Care Work als Zukunftsbranche die ökonomische und soziale Bedeutung von Sorge- und Pflegearbeiten

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Transkript:

Yalcin Kutlu Friedrich-Schiller-Universität Jena die ökonomische und soziale Bedeutung von Sorge- und Pflegearbeiten Ver.di -Tagung Pflegearbeit aufwerten, Stuttgart, 22.10.2016 Ver.di-Bezirksfrauenrat, ver.di-landesbezirksfrauenrat BW

Gliederung I. Bedeutungszuwachs von Sorge- und Pflegearbeiten II. Ursachen für den gestiegenen Bedarf an Sorge- und Pflegearbeiten III. Sorge- und Pflegearbeit als systemrelevante Dienstleistungen

These: Das Gewicht zwischen den Branchen verschiebt sich gemessen an Beschäftigungsverhältnissen. In Relation zum produzierenden Gewerbe nimmt das Gewicht des beschäftigungsintensiven Sektors mit bezahlten Sorge- und Pflegearbeiten zu. => Wachsender Anteil der Sozial- und Gesundheitsberufe an der Gesamtbeschäftigung.

Bsp.: In den Bereichen Altenpflege, Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe sind ebenso viele Menschen tätig wie im Maschinen- und Fahrzeugbau, dem industriellen Herzstück der deutschen Wirtschaft (Destatis 2013, S. 93ff.; Deutsche Bank 2013). Mit weitem Abstand sind die beiden kirchlichen Träger Caritas und Diakonie die größten Arbeitgeber Deutschlands. Allein in der Caritas arbeiten 600000 Menschen, was der weltweiten Beschäftigtenzahl des größten deutschen Konzerns, der Volkswagen AG entspricht.

Häusliche Dienste (2,2 %) Yalcin Kutlu M.A. I. Bedeutungszuwachs der Branche In der Care Debatte wird darauf verwiesen, welche hohe ökonomische Bedeutung dem Bereich der Care Arbeit zukommt. Allerdings fehlt dazu nach wie vor umfassendes und differenziertes statistisches Material. Daten für das Jahr 2010: Beschäftigtenzahlen (Statistisches Bundesamt 2013: 343) 19,0 % aller Erwerbstätigen Gesundheits- und Sozialwesen (10,6 %), Erziehung und Unterricht (6,2 %)

I. Bedeutungszuwachs der Branche Arbeitsstunden: (nach Winker 2015) bezahlte Care Arbeit 9 Mrd. Stunden übrige Wirtschaftsbereiche (Landwirtschaft, Güterproduktion, nicht personenbezogene Dienstleistungen) 47 Mrd. Stunden ==> 19,15 % der gesamten bezahlten Arbeitszeit entfallen auf Care Arbeit

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Verschiebung des Gewichts zwischen den Branchen

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Entwicklung der sv-beschäftigten im Vergleich

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Pflege

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Pflege Aktualisierung der Zahlen bis 2013: Ambulante Dienste: 1999: 184 000 2011: 291 000 2013: 320 000 Pflegeheime: 1999: 441 000 2011: 661 000 2013: 685 000 Beschäftigte ==> Pflegeheim Rating Report 2013: bis zu 371.000 zusätzliche stationäre Pflegeplätze bis 2030 erwartet (vgl. Augurzky u. a. 2013).

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Pflege

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Pflege

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Kinderbetreuung

I. Bedeutungszuwachs der Branche: Bsp. Kinderbetreuung

II. Ursachen für den gestiegenen Bedarf an bezahlter Sorge- und Pflegearbeit Moderne Familien- und Lebensformen: Pluralisierung von Lebensformen (Alleinerziehende, Patchwork Familien etc.) Wenn keine anderen Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn diese Sorgearbeiten unbezahlt übernehmen können => Delegation an Marktsektor, öffentlichen oder Dritten Sektor

II. Ursachen für den gestiegenen Bedarf an bezahlter Sorge- und Pflegearbeit Demographischer Wandel: Seit den 1970er Jahren sinken in Deutschland die Geburtenziffern bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung, was zu einer deutlichen Altersstrukturverschiebung innerhalb der Bevölkerung führt. Waren im Jahr 1990 noch 20% der Bevölkerung älter als 59 Jahre, so beträgt der Anteil der Altersgruppe 60+ aktuell rund 28% und wird bis zum Jahr 2030 vorrausichtlich auf 35% anwachsen (Statistisches Bundesamt 2015: 83). Während die Renteneintritte kontinuierlich zunehmen, sinkt die Anzahl an potentiell pflegenden Angehörigen. Das Wachstum von professionellen

II. Ursachen für den gestiegenen Bedarf an bezahlter Sorge- und Pflegearbeit Gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen: seit den 1960er Jahren kontinuierlich erhöht zwischen 1960 und 2014 ist die Erwerbstätigenquote der Frauen in den alten Bundesländern von 47% auf 69% angewachsen ein Wert der nahezu dem ostdeutschen Durchschnitt von 71% entspricht Einerseits ermöglichen Betreuungsangebote für Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen die Erwerbsbeteiligung, indem sie Frauen zumindest partiell von häuslicher Fürsorgearbeit entlasten. Andererseits sind Sorge- und Pflegearbeiten ein stark weiblich geprägter Beschäftigungssektor

III. Systemrelevante Dienstleistungen Unterstützung der Entwicklung, Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von intellektuellen, körperlichen und emotionalen Fähigkeiten einer Person (vgl. England/ Folbre 2003, England 2005) es handelt sich bei Sorgearbeit um Leben erhaltende, lebensnotwendige Tätigkeiten, ohne die Gesellschaften nicht existenzfähig wären und wirtschaftliches Wachstum unmöglich wäre (Madörin 2006: 283). Sorgearbeiten als Voraussetzung jeder wirtschaftlichen Tätigkeit!

III. Systemrelevante Dienstleistungen Flexibilisierung der Erwerbsverhältnisse ==> Anspruchsnahme von mehr bezahlter Sorgearbeit Stärkung der Regionalwirtschaft Beschäftigungsmotor und wichtiger Faktor zur Stabilisierung von Arbeitsplätzen

III. Systemrelevante Dienstleistungen Sorgearbeiten leisten in der frühkindlichen Förderung, der Kinderund Jugendhilfe, der Pflege alter Menschen, der Betreuung von Menschen mit Behinderungen und der Beratung von Menschen in Notlagen einen wichtigen Beitrag für ein menschliches und soziales Zusammenleben Sorgearbeiten bestimmen die Lebensqualität => Schutz von Hilfsbedürftigen, Chancengerechtigkeit, Inklusion, Teilhabe an Bildung und gesellschaftlichem Leben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinder- und Familienfreundlichkeit oder Altern in Würde

III. Systemrelevante Dienstleistungen soziale Infrastruktur der Lebensbewältigung (Hering 2012: 128) => Soziale Dienste kompensieren die Erosion traditioneller Lebenszusammenhänge und fungieren als Mittler zwischen Individuum und Gesellschaft

Neue Arbeitskämpfe Das war s! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! yalcin.kutlu@uni-jena.de