LS Prof. Ronellenfitsch WS 2006/2007 Tabea Glemser Lösungshinweise zur Klausur vom 2.12.2006 im Examensklausurenkurs Der vorliegende Fall ist angelehnt an VGH Bad. Württ., Beschluss vom 04.10.2005 6 S 1908/05, abgedruckt in DÖV 2006, 124 und weist keine besonderen Schwierigkeiten auf, so dass umso mehr auf eine gründliche Darstellung der Details zu achten ist. Neben einer korrekten Terminologie (das Verfahren nach 123 VwGO ist ein Antragsverfahren, keine Klage) sind das vor allem der korrekte Streitgegenstand (Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis), eine genaue Darstellung der rechtlichen Anforderungen durch präzise Obersätze und eine treffende Argumentation im Zusammenhang mit 11 GaststättenG. Der Antrag des W hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. I. Zulässigkeit 1. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges, 40 I 1 VwGO. Der Rechtsweg eines Antrags nach 123 VwGO bestimmt sich nach dem Rechtsweg in der Hauptsache, vgl. 123 II 1 VwGO. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach 40 I 1 VwGO bei allen öffentlich rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ohne Sonderzuweisung eröffnet. Ob eine öffentlich rechtliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich nach den streitgegenständlichen Normen. Der zugrundeliegende Streitgegenstand die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis ist vorliegend öffentlich rechtlicher Natur, da das Gaststättenrecht in seiner Funktion als besonderes Gefahrenabwehrrecht dem Ordnungsrecht unterfällt und 11, 4 GaststättenG die streitentscheidenden Normen darstellen. Der Verwaltungsrechtsweg ist somit eröffnet. 2. Statthafte Antragsart Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Antragsbegehren des W, 88 VwGO. Wie im Sachverhalt dargestellt, begehrt der Antragsteller W Rechtsschutz im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, da die Zeit drängt. Der einstweilige Rechtsschutz ist in der VwGO in 80 V, 80a, und 123 VwGO geregelt. 1 80 V, 80 a VwGO gehen 123 VwGO vor, vgl. 123 V VwGO. Da vorliegend jedoch noch kein VA erlassen wurde und es daher nicht um die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines VAes nach 1 Für die Normenkontrolle beachte zusätzlich 47 VI VwGO. 1
80, 80a VwGO gehen kann, sondern eine Verpflichtungssituation auf Erteilung eines VAes in Rede steht, kommt allein ein Antrag nach 123 I VwGO in Betracht. Dabei kommt vorliegend eine Regelungsverfügung 2 in Betracht, da W die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis begehrt. Es geht ihm deshalb nicht um die Sicherung des status quo (Sicherungsanordnung), sondern um die Erweiterung seines Rechtskreises durch die von ihm angestrebte einstweilige Regelung. 3. Antragsbefugnis, 42 II VwGO analog Da der einstweilige Rechtsschutz nicht mehr gewähren darf als das Hauptsacheverfahren, muss der Antragsteller ebenfalls nach 42 II VwGO analog antragsbefugt sein. Maßgeblich für die Antragsbefugnis bei einem Verfahren nach 123 VwGO ist, dass eine Rechtsverletzung des Antragstellers nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Eine solche Rechtsverletzung kann hier darin liegen, dass dem W ein Anspruch auf Erteilung der von ihm gewünschten Erlaubnis zusteht. Zwar besteht nach 4 GaststättenG ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis (vgl. 1 GewO, Art 12 GG), soweit nicht ein Versagungsgrund des 4 GaststättenG eingreift. Doch 4 GaststättenG betrifft nur die endgültige Erlaubnis zum Betrieb einer Gaststätte. Vorliegend beantragt W jedoch eine vorläufige Erlaubnis nach 11 GaststättenG. Ein Anspruch auf Erteilung auch einer vorläufigen Betriebserlaubnis besteht jedoch nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Die Entscheidung hierüber ist in das Ermessen der Behörde gestellt. Allerdings steht W ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Begehren zu. Insoweit besteht die Möglichkeit, dass der Anspruch des W ermessensfehlerhaft beschieden wurde. Daher ist W antragsbefugt. 4. Vorverfahren, 68 ff. VwGO Die vorherige Durchführung eines Vorverfahrens durch W ist im Rahmen des 123 VwGO nicht erforderlich. 5. Antragsfrist Beim Antrag nach 123 VwGO ist grundsätzlich keine Frist einzuhalten 3. 2 Eine Abgrenzung zwischen Regelungs- und Sicherungsanordnung im Rahmen des 123 VwGO muss im 1. Staatsexamen nicht zwingend vorgenommen werden, gibt aber sicherlich Pluspunkte. Regelungsanordnung isv 123 I 1 VwGO: wenn Antragsteller die Erweiterung seines Rechtskreises begehrt Sicherunganordnung isv 123 I 2 VwGO: wenn Antragsteller lediglich eine Sicherung des status quo, d.h. schon bestehender Rechte begehrt. 3 Kopp/Schenke, 123 Rz. 21. 2
