Ist kostenloser Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) eine Utopie?

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Transkript:

Ist kostenloser Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) eine Utopie? 08.02.2018

Inhalt Kostenloser ÖPNV 1. Begriff 2. Funktionsweise und Finanzierung des ÖPNV 3. Umsetzung und Beispiele für ÖPNV zum Nulltarif 4. Fazit

1. Begriff Kostenloser ÖPNV was ist gemeint? Teilweise oder vollständige kostenlose Nutzung des ÖPNV für die Gesamtheit der Nutzer oder für bestimmte Nutzergruppen. Was ist folglich nicht gemeint: ticketloser ÖPNV: Fahren mit elektronischem Fahrschein (e-ticketing) Schwarzfahren Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrschein (Erschleichen von Leistungen 265a StGB; Schätzung: 3%, ca. 250 Mio. Euro Einnahmeausfall!)

2. Funktionsweise und Finanzierung des ÖPNV - Normalfall (vereinfacht) - Sonstige Einnahmen Besteller Bund > Länder > Kommunen/Städte Aufgabenträger des ÖPNV Verkehrsunternehmen Bestellerentgelt Ersteller Fahrgeldeinnahmen Fahrgäste des ÖPNV

Kostenseite im ÖPNV: im ÖPNV sind Kosten u.a. bestimmt durch Vorgabe der Betriebspflicht Fahrplanpflicht Investitionen in Fahrzeug Wartung der Fahrzeuge Personal Infrastruktur (Haltestellen ) Beförderungs -pflicht Tarifpflicht der Betrieb des ÖPNV ist sehr ressourcenintensiv und damit auch kostenintensiv

Einnahmenseite im ÖPNV Einnahmen am Beispiel der Berliner Verkehrsbetriebe für das Jahr 2012 Einnahmen der BVG Fahrgelderträge 1,53 Ersatz von Einnahmeausfällen 27,55 Werbung 1,16 Ausgleichszahlungen Einnahmeausfälle gemäß Verkehrsvertrag 10,34 Fahrgeld 59,42 sonstiges Quelle: BVG Geschäftsbericht 2012 ÖPNV definiert sich über den Kostendeckungsgrad!

Kostendeckungsgrade sind im ÖPNV unterschiedlich! ÖPNV deckt i.d.r. seine Kosten nicht! Gegenüberstellung der Fahrgasterlöse und der Gesamtkosten Kostendeckungsgrad liegt zwischen 40% und 50% Je nach Stadtstruktur und verkehrlichem Angebot (Bus, Straßenbahn etc.) können auch Kostendeckungsgrade auftreten, die auch um die 10% liegen können! Beitrag der Fahrgäste ist dann de facto gering Kostenlosen ÖPNV einführen?! SINNVOLL?

3. Umsetzung und Beispiele für kostenlosen ÖPNV - Fall kostenloser ÖPNV - Besteller Bund > Länder > Kommunen/Städte Aufgabenträger des ÖPNV Sonstige Einnahmen Ersteller Fahrgäste des ÖPNV Verkehrsunternehmen Bestellerentgelt Fahrgeldeinnahmen

Städte mit ÖPNV- Nulltarif Quelle: http://freepublictransports.com/city/ Stand: 01/2016

Kostenloser ÖPNV am Bsp. Hasselt (Belgien): Ausgangssituation: vier Buslinien, 8 Busse 84 Fahrten / Tag ca. 1.000 Fahrgäste / Tag 360.000 Fgst. (1996) Kostendeckungsgrad: 9 % Defizit ca. 300.000 p.a. finanzielle Schieflage 72,7 Mio. Baukosten für dritten Innenstadtring Provinz Limburg Fläche 102,90 km² 74.588 Einwohner 40.000 Studenten Maßnahmen 1. Juli 1997: elf Buslinien, 46 Busse 480 Fahrten / Tag 2.000 Fgst. / Tag (2008) 1,5 Mio. Fgst. / Jahr 1997 4,5 Mio. Fgst. / Jahr 2008 Kostendeckungsgrad:? % Defizit ca. 1,8 Mio. p.a. Parkraumbeschränkung Rückbau von Straßen 10

Ergebnis des kostenlosen ÖPNV in Hasselt (1997-2013): Einführung des kostenlosen ÖPNV ging mit deutlicher Angebotsausweitung einher Verkehrsbelastung in Hasselt ist deutlich gesunken, zwei Shuttle-Linien zu Parkplätzen Umsteiger vom MIV 22,8 %, Radverkehr / Fußgänger 32,3 % Bezuschussung durch Stadt Hasselt / Land Flandern Bevölkerungszuwachs, Schaffung neuer Arbeitsplätze (Anzahl der Arbeitsplätze verdreifacht!) Kürzeste Taktfolge: 5 min. / längste Taktfolge: 60 min. Seit 1. Mai 2013 kein kostenloser ÖPNV mehr, Einzelfahrkarte in Hasselt 60 Cent (ausgenommen sind Kinder/Jugendliche < 19 Jahren, Rentner) Defizit für das Jahr 2013 im Busbetrieb: 2,8 Mio.

ÖPNV zum Nulltarif Ein Modell für große Städte? meist hoher Kostendeckungsgrad: Berlin: 76% (2007, ohne Zuschüsse) Hamburg: 88,7% (2010) Dresden: 77,6% (2010) Braunschweig: 71% (2010) Kapazitätsgrenzen während der HVZ häufig schon erreicht bereits hoher ÖPNV-Anteil (Berlin: 26%, München: 21%) Taktverdichtung nur sehr schwer möglich Ausbau kostenintensiver Systeme (S-/U -Bahn) teuer und nur langfristig möglich

Beispiel Tallinn kostenloser ÖPNV in einer Großstadt

Welche Strukturen sind geeignet für einen Null-Tarif ÖPNV? geringe Auslastung des ÖPNV-Systems geringer Kostendeckungsgrad freie Kapazitäten, auch in den Spitzenstunden reines Bussystem (da kostengünstig ausbaubar) breite politische Unterstützung und flankierende Maßnahmen für den ruhenden und fließenden Pkw-Verkehr Verkehrliches Gesamtkonzept erforderlich Zusatzeinnahmen bzw. Kosteneinsparungen (im Straßenbau) für die Kommune

Weitere Formen des fahrscheinlosen ÖPNV Nulltarif als Schnupperangebot (Tübingen macht blau, autofreie Sonntage, Paten-Ticket ) Beitragsfinanzierter Nulltarif (touristische Angebote, Semesterticket ) Steuerfinanzierter Nulltarif (Templin, Lübben, Hasselt )

4. Fazit Kostenloser ÖPNV ist nur bei bestimmten Strukturen sinnvoll. Gesamtwirtschaftliche Nutzeneffekte sind in die Betrachtung einzubeziehen (Umwelt, Unfälle ) und Gegenfinanzierungen Für Nutzer kostenfreier ÖPNV ist nicht kostenlos! Für die Verkehrsmittelwahl der Kunden ist der Preis nur EINES der Entscheidungskriterien Ggf. Ist es sinnvoller, das ÖPNV-Angebot zu verbessern anstatt die Nutzung des ÖPNV kostenlos zu machen und im Gegenzug die Kosten der Autonutzung stärker sichtbar zu machen.

Für Rückfragen und Informationen: Homepage: www.ostfalia.de/ifvm E-Mail: d-g.trost@ostfalia.de Telefon: 05341 / 875 51580 Vielen Dank!