Früherkennung von Tumoren Miriam Reuschenbach Matthias Kloor Magnus von Knebel Doeberitz Abt. für Angewandte Tumorbiologie Institut für Pathologie Universitätsklinikum Heidelberg
Formen der Prävention Primärprävention Verhinderung der Entstehung einer Erkrankung Sekundärprävention Erkennen von Erkrankungen im Frühstadium bevor Beschwerden oder Symptome auftreten Tertiärprävention Vermeidung von Folgeschäden nach Eintritt einer Erkrankung krankheitsfrei asymptomatisch klinischer Verlauf z.b. Impfungen, Bewegung z.b. Krebsscreening z.b. Rezidivprophylaxe
Früher erkennen, schneller behandeln, länger leben? Beginn Erkennbarkeit Symptome Früherkennung Diagnose Metastasen Überleben Tod K r e b s e r k r a n k u n g frühe Therapie späte Therapie Sojourn time
Lead time bias
Krebsvorsorge: was gilt es zu bedenken? Vorteil: Das Leben einiger Screeningteilnehmer kann sich durch die Erkennung und rechzeitige Therapie von Krebs(vorstufen) verlängern Nachteil: Für andere Screeningteilnehmer kann das Testergebnis zusätzliche Untersuchungen zur Folge haben Psychologische Probleme (Hab ich wirklich Krebs? Muss ich bald sterben?) Kosten Folgeerkrankungen/Mortalität durch Untersuchungen/Therapien, die vielleicht die Lebenserwartung nicht erhöhen Deshalb vor Empfehlung (Kostenübernahme durch GKV) wichtige Fragen zu beantworten: 1. Wie gut ist die analytische Sensitivität/Spezifität des Tests? 2. Wie gut ist die diagnostische Sensitivität/Spezifität des Tests? 3. Wie ist die klinische Effektivität des Tests: nur mehr Krebs entdeckt oder auch Mortalitätsreduktion? (Kontrollierte randomisierte Studien) 4. Zu welchem Preis das alles?
GKV Leistungen in der Krebsvorsorge Frauen: Zervixkarzinom: Zytologische Untersuchung nach Papanicolaou (Pap-Abstrich). Beginn: 20. LJ, 1x/Jahr Hautkrebs: Auflichtdermatoskopie. Beginn: 35. LJ, alle 2 Jahre Kolorektales Karzinom: Hämokkulttest auf Blut im Stuhl. Ab dem 50. LJ, 1x/Jahr Koloskopie (Darmspiegelung) ab 55 Jahre, zweimal im Abstand von zehn Jahren, dann Verzicht auf Hämokkulttest. Mammakarzinom: Einladung zur Mammographie. Ab dem 50. LJ bis 69. LJ. Alle 2 Jahre. Männer: Hautkrebs: Auflichtdermatoskopie. Beginn: 35. LJ, alle 2 Jahre Prostatakrebs: Digital-rektale Untersuchung (Abtasten der Prostata). Beginn 45 Jahre, 1x/Jahr Kolorektales Karzinom: Hämokkulttest auf Blut im Stuhl. Ab dem 50. LJ, 1x/Jahr Koloskopie (Darmspiegelung) ab 55 Jahre, zweimal im Abstand von zehn Jahren, dann Verzicht auf Hämokkulttest.
Wichtige Faktoren für die Bewertung von Früherkennung Diagnostisch / therapeutisch? Komplikationsrate Konsequenzen: Heilbarkeit?... Beispiel Koloskopie-Screening in Hochrisiko-Kollektiven Engel et al. CGH 2010
Prävalenz, Inzidenz Hier Prävalenz von rotem Pulli: 3 von 60 Angabe in der Regel bezogen auf 100.000 = Erkrankungsrate (Ergebnis von Querschnittsstudien)
Prävalenz, Inzidenz Inzidenz= Neuerkrankungsrate (Ergebnis von Längsschnittstudien) Angabe in der Regel pro 100.000 Personen und pro Jahr ( Personenjahre ) Genesung Tod Mortalität= Sterberate (allgemein oder krankheitspezifisch)
Krebsinzidenz und -mortalität Deutschland Männer Frauen GLOBOCAN 2008
Diagnostische Sensitivität, Spezifität, PPV, NPV Test positiv Hier Sensitivität des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 2 / 3 = 66.6% (Test positive mit rotem Pulli / alle mit rotem Pulli) Hier Spezifität des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 55 / 57 = 96.5% (Test negative ohne roten Pulli / alle ohne roten Pulli) Test positiv Hier positiver prädiktiver Wert (PPV) des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 2 / 4 = 50.0% Test positive mit rotem Pulli / alle Test positiven) Hier negativer prädiktiver Wert (NPV) des Tests für die Erkennung von rotem Pulli: 55 / 56 = 98.2% (Test negative ohne roten Pulli / alle Test negativen)
Zervixkarzinomscreening Daten für Deutschland Einführung des Pap-Abstrichs Mortalitätsreduktion durch Screening mit Pap-Abstrich?
