ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (G-L) WINTERSEMESTER 2011/12 PROF. DR. SUSANNE LEPSIUS. Lösung Fall 2

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Transkript:

ARBEITSGEMEINSCHAFT ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (G-L) WINTERSEMESTER 2011/12 PROF. DR. SUSANNE LEPSIUS Lösung Fall 2 H könnte gegen E einen Anspruch auf Zahlung von 3.000 aus 433 Abs. 2 BGB haben. Voraussetzung eines Zahlungsanspruchs des H ist, dass H und E einen wirksamen Kaufvertrag über den Kauf von 1000 Packungen Druckerpapier zum Preis von 3.000 abgeschlossen haben. Ein Kaufvertrag wird mittels zweier übereinstimmender Willenserklärungen in der Form eines Angebots (Antrags) und einer Annahme (vgl. 145, 147 BGB) geschlossen. A. Angebot der E (von S versandtes Schreiben) I. Willenserklärung E könnte mit dem von ihm abgefassten und unterzeichneten und von S dem H übersandten Schreiben ein Angebot ( 145 BGB) zum Abschluss eines Kaufvertrags über 1000 Packungen Druckerpapier zum Gesamtpreis von 3.000 gemacht haben. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Fraglich ist daher zunächst, ob es sich bei dem von E verfassten Schreiben um eine Willenserklärung, d.h. um einen auf die Hervorbringung einer bestimmten Rechtsfolge gerichteten Erklärungstatbestand handelt. 1. Objektiver Tatbestand Eine Willenserklärung setzt zunächst ein Erklärungszeichen seitens des Erklärenden des Inhalts voraus, dass eine bestimmte Rechtsfolge gelten soll. E hat mit dem Verfassen des Briefes ein verkörpertes Erklärungszeichen gesetzt, das den Erklärungsinhalt enthält ( 133, 157 BGB), dass E den Abschluss eines Kaufvertrags über 1000 Packungen Druckerpapier zum Preis von 3.000 mit H beabsichtigt. 2. Subjektiver Tatbestand Dieser Erklärungsinhalt entspricht auch dem tatsächlichen Willen der E bei der Abfassung des Schreibens. Bei der Verkörperung der Erklärung handelte E daher bezüglich des Inhalts des Schreibens (d.h seines Erklärungswerts) mit Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen. II. Wirksamwerden Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird gem. 130 I BGB wirksam, wenn sie dem Erklärungsempfänger zugegangen ist. Streitig ist, ob die Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen Willenserklärung darüber hinaus voraussetzt, dass der Erklärende die Willenserklärung bewusst und willentlich abgibt. Der Begriff der Abgabe der Willenserklärung findet sich in 130 II BGB; explizit macht das Gesetz die Abgabe indes

LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 5 nicht zur Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Abgabe ist erfolgt, sobald sich der Erklärende der Willenserklärung derart entäußert hat, dass sie erkennbar endgültig gewollt ist. Der Erklärende muss also alles seinerseits Erforderliche getan haben, um die Willenserklärung auf den Weg zu bringen. Hier hat sich E nicht auf diese Art und Weise der Willenserklärung entäußert; denn nicht sie, sondern S hat die im Brief verkörperte Willenserklärung H zugesandt. Die Streitfrage um die Erforderlichkeit einer Abgabe, die auch unter dem Schlagwort der abhandengekommenen Willenserklärung diskutiert wird, ist deshalb hier relevant und zu erörtern. 1. Auffassung von Rechtsprechung und wohl h.m. Nach der in Rechtsprechung 1 und Literatur wohl herrschenden Meinung 2 wird eine schriftliche Willenserklärung ohne Abgabe durch ihre Erstellerin E in Richtung auf den Erklärungsempfänger H (Argument aus 130 Abs. 2 BGB) nicht wirksam. Bis dahin gelte sie als noch nicht existent, es liege nur der Schein einer Willenserklärung vor. Schon mangels Abgabe, jedenfalls aber wegen Fehlens des notwendigen Abgabewillens (d.h. mangels Handlungswillens des G hinsichtlich der Abgabe), kann die sog. abhandengekommene Willenserklärung nach dieser Lehre nicht wirksam werden. Dem Erklärungsempfänger will man aber mit einem Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens aus 122 BGB analog bzw. aus culpa in contrahendo ( 311 II, 241 II BGB) helfen. 2. Gegenstimmen a) Abstellen auf Vertretenmüssen Teilweise wird vertreten, dass eine Willenserklärung selbst dann wirksam werden kann, wenn sie nicht vom Erklärungsverfasser in den Verkehr gebracht wurde; allerdings müsse der Verfasser das Inverkehrbringen aus Gründen, die in seinem Herrschafts- und Organisationsbereich liegen, zu vertreten haben. 3 Der Verfasser sei ausreichend dadurch geschützt, dass ihm ein Anfechtungsrecht aus 119 Abs.1 2. Alt. BGB (freilich mit der Folge des 122 BGB) zugesprochen wird. Demzufolge hätte E ein Angebot abgegeben, da E die Versendung ihres Briefes bei einer kaufmännischen Gepflogenheiten entsprechenden Büroorganisation hätte vermeiden können, weil eine verantwortungsbewusste Geschäftsfrau kein Personal beschäftigt, das ohne seine Einwilligung Angebote versendet bzw. Angebote enthaltende Briefe nicht achtlos auf seinem Schreibtisch herumliegen lässt. b) Irrelevanz des Abgabewillens Nach einer weiteren Auffassung fehlt es bei der sog. abhandengekommenen Willenserklärung zwar an der Abgabe der Willenserklärung. Die abgabefertig gemachte und von einer anderen Person als dem Erklärenden abgesandte Willenserklärung soll aber ungeachtet des Fehlens der Abgabe in diesem Falle gelten, weil der Fall der abhandengekommenen Willenserklärung dem der ohne 1 vgl. BGHZ 65, 13, 14 (Verlust der Vollmachtsurkunde); BGH NJW 1979, 2032, 2033 (falsche Erklärungsgegner) 2 vgl. Köhler AT, 29. Aufl., 6 Rdnr. 12. 3 Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., 26 Rdnr. 5.

LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 3 VON 5 Erklärungsbewusstsein abgegebenen Willenserklärung phänomenologisch gleichstehe. Da das Erklärungsbewusstsein kein notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung sei, könne folglich auch bei der verkörperten Willenserklärung der Abgabewille nicht als notwendige Voraussetzung für das Wirksamwerden der verkörperten Erklärung postuliert werden. 4 Auch die Vertreter dieser Auffassung sehen den Verfasser als ausreichend durch 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB geschützt an. Auch nach dieser Lehre hätte G also ein wirksames Angebot abgegeben. c) Würdigung Da ein wirksames Angebot des G nur nach den Auffassungen 2. a) und 2. b) vorliegen würde, nicht aber nach der Auffassung 1., fragt sich, welche Auffassung vorzugswürdig ist. aa) Irrelevanz des Abgabewillens? Gegen die Ansicht 2. b) spricht, dass das fehlende Erklärungsbewusstsein bezüglich des Erklärungsinhalts eben nicht dem Fehlen des Abgabewillens entspricht. Bei der verkörperten Willenserklärung fallen Produktion des Erklärungszeichens und seine In-Geltung-Setzung (Abgabe) nicht zusammen. Diesen Unterschied ignoriert die Auffassung 2. b) mit der Gleichsetzung von fehlender Abgabehandlung und mangelndem Erklärungsbewusstsein und fingiert die verkörperte Willenserklärung als bereits im Zeitpunkt ihrer Verkörperung abgegeben. Diese Fiktion widerspricht jedoch der Funktion der Willenserklärung als autonomem Akt des rechtsgeschäftlichen Handelns. Ist die Willenserklärung die In-Geltung-Setzung einer Regelung als einer rechtlich gewollten Regelung, dann muss nicht nur die Produktion des Erklärungszeichens, sondern auch dessen Entäußerung dem Erklärenden zurechenbar sein, d.h. auch die Abgabe der Erklärung muss (zumindest) auf einer Handlung des Erklärenden beruhen. bb) Haftung bei Vertretenmüssen? Die Auffassung 2. a) rechnet E einen Handlungswillen nach Rechtsscheinsgrundsätzen zu. Dagegen spricht, dass die Geltung einer rechtsgeschäftlichen Regelung - die Geltung des Angebots der E - auf die Nichterfüllung pflichtgemäßer Sorgfalt gegründet wird. Nichterfüllung pflichtgemäßer Sorgfalt ist aber im System des bürgerlichen Rechts nur Ansatzpunkt einer Haftung auf Schadensersatz, es sei denn, das Gesetz trifft eine andere Regelung. Letzteres ist aber nicht der Fall. Das ergibt sich implizit aus 172 Abs. 1 BGB. Danach muss sich der Aussteller einer Vollmachtsurkunde deren Inhalt nur dann zurechnen lassen, wenn er diese einem anderen ausgehändigt hat. Ist die Erklärung ohne den Willen des Erklärenden in den Verkehr gelangt, so ist sie ihm nach einhelliger Auffassung nicht - auch nicht nach Rechtsscheinsgrundsätzen - zuzurechnen. Nun ist aber auch die Vollmachtserteilung mittels Urkunde eine Willenserklärung. Die Mindermeinung stellt daher für das Wirksamwerden vom Willenserklärungen unterschiedliche Kriterien auf: während für die Vollmacht ein vom Abgabewillen getragenes Inverkehrbringen der Urkunde erforderlich ist, soll dies für ein Angebot nicht der Fall sein. Diese Differenzierung kann die Mindermeinung aber nicht 4 Flume, AT, 4. Aufl., 14 Ziff. 2, 23 Ziff 1; Medicus, AT, 9. Aufl., 22 Rdnr. 266.

LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 4 VON 5 anhand überzeugender Kriterien rechtfertigen. Aus 172 Abs. 1 BGB lässt sich vielmehr schließen, dass für das Wirksamwerden einer verkörperten Willenserklärung generell das vom Abgabewillen ihres Verfassers getragene Inverkehrbringen erforderlich ist. cc) Billigkeitskontrolle, Ergebnis Schließlich entstehen bei Ablehnung der Mindermeinungen auch keine Schutzlücken. Die Interessen der Parteien können auch ohne das Vehikel eines zunächst wirksamen, jedoch gem. 119 Abs. 1 BGB anfechtbaren Vertrags hinreichend geschützt werden. Sollte E einen Vertragsschluss mit H endgültig ablehnen, hat H gegen sie auch nach der h.m. einen Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens aus culpa in contrahendo ( 311 II, 280 BGB) bzw. 122 BGB analog. Aufgrund dieses Anspruchs kann H die im Vertrauen auf die Bestellung entstandenen Vermögensnachteile ersetzt verlangen, hier also zumindest die Transportkosten. Für diesen Schutz bedarf es also nicht des "Umwegs über den Vertrag". Die Konstruktion eines Angebots ist auch nicht zum Schutz des Verfassers der abhandengekommenen Erklärung erforderlich, da die "Annahme" einer abhanden gekommenen Willenserklärung als neues Angebot aufzufassen ist (vgl. unten 2 a aa), das der Produzent der abhandengekommenen Erklärung annehmen kann, wenn er einen entsprechenden Vertrag schließen möchte. Zustimmung verdient daher die h.m., zumal auch nach dem historischen Willen des Gesetzgebers die Abgabe selbstverständlich erforderlich ist: 5 sie schützt das Selbstbestimmungsrecht der E ebenso wie die legitimen Interessen des H, ohne hierfür wie die Mindermeinungen den "Umweg" über den Vertrag bemühen zu müssen. E hat daher kein wirksames Angebot abgegeben. B. Angebot des H (Zusendung des Druckerpapiers) Ein Angebot des H auf Abschluss eines Kaufvertrags 1000 Packungen Druckerpapier zum Preis von 3.000 könnte durch Zusendung des Druckerpapiers erfolgt sein. I. Willenserklärung 1. Objektiver Tatbestand a) Erklärung Gegen ein Angebot des H könnte zunächst sprechen, dass H keine ausdrückliche Erklärung abgegeben hat. Nach einhelliger Auffassung kann eine Willenserklärung aber auch durch schlüssiges (konkludentes) Handeln erfolgen, d.h. aufgrund eines bestimmten Verhaltens, aus dem mittelbar auf ein bestimmtes Verhalten zu schließen ist. Bei Betrachtung der Gesamtumstände enthält die 5 Mot. I 157 = Mugdan I 439.

LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 5 VON 5 Versendung des Papiers den Erklärungsinhalt, der E 1000 Packungen Druckerpapier zu 3.000 verkaufen zu wollen. b) Erklärungsinhalt: Annahme (nicht nur Angebot)? Gegen ein Angebot des H könnte weiter sprechen, dass H mit der Versendung des Papiers nur das Angebot der E annehmen wollte. Mit der Annahme bringt der Annehmende jedoch ebenfalls zum Ausdruck, dass eine bestimmte Regelung gelten soll, weil sie von ihm gewollt ist. Folglich wird der qua Annahme geäußerte Wille nicht dadurch rechtsunerheblich, dass das Angebot, auf den er reagiert, seinerseits unwirksam ist. Eine fehlgeschlagene Annahme ist daher als neues Angebot (Argument aus 140, 150 BGB) aufzufassen. 2. Subjektiver Tatbestand H versandte das Papier in dem Bewusstsein, mit E einen Kaufvertrag zu schließen. Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille bezüglich des Erklärungsinhalts liegen daher vor. II. Wirksamwerden H hat sein Angebot mit der Versendung des Papiers abgegeben, mit dem Eintreffen des Papiers bei E ging es diesem zu, 130 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein wirksames Angebot des H liegt daher vor. C. Annahme durch E E hat dieses Angebot aber (noch) nicht angenommen (vgl. 147 BGB). H und E haben also keinen Kaufvertrag geschlossen. D. Ergebnis Folglich hat H keinen Anspruch gegen E auf Zahlung von 3.000 aus 433 Abs. 2 BGB.