6. Besonderes Rechtsschutzinteresse 4 Für das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers ist es erforderlich, dass der Antragsteller gerade die beantragte Anordnung benötigt, um sein Recht vorläufig zu sichern oder drohende Nachteile abzuwenden. Das Rechtsschutzinteresse fehlt daher, wenn der Antragsteller sein Ziel auf andere, einfachere Weise erreichen kann oder der Antrag von vorneherein keinen Erfolg haben kann. Das besondere Rechtsschutzinteresse des Antragstellers folgt vorliegend aus der ansonsten drohenden Schaffung endgültiger Zustände. Es würde für den Antragsteller eine unzumutbare Benachteiligung i.s.d. 123 Abs. 1 VwGO darstellen, wenn die Gaststätte weiterhin geschlossen bliebe, weil sich dann die bisherigen Gäste anderen Gaststätten zuwenden könnten. Für eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des W enthält der Sachverhalt zwar keine Anhaltspunkte. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise besteht jedoch die Gefahr, dass bei einem späteren Obsiegen des W im Hauptsacheverfahren wegen der nicht mehr auszugleichenden Umsatzeinbußen jeder Rechtsschutz zu spät käme. Des Weiteren fehlt das Rechtsschutzinteresse grundsätzlich, wenn die einstweilige Anordnung die Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt grundsätzlich aber nur dann vor, wenn endgültig bereits über ein Recht in der einen oder anderen Richtung entschieden wird. Vorliegend liegt keine Vorwegnahme der Hauptsache in Bezug auf die Erteilung einer endgültigen Gaststättenerlaubnis vor, da W nur die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis begehrt. Dass deren Erteilung durch das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in der Hauptsache vorweggenommen wird, steht der Zulässigkeit des Antrags des W im Hinblick auf Art 19 Abs. 4 GG nicht entgegen. Darüber hinaus steht einem auf die Erteilung einer vorläufigen Erlaubnis gerichteten Anordnungsanspruch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin die Erteilung einer endgültigen Gaststättenerlaubnis bereits abgelehnt hat und der dagegen erhobene Widerspruch des Antragstellers erfolglos geblieben ist. 5 7. Zwischenergebnis: Der Antrag des W ist somit zulässig. II. Begründetheit Der Antrag des W ist begründet, wenn dem W gegen die Anspruchsverpflichtete nach summarischer Prüfung ein Anspruch auf Erlass einer Regelung in der Hauptsache zusteht. Das ist der Fall, wenn der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft machen kann, 123 III i.v.m. 920 II, 294 ZPO. 4 Dieser Prüfungspunkt kann auch in der Begründetheit geprüft werden unter dem Stichwort Anordnungsgrund und keine Vorwegnahme der Hauptsache. 5 VGH BW, DÖV 2006, 124. 3
Zu prüfen ist daher, ob W ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund zustehen. 1. Passivlegitimation, 78 I Nr. 1 VwGO analog Gemäß 78 I Nr. 1 VwGO analog ist der Antrag gegen die Körperschaft, deren Behörde den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat, zu richten (Rechtsträgerprinzip). Vorliegend lehnte die Erlaubnisbehörde B der S die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis ab. Der von W geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis folgt aus 11 GaststättenG. Zuständig hierfür sind gemäß 1 I GaststättenVO des Landes Baden Württemberg (Dürig Nr. 195a) die unteren Verwaltungsbehörden, gemäß 13 I Nr. 2 LVG hier die kreisfreie Stadt S. Passivlegitimiert ist daher die Stadt S. 2. Anordnungsanspruch Ein Anordnungsanspruch des W liegt vor, wenn ihm nach materiellem Recht ein Anspruch auf Erteilung einer vorläufigen gaststättenrechtlichen Erlaubnis oder jedenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber zusteht. a. Anspruchsgrundlage Anspruchsgrundlage ist 11 I 1 GaststättenG, wonach die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis im Ermessen ( kann ) der Verwaltungsbehörde steht. Demnach kommt ein gebundener Anspruch auf Erlass der Erlaubnis nicht in Betracht. Die Behörde muss den Anspruch des W jedoch ermessensfehlerfrei ablehnen. 6 b. Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung Zu prüfen ist, ob die Erlaubnisbehörde ermessensfehlerfrei entschieden hat. Wie sich aus 4 I GaststättenG ergibt, ist eine ermessensfehlerfreie Ablehnung regelmäßig nur dann gegeben, wenn Versagungsgründe i.s.v. 4 I GaststättenG bestehen. aa. Versagungsgrund des 4 I 1 Nr. 1 GaststättenG Nach 4 I 1 Nr. 1 GaststättenG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Die erforderliche Zuverlässigkeit ist persönliche Eigenschaft des W. Unzuverlässig ist, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß betreiben wird. 7 Ein Gewerbe wird ordnungsgemäß 6 VGH BW, NVwZ-RR 1991, 64. 7 Metzner, GaststättenG, 6. Auflage 2002, 4 Rn. 10. 4
