Klinikum Stuttgart Medizin fürs Leben 2. Prostata-Hocketse: Neues zum Thema Prostatakrebs Universitätsklinikum Tübingen, 5. Juli 2009 Diagnose Prostatakarzinom: Muss man immer therapieren? Ulrich Humke, Urologische Klinik, Katharinenhospital 1
Der Beginn Diagnose: Prostata-Krebs Die Folge:» Bedarf an Beratung, Information, Diskussion Die Ziele: Wissen:» Welche Behandlungen gibt es?» Welche Vor- und Nachteile?» Welche Behandlungserfolge?» Was ist für mich und meine Erkrankung das geeignete Konzept? 2
Worauf kommt es zunächst an? Stadium und Aggressivität des Prostatakrebses sind untersucht Sie haben (bis auf wenige Ausnahmen) Zeit zum Informieren, zum Überlegen.» Internet (nicht einfach zu verstehen!)» Vertrauenspersonen mit Erfahrung (Verwandte, Bekannte, aber unsicher)» Wichtig: Sprechen Sie ausführlich mit Ihrem Urologen Wenn Sie zögern: Zweit- und Drittmeinung einholen, fragen Sie auch den Strahlentherapeuten Sie sollten, sie müssen eine Entscheidung treffen! Treffen Sie die Entscheidung mit größtmöglicher Überzeugung! 3
Was kann man erreichen? Wenn möglich, soll die natürliche Lebenserwartung erreicht werden.. am Besten ohne Prostatakrebs, möglicherweise aber mit Resten von Prostatakrebs, welche unter Kontrolle sind.. was aber eine Investition erfordert. 4
Lebenserwartung Statistik des Statistischen Bundesamtes (2004/2006): Faktoren, die die Lebenserwartung negativ beeinflussen:» Krankheiten: Krebserkrankung, Z.n. Herzinfarkt, Z.n. Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung, Übergewicht u.a.» Lebensweise: Nikotin, Alkohol, Sonnenexposition u.a. 5
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:»HIFU» Kryotherapie 6
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie Vorteil: Vermeidung Therapie-bedingter Nebenwirkungen Nachteil: unerkanntes Verschlechtern des Tumorstadium und früheres Versterben 7
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie» Indikation: fortgeschrittene, metastasierte Erkrankung, hohes Alter Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie 8
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern» Indikation: lokal begrenzte Erkrankung Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie 9
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern» Indikation: lokal begrenzte Erkrankung Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie 10
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie» Indikation: lokal begrenzte Erkrankung Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie 11
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU Indikation: unklar» Kryotherapie 12
Die Möglichkeiten zur Bekämpfung/Kontrolle des Prostatakrebses Aktive Überwachung ( active surveillance ) Medikamentöse Therapie Strahlentherapie Extern Intern Operative Therapie Neuere Methoden außerhalb des Standards:» HIFU» Kryotherapie Indikation: unklar 13
Welche Kriterien sind entscheidend? Die Entscheidung hängt vom Stadium der Erkrankung ab Kriterien zur Einschätzung des Stadiums:» Tastbefund» PSA-Wert» Histologischer Befund = Tumorformel z.b. Tumor-Grad, Gleason-Summe» Ggfs. Ergebnisse von Knochenszintigraphie, Kernspintomographie oder Computertomographie, wenn PSA größer 10 ng/ml» Lebenserwartung, Gesundheitszustand des Patienten 14
Bedeutung Tastbefund Tastbarer Prostatakrebs bei Diagnosestellung:» weiter fortgeschritten (höheres Stadium)» Ungünstigerer Krankheitsverlauf» T1 und T2a noch günstig:» T1: nicht tastbar» T2a: kleiner Knoten tastbar 15
Bedeutung PSA PSA kleiner 10 ng/ml: vereinbar mit niedrigem Risiko (wenn weitere Parameter gegeben) PSA 10 20 ng/ml: mittleres Risiko PSA größer 20 ng/ml: hohes Risiko Zuwarten gefährlich 16
Bedeutung Histologisches Ergebnis ( Tumorformel ) Grad I, IIa, IIb, III: Tumoraggressivität steigt Gleason Skala:» Gleason 2-5:» Gleason 6 und 7:» Gleason 8-10: am Prostatakrebs verstorben unbehandelt nach 15 Jahren: 8-14% 44-76% 93% Griebling et al. 1996 Albertsen et al. 1998 Zuwarten gefährlich 17
