Sozialstaatswandel in Europa & Fiskalintegration Evidenz aus 18 westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten

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Transkript:

Sozialstaatswandel in Europa & Fiskalintegration Evidenz aus 18 westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten Dr. Eric Seils, WSI in der Hans-Böckler-Stiftung 6. Sozialstaatsenquete: EU und Sozialpolitik: Wie wirkt sich die verstärkte fiskalische Integration auf die länderspezifische Sozialpolitik aus? Wien, den 22. Oktober 2012 www.boeckler.de

Einleitung Aufbau des Vortrags: Entwicklungen der Sozialpolitik in 18 westeuropäischen Ländern EU-Fiskalintegration als Ursache Fazit: Handlungsmöglichkeiten

1. Wie entwickeln sich die nationalen Sozialstaaten in Europa? www.boeckler.de

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 Sozialausgaben in % des BIP Sozialleistungsquoten, 1990-2009 35 30 25 20 EU-15 Österreich Westeuropa 15 Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Anspruchsdauer in Kalenderwochen Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld, 1990-2010 500 400 300 200 100 0 Quelle: Seils & Mitarbeiter (2013): Die Vermessung des Wohlfahrtsstaates

Alter in Jahren Renteneintrittsalter, 1989-2040 66 Männer 66 Frauen 65 65 64 64 63 63 62 62 61 60 Westeuropa EU-15 OECD Österreich 61 60 59 59 1989 1993 1999 2002 2010 2020 2030 2040 1989 1993 1999 2002 2010 2020 2030 2040 Quelle: OECD (2011) Pensions at a Glance, eigene Berechnungen

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Betreuung < 3 Jahre in Prozent der Altersgruppe Betreuung 3 Jahre - Schule in % Altersgruppe Kinderbetreuung, 1990-2010 90 80 70 60 50 40 30 20 10 110 100 90 80 70 60 50 40 30 0 20 Quelle: Seils & Mitarbeiter (2013) Die Vermessung des Wohlfahrtsstaates. Anmerkung: nationale Definitionen.

Sozialpolitik in Europa wird der Wirtschaft untergeordnet Zwei Arten der Konvergenz: Soziale Sicherung wird abgebaut, wenn sie einer Ausweitung des Arbeitsangebots entgegensteht (race to the bottom) Leistungsausweitungen in Bereichen, die der Erhöhung des Arbeitsangebots bzw. der Steigerung des Humankapitals dienen (race to the top) Gilt auch außerhalb der EU

2. Welche Rolle spielt die fiskalische Integration in diesem Prozess? Beschränkungen der Analyse: Methodisches Problem: Vergleichsgruppe? OECD weiter Prozess EU, Eurozone & Fiskalintegration können nicht die einzigen Treiber sein. Steigende Ausgaben für Kinderbetreuung können nicht durch Fiskalintegration erklärt werden Dennoch: Die EU spielt eine verschärfende Rolle!

EU-Integration und nationale Sozial- und Wirtschaftspolitik Bis in die 1970er: Symbiose von Markt und Sozialstaat Öffentliche Daseinsvorsorge Antizyklische Fiskalpolitik Kontrolle über die nationale Währung Regulierte Kapitalmärkte

Liberalisierungen seit den 1980ern Einheitlich Europäische Akte und Rechtsprechung des EuGH Bringen den Binnenmarkt Lösen die nationalen Monopole der öffentlichen Daseinsvorsorge auf Eisenbahnen, Fluggesellschaften, Post, Telekommunikation etc. Europäisierung bringt Kontrollverlust der Nationalstaaten über die Wirtschaft

Vertrag von Maastricht Konvergenzkriterien Wirkung auf Belgien Griechenland Italien (Amato 1992, Dini 1995) Stabilitäts- und Wachstumspakt 1997

Europäische Währungsunion Zwei Schieflagen: Regierungen können bei Kostenproblemen der Wirtschaft nicht mehr abwerten Vgl. DEU früher, ITA heute Druck auf nationale Sozialpolitik! EZB-Geldpolitik orientiert sich am Eurozonen- Durchschnitt DEU hatte hohe Realzinsen ESP, ITA, IRL und GRC niedrige Realzinsen Immobilienblasen bzw. Staatsverschuldung (GRC)

Bankenkrise & Staatsschuldenkrise US Immobilienkrise führt zu Bankenkrise in Europa Staaten stützen das Bankensystem und verschulden sich IRL: 24,5% BIP (2007) 108% BIP (2011) ESP: 36,3% BIP (2007) 68,5% BIP (2011) GRC als Beleg für die Legende, Rentenausgaben seien Ursache der Staatsschulden Rentenreformen in GRC, ESP und FRA um öffentliche Finanzierung privater Schulden sicher zu stellen!

White Paper der Kommission EU leitet Kontrollrechte über nationale Rentensysteme aus dem hohen Anteil an den öffentlichen Ausgaben ab (Staatsschuldenkrise) Vorschläge des White Papers Maßnahmen zur Erhöhung des Arbeitsangebotes Maßnahmen zur Senkung öffentlicher Ausgaben Steuersubvention und Umlenkung der Rentenaufwendungen an den internationalen Finanzmarkt

Was tun? EU ist nicht die Ursache aller Probleme europäischer Wohlfahrtsstaaten ABER: Sie ist keine Lösung, sondern Teil des Problems Nationale Sozialstaaten sind daher gegen Übergriffe aus Brüssel zu verteidigen

Vielen Dank für Ihr Gehör!