1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, Eingliederungsmanagement, wer hat noch nichts davon gehört!!!! Durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen wurde das 9.Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen zum 01.05.2004 geändert. Das Gesetz misst der innerbetrieblichen Prävention eine zentrale Bedeutung zu. Die Prävention wird durch den neugefassten 84 Abs. 2 SGB IX zu einem wichtigen Instrument der Beschäftigungssicherheit und Beschäftigungsförderung. Das wirklich Neue daran ist, dass die Regelung frühzeitig präventive Handlungsmöglichkeiten für einen erweiterten Personenkreis - und gerade nicht nur für schwerbehinderte Menschen - eröffnet! Denn, obwohl im SGB IX verankert, gilt dieser für alle Beschäftigten! Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des 93, ggf. unter Hinzuziehung der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Personen die Möglichkeit, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Der 84 (2) des SGB IX zielt keineswegs nur auf gesundheitlich eingeschränkte oder behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Die Unternehmen stehen hier in einer Verpflichtung allen Beschäftigten gegenüber. Das BEM erhält mit der demographischen Entwicklung eine neue Dimension: Erkrankungen und Behinderungen nehmen mit dem Älter werden zu. Gleichzeitig nehmen durch Arbeitsintensität, Geschwindigkeit und Unsicherheiten gesundheitliche Belastungen zu - lasst mich hier insbesondere auf die aktuelle Situation in der Zustellung hinweisen - die sich auch auf die Arbeitsunfähigkeit auswirken. Wenn Mitarbeiter noch mit 60 Jahren produktiv sein sollen, sind präventive Ansätze gefragt.
2 Also, der Aufwand lohnt sich. Eine abgestimmte Vorgehensweise in Bezug auf präventive gesundheitliche Maßnahmen macht sich bezahlt. Ganz wichtig dabei ist, dass die Betroffenen spüren, dass alles in einem Rahmen des Vertrauens abläuft! Daher ist es wichtig, den Betroffenen die Angst vor dem betrieblichen Eingliederungsmanagement zu nehmen. Eine Belegschaft wird nur dann von dessen Sinn und Chancen überzeugt werden können, wenn mit Sensibilität, Offenheit und Transparenz vorgegangen wird. Deshalb ist es im ersten Schritt ganz wichtig, alle Beschäftigten über BEM zu informieren und zu sensibilisieren. Dies kann zum Beispiel (wie hier) in Betriebsversammlungen und über die Premium Post geschehen. Natürlich müssen die Führungskräfte sowie die Interessensvertretungen zum BEM geschult werden. Die Bereitschaft zur Mitwirkung muss geweckt werden, es gilt von der Notwendigkeit zu überzeugen. Welche Vorteile bringt das betriebliche Eingliederungsmanagement für unser Unternehmen? Ein erfolgreiches BEM ist Teil der betrieblichen Gesundheitspolitik und fördert die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch geeignete Maßnahmen im Betrieb wieder adäquat eingesetzt werden können, profitieren davon nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Träger der sozialen Sicherung, sondern auch in hohem Maße das Unternehmen. Durch erfolgreiche Eingliederungsbemühungen können u.a. erreicht werden: Eine Verringerung künftiger Fehlzeiten bei den Betroffenen auch bei anderen Beschäftigten - durch z.b. das Erkennen krankmachender Faktoren.
