Sachverhalt Fall 15 Sachverhalt Bundesverkehrsminister Alfred Absturz (A) ist Trierer und fliegt für sein Leben gern. Seine Freizeit verbringt er größtenteils auf dem Flugplatz in Bitburg. Als er überraschend erbt, kann er sich seinen großen Traum vom eigenen Flugzeug erfüllen. Leider hat er keinen Flugschein und ist auch nur bedingt begabt, was das Fliegen angeht. Bei der für den Flugplatz Bitburg zuständigen Landesregierung Rheinland-Pfalz beantragt er die Erteilung einer Erlaubnis als Privatflugzeugführer. Seine einzigen Kenntnisse sind allerdings theoretischer Natur, selbst geflogen ist A noch nie. Daher verweigert die zuständige Behörde die Erteilung der Erlaubnis. A ist entsetzt, dass er sein Flugzeug nun gar nicht fliegen darf. Auch auf offizielle Nachfrage bleibt es bei der Verweigerung der Erlaubnis. Da kommt ihm der rettende Einfall: Schließlich muss es auch einen Vorteil haben, Bundesverkehrsminister zu sein. Daher weist er den Landesminister von Rheinland-Pfalz offiziell an, ihm die Erlaubnis zu erteilen. Sachverhalt Fall 15 Der Landesminister ist entsetzt und hält diese Weisung für verfassungswidrig. Daher wendet sich die Landesregierung umgehend mit dem Antrag an das BVerfG, diese Streitigkeit zu entscheiden. Um sich nicht länger als nötig damit aufzuhalten, sendet die Landesregierung den Antrag unter Nennung der einschlägigen Grundgesetzartikel mit knapper Begründung per Fax an das BVerfG. Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg? Bearbeitervermerk: Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis sind in 4 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) geregelt und liegen bei A nicht vor. 31 II LuftVG lautet: Die Länder führen nachstehende Aufgaben dieses Gesetzes im Auftrage des Bundes aus: 1. Die Erteilung der Erlaubnis für Privatflugzeugführer ( ) 1
Bund-Länder-Streit,Art.93Abs.1Nr.3GG, 13Nr.7,68ff.BVerfGG A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG entscheidet das BVerfG bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder II. Partei- und Prozessfähigkeit Parteifähig sind Bund und Länder Prozessfähig sind für den Bund die Bundesregierung und für die Länder die jeweiligen Landesregierungen (auch Zwischenländerstreit möglich) Beachte: Für den Bund handelt die Bundesregierung, nicht der einzelne Minister III. Streitgegenstand Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG: Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder Die gegenseitigen Rechte und Pflichten müssen sich aus einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis ergeben (insb. Art. 83 ff. GG, aber auch ungeschriebene Verfassungsgrundsätze wie der Grundsatz der Bundestreue) Streitgegenstand ist die Frage, ob die Weisung des Bundesverkehrsministers Bestimmungen des Grundgesetzes verletzt. IV. Antragsbefugnis Der Antragsteller muss geltend machen, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in eigenen ihm durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein, 69 i.v.m. 64 Abs. 1 BVerfGG: 2
Exkurs Gesetzesvollzug Exkurs: Vollzug von Bundesrecht, Art. 83 ff. GG Grundsatz: Art. 83, 84 GG: Länderexekutive (Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus) Wahrnehmungskompetenz: nach außen rechtsverbindlich zu handeln Sachkompetenz: zu prüfen (Sachbeurteilung und - entscheidung) Bund steht bloße Rechtsaufsicht zu (vgl. Art. 84 Abs. 3 GG) Exkurs Gesetzesvollzug Ausnahmen: Art. 85 GG: Bundesauftragsverwaltung (Form der Landesverwaltung, die über Art. 85 III GG gesteuert wird [Weisungen]) Wahrnehmungskompetenz liegt beim Land Sachkompetenz liegt zunächst beim Land, Bund kann sie an sich ziehen, indem er Weisungen erteilt Bsp.: Art. 87c GG (Kernenergie), Art. 87d GG (Luftverkehrsverwaltung) Art. 86 GG: Bundeseigene Verwaltung (hauptsächlich in Art. 87 GG) 3