Bedeutung Histologisches Ergebnis ( Tumorformel ) Patienten 100 ohne Meta- stasen (%) 75 50 25 0 Grad 1 Grad 2 Grad 3 0 5 10 15 Zeit (Jahre) Chodak GW et al.: NEJM 330(4), p 242-248 248 (1994) 18
Bedeutung Histologisches Ergebnis ( Tumorformel ) Problem von Grad-Einteilung und Gleason- Einteilung:» Das Ergebnis der Biopsie erweist sich in ca. 30% als zu niedrig eingeschätzt 19
Bedeutung Knochenszintigraphie, CT, MRT Bei Diagnose von Metastasen (Knochen, Lymphknoten) ist Zuwarten ohne Therapie mit einer Verkürzung der Überlebenszeit verbunden Das Problem der Bildgebung:» Mikroskopische Metastasen werden nicht entdeckt (insbesondere Lymphknoten), daher Unterschätzung möglich 20
Bedeutung Lebenserwartung Je jünger der Patient, umso höher die Lebenserwartung Je höher die Lebenserwartung umso größer die Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens der Tumorerkrankung Überwachung bei jungen Patienten riskanter, da Notwendigkeit einer Therapie früher oder später gegeben Therapie sofort? Allerdings:» junge Patienten haben eher Niedrigrisiko-Tumore» Ältere Patienten kommen schneller in den Progress 21
Grundproblem bei Aktivem Zuwarten: die Eignung Bastian et al. 2009 Problem zu Beginn:» Wie erkennt man zuverlässig das insignifikante Prostatakarzinom? Problem während der aktiven Überwachung:» Identifikation der klinisch signifikanten Karzinome, die dem Patienten schaden werden, die sich aber noch in einem heilbaren Stadium befinden Aktive Überwachung macht nur Sinn durch» Vermeidung einer noch unnötigen Therapie, aber» Rechtzeitiges Einsetzen einer noch kurativen Therapie bei Progress 22
Eignung für Aktives Zuwarten: aktuelle Prognose-Kriterien Parameter Epstein et al., 1994 Bastian et al. 2009 D Amico et al., 2003 Van den Bergh et al, 2007 Dall Era et al., 2008 Gleason-Grad < 6 < 6 < 6 < 6 PSA PSA-Dichte <0,15ng/ml < 10ng/ml, stabile Kinetik < 10ng/ml PSA-Dichte <0,20ng/ml < 10ng/ml, stabile Kinetik Klinisches Stadium ct1c ct1-ct2a ct1-ct2b ct1-ct2a Gesamtzahl der positiven Prostata- Stanzen Tumordurchsetzung der positiven Prostata- Stanzen < 3 < 3 < 1/3 der Gesamtzahl < 50% < 50% Probleme: -- bis zu 27% der Tumore sind nicht insignifikant -- 8-20% der so klassifizierten Tumore sind organüberschreitend 23
Nomogramme zum Abschätzen der Tumorausdehnung 24
Untersuchungen bei Aktivem Zuwarten Dall Era und Carroll, 2009 Untersuchung PSA Rektale Tastuntersuchung Prostata-Stanzbiopsie Zeitpunkt Alle 3-6 Monate Alle 6 Monate 6 und 12 Monate nach Erstdiagnose, dann alle 12 Monate, je nach PSA-Verlauf und Tastbefund 25
Kriterien für den Beginn einer Therapie Dall Era und Carroll, 2009 Untersuchung Befund PSA Rektale Tastuntersuchung Prostata-Stanzbiopsie Verdoppelungszeit < 2-3 Jahre Vergrößerung oder Neubildung eines tastbaren Herdes Gleason Grad-Muster 4 oder 5, > 1/3 aller Stanzen positiv, > 50% der Stanzzylinder befallen 26
Wieviele Patienten brechen ab und werden behandelt? nach Dall Era und Carroll, 2009 Klinik Patienten Behandelt (%) Mittlere Nachbeobachtungszeit (Jahre) Johns Hopkins 407 25 3,4 Toronto 331 34 6 UCSF 328 24 3,6 Erasmus 278 29 3,4 Miami 99 8 3,8 Memorial Sloan Kettering 88 35 3,7 Royal Marsden 80 14 3,5 27
Ergebnisse von Studien Klotz, 2005 28
Psychische Belastung unter aktiver Überwachung Dall Era und Carroll, 2009 Abbruch der Aktiven Überwachung durch den Patienten in bis zu 50% in den Studien» Angst ist ein relevanter Faktor für die Lebensqualität Patienten empfinden die Strategie als passiv Jedoch: Unterschiedliche Ansichten in der Literatur Auch behandelte Patienten haben Angst vor einem Rezidiv CapSure Datenbank mit 10.385 Männern, davon» Niedrigrisikoprofil von 27,5% (1990-1994) auf 46,4% (2000-2001) fast verdoppelt, seither relativ konstant» aktive Überwachung stieg lediglich von 6,2% auf 10,2% Problem der Aufklärung? 29
