Capture-recapture. Definition, Herkunft, Grundidee
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- Kasimir Salzmann
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1 Reinhard Bornemann: Capture-recapture Auszug aus: Gesundheitswissenschaftliche Perspektiven bei i.v.- Drogenkonsumenten in Deutschland: Epidemiologie des Konsums und assoziierter Infektionserkrankungen, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, 2003 Capture-recapture Das Capture-recapture-Verfahren nimmt im Rahmen der epidemiologischen Methoden zur IDU-Schätzung eine Sonderstellung ein. Im British Medical Journal wurde die Capture-recapture-Methode (CRM) gar enthusiastisch als eine epochale Erneuerung und ein Paradigmenwechsel bezeichnet [LA PORTE 1994]. CRM ist in der IDU-Epidemiologie in Deutschland bisher unterrepräsentiert, birgt nach Ansicht des Verfassers aber ein großes Potenzial und soll daher im Rahmen des Drogen- Epidemiologie-Kapitels besonders ausführlich besprochen werden. Definition, Herkunft, Grundidee Capture-recapture bedeutet im direkten Wortsinne das Fangen und Wiederfangen von Individuen einer bestimmten Population. Begriff und Verfahren stammen ursprünglich aus der Zoologie. Dort suchte man nach praktikablen Verfahren zur Schätzung von Populationsgrößen bestimmter frei lebender Tierarten, die sich nicht ohne weiteres zählen ließen. Mit CRM fand man eine Methode, die vom Prinzip her einfach durchzuführen und hinreichend genau ist. Capture-recapture stellt inzwischen in der Zoologie das führende Verfahren zur Schätzung von Tierpopulationen dar (pers. Komm. André de Roos / Abt. für Populationsbiologie, Universität Amsterdam, 1/03). Eine International Working Group for Disease Monitoring and Forecasting, unter Federführung von R. La Porte, beschreibt 1995 in einer Übersichtsarbeit Herkunft und Anwendung von Capture-recapture. Begriff: In der Zoologie ist der Begriff capture-recapture gebräuchlich, ebenso mark-recapture bzw. capture-mark-recapture ([SPASOFF 1999], S.112); in der (menschlichen) Epidemiologie hingegen finden auch die Begriffe dual-system methods bzw. dual-record system method Anwendung. Sobald mehr als ein recapture bzw. mehr als zwei Erfassungssysteme gleichzeitig zum Einsatz kommen, kann man nach LaPorte von multiple-recapture, multiple-system oder multiple-record systems methods sprechen. (Anm.: in der vorliegenden Arbeit wird zur Vereinheitlichung der Begriff Capture-recapture gebraucht) Ein weiterer Begriff aus dem CRM-Bereich ist catch per unit effort. Damit wird verstanden, welcher Aufwand nötig ist, um eine bestimmte Menge einer Tierpopulation zu fangen (pers. Komm. A. de Roos, s.o.). Dies findet, soweit bekannt, in der Human-Epidemiologie noch keine Anwendung.
