Schmerzdefinition. Bio - psycho - soziales Schmerzmodell. Chronifizierungsmechanismen
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- Günther Straub
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1 Schmerzdefinition Bio - psycho - soziales Schmerzmodell Chronifizierungsmechanismen Susanne Eder Klinikum Nürnberg
2 Schmerz ist das, was immer ein Patient darunter versteht und Schmerz ist vorhanden, wann immer ein Patient ihn wahrnimmt. (McCaffery M. 1968)
3 Schmerzdefinition Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist, oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. IASP (Mersky)1986
4 Wandel des Schmerzverständnisses Rene Descartes 1640:...Schmerz als unidirektionales, nozizeptives Reiz- Reaktionsmuster...
5 Wandel des Schmerzverständnisses Freud 1895: Schmerzen können auch im Rahmen psychischer Erkrankungen ( hysterischer Neurosen ) ohne organisches Korrelat auftreten. G. E. Engel 1959: Schmerzerleben setzt Bewusstsein und Aufmerksamkeit voraus und ist darüber hinaus niemals frei von affektiver Tönung.
6 Wandel des Schmerzverständnisses Melzack und Wall 1965: Gate-Control-Theorie Die Weiterleitung von Schmerzimpulsen kann im Rückenmark von peripheren und zentralen (deszendierenden) Bahnen moduliert bzw. gehemmt werden. Somit kommt auch affektiven und kognitiven Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Schmerzverarbeitung zu.
7 Wandel des Schmerzverständnisses Galt der Schmerz im traditionellen Verständnis als direkter Ausdruck einer organischen Schädigung, dessen Intensität dem Ausmaß der Schädigung proportional ist, so wird der Schmerz jetzt als psychophysisches Gesamtereignis aufgefasst. An dessen Entstehung (und Aufrechterhaltung) sind neben körperlichen auch verhaltensmäßige, kognitive und affektive Komponenten beteiligt. Birbaumer 1986
8 Das bio-psycho-soziale Schmerzmodell Biologische Faktoren Psychische Faktoren Schmerz Soziale Faktoren
9 Zeitliche Definition chronischer Schmerzen Schmerzen von mindestens 3 Monaten Dauer (Merskey et al. 1983) Schmerzen, die länger als 1 Monat als der übliche Heilungsverlauf anhalten (Watson 1983) Nach 7 Wochen Krankschreibung (Quebec T.F. Spinal D. 1987) Schmerzen, die trotz aller Behandlungsversuche länger als 6 Monate anhalten (Hall 1982, Kröner-Herwig 1990) Akutschmerz bis zu 4 Wochen, subakut 4-12 Wochen, chronisch ab 12 Wochen (Hildebrandt 2000)
10 Chronifizierungsstadien nach Gerbershagen MPSS (Mainz Pain Staging System)
11 Neurophysiologische Chronifizierungsfaktoren Peripherie Sensibilisierung Periphere Ausschüttung von Neuropeptiden (= neurogene Entzündung) Freisetzung von Entzündungsmediatoren aus geschädigtem Gewebe
12 Neurophysiologische Chronifizierungsfaktoren Zentrale Sensibilisierung Modifikation spinaler, nozizeptiver synaptischer Transmission Transskriptionsabhängige Veränderungen in Effektorgenen Veränderungen neuroanatomischer Verschaltungen
13 Neurophysiologische Chronifizierungsfaktoren Periphere und zentrale Sensibilisierung + Verlust der körpereigenen Schmerzhemmung Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses
14 Körperliche Risikofaktoren der Chronifizierung Schmerz/ Aktivitätsintoleranz Überlastung Gelenke, Bindegewebe Schonung Muskelatrophie Haltungsverfall Bewegungsmangel Abbau aktiver Kompensationsmöglichkeiten Dekonditionierungszyklus n. G. Müller
15 Psychologische Chronifizierungsfaktoren Psychische Komorbidität (Angst, Depression) Schmerzbezogene Kognitionen: Falsche Kontrollüberzeugungen und Kausalattribuierungen, Katastrophisieren, Bagatellisieren Fear avoidance beliefs Aufmerksamkeit Geringe Selbstwirksamkeitserwartung Unzureichender, dysfunktionaler Bewältigung chronischer Schmerzen
