Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf

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Transkript:

DOI 10.1515/jura-2014-0045 Juristische Ausbildung 2014(4): 388 394 Grundstudium ZR Dr. Simona Liauw Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf Simona Liauw: Die Autorin ist Rechtsanwältin bei Kapellmann und Partner in Düsseldorf. Verbraucher von einem Unternehmer kaufen. Treffender wäre daher die Bezeichnung»Verbraucherkauf«gewesen 2. Klausuren aus dem Kaufrecht kommen in allen Stadien der juristischen Ausbildung vor. Sie mit den Regeln über den Verbrauchsgüterkauf zu verknüpfen, ist für den Klausursteller nicht nur ein Leichtes, sondern auch attraktiv. Denn auf diese Weise kann eine Standardklausur sehr einfach angereichert werden. Es lohnt sich daher schon während des Studiums, sich mit den Grundzügen der 474 ff. BGB vertraut zu machen. I. Ergänzung des allgemeinen Kaufrechts Die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf ergänzen die allgemeinen Regeln des Kaufrechts (vgl. 474 Abs. 1 BGB). Es handelt sich um Verbraucherschutzrecht 1 und die damit zusammenhängenden Folgen des Rückgriffs zwischen Unternehmern. II. Vorliegen eines Verbrauchsgüterkaufs Der Begriff»Verbrauchsgüterkauf«ist eigentlich unrichtig. Wie sich aus der Legaldefinition in 474 Abs. 1 BGB ergibt, liegt ein solcher Kauf nämlich (nur) vor, wenn ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft. Es ist also weder erforderlich, dass ein Verbrauchsgut (im Sinne von 92 BGB) gekauft wird. Vielmehr muss ein Verbraucher ein Gut kaufen. Noch reicht es aus, dass ein Verbrauchsgut gekauft wird. Denn es muss gerade ein 1 Mit den 474 ff. BGB hat der Gesetzgeber die EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie umgesetzt (RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 5. 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter Verbrauchsgüterkauf-RL, VerbrGK-RL, ABl. EG Nr. L 171 S. 12). 1. Vertragsparteien Verbraucher 3 ist nach 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Unternehmer nach 14 BGB ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Entscheidend ist also vor allem das mit dem Kauf verfolgte Ziel. Beispiel: H ist als Handwerker selbstständig tätig. Er kauft beim Autohändler A einen gebrauchten Kleintransporter, den er vorwiegend für Fahrten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nutzen will. Allerdings hat er auch vor, mit dem Wagen an den Wochenenden Freunden beim Umzug zu helfen. Gelegentlich möchte er mit dem Transporter auch zum Supermarkt fahren, um Großeinkäufe zu erledigen. H beabsichtigt beim Erwerb des Fahrzeugs neben dessen beruflicher Nutzung auch den privaten Gebrauch. Es liegt also ein Doppelzweck vor. In derartigen Fällen kommt es für die Frage nach der Verbrauchereigenschaft nach h. M. 4 darauf an, worauf der Schwerpunkt liegt. Da H den Transporter vorwiegend geschäftlich nutzen möchte, ist er nicht als Verbraucher anzusehen. 2 So auch Soergel/Wertenbruch, BGB, Bd. 6/2, 13. Aufl. 2009, 474 Rdn. 2; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 37. Aufl. 2013, 7 Rdn. 3. 3 Ausführlich zum Verbraucherbegriff K. Schmidt, JuS 2006, 1. 4 OLG Bremen NJOZ 2004, 2059, 2060; OLG Celle NJW-RR 2004, 1645, 1646; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, 13 Rdn. 4; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, 474 Rdn. 5. A. A. etwa Schroeter, JuS 2006, 682, 684, sowie MünchKomm/S. Lorenz, BGB, Band 3, 6. Aufl. 2012, 474 Rdn. 25, die in den Fällen des»dual use«die Verbrauchereigenschaft stets verneinen, sowie v. Westfalen, BB 1996, 2101, der sie stets bejaht.

Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf 389 Fraglich ist, ob der Anwendungsbereich der 474 ff. BGB eröffnet ist, wenn die Verbraucher- oder Unternehmereigenschaft bei Vertragsschluss wahrheitswidrig vorgetäuscht wurde. Beispiel 1: V ist Inhaber eines auf den Vertrieb professioneller Ton- und Lichtanlagen spezialisierten Unternehmens. Er inseriert einen gebrauchten Plattenspieler bei Ebay. Weil er die Gewährleistung ausschließen möchte, gibt er dort wahrheitswidrig an, er verkaufe als Privatperson. K erwirbt die Anlage für private Zwecke. Beispiel 2: K möchte bei V aus Beispiel 1 den gebrauchten Plattenspieler in dessen Geschäftslokal erwerben. Er weiß, dass V um die Gewährleistung ausschließen zu können nur an andere Unternehmer verkaufen möchte. Um die Anlage trotzdem zu bekommen, spielt K gegenüber V vor, seinen Lebensunterhalt als DJ zu verdienen. Tatsächlich übt K einen anderen Beruf aus; die Anlage will er zu Hause aufstellen, um seine Kumpels zu beeindrucken. Beispiel 3: Bei Ebay wird der gebrauchte Plattenspieler inseriert. Verkäufer V von Beruf Busfahrer gibt dabei wahrheitswidrig an, er sei Inhaber eines auf den Vertrieb professioneller Ton- und Lichtanlagen spezialisierten Unternehmens. Denn er hofft auf einen höheren Verkaufspreis, wenn potentielle Käufer ihm besondere Fachkenntnisse unterstellen. K ist beeindruckt und erwirbt den Plattenspieler. V hatte die Gewährleistung ausgeschlossen. Stellt sich die Kaufsache später als mangelhaft heraus, kommt es für die Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses darauf an, ob ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt (vgl. 475 Abs. 1 BGB) 5. Im ersten und dritten Beispielsfall bereitet die Unternehmereigenschaft des V Schwierigkeiten, im zweiten die Verbrauchereigenschaft des K. Die sachgerechte Lösung der Fälle gelingt, wenn man sich den Normzweck der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf vergegenwärtigt: Der (echte) Verbraucher soll geschützt werden. Die Unternehmer- und Verbrauchereigenschaft kann also nicht vom Willen der Beteiligten abhängen oder davon, wie sie sich ihrem jeweiligen Vertragspartner gegenüber gerieren; vielmehr ist sie anhand objektiver Kriterien zu bestimmen 6. Zudem gilt der Grundsatz von Treu und Glauben auch im Verbraucherschutzrecht 7. Im Beispiel 1 spielt es daher keine Rolle, dass V sich gegenüber K nicht als Unternehmer zu erkennen gegeben 5 Näher dazu unter III. 3. 6 So auch Herresthal, JZ 2006, 695, 698 f.; Schroeter, JuS 2006, 682, 683; MünchKomm/S. Lorenz, 474 Rdn. 23. A. A. etwa Müller, NJW 2003, 1975, 1979; Soergel/Wertenbruch, 474 Rdn. 14. Von BGH NJW 2005, 1045 ausdrücklich offen gelassen. 7 BGH NJW 2005, 1045; Soergel/Wertenbruch, 474 Rdn. 27. hat. Es liegt mithin ein Verbrauchsgüterkauf vor 8. Im zweiten Beispiel ist K zwar als Verbraucher gemäß 13 BGB zu qualifizieren. Er kann sich jedoch gemäß 242 BGB nicht darauf berufen. Denn er hat V bewusst vorgespielt, er sei Unternehmer; eine spätere Berufung auf seine in Wahrheit bestehende Verbrauchereigenschaft steht zu dem vorherigen Verhalten im Widerspruch (»venire contra factum proprium«) 9. Die 474 ff. BGB sind damit nicht anzuwenden. Im Beispielsfall 3 gilt das Gleiche, nur umgekehrt 10 : Durch das Vorspielen der Unternehmereigenschaft wird V zwar nicht zum Unternehmer. Nach 242 BGB muss er sich aber an der von ihm dargestellten Sachlage festhalten lassen. Die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufs gelten also zu Gunsten des Verbrauchers K. 2. Kaufgegenstand Kaufgegenstand kann jede bewegliche Sache sein, sofern nicht der Ausnahmetatbestand des 474 Abs. 1 S. 2 BGB eingreift. Danach sind gebrauchte Sachen, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, an welcher der Verbraucher persönlich teilnehmen kann, nicht in den Anwendungsbereich der 474 ff. BGB einbezogen. Der Begriff der öffentlichen Versteigerung ist in 383 Abs. 3 S. 1 BGB legal definiert 11. Ob eine Sache gebraucht ist, beurteilt sich anhand objektiver Kriterien 12. Ließe man insoweit eine Parteivereinbarung zu 13 (»Die Sache wird als gebraucht verkauft.