2 Historie: Grundzüge der Methode gehen auf Petersen 1894 zurück. In den folgenden Jahrzehnten erfuhr die Methode in der Zoologie immer mehr Verbreitung und Weiterentwicklung. Seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde auch die Anwendung auf Human-Populationen diskutiert; die erste ernsthafte Anwendung auf menschliche Populationen erfolgte 1949 durch Sekar und Deming im Zusammenhang mit Geburts- und Sterberegistern. Erst ab etwa 1970 jedoch erlebte die Methode auch in der Human-Epidemiologie eine nennenswerte wissenschaftliche Entwicklung, v.a. durch die Arbeitsgruppe um Janet Wittes. Soweit bekannt, hat erstmals die Arbeitsgruppe um Fienberg 1975 die Verwendbarkeit der Capturerecapture-Methode bei der Prävalenzschätzung von Drogenabhängigen vorgeschlagen [FRISCHER ET AL. 1993]; der vermutlich erste Einsatz in Deutschland wird im Abschn. Beispiele aus der Drogenepidemiologie / Skarabis und Patzak 1981 beschrieben. Unter dem Oberbegriff der CRM finden sich mehrere auf die jeweils zu untersuchenden Tierpopulationen abgestimmte Verfahren [LANCIA ET AL. 1996]. Praktische Durchführung In der Zoologie wird folgendermaßen verfahren: In einem definierten Fanggebiet werden zu einem bestimmten Zeitpunkt gezielt Tiere einer bestimmten Population eingefangen. Diese werden dann mit einer permanenten Markierung versehen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird im gleichen Gebiet erneut ein Fang gemacht und der Anteil derjenigen Tiere bestimmt, welche die Markierung vom ersten Fang tragen. Mit den hierbei ermittelten Zahlengrößen, also Anzahl der beim ersten und beim zweiten Mal insgesamt gefangenen Tiere sowie Anteil der beim zweiten Mal wiedergefangenen Tiere lässt sich die Größe der Gesamtpopulation errechnen. Um CRM für die Human-Epidemiologie zu adaptieren, mussten die erforderlichen Stichproben zwar auch gefangen und markiert werden, allerdings auf andere Weise: Der erste Fang muss nicht notwendigerweise gezielt erfolgen, sondern als Fang kann auch eine bestehende Sub-Population herangezogen werden, die bereits anderweitig ins Netz gegangen ist, gemeint ist das soziale oder kriminologische Netz. D.h., die erste Fang-Stichprobe kann die Anzahl von Klienten einer Drogenberatungseinrichtung in einer bestimmten Kalenderwoche sein, oder die Neuaufnahmen in einer Drogenklinik in einem bestimmten Monat, oder die Anzahl der festgenommenen Drogenkonsumenten bei einer Razzia. Der zweite Fang muss nicht demselben Zugangsbereich entstammen, sondern kann auch in einem anderen Setting erfolgen. So kann einem ersten Fang in einer Behandlungseinrichtung ein zweiter Fang in einer polizeilichen Maßnahme gegenübergestellt werden. Die Markierung erfolgt dadurch, dass jeweils ein unverwechselbarer Code des Individuums notiert wird, z.b. Initialen, Geschlecht, Geburtsdatum, Postleitzahl des Wohnortes usw. Die bei der zweiten Stichprobe ermittelten Code-Daten werden nun
3 mit den Daten der ersten abgeglichen, und es kann analog zur Markierung beim Tier der Anteil der wiedergefangenen Individuen ermittelt werden. Zu unterscheiden sind also prinzipiell zwei Ebenen des Recapture-Prozesses: die zeitliche Ebene, dergestalt, dass das recapture unter den gleichen Bedingungen zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet die räumliche Ebene, in der Form, dass das recapture gleichzeitig, aber in verschiedenen Erfassungssystemen stattfindet. Bei Tierpopulationen kommt eher der erste Ansatz zum Tragen, in der Human- Epidemiologie eher der letztere. Berechnungsgrundlagen Die Grundformel zur Berechnung der gesuchten Größe der Gesamtpopulation lautet ([SPOOR 1996], in der von ihm gewählten Notation): N = M (n / m) (mathematisch alternativ: N = M x n / n) wobei: N = die gesuchte Größe der Gesamtpopulation M = die in