Theoretische Physik 1 Mechanik

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Transkript:

Technische Universität München Fakultät für Physik Ferienkurs Theoretische Physik 1 Mechanik Skript zu Vorlesung 3: Lagrange-Formalismus, Systeme von Schwingungen gehalten von: Markus Krottenmüller & Markus Perner 29.08.2012

Inhaltsverzeichnis 1 Lagrange-Formalismus 1 1.1 Motivation................................... 1 1.2 Zwangsbedingungen.............................. 1 1.3 Generalisierte Koordinaten.......................... 1 1.4 Lagrange-Funktion und Hamilton sches Prinzip.............. 2 1.5 Euler-Lagrange-Gleichungen......................... 3 1.6 Lagrange-Gleichungen 1. Art......................... 4 1.7 Zyklische Koordinaten............................ 5 1.8 Erhaltungssätze und Noether-Theorem................... 5 2 Systeme von Schwingungen 7 2.1 Lagrange-Funktion und Euler-Lagrange-Gleichung............. 7 2.2 Eigenschwingungen und Eigenfrequenzen.................. 8 2.3 Normalkoordinaten und Normalschwingungen............... 8 2.4 Beispiel: Elementarer Kettenschwinger................... 9 Abbildungsverzeichnis 1 Kettenschwinger................................ 9

1 Lagrange-Formalismus 1.1 Motivation In der Newton schen Mechanik konnte ein Teilchen sich durch den ganzen Raum bewegen. In vielen realen Fällen ist dies jedoch nicht möglich und Bewegungen sind eingeschränkt. Deshalb brauchen wir einen neuen Zugang um solche Probleme zu lösen. 1.2 Zwangsbedingungen Die sogenannten Freiheitsgrade sind Parameter des Systems, deren Anzahl festlegt, wie viele unabhängige Größen man angeben muss, um das System zu charakterisieren. Freie Massenpunkte haben jeweils drei Freiheitsgrade in der Bewegung. Es gibt jedoch Systeme, wo die Bewegung der verschiedenen Massen einigen Nebenbedingungen unterliegt, welche die Freiheitsgrade einschränken. Diese Nebenbedingungen heißen Zwangsbedingungen und verursachen Zwangskräfte auf die Massen. Eine holonome Zwangsbedingung in einem System von N Teilchen ist diejenige, die man durch eine Funktion der folgenden Form schreiben kann: f k ( r 1,..., r n ; t) = 0, k = 1,..., p (1) Ein Beispiel hierfür ist eine Masse, die sich nur auf einer bestimmten Höhe c bewegen kann (z c = 0), oder zwei Massen die durch eine Stange auf einem festen Abstand d zueinander gehalten werden ( r 1 r 2 d = 0). Wir werden es quasi immer mit holonomen Zwangsbedingungen zu tun haben! Holonome Zwangsbedingungen, die explizit von der Zeit abhängen heißen rheonom, zeitunabhängige holonome Zwangsbedingungen nennt man dagegen skleronom. Nicht-holonome Zwangsbedingungen sind solche, die von der Geschwindigkeit der Massen abhängen, oder die nur in Form einer Ungleichung geschrieben werden können, z.b. bei einem Teilchen, das sich nur innerhalb eines Kugelvolumens mit Radius R bewegen kann ( r R 0). Jede holonome Zwangsbedingung reduziert die Anzahl der Freiheitsgrade jeweils um 1. Bei einem System von N Teilchen mit 3N Koordinaten r 1,..., r N und p Zwangsbedingungen haben wir somit s = 3N p unabhängige Freiheitsgrade. Zwangsbedingungen erzeugen außerdem Zwangskräfte (z.b. Auflagekräfte, Fadenspannungen, etc.). 1.3 Generalisierte Koordinaten Um mechanische Systeme zu beschreiben, ist es oft notwendig, sich von den üblichen kartesischen Koordinaten zu verabschieden, und sogenannte generalisierte Koordinaten 1 / 10

