Examensklausurenkurs Sommersemester 2017 Klausur vom 22.4.2017 Hinweise zur Lösung Fall 1 Frage: Kann Kunigunde Rückzahlung des gesamten Kaufpreises von Bertram verlangen? Ausgangsfall A. Anspruch K gegen B auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises (nebst Lieferkosten) i.h.v. 686 Euro aus 355 III 1, I, 357 I, 312g I BGB I. Widerrufsrecht nach 355 I BGB könnte sich hier aus 312g I BGB ergeben 1. Anwendungsbereich geregelt in 312 I BGB a) Verbrauchervertrag i.s.v. 310 III BGB Vertrag (+) - Antrag seitens K am Telefon, Annahme spätestens mit Lieferung durch B Verbraucher, 13 BGB (+) Unternehmer, 14 BGB (+) Verbrauchervertrag i.s.v. 310 III BGB (+) b) entgeltliche Leistung des Unternehmers (+) 2. Fernabsatzvertrag i.s.v. 312c I BGB a) Einsatz von Fernkommunikationsmitteln für Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss b) Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems Bestellhotline (+) 3. kein Ausschluss des Widerrufsrechts nach 312g II Nr. 3 BGB versiegelte Ware Vakuumverpackung als Versiegelung? zur Rückgabe ungeeignet aus Gründen des Gesundheitsschutzes / Hygiene? umstr., ob verpackte Matratzen hierunter fallen - M 1 (h.m.): nein - M 2: ja 1
Streitentscheidung: - mit h.m.: kein Ausschluss (a.a. mit entsprechender Begründung vertretbar) 4. Zwischenergebnis: Widerrufsrecht nach 312g I BGB (+) II. Widerrufserklärung (+) III. Widerrufsfrist Grds.: 14 Tage ab Vertragsschluss ( 355 II 1 BGB) kein Fristbeginn vor Wareneingang beim Verbraucher ( 356 II Nr. 1 BGB) - Verbrauchsgüterkauf i.s. von 474 I BGB (+) - Fristbeginn: Lieferung der Matratze kein Fristbeginn vor ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ( 356 III 1 BGB) - Belehrung erfolgte bei Lieferung ordnungsgemäß Widerruf fristgemäß IV. Zwischenergebnis / Rechtsfolge Rückzahlung des Kaufpreises Rückerstattung umfasst Lieferkosten ( 357 II 1 BGB) - keine Abweichung nach 357 II 2 BGB ersichtlich - Höhe des Anspruchs der K: 686 Euro 2
V. Durchsetzbarkeit des Anspruchs 1. Einrede aus 357 IV BGB ( ) 2. Einrede aus 320 I BGB Gegenanspruch B gegen K: etwaiger Wertersatzanspruch aus 357 VII BGB Gegenseitigkeitsverhältnis der Ansprüche ( ) 3. Zurückbehaltungsrecht aus 273 I BGB a) Anspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis (+) b) fälliger Gegenanspruch B gegen K aus 357 VII BGB i.h.v. 416 Euro aa) Anwendbarkeit der Vorschrift (+) bb) ordnungsgemäße Belehrung, 357 VII Nr. 2 BGB (+) cc) Wertverlust der Ware typische Fälle: Abnutzung, Untergang nach h.m. auch: negatives Werturteil des Marktes dd) vorliegend zwei Ansatzpunkte: - Erkennbarkeit als Rückläufer : Wertverlust 666 Euro 300 Euro = 366 Euro - Beeinträchtigung der Substanz durch Geruchsbelastung: Wertverlust 50 Euro Umgang mit der Ware über Prüfung hinaus Umgang zur Prüfung von Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise erforderlich? (1) Auspacken der Matratze Referenz nach h.m.: Prüfmöglichkeit im Ladengeschäft - Maßstab: durchschnittliches Ladengeschäft - Probeliegen auf Ausstellungsstücken i.d.r. möglich Auspacken hierzu zwingend erforderlich (2) Benutzen der Matratze für zwei Nächte ee) M 1 (AG Köln, altes Recht): 1-2 Tage gestattet, 5 Tage zu lang M 2 (AG Bremen, aktuelles Recht): 2 Tage gestattet M 3 (T. d. Lit.): Probeliegen in Bauch-, Rücken- und Seitenlage Streitentscheidung : alle Ansichten mit entsprechender Begründung vertretbar Zwischenergebnis: kein Gegenanspruch B gegen K aus 357 VII BGB c) Weitere Gegenansprüche B gegen K ( ) d) Zwischenergebnis: Zurückbehaltungsrecht des B aus 273 I BGB ( ) 4. Zwischenergebnis: Anspruch durchsetzbar 3