Hier: Art. 83 ff. GG regeln den Vollzug der Bundesgesetze abschließend Hiernach sind grundsätzlich die Länder zuständig, der Bund darf nur in den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Formen auf den Gesetzesvollzug einwirken, z.b. im Wege der Weisung nach Art. 85 III GG mögliche Überschreitung der Grenzen einer Weisung und damit mögliche Verletzung der Rechtsposition aus Art. 83 GG VI. Form und Frist Der Antrag ist unter Bezeichnung der verletzen Normen des Grundgesetzes schriftlich beim BVerfG einzureichen und zu begründen, 23 i.v.m. 69, 64 Abs. 2 BVerfGG P: Genügt Fax der Schriftform des 23 I BVerfGG? (+) BVerfG-K NJW 1996, 2857 P: Genügt knappe Begründung? 23 Abs. 1, S. 2 i.v.m. 69, 64 Abs. 2 BVerfGG (+) Grundgesetznormen sind genannt und Prüfrichtung wird aus dem Antrag deutlich Frist: 6 Monate nachdem die Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt wurde, 69 i.v.m. 64 Abs. 3 BVerfGG Hier: sofort (+) 4
B. Begründetheit Der Antrag ist begründet, wenn die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners den Antragsteller in seinen ihm durch das Grundgesetz verliehenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet, 69 i.v.m. 67 BVerfGG hier (+), wenn die Weisung eine Bestimmung des Grundgesetzes verletzt I. Rechtsgrundlage Art. 85 Abs. 3 GG, sofern es sich um Bundesauftragsverwaltung handelt Art. 87d Abs. 2 GG: Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden hier: 31 II LuftVG (+) II. Formelle Rechtmäßigkeit der Weisung 1. Zuständigkeit und richtiger Adressat Art. 85 Abs. 3, S. 1 GG: Die Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde Im Bereich Luftverkehr der Bundesverkehrsminister Art. 85 Abs. 3, S. 2 GG: Die Weisungen sind ( ) an die obersten Landesbehörden zu richten zuständiger Landesminister 5
2. Verfahren Anforderungen? Ergeben sich aus dem Grundsatz der Bundestreue und der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten es sind die Verfahrensregeln einzuhalten, die sich für den Bürger aus dem Rechtsstaatsprinzip ergäben, insb. Gelegenheit zur Stellungnahme Hier: offizielle Nachfrage = ausreichend 3. Form (der Weisung) besondere Formvorschriften bestehen nicht III. Materielle Rechtmäßigkeit der Weisung 1. Prüfungsmaßstab Das BVerfG prüft die angegriffene Maßnahme an den Normen des Grundgesetzes, soweit Rechte des Antragstellers in Frage stehen In die Prüfung werden jedoch auch sonstige Verfassungsnormen einbezogen, soweit sie für das Bund-Länder-Verhältnis von Bedeutung sind 2. Gebot der Weisungsklarheit Weisungen müssen inhaltlich klar und bestimmt sein Hier: (+) Erteilung der beantragten Erlaubnis 6
3. Bereich der Auftragsverwaltung Die Weisung muss einen Bereich betreffen, der von der Auftragsverwaltung miterfasst ist: Es handelt sich um Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung, die gem. Art. 87d II GG den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden können (erfolgt durch 31 II Luftverkehrsgesetz) In diesem Bereich darf der Bund gem. Art. 85 III GG grundsätzlich Weisungen erteilen 4. Inhaltliche Grenzen der Weisung Streitig, welche Voraussetzungen die Weisung inhaltlich erfüllen muss: 1. Ansicht: Die Weisung muss inhaltlich rechtmäßig sein (volle Überprüfbarkeit); hierfür spricht: Die Landesverwaltung ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden müsste das Land eine rechtswidrige Weisung ausführen, würde es diese Norm verletzen Auch die Bundesauftragsverwaltung ist Länderverwaltung, d.h. i.r.v. Rechtsstreitigkeiten (z.b. wegen entschädigungspflichtiger Maßnahmen gegenüber Bürgern) ist das Land selbst Schuldner (dagegen wiederum: diese Kosten kann sich das Land über Art. 104a Abs. 5, S. 1 GG vom Bund ersetzen lassen) 7