Stichprobe 1 gefundene Anzahl, die komplett markiert wird n = der Größenumfang der 2. Stichprobe m = die Anzahl der bei n wiedergefangenen, zuvor in M markierten Fälle bzw. Überschneidungen aus beiden Stichproben Dies kann durch eine Vierfeldertafel veranschaulicht werden: in Stichprobe 2 + in Stichprobe 2 zus. in Stichprobe 1 + m M m M in Stichprobe 1 n m? N ges. M zus. n N ges. n N ges. (+ = in der jeweiligen Stichprobe vorhanden, = nicht vorhanden) Rechenbeispiel: In der 1. Stichprobe werden 100 Drogenkonsumenten gefangen und ihre Stammdaten gespeichert. In der 2. Stichprobe, zu einem späteren Zeitpunkt, mit diesmal 80 gefangenen IDU, werden die nun erhobenen Datensätze mit denen aus der 1. Probe verglichen. Dabei zeigen sich 10 Übereinstimmungen, bzw. 10 Probanden der 1. Probe wurden in der 2. wiedergefangen. Die Rechnung lautet nun: 100 x 80 / 10, die geschätzte Größe der Gesamtpopulation beträgt demnach 800 IDU. in Stichprobe 2 + in Stichprobe 2 gesamt in Stichprobe in Stichprobe gesamt
4 (+ = in der jeweiligen Stichprobe vorhanden, = nicht vorhanden) Ersetzt man die Zellen der Vierfeldertafel durch die üblichen Notationen a-d: a c b d so erfolgt die Berechnung der gesuchten Zelle d : d = N ges. (a + b + c] und umgekehrt errechnet sich die Gesamtpopulation N ges.: N ges. = a + b + c + (b x c : a) Eingedenk der Tatsache, dass es sich hierbei um einen Schätzer handelt, der einer Streubreite unterliegt, lässt sich eine Varianz berechnen: Var N ges. = (a + b) x (a + c) x b x c : a Mathematische Weiterentwicklungen: Nach Spoor führt diese einfache Berechnung bei kleinen Stichprobengrößen zu Verzerrungen, weswegen in diesen Fällen die Chapman-Methode geeigneter ist (Chapman 1951 nach [SPOOR 1996] in dessen Notation): N = (M + 1) ( n + 1) / (m + 1) 1 Hieraus lässt sich ebenfalls eine Varianz berechnen (und daraus schließlich auch ein 95 %-KI): Var(N) = (M + 1) ( n + 1) ( M - m) (n - m) / ((m + 1) 2 (m + 2)) Nach [BERNILLON ET AL. 2000] errechnet sich die entspr. Varianz nach folgender Formel: Var(N) = N (1 - p1) (1 - p2) / p1p2 + (1 - p1) (1 - p2) wobei p (1,2) der Anteil der jeweiligen Stichprobe am zuvor errechneten Gesamt darstellt. Voraussetzungen, Probleme, Einschränkungen Folgende Grundannahmen sind gemäß der Int. Working Group für die valide Schätzung einer Populationsgröße mit Capture-recapture erforderlich:
5 1 es gibt keine Veränderung der Population während der Untersuchung (sog. geschlossene Population) 2 es gibt keinen Verlust der Markierungen (d.h., die Individuen sind beim Recapture mit dem ersten Fang re-identifizierbar) 3 jedes Individuum hat die gleiche Chance, in jede der verschiedenen Stichproben zu gelangen 4 die Stichproben sind voneinander unabhängig (bzw. die Chancen eines Individuums, in die jeweilige Stichprobe bzw. Liste zu gelangen, sind gleich verteilt). Die Grundvoraussetzung für Capture-recapture ist also die Fiktion einer geschlossenen Gesellschaft, d.h., es dürfen keine neuen Fälle hinzukommen, etwa neu aufgetretene / inzidente oder zugewanderte Fälle, und keine dürfen verloren gehen, etwa durch Beendigung des Drogenkonsums, Tod oder Abwanderung. Dann müssen die Teilnehmer eindeutig identifizierbar sein ( uniquely marked ) sein, und diese Markierungen dürfen nicht verloren gehen. Die Stichproben müssen auf Zufallsbasis gezogen werden und der Einschluss oder Ausschluss in die Stichproben muss jeweils unabhängig voneinander möglich sein. Schließlich müssen der zeitliche Rahmen und die Zielpopulation während des Rekrutierens konstant gehalten werden. Werden diese Annahmen in der Human-Epidemiologie erfüllt? Die erste Annahme der geschlossenen Population zumindest näherungsweise richtig (vgl. Anmerkungen zur offenen Population, s.u.). Das zweitens aufgeführte korrekte zur Deckung bringen ( Matchen ) von Individuen aus verschiedenen Stichproben stelle zumindest im Prinzip kein Problem dar, wenngleich es von der geschickten Wahl eines Identifizierungscodes und der Qualität der Datenerfassung abhänge. Die dritte Annahme sei generell falsch, da sich nämlich Patienten nicht heterogen bzw. zufällig über die verschiedenen Stichproben verteilten, was in Grenzen noch korrigiert werden könne. Schließendlich sei die 4. Annahme à priori stets zurückzuweisen bzw. im Einzelfall eine Unabhängigkeit erst zu beweisen [INT. WORKING GROUP, Part I]. Bei der Übertragung der Methode aus der Zoologie auf die Human-Epidemiologie sei daher die Zwei-Stichproben-Methode, also das Basismodell von Capture-recapture, selten angebracht wegen des Problems der gegenseitigen Abhängigkeit (Interdependenz) der Stichproben bzw. Listen. Eine bloße Vermehrung der beteiligten Listen und jeweils paarweiser Vergleich dieser Listen würde lediglich zu einer Multiplikation des Fehlers führen, weswegen, unter verschiedenen Zugangswegen, das sog. log-lineare Modellieren zum Zuge kommen würde. Zu den Grundlagen des Log-linear-Modells wird häufig Cormack 1989 zitiert, der sich mit verschiedenen mathematischen Problemen von RCM auseinandersetzt, z.b. mit dem der offenen Population", wobei seine Arbeit 1989, wohlgemerkt, auf die Zoologie bezogen bleibt [CORMACK 1989]. Domingo-Salvany beschreibt die Basisannahmen zu Capture-recapture in etwas anderen Worten: 1 die Stichproben müssen repräsentativ für die zu untersuchende Gesamtpopulation sein, welche wiederum geschlossen sein muss
6 2 jede Stichprobe muss homogen sein, bzw. es muss gewährleistet sein, dass die Wahrscheinlichkeit, in eine Stichprobe zu geraten, für alle Individuen gleich sein muss (Anm.: passt das für Hochrisiko-Indikatoren wie Intoxikationen etc.?) 3 die Stichproben müssen untereinander unabhängig sein, bzw. darf die Wahrscheinlichkeit, in eine von mehreren Stichproben zu geraten, nicht davon abhängen, auch in eine andere zu geraten [DOMINGO-SALVANY 1997]. Zu berücksichtigen ist auch das Phänomen der positive dependence bzw. trap attraction dass also Individuen, die sich beim ersten capture fangen ließen, auch eher beim zweiten Mal ins Netz gehen, und vice versa, die sog. trap avoidance, dass Individuen, die sich beim ersten Mal fangen ließen, beim zweiten Mal die Falle wittern und dem Wiederfangen (bzw. der Re-capture) so entgehen. Schließlich sind die gemachten Annahmen nur für einen beschränkten Zeitraum gültig, denn es entsteht zunehmend ein Einfluss des Ein- und Ausströmens durch Migration, Herauswachsen, Tod etc. [DOMINGO-SALVANY 1997, RICHARDSON 1997]. Korf beschreibt das Problem der positiven bzw. negativen Abhängigkeit in dem Sinne, dass die Erfassung in einer Stichprobe die Erfassung in einer anderen Stichprobe entweder begünstigt oder behindert ([KORF 1997a], Tab.3.4): Tabelle 1: Effekte der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Registrierungen in Capture-recapture-Schätzungen (Korf 1997a) Sampling bias Überlappung Effekt auf die Schätzung der Populationsgröße pos. Abhängigkeit gegenseitiger vergrößert Unterschätzung Einschluss neg. Abhängigkeit gegenseitiger verringert oder Null Überschätzung Ausschluss Unabhängigkeit keiner unverzerrt unverzerrt Beispiele für bessere und schlechtere Identifikationsmöglichkeiten: In skandinavischen Ländern seien Datenbasen besser untereinander verknüpfbar, weil in diesen Ländern Personen mit einem individuellen Identifizierungskennzeichen versehen werden, das in jeden Krankenhausbericht und in jede Personalakte aufgenommen würden. So habe z.b. Finnland phänomenale Möglichkeiten für die Untersuchung von environmental exposure [HERTZ-PICCIOTTO 1996]. Aus deutscher Perspektive müssten an dieser Stelle allerdings datenschutzrechtliche Bedenken diskutiert werden, insbes. mit Verweis auf den Missbrauch solcher Daten in der jüngeren deutschen Vergangenheit. Im Gegensatz dazu weisen, zumindest mit Blick auf den Einsatz von CRM in Entwicklungsländern, Black et al. nach entsprechenden Erfahrungen in Ostafrika auf die Identifizierungsproblematik bei unsicherer Namenszuordnung hin, z.b. bei unterschiedlichen Schreibweisen von Namen, die z.b. aus dem Arabischen
