Verhaltensbedingte Kündigung und Abmahnung 24./25. November 2016 Dr. Burcu Zimmerling - Rechtsanwältin - - Fachanwältin für Arbeitsrecht - Hans-Henny-Jahnn-Weg 9, 22085 Hamburg Telefon: 040-270 75 5 0, Telefax: 040-270 755-55 Internet: www.rugekroemer.de E-Mail: sekretariat@rugekroemer.de
Verhaltensbedingte Kündigung
Übersicht Voraussetzungen und Begriff. Prüfungssystematik. Typische Sachverhalte. Außerordentliche Kündigung. Verdachtskündigung.
Verhaltensbedingte Kündigung Voraussetzungen und Begriff Kündigungsgrund: Vertragspflichtverletzung. dienstliches und außerdienstliches Verhalten. steuerbares Verhalten. Ob ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird ist im Einzelfall auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden. Praxistipp: Kündigung sollte nie nur außerordentlich und fristlos, sondern hilfsweise auch immer ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt erklärt werden.
Verhaltensbedingte Kündigung Prüfungssystematik Kündigungsgrund an sich: vorwerfbare Verletzung vertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten. Verhältnismäßigkeitsprinzip: kein milderes Mittel möglich (z.b. Abmahnung, Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz, Versetzung). Interessenabwägung: Grad des Verschuldens, Schwere der Pflichtverletzung, Betriebliche Beeinträchtigungen, u.a. vs. Betriebszugehörigkeit, Lebensalter u.a.
Verhaltensbedingte Kündigung Typische Kündigungssachverhalte Alkohol- und Drogen. Anzeige gegen den ArbGeb Arbeitsverweigerung. Arbeitszeitbetrug. Ausländerfeindlichkeit. Außerbetriebliches Verhalten. Beleidigungen. Bestechlichkeit. Fehl- und Schlechtleistung. Gehaltspfändungen. Krankheitsandrohung. Minderleistung. Mobbing oder Benachteiligung. Private Telefonate, E-Mail- oder Internetnutzung. Selbstbeurlaubung. Sexuelle Belästigung. Störung des Betriebsfriedens. Eigentums- und Vermögensdelikte. Tätlichkeiten. Verstöße gegen Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit. Verstöße gegen die Betriebsordnung. Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit Wettbewerbs- und Nebentätigkeit.
Außerordentliche Kündigung Vorliegen eines wichtigen Grundes Tatsachen, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen (grobe Vertragspflichtverletzungen/ grobe Treuwidrigkeiten). Es gibt keinen absoluten Kündigungsgrund! Zweiwöchige Ausschlussfrist, 626 Abs. 2 BGB Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis erlangt.
Sonderfall: Verdachtskündigung Vorliegen eines konkreten Verdachts strafbarer Handlungen oder sonstiger schwerwiegender Pflichtverletzungen. Verdacht objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet. Anhörung des Arbeitnehmers. Betriebsratsanhörung mit Hinweis auf Verdachtskündigung. Bei fristlosen Kündigungen Zwei-Wochen-Frist beachten. Im Zweifel sowohl eine Tat- als auch hilfsweise eine Verdachtskündigung aussprechen.
Sonderfall: Verdachtskündigung Beispiele: Auffinden von pornografischen Darstellungen des Missbrauchs von Kindern bei Kindergärtne. Dringender Verdacht der Hehlerei gestohlener Handys auf dem Firmenparkplatz. Unberechtigte Buchung von Meilen-Gutschriften im miles & more Programm einer Fluggesellschaft. Verdacht des Diebstahls durch Verkäuferin. Unterschlagung von Kundengeldern durch einen Bankangestellten. Verdacht der sexuellen Belästigung von Mitarbeitern.
Abmahnung
Übersicht Sinn und Zweck der Abmahnung. Voraussetzungen einer wirksamen Abmahnung. Sonderprobleme. Gültigkeit der Abmahnung. Formulierungsbeispiel. Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit. Gegenrechte des Arbeitnehmers. Mitbestimmung und Abmahnung.