2. Ansicht: Die Weisung darf nur nicht offensichtlich verfassungswidrig sein; hierfür spricht: Im Bereich der landeseigenen Verwaltung stehen dem Land Sach- und Wahrnehmungskompetenz zu, dem Bund kommt eine reine Rechtsaufsicht zu Dagegen zieht der Bund die Sachkompetenz im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung durch die Erteilung der Weisung an sich, die Länder sind bloße Ausführungsorgane Die Ausführung der Weisung darf nur verweigert werden, wenn sie einen offensichtlichen Verfassungsverstoß darstellt Streitentscheidung kann vorliegend dahinstehen, da jedenfalls offensichtlich verfassungswidrig: Der Bundesverkehrsminister darf die offizielle Weisung nicht für private Zwecke nutzen (Missbrauch seiner Stellung) Zudem lagen die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis tatsächlich nicht vor IV. Ergebnis: Die Weisung ist verfassungswidrig, Art. 83 GG ist verletzt. Der Bund-Länder-Streit hat Aussicht auf Erfolg. 8
Zusatzfall Zusatzfall Die Schuldenbremse Im Jahre 2009 wurde die sog. Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Art. 109 GG lautet nach erfolgter Änderung auszugsweise: (1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig (3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen ( ) Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusatzfall Aus der Übergangsvorschrift des Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG ergibt sich, dass die Schuldenbremse des Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG von den Ländern erst ab dem 1. Januar 2020 einzuhalten ist. Dennoch sieht der Präsident des Schleswig- Holsteinischen Landtages hierdurch die Verfassungsautonomie von Schleswig- Holstein verletzt. Am 27.01.2010 leitet daher der Schleswig-Holsteinische Landtag, vertreten durch seinen Präsidenten, einen Bund-Länder-Streit vor dem BVerfG ein. Ist dieses Verfahren zulässig? 9
Lösung Zusatzfall Zulässigkeit des Bund-Länder-Streits, Art. 93 I Nr. 3 GG; 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG I. Parteifähigkeit, Art. 93 I Nr. 3 GG Parteifähig sind der Bund und die Länder (+) 2. Prozessfähigkeit, 68 BVerfGG Prozessfähig ist für den Bund die Bundesregierung, für das Land die Landesregierung, vgl. 68 BVerfGG P: Antragssteller ist vorliegend der Präsident als Vertreter des Landtags, also der Exekutive, nicht die Landesregierung Ist der Antrag zulässig, obwohl nach dem Wortlaut von 68 BVerfGG nur die Landesregierung Antragstellerin in einem Bund- Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) sein kann? Lösung Zusatzfall Dem Präsidenten des Landes Schleswig-Holstein zufolge liege eine Regelungslücke vor, da bei der Redaktion des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG wie auch des 68 BVerfGG die Konstellation vergessen worden sei, dass zwischen den Parlamenten von Bund und Ländern Streitigkeiten entstehen könnten Daher sei eine Fortbildung des Verfassungsprozessrechts erforderlich Das BVerfG hat den Antrag als unzulässig verworfen: Wer Bund oder Länder im Verfahren des Bund-Länder-Streits vertritt, wird in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG nicht ausdrücklich geregelt Gemäß 68 BVerfGG kann Antragsteller oder Antragsgegner für den Bund nur die Bundesregierung, für ein Land nur die Landesregierung sein. Die Vorschrift regelt die Vertretungsberechtigung konstitutiv und ist eine verfassungskonforme Konkretisierung des Art. 93 GG 10
Lösung Zusatzfall Die Landesparlamente haben, sofern sie die Landesregierung nicht kraft ihrer Regierungsbildungs- und Kontrollfunktion zur Führung eines Bund- Länder-Streits anhalten können, die Möglichkeit, mit Hilfe einer Organklage (hier Art. 44 Abs. 2 Nr. 1 Verf.SH, 3 Nr. 1, 35 LVerfGG SH; subsidiär Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG) deren Verpflichtung zur Antragstellung zu erstreiten Dem Fall liegt die folgende Entscheidung zugrunde: Beschluss des Zweiten Senats vom 19. August 2011, 2 BvG 1/10 (insb. Rdnr. 38); NVwZ 2011, 1512 11