7 transkribiert wurden, oder bei absichtlicher Namensverschleierung aus verschiedenen Gründen [BLACK ET AL. 1994]. Dieser Umstand müsste Beachtung finden bei der Entwicklung eines Codes, der auch auf Namensbestandteile zurückgreift und in einem multiethnischen Kontext angewendet werden soll. Beispiele aus der Drogenepidemiologie Eine Übersicht von Studien zur Capture-recapture-Methode (CRM) findet sich in Tab.3.5 (Anm.: die dortigen Quellen beziehen sich mit einer Ausnahme, der einer thailändischen Studie, auf Europa; ggf. weitere Quellen z.b. aus den USA sind dem Verfasser aus der Drogenepidemiologie nicht bekannt). Nachstehend sollen einige dieser Arbeiten hervorgehoben werden, um Methoden und Probleme näher zu charakterisieren. Tabelle 2: Bisherige Capture-recapture-Anwendungen in der IDU-Epidemiologie Skarabis und Patzak, Berlin Interessanterweise datiert einer der ersten CRM-Einsätze im Drogenbereich bereits über 20 Jahre zurück und stammt aus Deutschland veröffentlichten Skarabis und Patzak eine Arbeit zur IDU-Prävalenzschätzung in Berlin, mit dem Ziel der Schätzung von Umfang und Struktur der Drogenscene in Berlin (West). Zielpopulation war die Gruppe der Drogenabhängigen, die mit derjenigen der Heroinabhängigen gleichgesetzt wurde, da die Berliner Szene seinerzeit fast ausschließlich von Heroin beherrscht wurde. Die Autoren stellen zunächst fest, dass trotz bis dato zehnjähriger epidemiologischer Suchtforschung keine präzise kategoriale Beschreibung der Drogenszene in Deutschland vorhanden sei. Sie setzen sich in der Folge mit drei verschiedenen Alternativen auseinander: der bevölkerungsbezogenen Befragung, verschiedenen Verfahren von Dichteschätzungen, und der Capture-recapture-Methode. Als nach entsprechender Einschätzung seitens der Autoren brauchbarstes Modell wurde schließlich auf CRM zurückgegriffen. Als Datenbasis dienten insgesamt 4080 Akten aus verschiedenen IDU- Zugangsbereichen in Berlin (West), die über insgesamt 2731 IDU angelegt worden waren. Nach Durchführung mehrerer einzelner Capture-recapture-Schritte der Zugangsgruppen untereinander wurden die dort erzielten Resultate zu einem besten Schätzer gemittelt, der, bezogen auf das Berichtsjahr 1979, die Anzahl von ca IDU, mit einem 95 %-Vertrauensbereich von , ergab [SKARABIS UND PATZAK 1981]. Erstaunlich ist, dass diese Arbeit in der Folgezeit viel beachtet und häufig zitiert wurde, scheinbar aber kaum Nachfolger fand, so dass CRM heute wieder als Re- Import aus dem europäischen Ausland Einzug nach Deutschland hält. Bello und Chene liefern die detaillierte Beschreibung eines CRM-Projekt in Toulouse 1994/95, das aus drei Datenquellen bestand: einem Krankenhaus, einer Drogenbehandlungseinrichtung und einer Haftanstalt. Ihre Ergebnisse werden
8 beispielhaft in den Tab.3.6 und Tab.3.7 wiedergegeben. Aus der ersten Tab. geht die Stratifizierung der Einzeldaten hervor, aus der zweiten die unterschiedlichen Ergebnisse, je nach Verrechnung der verschiedenen Gruppen untereinander [BELLO UND CHENE 1997]. Buster et al. führten ein CRM in Amsterdam zur Abschätzung des Anteils der problematischen Opiatkonsumenten in einer Methadonsubstitution durch. Die Autoren verweisen dabei auf die Bedeutung einer klaren Falldefinition im Bereich der Opiatkonsumenten, da es sonst zu zahlenmäßigen Fehleinschätzungen der interessierenden Subpopulation