«), würde der Verbraucherschutz ausgehöhlt 14. Ausgehend vom Wortsinn ist die Kaufsache als gebraucht anzusehen, wenn sie bereits benutzt wurde 15. Allerdings können auch andere Kriterien (z. B. das Alter) 8 Herresthal, JZ 2006, 695, 705; Soergel/Wertenbruch, 474 Rdn. 30. 9 BGH NJW 2005, 1045; Schroeter, JuS 2006, 682, 683; Oetker/ Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2013, 2 Rdn. 527. 10 Soergel/Wertenbruch, 474 Rdn. 28. 11 Internetversteigerungen (z. B. über Ebay oder 2 1deins.de) sind daher von 474 Abs. 1 S. 2 BGB aus drei Gründen nicht erfasst (vgl. auch Looschelders, Schuldrecht BT, 7. Aufl. 2012, Rdn. 261; Medicus/ Lorenz, Schuldrecht II, BT, 15. Aufl. 2010, Rdn. 232): Erstens handelt es sich nicht um Versteigerungen i. S. v. 156 BGB, weil der Vertragsschluss nicht durch Zuschlag, sondern durch Zeitablauf eintritt. Zweitens erfolgt die Versteigerung nicht durch eine der in 383 Abs. 3S. 1 BGB genannten Personen. Und drittens kann der Verbraucher an der Internetversteigerung nicht persönlich teilnehmen. 12 BGH NJW 2007, 674, 677; Medicus/Lorenz, Rdn. 232; Reinicke/ Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl. 2009, Rdn. 727. 13 So Bamberger/Roth/Faust, BGB, Band 1, 3. Aufl. 2012, 474 Rdn. 17; Staudinger/Matusche-Beckmann, 474 Rdn. 44. 14 BGH NJW 2007, 674, 677. 15 BGH NJW 2007, 674, 676.

390 Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf eine Rolle spielen, wenn sie sich negativ auf die Beschaffenheit der Sache auswirken 16. Verbrauchsgüterkauf vorliegt, steht U ein solcher Anspruch gemäß 474 Abs. 2S. 1 BGB nicht zu. Beispiele: Antiquitäten 17 ; ein bereits ausgestelltes Kunstwerk 18 ; eine vierjährige Stute 19 ; ein Neuwagen mit Mängeln aufgrund mehrmonatiger Standzeit 20. Hingegen fehlt es am Merkmal»gebraucht«in folgenden Beispielen: Neun Wochen alte Hundewelpen 21 ; ein sechsmonatiges Hengstfohlen 22 ; zum Zwecke der Veredelung langjährig gelagerter Wein 23 ; ein nur einmal anprobiertes Kleidungsstück 24. III. Besonderheiten 1. Kein Nutzungsersatz Gemäß 474 Abs. 2 S. 1 BGB ist ein Verbraucher im Rahmen der Nachlieferung einer mangelfreien Sache nicht verpflichtet, Nutzungen der mangelhaften Sache nach 439 Abs. 4, 346 BGB herauszugeben oder für diese Wertersatz zu leisten 25. Beispiel 26 : K kauft von Unternehmer U ein Herd-Set für seine Privatwohnung. Zwei Jahre später zeigt sich ein Mangel. U ersetzt das Gerät und verlangt von K 70,- EUR als Ersatz für den zweijährigen Gebrauch des mangelhaften Geräts. K muss das anfänglich erhaltene Gerät nach 439 Abs. 4 i. V. m. 346 BGB an U zurückgeben. Aus 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB folgt grundsätzlich eine Wertersatzpflicht für den Käufer, wenn wie im Beispielsfall die Nutzung selbst nicht herausgegeben werden kann. Da jedoch ein 16 Reinicke/Tiedtke, Rdn. 728 (unter Hinweis auf BGH NJW 2004, 160). 17 MünchKomm/S. Lorenz, 474 Rdn. 16. 18 MünchKomm/S. Lorenz, 474 Rdn. 16; Palandt/Weidenkaff, 475 Rdn. 11. 19 OLG Düsseldorf ZGS 2004, 271, 274. 20 Vgl. BGH NJW 2004, 160. 21 LG Aschaffenburg NJW 1990, 915. Nach a. A. sind Tiere stets als gebraucht anzusehen, weil eine Anknüpfung an das Kriterium der Verwendung unpassend sei (so Bamberger/Roth/Faust, 474 Rdn. 19; Erman/Grunewald, BGB, Bd. I, 12. Aufl. 2008, 474 Rdn. 7). 22 BGH NJW 2007, 674. 23 MünchKomm/S. Lorenz, 474 Rdn. 14. 24 Vgl. MünchKomm/S. Lorenz, 474 Rdn. 16. 25 Die Vorschrift wurde in 474 BGB eingefügt, nachdem der EuGH die bisherige deutsche Rechtslage, nach welcher der Verbraucher die Nutzungen zu ersetzen hatte, für europarechtswidrig erklärt hatte (NJW 2008, 1433). 