3 Eine erhebliche Kostenersparnis durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen und einer Verringerung der AU-Zeiten. Die frühzeitige Vorbereitung auf den demografischen Wandel. Eine erfolgreiche Stabilisierung der Beschäftigten durch frühzeitiges Erkennen von gesundheitlichen Einschränkungen und der Möglichkeit zur Einleitung entsprechender Maßnahmen. Durch die Inanspruchnahme externer Leistungen (Beratung, Förderleistungen z.b. der Rentenversicherungsträger, Integrationsämter, Krankenkassen, Arbeitsagenturen etc.) Es entsteht eine erhebliche Verbesserung des Betriebsklimas mit positiven Auswirkungen auch auf das Image des Unternehmens. Klar gesagt, BEM fördert Motivation und Zufriedenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Klima des Vertrauens und sichert damit Nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens. Nach außen würde sich unser Unternehmen Deutsche Post AG zudem als fairer und weitblickender Arbeitgeber gegenüber der Belegschaft sowie der gesamten Öffentlichkeit präsentieren. An dieser Stelle sei dem Arbeitgeber auch gesagt, dass er bei Durchführung eines geregelten BEM-Prozesses auch mehr Rechtssicherheit im Falle einer Kündigung hätte. Ganz überwiegend wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass eine krankheitsbedingte Kündigung, die ohne Durchführung eines BEM ausgesprochen wurde, in der Regel unverhältnismäßig und damit sozialwidrig ist. Dies ergibt sich daraus, dass der Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung nur als letztes mögliches Mittel (ultima ratio) zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigung (Vermeidung von Fehlzeiten) zulässig ist. Daher müssen Sie - lieber Arbeitgeber - dem/der Beschäftigten zuvor ein BEM anbieten und im Fall der Zustimmung auch durchführen. Auf dieses Argument kann sich die betroffene Person in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren stützen, wenn eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen wird, ohne dass ein BEM durchgeführt wurde. Daher noch einmal! Sie - lieber Arbeitgeber - sind in der Pflicht!
4 In der Rechtssprechung ist schon seit langem anerkannt, dass ein Arbeitgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung eine Überprüfungspflicht hat, ob der Arbeitsplatz mit zumutbarem Aufwand umgestaltet werden kann oder eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz in Betracht kommt. Das BEM hat zum Ziel die Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses. Stichwort: alternsgerechtes arbeiten. Wir möchten Anerkennen, dass wir bei der Deutschen Post AG einige gute Grundlagen gelegt haben. Ich möchte hier exemplarisch die GBV Gesundheit, die KBV Gesundheitsförderung und die Integrationsvereinbarung nennen! Wo aber liegen die Unterschiede aber auch Schnittstellen zwischen Gesundheitsmanagement und BEM? Gesundheitsmanagement zielt auf die Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit ab, nicht aber auf den Erhalt des Arbeitsplatzes. Interessenvertretungen sind beim GM nicht zwingender Bestandteil des Prozesses. Bei BEM jedoch sehr wohl. GM bietet nur eine innerbetriebliche Lösungssuche. BEM beinhaltet auch ein Nachsorgeelement. GM betrachtet nur betriebsbedingte Gefahren und Ursachen. BEM ist kein Gesundheitsmanagement! Im BEM tritt nicht der Arbeitgeber dem Mitarbeiter entgegen, ein Helferteam lädt ein. Eine Ablehnung durch den Betroffenen ist für diesen problemlos! Wie sieht es in unserem Unternehmen im Umgang mit unseren Vereinbarungen aus? Beispiel: Druck ausüben hilft nicht! Jedenfalls nicht den betroffenen MA. Ziel muss es sein, zusätzlichen Druck zu vermeiden und unterstützend tätig zu sein. Vor diesem Hintergrund können die Gespräche, die der (Wieder-) Eingliederung, der Beschäftigungssicherung und -förderung dienen keine Vorgesetztengespräche sein.
