Vorlesung Polizeirecht

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Transkript:

Vorlesung Polizeirecht Professor Dr. Christoph Enders Wiss. Mit. Rechtsanwalt Norman Jäckel 24. April 2013 1 / 25

als allgemeine Grundlage der Gefahrenabwehr 2 / 25

3 / 25

Sachverhalt 4 / 25

Sachverhalt Sachverhalt In der sächsischen kreisangehörigen Gemeinde G betreibt der S e. V., ein eingetragener Verein, eine Grundschule mit Schulhof, der von einem ca. 1,5 m hohen Zaun umgeben ist. Während der großen Pausen spielen die Kinder häufig auf dem Hof Fußball. Nachdem im neuen Schuljahr einige Schüler an die Schule gewechselt haben, die den Pausenfußball besonders aktiv betreiben, häufen sich Vorfälle, bei denen bei den Nachbarn Scheiben zu Bruch gehen. 5 / 25

Sachverhalt Sachverhalt Dies will die Nachbarin N, die sich durch den ständigen Kinderlärm seit je gestört fühlt, nicht länger hinnehmen, schließlich wurde sie bei einem der letzten Scheibenkracher durch herumfliegende Glassplitter leicht verletzt. Sie wendet sich an den Bürgermeister B der Gemeinde G mit der Bitte, der Schule durch sverfügung dazu anzuhalten, das Ballspielen zu unterbinden. Auf Rückfrage weigert sich der Vorstand des Schulträgers, eine höhere Zaun oder ein Fangnetz zu errichten. Man könne die Kinder schließlich nicht wie Tiere einsperren. Außerdem haben man dafür kein Geld. Es genüge, wenn die Glasschäden durch die Versicherung des Vereins ersetzt werden, wie bisher immer geschehen. 6 / 25

Aufgabe Sachverhalt B fragt sich nun, auf welche Rechtsgrundlage er eine entsprechende Verfügung gegen den Schulträger stützen könnte. Aufgabe: Beantworten Sie die Frage des B. Geben Sie dabei eine kurze Begründung. Bearbeiten Sie die Aufgabe gemeinsam in Murmelgruppen bis zu vier Personen. 7 / 25

Tatbestandsmerkmale als allgemeine Grundlage der Gefahrenabwehr 8 / 25

14 Abs. 1 PVG und 3 Abs. 1 SächsPolG Tatbestandsmerkmale Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 14 Absatz 1 Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche oder bedroht wird. Polizeigesetz des Freistaates Sachsen (SächsPolG) 3 Absatz 1 Die Polizei kann innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche oder abzuwehren, soweit die Befugnisse der Polizei nicht besonders geregelt sind 9 / 25

Entscheidungen Tatbestandsmerkmale Bräunungsstudio BVerwGE 90, 337 350 Gummischutzmittel BVerwGE 10, 164 169 Laserdrom BVerwGE 115, 189 205 und BVerwG GewArch 2007, 247 249 10 / 25

Tatbestandsmerkmale Tatbestandsmerkmale 1. Betroffenheit eines polizeilichen Schutzgutes 2. (Konkrete) Gefahr für das Schutzgut 3. Fehlerfreie Ermessensausübung 11 / 25

Begriff der Schutz nur im Interesse 12 / 25

Begriff der Begriff der Schutz nur im Interesse Drei Elemente / Schutzkomponenten / Teilschutzgüter: Rechtsgüter des Einzelnen (Individualrechtsgüter) Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen und Veranstaltungen Unversehrtheit der Gesamtheit der Normen der objektiven Rechtsordnung 13 / 25

Schutz nur im Interesse Begriff der Schutz nur im Interesse Schutz nur im Interesse, vgl. 1 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG Fallgruppen der Einschränkung des Schutzes mangels Interesses Subsidiaritätsprinzip ( 2 Abs. 2 SächsPolG) Freiwillige Selbstgefährdung Gefahrenabwehr im Aufgaben- und Kompetenzbereich anderer Hoheitsträger (insbes.: Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern) 14 / 25

Aufgabe Lösung 15 / 25

Aufgabe Repetitorbesprechung (nach Gromitsaris, JuS 1997, 49 53) Aufgabe: Beurteilen Sie in einem Rechtsgutachten die Rechtmäßigkeit der Verfügung der Stadt Leipzig. Aufgabe Lösung 16 / 25

Lösung Aufgabe Lösung 1. Rechtsgrundlage, 3 Abs. 1 SächsPolG 2. Formelle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung (Zuständigkeit, Verfahren, Form) 3. Materielle Rechtsmäßigkeit der Untersagungsverfügung a) Gefährdung eines polizeirechtlichen Schutzgutes aa) Schutzgut: Öffentliche oder Öffentliche bb) Gefahr b) Verantwortlichkeit des Repetitors c) Ermessen 4. Ergebnis 17 / 25

18 / 25

Begriff der Verfassungskonforme Interpretation Neuere Tendenzen 19 / 25

Begriff der Begriff der Verfassungskonforme Interpretation Neuere Tendenzen Klassische Definition: Die Öffentliche umfasst die Gesamtheit der im Rahmen der verfassungsmäßigen liegenden ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens ist. 20 / 25

Verfassungskonforme Interpretation Begriff der Verfassungskonforme Interpretation Neuere Tendenzen Verfassungskonforme Interpretation: Beachtung einschränkender Voraussetzungen kein Moralschutz Vorrang des geschriebenen Rechts grundrechtskonforme Auslegung, insbesondere Beachtung spezifischer Freiheitsrechte Übrig bleiben nur Fälle mit aufdrängender Außenwirkung, Beispiel Nacktauftritt OVG Münster NJW 1997, 1180 21 / 25

Neuere Tendenzen Neuere Tendenzen zur Bestimmung der ungeschriebenen Verhaltensregeln, insbesondere Laserdrom und Reichskriegsflaggenfall (OVG Münster NJW 1994, 2909 2910), aus den Grundrechten und aus der Menschenwürdegarantie Problematischer Zirkelschluss, vgl. Art. 2 Abs. 1 GG Begriff der Verfassungskonforme Interpretation Neuere Tendenzen 22 / 25

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Zusammenfassung 3 Abs. 1 SächsPolG setzt eine Betroffenheit der oder der voraus. Der Begriff der umfasst drei Elemente, darunter die gesamte objektive Rechtsordnung, also alle geschriebenen Verhaltensregeln. Der Begriff der umfasst ungeschriebene Verhaltensregeln. Er bedarf der verfassungskonformen Interpretation. 24 / 25

Ausblick Vorlesung am 8. Mai 2013 III. Die Gefahr im Polizei- und srecht 25 / 25