26 Angelehnt an BGH NJW 2009, 427 (»Quelle-Fall«). 2. Ausschluss der 445, 447 BGB Gemäß 474 Abs. 2 S. 2 BGB ist zum einen die Haftungsbegrenzung beim Verkauf im Rahmen öffentlicher Versteigerungen nach 445 BGB ausgeschlossen. Wegen 474 Abs. 1 S. 2 BGB ist dieser Ausschluss vor allem bei der Versteigerung neuer Sachen bedeutsam 27. Zum anderen ist 447 BGB nicht anwendbar. Beim Verbrauchsgüterkauf geht also auch bei der Versendung der Kaufsache auf Verlangen des Käufers die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung erst mit der Übergabe an den Käufer auf ihn über oder wenn er sich im Annahmeverzug befindet ( 446 BGB). Das entspricht der Verkehrsauffassung, wonach der Verkäufer die Gefahr trägt, wenn er die Ware versendet 28. 3. Abweichende Vereinbarungen Aus 475 BGB folgt, dass die kaufrechtlichen Gewährleistungsregeln zugunsten des Verbrauchers weitgehend zwingend sind: Nach Abs. 1 kann der Unternehmer sich auf eine vor Mitteilung des Mangels getroffene Vereinbarung, die zum Nachteil des Verbrauchers von den 433 bis 435, 437, 439 bis 443 BGB sowie von den 474 ff. BGB abweicht, nicht berufen. Das gilt auch, wenn diese Vorschriften durch anderweitige Gestaltung umgangen werden. Beispiel: U betreibt einen Gebrauchtwagenhandel. K erwirbt in dessen Geschäftsräumen einen dort ausgestellten gebrauchten Opel Astra für den privaten Gebrauch. Der schriftliche Kaufvertrag weist als Verkäufer den M unter Nennung von dessen privater Anschrift aus. M hatte zuvor seinerseits einen Neuwagen bei U erworben und den Astra dafür in Zahlung gegeben. In diesem Rahmen hatte U dem M einen Mindestverkaufspreis für das Altfahrzeug garantiert und diesen Betrag von vornherein vom Neuwagenpreis abgezogen. Der Opel wird unter Ausschluss der Sachmängelhaftung verkauft. Wenige Wochen nach Übergabe des Pkw fordert K den U vergeblich zur Nachbesserung von Mängeln der Elektronik des Fahrzeugs auf. U lehnt eine Nachbesserung unter Hinweis darauf ab, dass er nicht Verkäufer des Fahrzeugs sei. Er habe den Kauf nur vermittelt. 27 Jauernig/Chr. Berger, BGB, 14. Aufl. 2011, 474 Rdn. 8; Münch- Komm/S. Lorenz, 474 Rdn. 35. 28 BT-Drucks. 14/640, S. 244. S. auch Brox/Walker, 7 Rdn. 5.

Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf 391 29 Palandt/Weidenkaff, 475 Rdn. 6. 30 BGH NJW 2005, 1039; OLG Stuttgart NJW 2004, 2169; Medicus/ Lorenz, Rdn. 241. A. A. OLG Saarbrücken MDR 2006, 1108; Hofmann JuS 2005, 5, 8, die jedes Agenturgeschäft als Umgehungsgeschäft ansehen. 31 BGH NJW 2005, 1039; OLG Stuttgart NJW 2004, 2169. 32 MünchKomm/S. Lorenz, 475 Rdn. 36; Medicus/Lorenz, Rdn. 241. Ähnlich auch Looschelders, Rdn. 268. 33 BGH NJW 2005, 1039, 1040; NJW 2007, 759; OLG Celle NJW-RR 2008, 1635, 1636; Hofmann JuS 2005, 5, 11; Bamberger/Roth/Faust, 475 Rdn. 6, 474 Rdn. 7. 34 Gleichwohl sei im Übrigen der Vertrag zwischen Alteigentümer und Käufer nicht nach 117 BGB unwirksam, weil das Geschäft tatsächlich gewollt sei (BGH NJW 2013, 687; Palandt/Weidenkaff, 475 Rdn. 6). Nach der von K und V gewählten Ausgestaltung des Rechtsgeschäfts hat V als Stellvertreter i. S. v. 164 BGB für M gehandelt; damit ist ein Kaufvertrag (nur) zwischen K und M zustande gekommen. Da beide Verbraucher sind, liegt kein Verbrauchsgüterkauf gemäß 474 BGB vor. Gewährleistungsansprüche des K bestehen daher wegen des Gewährleistungsausschlusses eigentlich nicht. Allerdings könnte sich etwas anderes daraus ergeben, dass V den Wagen des M zuvor in Zahlung genommen hat. Hierin könnte ein unzulässiges Umgehungsgeschäft nach 475 Abs. 1 S. 2 BGB liegen. Ein Umgehungsgeschäft liegt vor bei einer Vereinbarung, die den Schutz des Verbrauchers gemäß 475 Abs. 1S. 1 BGB mittelbar beseitigt 29. Bei einem Agenturgeschäft