q i zu verwenden, die nicht die Dimension einer Länge haben müssen. Die zeitliche Änderung dieser Koordinaten q i bezeichnet man als generalisierte Geschwindigkeiten. Kennt man zu jedem Zeitpunkt gleichzeitig jede Koordinate und ihre Geschwindigkeit, so ist das System vollständig beschrieben. Grundsätzlich hat man genauso viele unabhängige Koordinaten wie Freiheitsgrade, egal wie sie gewählt sind. Es gibt immer eine Transformation zwischen den kartesischen und den generalisierten Koordinaten: r 1 = r 1 (q 1,..., q s ). (2) r N = r N (q 1,..., q s ) wobei s die Anzahl der unabhängigen Freiheitsgrade ist. Als Beispiel betrachten wir das einfache Fadenpendel mit der Koordinate r = (x, y) T : x(ϕ) = l cos ϕ, y(ϕ) = l sin ϕ. Die generalisierte Koordinate ist also q = ϕ. 1.4 Lagrange-Funktion und Hamilton sches Prinzip Unter Einbeziehung von Zwangsbedingungen können wir ein Potential als Funktion der generalisierten Koordinaten darstellen, wobei wir uns hier auf konservative Systeme beschränken werden U(q i, q i ; t) = U(q i ). Es lässt sich zeigen, dass sich die kinetische Energie, ausgedrückt in generalisierten Koordinaten, in der Form T = T (q i, q i ) darstellen lässt. Die Dynamik eines mechanischen System ist bestimmt durch die zeitliche Änderung der q i (t) und q i (t) für alle i = 1,..., s. Die Gesamtheit aller q i (t), abgekürt q(t) = {q 1 (t),..., q s (t)} heißt Konfiguration. Wir definieren nun die Lagrange-Funktion: L(q, q; t) := T (q, q; t) U(q, q; t) bzw. L(q, q) := T (q, q) U(q). (3) Außerdem definieren die Wirkung: S[q] = L(q, q; t) dt (4) Die Wirkung ist ein Funktional ( Funktion einer Funktion) der generalisierten Koordinaten q(t), wobei jedem q(t) eine Zahl zugeordnet wird. 2 / 10

Das Hamilton sche Prinzip (o.a. Wirkungsprinzip) besagt nun: Zu zwei Zeiten, t 2 > nehme ein mechanisches System die Konfiguration q (1) = q( ) und q (2) = q(t 2 ) ein. Die Bewegung von q (1) nach q (2) erfolgt nun so, dass die Wirkung S zwischen und t 2 einen stationären Wert (Extremwert) annimmt. Mathematisch ausgedrückt, bedeutet das, dass die erste Variation der Wirkung verschwinden muss: δs = 0. Dies ist ein Problem der Variationsrechnung zur Bestimmung der Bahn q(t). Man bestimmt unter allen möglichen Pfaden den Weg q(t) so, dass die Wirkung S extremal wird. 1.5 Euler-Lagrange-Gleichungen Wir wollen nun das Minimum des Wirkungsfunktionals S berechnen: Sei q 0 (t) der minimierende Pfad. Es lassen sich nun alle erdenklichen infinitesimal benachbarten Pfade q(t) in der Form q(t) = q 0 (t) + η q(t) = q 0 (t) + δq 0, η R darstellen, wobei die q(t) beliebige, stetig differenzierbare Pfade sind, die lediglich die Randbedingungen q( ) = q(t 2 ) = 0 erfüllen müssen. Durch die Einführung des Kontrollparameters η können wir S als eindimensionale Funktion bezüglich η betrachten, da sowohl q 0 als auch q zwar beliebige aber feste Funktionen sind: S(η) = L(q(t), q(t); t) dt = L(q 0 (t) + η q(t), q 0 (t) + η q(t); t) dt. Damit haben wir das Variationsproblem auf ein Minimierungsproblem zurückgeführt. Wir wissen nun, dass S(η) für η = 0 ein Minimum besitzt, da dann laut Definition gerade q(t) = q 0 (t) gilt, was ja der minimierende Pfad ist. Wir gehen nun von der Bedingung des Minimums aus: δs[q] = 0 d dη S(η) η=0 = 0 d L(q 0 (t) + η q(t), q 0 (t) + η q(t); t) dt dη d [ L(q0 (t) + η q(t), q 0 (t) + η q(t); t) ] dη dt η=0 η=0 = 0 3 / 10