VI. Ergebnis Anspruch K gegen B aus 355 III 1, I, 357 I, 312g I BGB i.h.v. 686 Euro (+) B. Anspruch K gegen B auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises (nebst Lieferkosten) i.h.v. 686 Euro aus 812 BGB ( ), Regelungen zum Rückgewährschuldverhältnis in 355 ff. BGB sind abschließend Abwandlung Anspruch K gegen B auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises (nebst Lieferkosten) i.h.v. 686 Euro aus 355 III 1, I, 357 I, 312g I BGB 3. Zurückbehaltungsrecht aus 273 I BGB a) Anspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis (+) b) fälliger Gegenanspruch B gegen K aus 357 VII BGB i.h.v. 100 Euro aa) Anwendbarkeit der Vorschrift (+) bb) ordnungsgemäße Belehrung, 357 VII Nr. 2 BGB (+) cc) dd) Wertverlust der Ware (+) i.h.v. 100 Euro Umgang mit der Ware über Prüfung hinaus Auspacken ist K gestattet (s.o.) zweistündiges Probeliegen gestattet im Übrigen: unsachgemäßer Gebrauch - übermäßiger Gebrauch ist wertersatzpflichtig - unsachgemäßer Gebrauch muss dann erst recht wertersatzpflichtig sein - Wertverlust nicht durch zur Prüfung notwendigen Umgang hervorgerufen ee) Zwischenergebnis: Gegenanspruch B gegen K aus 357 VII BGB i.h.v. 100 Euro (+) c) Zwischenergebnis: Zurückbehaltungsrecht aus 273 I BGB (+) VI. Ergebnis: Anspruch K gegen B aus 355 III 1, I, 357 I, 312g I BGB i.h.v. 686 Euro (+), jedoch Anspruch i.h.v. 100 Euro einredebehaftet 4
Fall 2 Anspruch S gegen F i.h.v. 700 Euro aus 280 I, III, 283 BGB ebenfalls vertretbar: Anspruch aus 311a II BGB (anfängliche Unmöglichkeit) I. Schuldverhältnis 1. Vertragsschluss nach 156 BGB Anwendbarkeit bei Internet-Versteigerungen heute ganz einhellige Ansicht: ( ) 2. Vertragsschluss nach 145 ff. BGB a) Angebot seitens F Rechtsbindungswille - Internetseiten als invitatio ad offerendum? - Rechtsbindungswille (+) Konstruktion des Vertragsschlusses bei ebay umstritten - M 1: Regelung unmittelbar durch AGB von ebay - M 2: Heranziehung der AGB bei der Auslegung - nach beiden Ansichten liegt Angebot vor, Streitentscheidung entbehrlich Anwendung der 145 ff. BGB - Variante 1: Angebot an denjenigen, der innerhalb der Laufzeit höchstes Gebot abgibt - Variante 2: Einstellen ist Angebot, Annahme unter aufschiebender Bedingung, dass bis zum Auktionsende kein höheres Gebot eingeht - Variante 3: Einstellen ist Angebot, Annahme unter auflösender Bedingung, dass bis zum Auktionsende noch ein höheres Gebot eingeht - Variante 4: Einstellen ist antizipierte Annahme des bei Auktionsende höchsten abgegebenen Gebots - Argument gegen Variante 4: keine Anhaltspunkte hierfür bei ebay - im Übrigen: Konstruktion unerheblich b) Annahme seitens S (+) 5
c) Wirksamer Vertragsschluss durch Annahme bei Annahme unter aufschiebender Bedingung (vgl. 6 V 2 ebay-agb) - Bedingungseintritt zweifelhaft, da kein reguläres Auktionsende - unberechtigte Angebotsbeendigung als alternative Bedingung Annahme unter auflösender Bedingung: - auflösende Bedingung nicht eingetreten - Vertragsschluss (+) Angebot an denjenigen, der innerhalb der Laufzeit höchstes Gebot abgibt - S ist Höchstbietender - Vertragsschluss (+) 3. Unwirksamwerden durch Angebotsrücknahme Konstruktion der Angebotsrücknahme umstritten - M 1 (BGH): Angebot des Verkäufers bei berechtigter Rücknahme nicht bindend unverschuldete Unmöglichkeit (+) F hiernach zur Rücknahme berechtigt - M 2 (T.d.L.): vertragliches Rücktrittsrecht Einbeziehung der Regelungen in ebay-agb Hiernach Rücktrittsrecht jedenfalls vereinbart, Berechtigung zum Rücktritt (+), s.o. - M 3 (T.d.L.): anfechtungsähnliches Gestaltungsrecht Grundlage: Ausgestaltung durch AGB (wie M 2) Lösungsrecht nicht bei Beeinträchtigung des Erfüllungsinteresses hiernach: Lösungsrecht des F (+) - Streitentscheidung entbehrlich, nach allen Ansichten kein wirksamer Vertrag 4. Zwischenergebnis: kein Schuldverhältnis zwischen F und S II. Ergebnis: kein Anspruch S gegen F aus 280 I, III, 283 BGB 6