ist nach h. M. nur dann von einem Umgehungsgeschäfte auszugehen, wenn der Gebrauchtwagenhändler bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als der Verkäufer des Fahrzeugs anzusehen ist 30. Entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Frage zu, ob der Händler oder der als Verkäufer in Erscheinung tretende Alteigentümer das wirtschaftliche Risiko des Verkaufs trägt 31. Im Beispiel hat V dem M einen Festpreis garantiert. Damit geht es zu seinen Lasten, wenn ihm der Weiterverkauf nur zu einem niedrigeren Preis gelingt. Mithin ist von einem Umgehungsgeschäft auszugehen. K stehen also Gewährleistungsansprüche zu. Fraglich ist, ob er sich an V oder M wenden muss. Das ist umstritten. Nach einer Ansicht kann der Käufer sich allein an den vorherigen Eigentümer halten. Denn nur dieser sei sein Vertragspartner geworden. Der Verkäufer, der selbst Verbraucher ist, müsse sich die Unternehmereigenschaft des Händlers zurechnen lassen 32. Nach anderer Ansicht 33 ist der Händler der Anspruchsgegner, weil er wirtschaftlich gesehen der Vertragspartner des Käufers sei 34. Besonderheiten gelten weiterhin nach 475 Abs. 2 BGB für die Verkürzung von Verjährungsfristen. Im Allgemeinen können die gesetzlichen Verjährungsfristen durch vertragliche Vereinbarung verkürzt oder verlängert werden (vgl. 202 Abs. 1 BGB) 35. Da 438 BGB die Verjährung der kaufrechtlichen Mängelansprüche regelt und diese Norm in 475 Abs. 1 BGB nicht genannt wird, unterliegt auch bei einem Verbrauchsgüterkauf die Verjährungsfrist grundsätzlich der Disposition der Parteien. Allerdings schließt 475 Abs. 2 BGB eine Verkürzung der Verjährungsfrist auf weniger als zwei Jahre aus, wenn die Kaufsache neu ist. Da beim Kauf beweglicher Sachen die Verjährungsfrist ohnehin (nur) zwei Jahre beträgt ( 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB), kommt eine Verkürzung bei neuen Sachen nur ausnahmsweise in Frage, nämlich in den Fällen des 438 Abs. 1 Nr. 2 b) BGB 36. Bei gebrauchten Sachen muss die Frist mindestens ein Jahr betragen. 4. Beweislastumkehr Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Mangel, wird gemäß 476 BGB vermutet, dass die Kaufsache schon bei Gefahrübergang mangelhaft war. Dadurch wird dem Verbraucher die (gerichtliche) Durchsetzung seiner Gewährleistungsansprüche erleichtert. Er wird von der ihm obliegenden Beweislast (vgl. 363 BGB) bezüglich der Abweichung der Soll- von der Istbeschaffenheit der Kaufsache bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs befreit 37. Gemeinhin muss nämlich in einem Zivilprozess jede Partei diejenigen Tatsachen vor Gericht behaupten und wenn die aufgestellten Behauptungen vom Prozessgegner bestritten werden beweisen, die für sie günstig sind. Gelingt ihr das nicht, verliert sie den Prozess. Für einen Käufer, der Gewährleistungsrechte vor Gericht geltend macht, ist die Mangelhaftigkeit der Kaufsache prozessual gesehen eine günstige Tatsache. Ohne Sachmangel i. S. v. 434 BGB stehen ihm nämlich keine Gewährleistungsansprüche zu. 35 Aus 202 BGB ergibt sich mittelbar, dass die Länge der Verjährungsfristen einer vertraglichen Vereinbarung zugänglich ist. 36 Vgl. Looschelders, Rdn. 270. 37 An dieser Stelle ist Vorsicht mit der Formulierung geboten: Streng genommen ist es nicht richtig, zu sagen, der Käufer müsse (nur) das Vorliegen eines Sachmangels darlegen und beweisen, nicht aber dessen Vorliegen im Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Denn aus 434 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt sich, dass eine Abweichung der Soll- von der Istbeschaffenheit nur dann einen Sachmangel darstellt, wenn diese Abweichung bei Gefahrübergang gegeben war. Da jedoch 476 BGB insoweit ebenfalls ungenau gefasst ist, dürfte eine nachlässige Formulierung in einer Klausur keinen Punktabzug bringen.