Kettenregel part. Int. q L(q 0(t), q 0 (t); t) L(q 0, q 0 ; t) q ( L(q0, q 0 ; t) d q dt η q(t) + q L(q 0(t), q 0 (t); t) }{{} = q(t) q(t) dt + L(q 0, q 0 ; t) q(t) t 2 q t }{{} 1 =0 wegen q( )= q(t 2 )=0 ) L(q 0, q 0 ; t) q q(t) dt = 0 η q(t) dt = 0 }{{} = q(t) d L(q 0, q 0 ; t) q(t) dt = 0 dt q Da q(t) beliebig gewählt werden kann, muss der Klammerterm im Integral null sein. Das heißt die minimierende Funktion q 0 (t) ist die Lösung der sog. Euler-Lagrange- Gleichung (o.a. Lagrange-Gleichung 2. Art) L d L = 0 (5) q i dt q i Bemerkungen: Da wir annehmen, dass die Funktionen q(t) an den Grenzen des Intervalls (, t 2 ) nicht variiert werden, können wir die Variation mit der Integration vertauschen. Die obige Herleitung funktioniert nur, wenn L und q stetig differenzierbar sind. Das setzten wir an dieser Stelle voraus. Der letzte Schritt benutzt das sog. Lemma von Du Bois-Raymond. Die Aussage ist anschaulich nachvollziehbar und soll ohne Beweis benutzt werden. Da alle benutzen mathematischen Gesetze auch analog für Funktionen mehrerer Veränderlicher gelten, ist die Herleitung auch in ähnlicher Form für mehrdimensionale Bewegungen gültig. 1.6 Lagrange-Gleichungen 1. Art Ein System mit p Zwangsbedingungen wurde mit s = 3N p Koordinaten vollständig beschrieben, vorausgesetzt, sie haben die p Zwangsbedingungen automatisch erfüllt und waren unabhängig voneinander. Dies soll jetzt bewusst nicht mehr so sein. Ein System von N Massenpunkten mit 3N kartesischen Koordinaten x = (x 1,..., x 3N ) besitzt die Lagrange-Funktion L(x, ẋ; t) = 1 2 3N i=1 m i ẋ 2 i U(x 1,..., x 3N ; t). 4 / 10

Das System unterliege p Zwangsbedingungen f k (x, t) = f k (x 1,..., x 3N ; t) = 0, k = 1,..., p. Dann führt das Prinzip der stationären Wirkung für die veränderte Lagrange-Funktion p L(x, ẋ; t) = L(x, ẋ; t) + λ k f k (x, t) mit den Lagrange-Multiplikatoren λ k auf die Lagrange-Gleichungen 1. Art: k=1 d L L = dt ẋ i x i p k=1 λ k f k x i = Z i (6) Löst man die Bewegungsgleichungen und eliminiert die λ k lassen sich daraus die Zwangskräfte Z i bestimmen. 1.7 Zyklische Koordinaten Eine generalisierte Koordinate q k heißt zyklisch wenn sie nicht in der Lagrange-Funktion auftritt, also L q k = 0 gilt. Somit ist der generalisierte (kanonisch konjugierte) Impuls p k := L q k (7) eine Erhaltungsgröße, denn aus der Euler-Lagrange-Gleichung folgt d L = L = d dt q k q k dt p k = 0. 1.8 Erhaltungssätze und Noether-Theorem Unter Symmetrien der Lagrange-Funktion versteht man eine Invarianz von L unter Symmetrie-Transformationen (Rotationen, Translationen, etc.). Man kann zeigen, dass aus diesen Symmetrien Erhaltungssätze (Drehimpulssatz, Impulssatz, etc.) folgen: Homogenität des Raumes: Ist die Lagrange-Funktion invariant unter Translationen r i r i + a mit einem beliebigen konstanten Vektor a L( r i + a, r i ; t) = L( r i, r i ; t) so gilt in diesem System die Impulserhaltung. 5 / 10