betrieben, wenn es keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. 8 Zu prüfen ist daher, ob durch das Verhalten des W die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wird. Dem Bereich der öffentlichen Sicherheit gehören die Vorschriften an, die den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen aufrechtzuerhalten bestimmt sind; ferner die dem Schutz einzelner Personen dienenden Vorschriften, soweit der Schutz im öffentlichen Interesse liegt (beispielsweise Schutz der Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, körperliche Unversehrtheit, Ehre und Vermögen). Die öffentliche Ordnung wird verkörpert durch die Gesamtheit der ungeschriebenen Normen, deren Beachtung nach den herrschenden sozial ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird. 9 aaa. W selbst gaststättenrechtlich unzuverlässig? Anhaltspunkte dafür, dass W als Person gaststättenrechtlich unzuverlässig ist, ergeben sich aus dem SV nicht. Zwar kann eine andauernde Verbreitung nazistischen Gedankenguts (durch den Wirt selbst oder unter seiner Duldung in der Gaststätte) strafbar sein, jedenfalls gegen die öffentliche Ordnung verstoßen (vgl. dazu BayVGH vom 10. 12. 1993 GewArch 1994, 239 für den Verkauf von Büchern; ebenso VG Arnsberg vom 23. 12. 1998 GewArch 1999, 247). 10 Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten des W selbst ergeben sich aber aus dem SV nicht. bbb. Zurechnung des Verhalten Dritter? Zu prüfen ist daher, inwieweit die Zuverlässigkeit des W auch im Hinblick auf das Verhalten Dritter zu beurteilen ist. Als personales Erfordernis ist die Zuverlässigkeit des Gaststättenbetreibers grundsätzlich im Hinblick auf dessen Person zu beurteilen. Allerdings trifft den Betreiber einer Gaststätte eine Aufsichtspflicht, wonach er z.b. Ruhestörungen, aber auch Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten durch seine Gäste zu unterbinden hat. Doch zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten der Gäste, gegen die W nicht eingeschritten ist, enthält der SV keine Angaben. Insbesondere liegen keine Propagandadelikte vor. Allein die politische Gesinnung genügt für die Feststellung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht. Gewerberechtliche Maßnahmen dürfen sich nicht gegen die politische Gesinnung und deren Äußerung sowie gegen die 8 Metzner, GaststättenG, 6. Auflage 2002, 4 Rn. 18. 9 Metzner, GaststättenG, 6. Auflage 2002, 4 Rn. 18. 10 Metzner, GaststättenG, 6. Auflage 2002, 4 Rn. 21. 5
Unterstützung nicht verbotener politischer Parteien richten (Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG, Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG). 11 Dass Angehörige der linken Szene die Gaststätte bzw. dort stattfindende Veranstaltungen zum Anlaß für Gegenaktionen genommen haben, hat W nicht zu verantworten. Allein die politische Gesinnung seiner Gäste auch für den Fall, dass W diese teilt, ist weder strafbar noch rechtswidrig. Zudem sind die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des W als Nichtstörers gemäß 9 PolG ohnehin nicht gegeben. In diesem Zusammenhang kann die Behörde sich auch nicht darauf berufen, den braunen Sumpf trockenlegen zu wollen. Die bloße Unerwünschtheit einer bestimmten politischen Gesinnung allein begründet keinen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Darüber hinaus ist ein Rückgriff auf 3, 1 PolG ohnehin ausgeschlossen, weil im Hinblick auf den speziellen Anwendungsbereich des 4 GaststättenG ein Rückgriff auf die allgemeine Ermächtigungsgrundlage ausscheidet (VGH Bad. Württ. ESVGH 32, 240). 3. Anordnungsgrund Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn dem W ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden kann, weil dem Antragsteller wesentliche Nachteile drohen und die Entscheidung in der Hauptsache zu spät käme. Vorliegend würden dem W nicht mehr auszugleichende Nachteile (Verlust der Gäste, Stillstand des Betriebs) entstehen, wenn er erst beim Obsiegen in einem späteren Hauptsacheverfahren zu der von ihm beantragten Erlaubnis käme. Diese Nachteile mögen sie auch den Grad einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung nicht erreichen ermöglichen es hier, von dem grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aus Rechtsschutzgründen abzusehen. Ergebnis: Der Antrag des W ist zulässig und begründet und hat somit Aussicht auf Erfolg. 11 Metzner, GaststättenG, 6. Auflage 2002, 4 Rn. 21. 6