392 Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf 476 BGB entbindet den Käufer jedoch (grundsätzlich) 38 nicht von der Beweislast hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine Abweichung der Soll- von der Istbeschaffenheit vorliegt 39. Gleichwohl ist die Vermutungsregel ein enormer Vorteil für den Käufer. Denn in der Praxis ist es oft alles andere als leicht, nachzuweisen, dass die Kaufsache die betreffende Beschaffenheit schon vor Monaten aufgewiesen hat 40. Nach 292 ZPO kann der Verkäufer jedoch den Beweis für eine Beschaffenheitsverschlechterung erbringen. Beispiel 41 : K kauft Anfang 2013 bei V, einem Kfz-Händler, einen gebrauchten Pkw, um ihn privat zu nutzen. Das Auto wird Anfang Februar übergeben. Im Juli kommt es zu einem Motorschaden, der auf einer Lockerung des Zahnriemens beruht. Der Zahnriemen hatte sich wegen eines Materialfehlers gelockert. Vor Gericht streiten die Parteien um Gewährleistungsrechte wegen des Motorschadens. V behauptet, der Pkw habe sich im Februar in einwandfreiem Zustand befunden. Aufgrund des Motorschadens weicht die Sollbeschaffenheit des Fahrzeugs von der Istbeschaffenheit ab. Der Motorschaden selbst lag allerdings im Zeitpunkt der Übergabe und damit bei Gefahrübergang ( 446 S. 1 BGB) noch nicht vor. Er beruht jedoch auf einer Lockerung des Zahnriemens. Die Lockerung stellt also im Verhältnis zum später nach außen in Erscheinung getretenen Motorschaden einen Grundmangel 42 dar, der sich erst im Motorschaden offenbart hat. Der Motorschaden ist sozusagen der Folgemangel 43. Ob der Grundmangel bereits im Februar 2013 gegeben war, ist zwischen K und V streitig. Fest steht jedoch: Der Zahnriemen hatte sich wegen eines Materialfehlers gelockert. Daher greift im Hinblick auf den Zeitpunkt der Lockerung 476 BGB zugunsten des K ein. Es wird also vermutet, dass der Materialfehler schon im Februar gegeben war. Gelingt es V nicht, diese Vermutung zu entkräften, dringt K mit seinem Gewährleistungsanspruch durch. Abwandlung: Im Prozess zwischen K und V lässt sich nicht klären, ob sich der Zahnriemen aufgrund eines Materialfehlers oder der Fahrweise des K gelockert hat. 38 Zum Streit um die Reichweite der Vorschrift bei einem Grundmangel sogleich. 39 BGH NJW 2007, 2621, 2622; NJW 2006, 434, 436; Brox/Walker, 7 Rdn. 9. 40 Vgl. Looschelders, Rdn. 271; Oetker/Maultzsch, 2 Rdn. 547. 41 Beispiel und Abwandlung sind angelehnt an BGHZ 159, 215. 42 Der Begriff stammt von S. Lorenz, NJW 2004, 3021. 43 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 22. Aufl. 2009, Rdn. 313. Es ist nicht sicher, was die Ursache für die Lockerung des Zahnriemens war. Daher ist fraglich, ob 476 BGB in der Abwandlung einschlägig ist. Denn bei unbefangenem Lesen der Vorschrift wirkt die Vermutungswirkung nur in zeitlicher Hinsicht. Möglicherweise wird jedoch nicht nur das Vorliegen des konkreten Mangels (in der Abwandlung also des Motorschadens) schon bei Gefahrübergang vermutet, sondern darüber hinaus, dass der Grundmangel, auf dem die Abweichung der Soll- von der Istbeschaffenheit beruht (der gelockerte Zahnriemen), schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Wäre das der Fall, würde der Rechtsstreit zu Gunsten des K ausgehen. Andernfalls würde V obsiegen. Wie weit die Vermutungswirkung reicht, ist umstritten. Einige 44 verstehen 476 BGB eng. Die Vorschrift gelte stets nur im Hinblick auf den konkret aufgetretenen Mangel; ihr komme ausschließlich eine Wirkung in zeitlicher Hinsicht zu. Das ergebe sich aus Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 45, deren Umsetzung 476 BGB dient. Dort sei die Vermutungswirkung auf den konkret aufgetretenen Mangel beschränkt 46. Zudem spricht der Wortlaut der Vorschrift für ein derartiges Normverständnis 47. Andere 48 wollen die Vermutung darauf erstrecken, dass ein (zeitlich später aufgetretener) Mangel schon im Zeitpunkt des Gefahrübergangs angelegt war; vermutet wird hiernach also der Grundmangel selbst. Zur Begründung wird vor allem die ratio des 476 BGB angeführt 49. Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass der Beweis der Mangelhaftigkeit dem Verbraucher regelmäßig ungleich schwerer fallen dürfte als dem Unternehmer 50. Die besseren Erkenntnismöglichkeiten des Unternehmers blieben aber unberücksichtigt, wenn der Verbraucher den Grundman- 44 BGHZ 159, 215, 218; BGH NJW 2005, 3490, 3491 f.; Höpfner, ZGS 2007, 410 ff.; Erman/Grunewald, 476 Rdn. 5. 45 Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG lautet:»bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar.«46 Soergel/Wertenbruch, 476 Rdn. 23. 47 A. A. Medicus/Lorenz, Rdn. 244, sowie MünchKomm/S. Lorenz, 476 Rdn. 4, die darauf hinweisen, dass nach 476 BGB das Auftreten (irgend)eines Sachmangels innerhalb der Sechsmonatsfrist die Vermutung der Mangelhaftigkeit der (ganzen) Sache begründe. 48 OLG Oldenburg BeckRS 2008, 22504; Roth, ZIP 2004, 2025; Bamberger/Roth/Faust, 476 Rdn. 9; Medicus/Lorenz, Rdn. 244; Münch- Komm/S. Lorenz, 476 Rdn. 4. 49 Dazu und zum Folgenden Medicus/Lorenz, Rdn. 244, sowie ausführlich MünchKomm/S. Lorenz, 476 Rdn. 4. 50 Vgl. BT-Drucks. 14/640, S. 245.

Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf 393 gel beweisen müsste. Folgt man der zuerst genannten Ansicht, stünden K in der Abwandlung keine Gewährleistungsrechte zu, weil er (schon) hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals Sachmangel beweisfällig geblieben wäre. Hält man die weite Auffassung für überzeugender, geht der Rechtsstreit hingegen zugunsten des K aus. Nach 476 Hs. 2 BGB gilt die Vermutung zum einen nicht, wenn sie mit der Art der Sache unvereinbar ist. Das trifft vor allem auf verderbliche Sache zu, bei denen der aufgetretene Mangel mit der Verderblichkeit zusammenhängt 51. Zum anderen ist die Vermutung nicht anwendbar, wenn sie mit der Art des Mangels unvereinbar ist. Beispiele: Äußere Beschädigung an einem Pkw, die auch dem fachlich nicht versierten Käufer hätte auffallen müssen 52 ; Infektion eines Tieres mit einer Krankheit mit Inkubationszeit nach Ablauf der Inkubationszeit 53. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregel muss der Unternehmer darlegen und beweisen (»Es sei denn «). 5. Sonderbestimmungen bei Garantien Indem 477 BGB inhaltliche und formale Anforderungen für Garantieerklärungen aufstellt, soll der Verbraucherschutz weiter intensiviert werden: Der Verbraucher soll verständlich über seine Rechte aus der Garantie sowie deren Durchsetzung informiert werden; der Anspruch auf Aushändigung einer Garantieurkunde erleichtert die Beweisführung 54. Eine den erhöhten Erfordernissen nicht entsprechende Garantie ist gemäß 477 Abs. 3 BGB gleichwohl wirksam. Trotzdem handelt es sich bei 477 BGB nicht um eine in der Praxis wirkungslose Regelung. Denn die Nichteinhaltung der Anforderungen kann zum Beispiel 55 im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs des Käufers gegen den Verkäufer relevant werden 56. 51 Erman/Grunewald, 476 Rdn. 7. 52 BGH BB 2005, 2654, 2657. 53 LG Essen NJW 2004, 527; Palandt/Weidenkaff, 476 Rdn. 11. 54 Jauernig/Chr. Berger, 477 Rdn. 1. 55 Daneben muss der Unternehmer mit wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen oder einer Klage nach dem UKlaG rechnen (Münch- Komm/S. Lorenz, 477 Rdn. 15 f.; Soergel/Wertenbruch, 477 Rdn. 81 ff.). 56 Vgl. BT-Drucks. 