Homogenität der Zeit: Ist die Lagrange-Funktion invariant unter Zeittranslationen t t + τ mit einer beliebigen konstanten zeitlichen Verschiebung vom Betrag τ R L(q, q; t + τ) = L(q, q; t) L t = 0 so gilt in diesem System die Energieerhaltung. Isotropie des Raumes: Ist die Lagrange-Funktion invariant unter Drehungen um eine beliebige Raumachse n gekennzeichnet durch den Einheitsvektor n und den infinitesimalen Drehwinkel ϕ mit ϕ = ϕ n L( r i + r i, r i + r i ; t) = L( r i, r i ; t), wobei r = ϕ r und r = ϕ r, so gilt in diesem System die Drehimpulserhaltung. Die soeben gezeigten Zusammenhänge zwischen Raum-Zeit-Symmetrien und Erhaltungssätzen sind Teil des Noether-Theorems: Jeder Symmetrie der Lagrange-Funktion (bzw. des Wirkungsintegrals), d.h. jeder Invarianz von L unter einer stetigen Symmetrie-Transformation, entspricht ein Erhaltungssatz: Homogenität des Raumes Impulserhaltung Homogenität der Zeit Energieerhaltung Isotropie des Raumes Drehimpulserhaltung Zur Ermittlung der Bewegungsgleichung einer Koordinaten q i geht man also folgendermaßen vor: 1. Zwangsbedingungen formulieren und generalisierte Koordinaten q i festlegen. 2. Potentielle U und kinetische Energie T des gesamten Systems berechnen und als Funktion der q i und q i angeben. 3. Lagrange-Funktion L = T U aufstellen, auf zyklische Koordinate überprüfen und ggf. Erhaltungsgrößen bestimmen. 4. Lagrange-Funktion einmal nach q i und einmal nach q i differenzieren und die Ableitungen in die Euler-Lagrange-Gleichung einsetzen. 5. Den Vorgang für alle anderen Koordinaten wiederholen, um für jede ihre eigene Bewegungsgleichung zu bestimmen. Evtl. Erhaltungsgrößen verwenden um die Bewegungsgleichungen zu vereinfachen. Für viele Aufgabenstellungen reicht die Aufstellung der Bewegungsgleichung aus, denn oft sind diese gar nicht analytisch lösbar. Man muss also schauen, ob nur die Bewegungsgleichung gefragt ist, oder auch die explizite Lösung. 6 / 10