Sinn und Zweck Vorbereitung einer verhaltensbedingten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung. Oder/ und: Rüge von Fehlverhalten, um zukünftige Pflichtverstöße zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis ungestört fortsetzen zu können. Hinweis-/ Erinnerungs-/ Rüge-/ Warn- und Dokumentationsfunktion.
Voraussetzungen Formelle Voraussetzungen Form der Abmahnung: Keine gesetzliche oder tarifliche Schriftform. Aber: Aus Beweisgründen sollte die Abmahnung schriftlich erfolgen. Abmahnungsberechtigung: Alle Mitarbeiter, die weisungsbefugt sind, nicht nur kündigungsberechtigte Personen. Nicht nur Dienstvorgesetzte mit Personalentscheidungsbefugnis, sondern auch Fachvorgesetzte (z.b. Chefarzt, Meister).
Voraussetzungen Formelle Voraussetzungen Anhörung des Arbeitnehmers, 3 Abs. 6 S. 4 TV-L. Recht auf Gegendarstellung, 3 Abs. 6 S. 5 TV-L. Zugang der Abmahnung Abmahnung muss dem Arbeitnehmer zugehen. Arbeitnehmer muss den Inhalt der Abmahnung auch zur Kenntnis nehmen (Problem: Abmahnung ausländischer Arbeitnehmer).
Voraussetzungen Formelle Voraussetzungen Frist? Keine feste Ausschlussfrist wie z.b. 626 Abs. 2 BGB oder 37 TVöD/-L. Aber: Wirkung der Abmahnung wird umso schwächer, je länger der AG wartet. u.u. auch Verwirkung denkbar. Zeitmoment Umstandsmoment
Voraussetzungen Inhaltliche Voraussetzungen Sachverhaltsdarstellung Hinweisfunktion: Beanstandung und konkrete Bezeichnung des Fehlverhaltens (nicht ausreichend: Bezeichnung eines unzureichenden Arbeitsergebnisses). Ganz konkret: Welches Verhalten wird dem AN vorgeworfen? (wann, wo, wie, welche Handlung/Aussage?). Keine Schlagworte oder bloße Werturteile.
Voraussetzungen Inhaltliche Voraussetzungen Sachverhaltsdarstellung AN muss erkennen, was er tun und was er lassen soll. Erinnerungsfunktion: Konkrete Darstellung des Verhaltens, welches gefordert ist; Erinnerung an vertragliche Pflichten. Vermeiden formularmäßiger Abmahnungen.
Voraussetzungen Inhaltliche Voraussetzungen Sachverhaltsdarstellung Zusammenziehen mehrerer Beanstandungen? BAG: Wenn nicht alle Beanstandungen zutreffen, ist die gesamte Abmahnung unwirksam und aus der Personalakte zu entfernen. Daher: lieber mehrere Abmahnungen für jede einzelne Pflichtverletzung formulieren.
Voraussetzungen Inhaltliche Voraussetzungen Rüge- und Warnfunktion Konkrete Androhung und Bezeichnung der arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Sonst Umdeutung in Ermahnung. Ausdrückliche Bezeichnung Abmahnung? BAG: Abmahnung ist Rechtsbegriff. Maßstab ist nicht die Begrifflichkeit, sondern die tatsächliche Androhung der arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Achtung: Nicht ausreichend sind Formulierungen wie arbeitsrechtliche Konsequenzen oder Ihr Verhalten können wir auf Dauer nicht hinnehmen.
Voraussetzungen Alternativen zur Abmahnung Orientierungsgespräch. Kritikgespräch. Verwarnung/Ermahnung.
Voraussetzungen Erstellen einer Abmahnung Ausführliche Rücksprache mit dem jeweiligen Vorgesetzten und/oder den Betroffenen erforderlich (Zeugen, evtl. auch Arbeitnehmer selbst). Sorgfältige Sachverhaltsrecherche. Anfertigen von Vermerken/ Gesprächsprotokollen etc. Sachliche, keine emotionale Darstellung.