16 Biographische Risikofaktoren sog. life-events Chronische Schmerz-/Erkrankungen in der Familie: häufig gleiches Geschlecht, gleiche Lokalisation Verlusterlebnisse (z.b. Bezugsperson, Arbeitsplatz, finanzielle, berufliche Unsicherheit) Emotionale Deprivation, Vernachlässigung Körperliche Misshandlungen Sexueller Missbrauch International Conference of Psychological Abuse of Children and Youth 1992, Egle et al. 2002, Lampe et al. 2003
17 Soziale Faktoren der Schmerzchronifizierung Interaktion mit der Umgebung/Verhalten: Direkte, positive Verstärkung durch Zuwendung, Aufmerksamkeit, finanzielle Entschädigung (Familie, Gesundheitssystem, Arbeitgeber, Versorgungswünsche) Sekundärer Krankheitsgewinn Fehlende soziale / berufliche Perspektiven Verlust von Sinn Verhängnisvolle Interaktion mit Ärzten (Iatrogene Chronifizierung)
18 Einverständnis im Missverständnis Im Falle des chronisch Schmerzkranken teilen Arzt und Patient in vielen Fällen das Missverständnis vom Primat somatischer Faktoren in der Ätiologie chronischer Schmerzzustände. Letztlich sind beide davon überzeugt, dass, wie beim akuten Schmerz, auch der chronische Schmerz das physiologische Korrelat einer Gewebeschädigung ist. Dies führt zu einem verhängnisvollen Missverständnis von der Rolle des Arztes bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen. (S.O. Hoffmann, U.T. Egle 1993)
19 Iatrogene Chronifizierung Übermäßige Diagnostik und deren Fehlinterpretation Fehlindikation invasiver Verfahren mit dem zusätzlichen Risiko iatrogener Nervenschädigungen Einseitig somatisch ausgerichtete Behandlungsversuche Undifferenzierte / übermäßige Schmerzmedikation Vernachlässigung psychosozialer Faktoren und psychischer Komorbiditäten
20 Risikofaktoren für Schmerzchronifizierung am Beispiel chronischer Rückenschmerzen Risikofaktoren Positive Studien Negative Studien Index Streßhafte Erlebnisverarbeitung 7 0 >7,0 Alkohol- und Drogenmissbrauch 7 0 >7,0 Unzufriedenheit am Arbeitsplatz 7 1 7,0 Hohe Schmerzintensität ,0 Lohnersatz, Entschädigung ,7 Angst, Angstbedingte Vermeidung 7 2 3,5 Depressive Störung 9 3 3,0 Höheres Alter ,3 Schwere körperliche Arbeit 9 4 2,2 Metaanalyse Turk et al 1998
21 Unterschiede akuter-chronischer Schmerz Akuter Schmerz Chronischer Schmerz Dauer zeitlich begrenzt, Stunden - Tage Monate - Jahre Ursache akutes Ereignis multifaktoriell, häufig zentral Lokalisation meist lokal häufig diffus, wandernd Verlauf progrediente Besserung unverändert, oft progrediente Verschlechterung Bedeutung Warnfunktion keine sinnvolle physiologische Funktion Akzeptanz groß gering Psycho-soz. Einfluss Vorübergehende Einschränkung der Lebensqualität (LQ) Verlust an LQ, sozialer Rückzug, Depression, Angst, Vermeidungsverhalten, Durchhaltestrategien
22 Konzepte Akutschmerz Chronischer Schmerz Fragestellung Warum ist der Patient krank? Wie kommt der Patient mit seinen Schmerzen zurecht? Abklärung Behandlungsziele Maßnahmen Suche nach somatischen Ursachen, umfangreiche Diagnostik Heilung der Grunderkrankung, Schmerzfreiheit spezifisch, zumeist somatisch orientiert passive Haltung des Patienten Ermittlung des Selbsthilfepotentials (Ressourcen, bisherige Schmerzbewältigungsstrategien) Zuwachs an Lebensqualität, Partizipation Abbau katastrophisierender Gedanken, verbesserter Umgang mit dem Schmerz symptomatisch, multimodal aktive Haltung des Patienten erforderlich Behandler wenige Therapeuten befasst Interdisziplinäre Zusammenarbeit Arzt-Patient Beziehung Arzt Alleinig verantwortlicher Experte für den Erfolg/Misserfolg d. Therapie Case manager /Moderator im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit Patient (Passiver) Empfänger von therapeutischen Verschreibungen und Verhaltensmaßregeln Aktiver, selbstverantwortlicher Partner Regression, auf Fremdhilfe angewiesen Erhöhung der Selbstwirksamkeit (mod. nach H.P. Wengle 1985)
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