Zervixkarzinomscreening George Papanicolaou, 1941 Vorteile: Erkennung von Krebsvorstufen möglich, einfache Probengewinnung, relativ niedrige Kosten für einen einzelnen Test Nachteile: keine randomisierten Studien zur Effektivität/Kosten-Nutzen, niedrige diagnostischen Sensitivität, viele uneindeutige Befunde wiederholte Tests, weitere Abklärungen, unnötige Therapien, hohe Kosten
Zervixkarzinomscreening Nach wie vor ist der Pap-Abstrich der von den gesetzlichen Kassen in Deutschland gezahlte primäre Screeningtest. Niedrige Sensitivität wird durch häufiges Testen zum Teil kompensiert. Besseres Screening durch molekulare Tests? Höhere Sensitivität durch HPV-DNA Test, aber niedrigere Spezifität (Problem: hohe Prävalenz von HPV-Positivität bei viel niedrigerer Prävalenz an Krebsvorstufen oder Karzinomen) Neue, spezifischere Biomarker in der Evaluierung (p16 INK4a u.a.)
Primärpävention Zervixkarzinom Prophylaktische HPV Impfung mit Virus Like Particles (VLP) Gardasil (Sanofi-Pasteur MSD) Aluminiumhydroxyphosphatsulfat Cervarix (GlaxoSmithKline) Aluminiumhydroxid + MPL (AS04) Momentane Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO): 12 bis 17 j. Mädchen Verhinderung von Zervixkarzinomvorstufen durch die in der Impfung enthaltenen Typen bewiesen. Zukunft: Senkung der Mortalität wahrscheinlich.
Senkt Aspirin das Risiko an Krebs zu sterben? 8 Studien (25 570 Patienten, 674 Krebstote) Aspirin senkt Risiko an Krebs zu sterben (pooled odds ratio [OR] 0.79, 95% CI 0.68 0.92, p=0 003). Rothwell et al. Lancet, online Dec 7, 2010
Mammakarzinomscreening
Mammakarzinomscreening Mammographie senkt Brustkrebsrisiko um 20% 200 von 1000 Frauen wird das Leben gerettet? Nein. Senkung der Mortalität von 5,0/1000 auf 3,9/1000 10% der Mammographien sind abnormal ohne dass in weiteren Untersuchungen Krebs gefunden wird. Überdiagnose-Problem: DCIS Fletcher et al, NJEM, 2003
Prostatakarzinomscreening Häufigste Karzinomerkrankung bei Männern (Inzidenz ~70/100.000) Vorsorgeuntersuchung: Digital-rektale Untersuchung Sensitivität: ~65%, Spezifität ~75% (sehr schwankend von Studie zu Studie) Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) PSA: Serinprotease. Sekretionsprodukt der Prostata zur Verflüssigung des Ejakulats. Auch beim Gesunden im Blut nachweisbar, bei Prostataerkrankungen erhöhte Werte Sensitivität:~90%, Spezifität ~30% (abhängig von cut-off, d.h. Schwelle für positiven Test) Geeignet für die Früherkennung von Prostatakarzinomen?
Prostatakarzinomscreening Smith et al, MJA, 2008
Prostatakarzinomscreening Kontrollierte, randomisierte Studien: Screening-Gruppe: jährliche digital-rektale Untersuchung und/oder PSA Test. Kontrollgruppe: kein Screening-Programm oder kein kontrolliertes Screening ~70.000 Teilnehmer, 10 Jahre Dauer Signifikanter Anstieg der Inzidenz in den Screeninggruppen um 22% bis 50% (z.b. 4,8% auf 8.2% in der ERSPC Studie) Keine Reduktion der Mortaliät durch Screeningprogramm in einigen Studien, in anderen Reduktion um 20% Aber: um einen Todesfall durch Prostatakarzinom zu verhindern, müssen 1410 Männer getestet und 48 Männer behandelt (OP, Radiotherapie) werden Andriole et al, New Engl J Med, 2009
Studienproblematik Seltene Erkrankungen (Prostatakarzinominzidenz ~70/100.000) Studienschwächen: selbst 100.000 Teilnehmern, im Vergleich zur Krankheitsinzidenz gering. 8-10 Jahre Nachbeobachtung zu kurz?. Schlechte Messbarkeit der Mortalität. 40.000 Menschen Prostatakrebs-Screeningstudie: 200.000 Studienteilnehmer 10 Jahre Dauer Theoretisches Ergebnis: Überlebensvorteil in 75 Männern Dubben, Lancet Oncol, 2009
Diagnostische Sensitivität, Spezifität, PPV, NPV! Abhängig von der analytischen Sensitivität/Spezifität des Tests (diese ist an die Anforderungen des Tests anzupassen (soll er möglichst eine hohe diagnostischen Sensitivität oder Spezifität haben?) Beispiel ROC Kurve für die Festlegung eines Grenz-Messwertes, ab dem der Test als positiv gelten soll! Abhängig von der Prävalenz des zu erkennenden Merkmals in der zu screenenden Population (Test für Früherkennung in Gesamtpopulation (niedrige Prävalenz) oder Test für Erkennung von Rezidiven nach Therapie (höhere Prävalenz)?)