Soll-Zustand: Was sind die Pflichten des Arbeitnehmers? Ist-Zustand: Was ist passiert? Was wird dem Arbeitnehmer konkret vorgeworfen? Feststellung der Pflichtverletzung. Rüge. Voraussetzungen Aufbau Warnung: Konsequenzen eines wiederholten Verstoßes.
Sonderprobleme Mangelnde Ernstlichkeit Zu viele Abmahnungen ohne rechtliche Konsequenzen gefährden die Ernstlichkeit. BAG: Aber noch nicht die dritte Abmahnung bei als leichter empfundenen Vertragsverstößen. Bei zahlreichen Abmahnungen muss die letzte Abmahnung dann aber als letzte Abmahnung erkennbar sei (BAG v. 15.11.2001, 2 AZR 609/00). Andererseits: Wie viel Abmahnungen muss der Arbeitgeber aussprechen? Grundsätzlich reicht eine Abmahnung. Aber einzelfallabhängig bei hohem sozialem Bestandsschutz.
Gültigkeit Wirkungsdauer und Tilgung Keine bestimmte Frist. BAG: ursprünglich berechtigte Abmahnung wird durch Zeitablauf gegenstandslos (einzelfallabhängig). Richtschnur: Leichte Pflichtverletzungen (geringe Unpünktlichkeit, geringfügige Schlechtleistung, etc.) = Wirkungsdauer von sechs bis zwölf Monaten. Mittelschwere Pflichtverletzung (erhebliche Schlechtleistung, verspätete Krankmeldung, etc.) = ein bis drei Jahre. Schwere Pflichtverletzung (Trunkenheit im Dienst, sexuelle Belästigung, etc.) = bis fünf Jahre.
Gültigkeit Wirkungsdauer und Tilgung Nach Zeitablauf: Anspruch auf Entfernung aus Personalakte? Insbes.: Auswirkungen der Emmely- Entscheidung? (BAG v. 10.6.2010, 2 AZR 541/09) Jedenfalls: Für Kündigung nicht mehr verwertbar.
Bei Kündigung Gültigkeit Einschlägige Abmahnung = Gleichartigkeit zwischen Abmahnung und Kündigungsgrund Pflichtverletzungen müssen nicht identisch sein. Ausreichend: derselbe Pflichtenbereich. Entscheidend ist innerer Zusammenhang. Beispiele: Verschiedene Fälle unentschuldigten Fehlens, Verspätung und vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes, möglicherweise auch Verstoß gegen (Ab-) Meldepflichten.
Bei Kündigung Gültigkeit Abmahnung bedeutet Kündigungsverzicht. Bewährungszeitraum zwischen Abmahnung und Kündigung: Kein Ausspruch der Kündigung wegen gleicher Pflichtverletzung unmittelbar nach Abmahnung. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls. BAG: 9 Tage können zu kurz sein.
Abmahnung: Sehr geehrter Herr, Beispiel 8. Februar 2016 Wir haben festgestellt, dass Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und das Vertrauensverhältnis zu Ihrem AG erheblich belastet haben. Am 1. Februar 2016 sind Sie um 8:20 Uhr und 9:40 Uhr beim Rauchen auf dem Hof gesehen worden. Am 5. Februar 2016 wurden Sie um 14:41 Uhr erneut beim Rauchen auf dem Hof gesehen. Sie haben sich jeweils nicht aus der Zeiterfassung ausgebucht. Gemäß Punkt 5 der Dienstanweisung über das Rauchen in der WK ist am Vormittag nur eine Raucherpause zulässig. Außerdem haben sich die Mitarbeiter gemäß Punkt 7 der Dienstanweisung über das Rauchen in der WK während der Raucherpausen aus der Zeiterfassung auszubuchen. Indem Sie am 1. Februar 2016 am Vormittag zwei Raucherpausen genommen haben und sich an diesem Tag und während Ihrer Raucherpause am 5. Februar 2016 jeweils nicht aus der Zeiterfassung ausgetragen haben, haben Sie gegen die Dienstanweisung über das Rauchen in der WK verstoßen. Wir fordern Sie hiermit auf, derartige Pflichtverstöße in Zukunft zu unterlassen und die für die WK geltenden Regelungen zur Arbeitsorganisation sowie zur Gestaltung und Dokumentation der Arbeitszeit einzuhalten. Sollten Sie erneut die täglich zulässige Anzahl von Raucherpausen überschreiten bzw. Arbeitszeitunterbrechungen nicht in der vorgeschriebenen Weise in der Zeiterfassung dokumentieren oder sich einen Verstoß gegen eine gleichartige arbeitsvertragliche Pflicht zu Schulden kommen lassen, müssen Sie mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen.