14/640, S. 247; Looschelders, Rdn. 275. IV. Rückgriff des Unternehmers Die 478, 479 BGB betreffen im Unterschied zu den 474 476 BGB nicht das Verhältnis zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, sondern die Rechtsbeziehungen zwischen zwei Unternehmern 57. Die Vorschriften sollen sicherstellen, dass der verbesserte Verbraucherschutz nach 474 ff. BGB sich nicht ausschließlich zulasten des Letztverkäufers auswirkt. Er steht nämlich dem kaufenden Verbraucher in der Regel als einziger Vertragspartner gegenüber, ist aber meist nicht zugleich Hersteller der Kaufsache. Deshalb erscheint es unbillig, allein ihn die Folgen des strengeren Verbraucherschutzrechts tragen zu lassen. Ist der Sachmangel nicht in seinem Verantwortungsbereich entstanden, soll er sich bei seinem Lieferanten schadlos halten können. Die beiden Vorschriften zum Unternehmerregress enthalten vor allem Modifikationen der Mängelgewährleistungsrechte aus 437 BGB. Auf diese Weise soll ein Gleichlauf der Rückgriffansprüche des Unternehmers gegen seinen Lieferanten mit den Gewährleistungsansprüchen des Verbrauchers gegen den Unternehmer erreicht werden. Beispiel: Unternehmer U bezieht vom Großhändler H Computerhardware. Diese veräußert U in seinem Internetshop. K erwirbt dort von U eine Tastatur für seinen zu Hause aufgestellten und ausschließlich privat genutzten PC. Bereits bei der ersten Nutzung zeigt sich, dass zahlreiche Tasten nicht funktionieren. K schickt die Tastatur auf Kosten des U zurück und setzt eine Frist zur Nachbesserung. Eine Reparatur gelingt U jedoch nicht. K tritt daher vom Kaufvertrag zurück. U schickt daraufhin die Tastatur an H zurück und verlangt (a) Erstattung des Kaufpreises, den er an H für die Tastatur gezahlt hatte, sowie (b) Erstattung der Kosten, die er für die Rücksendung der Ware durch K aufbringen musste. Der Anspruch des U gegen H auf Rückerstattung des Kaufpreises (a) folgt aus 437 Nr. 2, 323, 346 Abs. 1 BGB. U und H haben einen Kaufvertrag gemäß 433 BGB geschlossen und die Kaufsache ist mangelhaft i. S. v. 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB. U hat, indem er die Ware zurückgesandt und die Rückerstattung des Kaufpreises verlangt hat, konkludent ( 133, 157 BGB) eine Rücktrittserklärung gemäß 349 BGB abgegeben. Ein Rücktrittsgrund nach 437 Nr. 2, 323 BGB lag wegen des Sachmangels vor. Dass U dem H keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, ist gemäß 478 Abs. 1 BGB unschädlich. Denn U hatte als Unternehmer die an den Verbraucher K verkaufte neu hergestellte Kaufsache die Tastatur wegen ihrer Mangel- 57 Dazu und zum Folgenden Matusche-Beckmann, BB 2002, 2561; Medicus/Petersen, Rdn. 315.

394 Grundstudium ZR Simona Liauw: Besonderheiten beim Verbrauchsgüterkauf haftigkeit zurücknehmen müssen. K war nämlich seinerseits nach 437 Nr. 2, 323 BGB vom Kaufvertrag mit U zurückgetreten, weshalb U nach 346 BGB zur Rücknahme der Ware verpflichtet war. Die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ist die eigentliche Besonderheit dieser Fallkonstellation. Sie führt dazu, dass der jeweilige Lieferant (im Beispiel also H) den Gewährleistungsanspruch seines Käufers (im Beispiel U) nicht durch eine Nachlieferung abwenden kann. Mithin entfällt im Verhältnis zwischen den beiden Unternehmern der Vorrang der Nacherfüllung 58.Zu beachten ist, dass 478 Abs. 1 BGB nur eingreift, wenn der Unternehmer die Kaufsache aufgrund ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen musste. Nicht ausreichend ist eine Rücknahme nach der Ausübung des Widerruf durch den 58 Erman/Grunewald, 478 Rdn. 12 f.; Palandt/Weidenkaff, 478 Rdn. 10. Verbraucher gemäß 355 BGB oder eine Rücknahme aus bloßer Kulanz des Unternehmers 59. Der Anspruch des U gegen H auf Erstattung der von U übernommenen Rücksendungskosten (b) ergibt sich aus 478 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift sieht einen eigenständigen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch vor 60. Der Letztverkäufer kann diejenigen Kosten ersetzt verlangen, die er im Verhältnis zum Verbraucher nach 439 Abs. 2 BGB zu tragen verpflichtet war. Die Transportkosten fallen darunter. 59 BT-Drucks 14/6040 S. 248; Bamberger/Roth/Faust, 474 Rdn. 17; Medicus/Petersen, Rdn. 315. 60 OLG Hamm NJW-RR 2012, 355, 356; Erman/Grunewald, 478 Rdn. 14. Näher dazu Tröger, ZGS 2003, 296.