Schlussfolgerung Aktive Überwachung = Active Surveillance vermeidet eine sofortige Therapie und deren Nebenwirkungen Attraktivität! Das Risiko, früher an Prostatakrebs zu sterben, scheint gering Aktive Überwachung ist nur dann sinnvoll, wenn sie das Fortschreiten des Prostatakrebses erkennt, um dann sofort mit der Therapie zu beginnen Problematik der aktiven Überwachung:» Auswählen geeigneter Patienten» Risiko der Verschlechterung des Tumorstadiums» Psychische Belastung der Patienten Ihr Urologe muss Ihnen helfen! Lassen Sie sich beraten, welche Strategie für Sie am sichersten ist! 30
Strategie des Strategen 31
Klinikum Stuttgart Medizin fürs Leben Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 32
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Neue diagnostische Möglichkeiten in der Zukunft Chinnaiyan, Universität Ann Arbor, Michigan (Nature 2009; 457: 910-914)» Sog. Metabolom-Analyse: sämtl. Stoffwechselprodukte 1.126 Metaboliten in 262 klinischen Proben (Gewebe, Blut und Urin) mit Massenspektrometrie untersucht (16 Gesunde, 12 lokalisierte PCA s, 14 metastasierte PCA s) 60 Metabolite nur in Krebszellen, nicht aber in gesunder Prostata» Sarcosin mit besonders hoher Konzentration Metastasierendes PCA: 79% Lokalisiertes PCA: 42% Gesunde: 0%» Sarcosin ist eine Aminosäure, nicht in Eiweißen enthalten, entsteht im Körper bei der Umwandlung von Cholin zu Glycin, schmeckt süß» Beeinflusst durch Androgenrezeptor und PCA-Onkogen ERG gene fusion product, macht nicht invasive Zellen invasiv» Unterscheidung von lokal. und metast. PCA in Zukunft besser möglich? Bislang nicht besser als PSA. 34
Neue diagnostische Möglichkeiten in der Zukunft Schlomm, Huland, Sültmann et al.,(eur.. Urol 2008 e-pub) Problem Genauigkeit der Biopsie: in ca. 30% ist Prostatakrebs vorhanden, wird aber nicht getroffen bzw. entdeckt An 114 Männern Genom-Analyse der Biopsie-Zylinder (sowohl gutartiges wie bösartiges Gewebe) mit der Microarray-Technologie Fünf Gene bei Gesunden und Krebskranken deutlich unterschiedlich : FOS, EGR1, MYC, TFRC und FOLH1. Je höher die Aktivität dieser Gene, umso größer Wahrscheinlichkeit der Existenz von Tumor (unabhängig davon, ob die Gewebeprobe Tumorzellen enthält oder nicht!) Weitere Studien erforderlich Möglicherweise in der Zukunft Methode zur Verbesserung der Aussagekraft von Prostatastanzbiopsien 35
Neue therapeutische Möglichkeiten in der Zukunft Chwon und Blute, Pressemitteilung Mayo Clinic Rochester, Juni 2009 Immuntherapie mit Ipilimumab (Antikörper gegen CTLA-4) Studienbezeichnung: MDX-010 for Advanced Prostate Cancer ClinicalTrials.gov identifier: NCT00170157 (Studie läuft seit 2005) Zielgruppe: Pat. mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom. Vergleich» Antiandrogene Therapie plus MDX-010 (n=54)» Antiandrogene Therapie alleine (n=54) Idee, Wirkprinzip:» Antiandrogene Therapie induziert T-Zell- Invasion in Tumorzelle» T-Zellen werden durch CTLA-4 in der Zelle abgeschaltet» Ipilimumab blockiert CTLA-4, T-Tellen können angreifen 2/54 Pat. mit erheblicher Tumorrückbildung, so dass anschließend OP möglich, histolog. kaum noch Tumor nachweisbar! Publikation und Verlauf der anderen Patienten abwarten, MDX-010 seit 2002 in USA in mehren Studien! 36
Neue therapeutische Möglichkeiten in der Zukunft Sawyers, MSKCC, New York (Science 2009; epub) Problem: Entwicklung einer Androgen-Resistenz der Tumorzellen unter Antiandrogentherapie» Mechanismus: Ausbildung immer größerer Mengen Androgenrezeptoren, so dass Blockade der Rezeptoren ineffektiv wird Ziel: Neues Antiandrogen, welches nicht nur den Rezeptor blockiert, sondern auch die Translokation in den Zellkern und die Bindung des Rezeptors an die DNA verhindert. Klinische Phase-I/II-Studie mit MDV3100 (30 oder 60 mg/die oral verfügbar) Ergebnisse der ersten 30 Patienten» 22/30: anhaltender Rückgang des PSA über wenigstens 12 Wo.» 13/ 30: PSA-Reduktion > 50%» 11 Pat: Therapie seit mehr als 25 Wochen» Bei den anderen Patienten wurde MDV3100 wegen einer Krankheitsprogression abgesetzt. 37
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