für Erkennung von Rezidiven nach Therapie (höhere Prävalenz)?)