Deshalb sind Mitarbeitergespräche im Rahmen eines BEM auch keine Krankenrückkehrgespräche! Sie dienen nicht der Disziplinierung der Beschäftigten, sondern der Hilfe und Unterstützung, der sinnvoll geplanten und durchgeführten Beschäftigungssicherung und -förderung. Sofern der Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Neuregelung des 84(2) SGB IX womöglich die Chance sehen sollte, auf diesem Wege Krankenrückkehrgespräche mit den gerade in unserem Unternehmen immer wieder praktizierten bekannten Disziplinierungsmaßnahmen einzuführen, stellt sich dies ausdrücklich gegen die Zielrichtung des Gesetzes. In diesem Falle würde aus dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) ein Ausgliederungsmanagement! BEM ist auf den Einzelnen ausgerichtet. BEM ist gesetzlich wesendlich konkreter, als das aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abgeleitete GM. Noch einmal, es geht beim BEM um den Erhalt des Arbeitsplatzes. Es geht darum den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass man in Würde bis zum Rentenalter in Lohn und Brot verbleiben kann! Wie kann das aussehen? Einige Beispiele möchte ich nennen! 5 Stufenweise Wiedereingliederung Prüfen, Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz (dadurch auch mal den Mut haben, einen gesunden Arbeitnehmer umzusetzen, um für den Leistungsgeminderten Platz zu machen)! Verbesserte Arbeitplatzausstattung Arbeitsversuche, Arbeitszeitverringerung Arbeitsaufgabe anpassen Arbeitsbelastung reduzieren Erstellen eines Anforderungsprofils Innerbetriebliche Qualifizierung
6 Fähigkeitsprofil des Beschäftigten erstellen Externe berufliche Qualifizierung anbieten Und noch vieles mehr! Welches Fazit kann nun gezogen werden? Die GBV Gesundheit in Verbindung mit der Integrationsvereinbarung oder die KBV Gesundheitsförderung stellen eindeutig kein betriebliches Eingliederungsmanagement dar! Viele Regelungen der GBV Gesundheit, der Integrationsvereinbarung oder der KBV Gesundheitsförderung streifen jedoch das Begehren des 84(2) SGB IX. Sie gehen jedoch vom Grundgedanken her in völlig verschiedene Richtungen. BEM geht weiter und viel tiefer als die GBV Gesundheit oder die KBV Gesundheitsförderung. BEM stellt einen betrieblichen Suchprozess dar. Innerhalb dieses Prozesses suchen bzw. erarbeiten betriebliche und außerbetriebliche Partner gemeinsam Lösungen im individuellen Einzelfall aber auch in kollektiven Fällen. Die verbesserte Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist hier ein positives Nebenprodukt, jedoch nicht vordergründig im Fokus zu sehen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt des BEM ist die Prävention, vor allem vor dem Hintergrund der auch vom Unternehmen seit geraumer Zeit erkannten Auswirkungen der demografischen Entwicklung der Bevölkerung. Dem zu Folge wird zukünftig die altersgerechte Ausstattung von Arbeitsplätzen eine immer größere Bedeutung haben. Daher ist der Abschluss einer GBV Betriebliches Eingliederungsmanagement in sinnvoller Ausgestaltung und Ergänzung der bestehenden Regelungen und in Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber sieht die Initiative eindeutig beim Arbeitgeber. Sollte der AG trotz bestehender Notwendigkeiten hier jedoch in Untätigkeit verfallen, wie bereits in meinem Vortrag erwähnt, wird dies mittelbar Konsequenzen bei einer möglichen krankheitsbedingten Kündigung haben.
7 Nicht jede Krankheit lässt sich auskurieren, nicht jede Belastung verringern, nicht jeder Arbeitsplatz kann leidens-/oder behindertengerecht gestaltet werden. Bevor man aber zu dieser Erkenntnis kommt, gilt es, alle Instrumente und Möglichkeiten genutzt und ausgeschöpft zu haben! Ich hoffe Euch und Ihnen im Namen des gesamten Teams der Gesamtschwerbehindertenvertretung die Bedeutung des BEM gerade im Zuge des alternsgerechten Arbeitens näher gebracht zu haben. Ich appelliere an den Arbeitgeber, sich der gesetzlichen Verpflichtung nicht zu entziehen. Ich rufe die Betriebsrätinnen und Betriebsräte auf, sich des Themas BEM bewusst zu machen und es als Ihr Thema anzuerkennen. Arbeitgeber und Betriebsräte müssen zu einer für alle nachvollziehbaren, fairen und sauber ausgestalteten eigenständigen Regelung zum BEM gelangen. Lassen Sie uns gemeinsam am Gelingen und dem Erfolg arbeiten.