Beispiel (Fortsetzung) Diese Abmahnung wird zu Ihrer Personalakte genommen. Sie haben das Recht, zu dieser Abmahnung Stellung zu nehmen. Ihre Stellungnahme wird ebenfalls zur Personalakte genommen werden. Mit freundlichen Grüßen Unterschrift des Arbeitgebers Bestätigung des Arbeitnehmers: Ich habe die Abmahnung vom am erhalten. Unterschrift des Arbeitnehmers
Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit Erforderlichkeit der Abmahnung, wenn steuerbares Verhalten vorliegt und Erwartung besteht, dass in Zukunft eine Wiederherstellung der Vertragstreue und des Vertrauens erfolgen kann, z.b. Unentschuldigtes Fehlen. Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht bei Krankheit. Alkoholbedingtes Fehlverhalten. Ausübung einer Nebentätigkeit während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsbummelei und Arbeitsverweigerung. Hinweis: Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein künftiges Verhalten schon durch eine Abmahnung positiv beeinflusst werden kann (BAG v. 26.11.2009, 2 AZR 751/08).
Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit Entbehrlichkeit bei schwersten Pflichtverletzungen, deren Rechtswidrigkeit für den AN ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch den AG offensichtlich ausgeschlossen ist. Faustformel: Ist dem AN bewusst, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt? BAG: Eine Abmahnung ist regelmäßig erforderlich.
Erforderlichkeit und Entbehrlichkeit Entbehrlichkeit bei folgenden Fallgruppen: Vorsätzliche Manipulation an einer Zeiterfassungskarte. Fälschen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Vorsätzliches Ausstellen unrichtiger Reisekostenabrechnungen. Spesenbetrug beziehungsweise sonstiger Betrug, Unterschlagung eines Geldbetrages, Diebstahl. Unsittliches Verhalten und sexuelle Belästigung. Krankheitsandrohung bei Nichtgewährung von Urlaub, (vgl. BAG v. 12.3.2009, 2 AZR 251/07). Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen.
Gegenrechte des Arbeitnehmers Gegendarstellung Anspruch auf Widerruf und Entfernung aus Personalakte Nach Zeitablauf? Wohl (-) Aber jedenfalls bei fehlerhafter Abmahnung Formelle Fehler. Unrichtige Tatsachenbehauptungen. Unzutreffende rechtliche Bewertung. Unverhältnismäßigkeit. Kein Interesse an Verbleib in der Personalakte.
Mitbestimmung und Abmahnung Abmahnung ist nach BPersVG und BetrVG mitbestimmungsfrei. Mitbestimmungspflichtig, wenn zudem Betriebsbuße. Mitbestimmungspflichtig auf Länderebene möglich: Brandenburg, Niedersachen (Herstellung des Benehmens), Nordrhein- Westfalen (Anhörung), Saarland, Rheinland-Pfalz. Mitteilung an PR bei späteren Kündigungen notwendig. Schwerbehindertenvertretung: Unterrichtung und Anhörung, 95 II 1 SGB IX; Einbeziehung, 84 I SGB IX.