Therapeutisches Drug Monitoring bei Antiepileptika

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Transkript:

Therapeutisches Drug Monitoring bei Antiepileptika Prof. Dr. med. Gerd Mikus Abteilung Innere Medizin VI Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie Universitätsklinikum Heidelberg gerd.mikus@med.uni-heidelberg.de Prinzip des Therapeutischen Drug Monitorings (TDM) Pharmakokinetische Variabilität Pharmakodynamische Variabilität Dosis Absorption Distribution Metabolismus Elimination Blutkonzentration Rezeptor- Interaktion Rezeptor- Antwort Klinischer Effekt Biomarker aus: Gross A.. Brit J Clin Pharmacol 2001;52:5S-10S 1

Voraussetzungen für ein sinnvolles TDM Enge Beziehung zwischen Arzneimittelkonzentration und Wirkung mit möglichst geringen interindividuellen Unterschieden Große interindividuelle Variabilität in den Arzneimittelkonzentrationen Keine besser für ein Monitoring der Wirkung geeigneten (z.b. klinischen) Endpunkte vorhanden Therapeutischer Bereich etabliert und idealerweise durch klinische Studien validiert Ermittlung des therapeutischen Bereiches Patienten mit voller Epilepsie-Kontrolle > 1 Jahr Carbamazepin als Monotherapie bei Generalisierter Epilepsie (n= 20) Fokaler Epilepsie (n = 52) als Kombinationstherapie bei Generalisierter Epilepsie (n = 78) Fokaler Epilepsie (n = 118) Therapeutischer Bereich: 4 µg/ml bis 12 µg/ml Carbamazepin im Plasma aus: Eadie MJ. Br J Clin Pharmacol 2001;52:11S-20S 2

Plasmakonzentrations Zeit Verlauf Konzentration 120,0 100,0 Spitzenkonzentration Orale Mehrfachdosierung Bei Mehrfachdosierung : Akkumulation des Arzneimittels in den ersten 4-5 Halbwertszeiten 80,0 Wenn Zufuhr und Ausscheidung im Gleichgewicht Steady State 60,0 Steady State 40,0 20,0 0,0 Fusspunkt (Trough) Talspiegel Ther. Bereich 0 24 48 72 96 120 144 168 192 Zeit (h) Angaben für TDM-Beurteilung: Therapiedauer? Letzte Einnahme? Zeitpunkt der Blutentnahme? Dosierung? Wirkmechanismen GABA- Erhöhung Na+ - Kanal Glutamatinhibition T-Ca 2+ Kanal Carboanhydrase hemmung Unbekannt Benzodiazepine Benzodiazepine Felbamat Ethosuximid Acetacolamid Levetiracetam Gabapentin Carbamazepin Topiramat Topiramat Sultiam Phenobarbital Lamotrigin Topiramat Tiagabin Oxcarbazepin Topiramat Phenobarbital Valproinsäure Phenytoin Vigabatrin Topiramat Valproinsäure 3

Pharmakokinetik Medikament Proteinbindung Mittlerer therapeutischer Bereich (µg/ml) Halbwertszeit (Std) Eliminationsweg Carbamazepin 78 % 4 10 8 24 Leber Clobazam 90 % 1 15 10 30 Leber Clonazepam 90 % 0,02 0,07 30 40 Leber Ethosuximid 0 % 40 100 20 60 Leber/Niere Felbamat 25 % 20 80 2 6 Niere Gabapentin 0 % > 2 5 7 Niere Lamotrigin 55 % 3 15 12 25 Leber Levetiracetam 0 % 6-8 Niere Oxcarbazepin 38 % 10 20 8 10 Leber Phenobarbital 54 % 10 40 48 96 Leber Phenytoin ca. 90 % 5 20 9 40 Leber Primidon 30 % 5 12 4 12 Leber Tiagabin 96 % 0,2 0,3 2 5 Leber Topiramat 15 % 2 5 ca. 20 Niere Valproinsäure 92 % 40 100 5 15 Leber Vigabatrin 0 % nicht relevant 5 7 Niere Fallbeispiel : Patient mit Schwindel und Diplopie 23-jähriger Patient mit einer kryptogenen fokalen Epilepsie seit 8 Jahren Therapie mit Carbamazepin 1000 mg pro Tag aktuell: ambulant erworbene leichte Pneumonie daher seit 4 Tagen Therapie mit Clarithromycin 2 x 500 mg pro Tag seit 1 Tag zunehmend Schwindelgefühl und gelegentlich Doppeltsehen 4

Dosisanpassung bei linearer Pharmakokinetik Dosis neu Plasmakonzentration gemessen Ziel = Dosis bisher Konzentration Ziel Konzentration gemessen Vorraussetzungen für Anwendung: Verteilungsvorgänge abgeschlossen (Talkonzentration meist ideal) neu Dosis bisher Probenentnahme im Steady State Fallbericht 10-20 mg/l Frau D.L. erhielt 300 mg/tag Phenytoin für 2 Wochen. Sie hatte trotzdem noch epileptische Anfälle, daher wurde eine Blutprobe entnommen und der gemessene Phenytoinspiegel betrug 4 mg/l. Die Dosis wurde dann auf 500 mg/tag erhöht. Drei Wochen später wurde Frau D.L. stationär aufgenommen mit Nystagmus und Ataxie. Er wurde eine erneute bestimmung der Phenytoinkonzentration durchgeführt: Ergebnis jetzt war 36 mg/l. Warum sollte ein 67% Anstieg der Phenytoindosis zu einem 900 % Anstieg der Serumkonzentration führen? 5

Nicht-lineare Kinetik Dosisabhängig - pharmakokinetische Parameter ändern sich mit der Dosis Zeitabhängig - pharmakokinetische Parameter ändern sich unter Dauertherapie Gründe für eine dosisabhängige Pharmakokinetik: sättigbarer Metabolismus Konz linear sättigbare Absorption oder Verteilung Dosis Phenytoin Antikonvulsiv wirksam Metabolische Kapazität ist beschränkt moderate Änderungen der Dosis können zu disproportionalen Anstiegen der steady-state Konzentrationen führen Halbwertszeit nicht klinisch brauchbar, da sie dosisabhängig ist Zeit zum Erreichen des steady-state kaum zu bestimmen Therapeutischer Bereich der trough Konzentrationen: 10-20 mg/l CNS Toxizität ist Konzentrationsabhängig (incl Nystagmus und Ataxie) 6

Indikationen für die Durchführung eines TDM Therapiekontrolle nach Erreichen des Steady State, Bestimmung der individuellen Zielkonzentration Abklärung einer ungenügenden therapeutischen Wirkung Differenzialdiagnose einer möglichen konzentrationsabhängigen unerwünschten Wirkung (z.b. bei Überdosierung) Verdacht auf suizidale oder akzidentelle Vergiftung Funktionsänderung eines Haupteliminationsorgans Änderung der Begleitmedikation mit möglichen Interaktionen Dosisänderung bei nicht-linearer Pharmakokinetik 7