2 Systeme von Schwingungen 2.1 Lagrange-Funktion und Euler-Lagrange-Gleichung In der Nähe von stabilen Gleichgewichtspunkten x 0 können mechanische Systeme Schwingungen durchführen. An solchen Gleichgewichtspunkten ist das Potential U stationär, daraus folgt insbesondere, dass der Gradient verschwindet (es wirkt ja keine Kraft auf das System). Für kleine Auslenkungen q = x x 0 liefert eine Taylor-Entwicklung U( q ) = U( x 0 ) + U( x }{{} 0 ) ( x x 0 ) + 1 }{{} 2 ( x x 0) T ˆK( x x0 )+O(( x x 0 ) 3 ) U 0 + 1 2 q T ˆK q, :=U 0 =0 wobei ˆK die Hesse-Matrix von U am Punkt x0 bezeichnet, welche selbstverständlich symmetrisch und am stabilen Gleichgewichtspunkt (Minimum des Potentials) positiv definit ist. Da sich die kinetische Energie allgemein in der Form T = 1 2 q T ˆM q, mit der ebenfalls symmetrisch positiv definiten Massenmatrix ˆM, schreiben lässt, erhalten wir die Lagrange-Funktion L( q, q ) = 1 2 q T 1 ˆM q 2 q T 1 ˆK q = 2 m ij q i q j k ij q i q j mit ˆM = (mij ) und ˆK = (k ij ), wobei wir den konstanten Term U 0 vernachlässigen konnten. Für die i-te Komponente gilt damit d L = d m ij q j = dt q i dt j j L = q i j i,j ( ) m ij q j = ˆM q ( ) k ij q j = ˆK q i Damit kommen wir insgesamt auf die Euler-Lagrange-Gleichung in Matrixform i ˆM q + ˆK q = 0, (8) die ein System von gekoppelten Differentialgleichungen 2. Ordnung darstellt. Formal entspricht sie aber der Bewegungsgleichung eines eindimensionalen ungedämpften harmonischen Oszillators. 7 / 10

2.2 Eigenschwingungen und Eigenfrequenzen Zur Lösung eines solchen linearen Differentialgleichungssystems stehen mehrere Methoden zur Verfügung. Eine Möglichkeit ist der Ansatz q (t) = e i ωt C mit einem konstanten Amplitudenvektor C 0. Eingesetzt in die Euler-Lagrange- Gleichung folgt daraus ω 2 e i ωt ˆM C + e i ωt ˆK C = 0 ( ˆK ω 2 ˆM) C = 0. Da C per Definition nicht der Nullvektor ist, kann die Matrix ˆK ω 2 ˆM nicht invertierbar sein und ihre Determinante muss daher verschwinden: det( ˆK ω 2 ˆM) = 0. (9) Dieses Polynom in ω 2 ist die sog. charakteristische Gleichung zur Bestimmung von ω 2. Die Lösungen ω k heißen Eigenfrequenzen des Systems. Die dazugehörigen Eigenvektoren C (k) der Schwingung erhält man durch Lösung der Gleichungen ( ˆK ω 2 k ˆM) C (k) = 0. (10) Die normierten C (k), k = 1,..., i heißen Eigenschwingungen des Systems. Die allgemeine Lösung ist die Linearkombination aller partikulären Lösungen zu de einzelnen Eigenfrequenzen. 2.3 Normalkoordinaten und Normalschwingungen Da im Allgemeinen die Eigenschwingungen keine Orthonormalbasis bilden, führen wir nun eine Koordinatentransformation q (t) = ( C (1),..., C (i) ) Q(t) durch, wobei die Q k (t) die sog. Normalkoordinaten sind. Dadurch werden die Matrizen ˆK und ˆM gleichzeitig diagonalisiert und die Lagrange-Funktion lässt sich in der Form L = 1 2 k Q 2 k ω 2 i Q 2 k 8 / 10

darstellen. Dies ist eine Funktion von unabhängigen harmonischen Oszillatoren mit den Bewegungsgleichungen Q k (t) + ω 2 kq k (t) = 0 bzw. Q(t) + diag(ω 1,..., ω i ) Q(t). Die Normalschwingungen sind dann Q k (t) = Re { A k e i ω kt } mit den Eigenfrequenzen ω k und komplexen Amplituden A k. In den meisten Aufgaben wird die Berechnung der Normalschwingungen jedoch nicht verlangt. Zur Ermittlung der Lösung für Schwingungsaufgaben geht man also wie folgt vor: 1. Aufstellen der Euler-Lagrange-Gleichung in Matrixform. 2. Eigenfrequenzen ω i aus det( ˆK ω 2 ˆM) = 0 berechnen. 3. Zugehörige Eigenvektoren C i aus ( ˆK ωi 2 ˆM) C i = 0 berechnen (z.b. mit Gauß- Eliminations-Verfahren). 4. Interpretation der Eigenschwingungen. 5. Bestimmung der Normalschwingungen. 2.4 Beispiel: Elementarer Kettenschwinger Zwei gleiche Massen m, die sich auf einer Geraden bewegen können, sind durch drei ebenfalls gleiche Federn mit Federkonstante k miteinander und jeweils mit einer Wand verbunden. Berechnen Sie die Eigenschwingungen des Systems und interpretieren Sie diese. k k k m m Abb. 1: Kettenschwinger 1. Aufstellen der Euler-Lagrange-Gleichung in Matrixform: Dazu müssen wir zunächst die Lagrange-Funktion bestimmen. Als generalisierte Koordinaten x 1 und x 2 nehmen wir jeweils die Auslenkungen der Massen aus ihren Ruhelagen. Für die Energien gilt dann T = 1 2 m(ẋ2 1 + ẋ 2 2) = 1 ( ) 2 x m 0 T x 0 m U = 1 2 kx2 1 + 1 2 k(x 2 x 1 ) 2 + 1 2 kx2 2 = 1 ( 2k k 2 x T k 2k ) x Wie wir bereits gezeigt haben lautet die Euler-Lagrange-Gleichung dann ( ) ( ) m 0 2k k x + x = 0. 0 m k 2k 9 / 10

2. Berechnung der Eigenfrequenzen: 0 = det( ˆK ω 2 ˆM) = det( ˆK ω 2 mê) = 2k ω 2 m k k 2k ω 2 m = (2k ω 2 m) 2 k 2 = 4k 2 4kmω 2 + m 2 ω 4 k 2 = m 2 ω 4 4kmω 2 + 3k 2 ( = m 2 ω 4 4 k ) ( m ω2 + 3 k2 = m 2 ω 2 k ) ( ω 2 3 k ) m 2 m m Damit erhalten wir die Lösungen ω 2 1 = k m =: ω2 0 und ω 2 2 = 3 k m = 3ω2 0. 3. Berechnung der (normierten) Eigenvektoren: ( ) ( ˆK ω1 2 ˆM) C 1 = ( ˆK kê) C 1 1 1 = k 1 1 ( ) ( ˆK ω2 2 ˆM) C 2 = ( ˆK 3kÊ) C 1 1 2 = k 1 1 4. Interpretation der Eigenschwingungen: C 1 = 0 = C 1 = 1 ( ) 1 2 1 C 2 = 0 = C 2 = 1 ( ) 1 2 1 Die erste Eigenschwingungen, beschrieben durch v 1, stellt eine gleichphasige Schwingung beider Massen dar. Die zweite Eigenschwingung, beschrieben durch v 2, stellt eine gegenphasige Schwingung beider Massen dar. Beide Massen erhalten die selbe Amplitude. Die Gesamtschwingung ist die Mischung beider Moden unter einem gewissen Mischungsverhältnis, abhängig von der anfänglichen Anregung. 5. Bestimmung der Normalschwingungen: Wir führen zunächst die Koordinatentransformation durch ( ) x1 = 1 ( ) ( ) { 1 1 Q1 x 1 = 1 = (Q 2 1 + Q 2 ) x 2 2 1 1 Q 2 x 2 = 1(Q 2 1 Q 2 ) Einsetzen in die Euler-Lagrange-Gleichung liefert 1 2 m Q 1 + 1 2 m Q 2 + 1 2 kq 1 + 3 2 Q 2 = 0 1 2 m Q 1 1 2 m Q 2 + 1 2 kq 1 3 2 Q 2 = 0 Einmal Addition und einmal Subtraktion beider Gleichungen mit anschließender Division durch m liefert dann gerade die entkoppelten Bewegungsgleichungen mit den zuvor berechneten Eigenfrequenzen ω 2 1 = ω 2 0 und ω 2 2 = 3ω 2 0. Q 1 + ω 2 1Q 1 = 0 Q 2 + ω 2 2Q 2 = 0 10 / 10