kommen könne [BUSTER ET AL. 2000]. Comiskey et al. untersuchten in Dublin für 1996 den Größenumfang der Opiatkonsumenten mittels Verwendung zwei medizinischer und einer amtlichen Datenquelle, gefolgt von einem CRM mit Log-linear-Modellierung, und kamen zu der (Anm.: erstaunlich geringen) Relation von 1 zu 1,15 der bekannten zu den errechneten unbekannten Opiatkonsumenten [COMISKEY ET AL. 2001b]. Tabelle 3: Stratifizierung der Einzeldaten von Bello und Chene 1997 Tabelle 4: Berechnung des Gesamtschätzers nach Bello und Chene 1997 Frischer et al. führten bezogen auf das Jahr 1990 eine Capture-recapture-Analyse bei IDU in Glasgow, Schottland durch. Sie griffen dabei auf vier Datenquellen mit insgesamt 3670 Personen zurück: das schottische HIV-Test-Register verschiedene Drogenbehandlungseinrichtungen Polizeidaten Besteckaustauschprogramme. In einem ersten Schritt wurden innerhalb der (fünf) verschiedenen Drogenbehandlungseinrichtungen Dubletten identifiziert und entfernt. Dann wurde pro Person ein Identifizierungscode generiert, bestehend aus dem Geburtsdatum, dem Geschlecht, den Initialen des Vor- und des Nachnamens und den ersten drei Zeichen der Postleitzahl (nach denen der Wohnbezirk identifiziert werden konnte). Nach diesem Code wurde jeweils in den Stichproben computergestützt nach Übereinstimmungen gesucht (Anm.: der dabei eingesetzte Algorithmus wird genau beschrieben und eignet sich gut als Vorlage insbes. hinsichtlich des Umgangs mit unklaren Fällen). Dann wurden die vier Stichproben in den insgesamt sechs möglichen Kombinationen (1+2, 1+3, 1+4, 2+3, 2+4, 3+4) jeweils gegeneinander abgeglichen. Anhand der in diesen sechs Vergleichen jeweils gefundenen Übereinstimmungen wurden entsprechend sechs Capture-recapture-Berechnungen nach der o.g. Formel durchgeführt. Dann wurde in Anlehnung an Cormack das bereits erwähnte Loglinear-Modell angewandt und verschiedene Interpretationsmodelle statistisch auf Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit der Stichproben untereinander getestet, wobei die
9 Schätzer mit zunehmender Zahl angenommener Interdependenzen exakter wurden [CORMACK 1989]. Tabelle 5: Übereinstimmungen der unterschiedlichen Stichproben bei Frischer et al Tabelle 6: Berechnung der verschiedenen Gesamtschätzer nach Frischer et al In einem weiteren Schritt wurden die Fälle jeweils nach Geschlecht und Altersgruppen stratifiziert und neu berechnet, wobei sich Abweichungen ggü. dem generellen Schätzer ergaben, was auf Heterogenität in diesen Gruppen hindeutete und zu den Schlussfolgerungen führte, dass z.b. Frauen und über 35-jährige Männer mehr unerfasst ( hidden ) geblieben sein mussten. Insgesamt wurde ein bester Schätzer von 8494 IDU in Glasgow ermittelt, wovon 2866 eingangs bekannt waren (die 3670 der verschiedenen Listen abzüglich der Übereinstimmungen in mehreren Listen) und 5628 unbekannt. Das hierbei ermittelte Zahlenverhältnis von bekannten zu unbekannten (bzw. als Dunkelziffer geschätzten) IDU von ca. 0,5 wird als relativ hoch angesehen, was auf die hohe Reichweite der verschiedenen Einrichtungen der Stadt zurückgeführt wird; im Vergleich zu anderswo höher liegenden Dunkelziffern [FRISCHER ET AL. 1993]. Zu hinterfragen war, ob es Fehler bei der Zuordnung ( matching procedure ) bzw. Nicht-Zuordnung von Individuen aus den unterschiedlichen Gruppen gab: falsch positive Fälle dadurch, dass in zwei miteinander abgeglichenen Stichproben zwei verschiedene Individuen die gleiche Kodierung aufwiesen (bzw. hinsichtlich Alter, Initialen usw. übereinstimmten), und damit fälschlicherweise zu einem re-capture führten falsch negative Fälle dadurch, dass an sich geringfügige Fehler in den Datensätzen, wie z.b. ein falsch erfasstes Geburtsdatum, fälschlicherweise zu einer Nicht-Übereinstimmung zwischen zwei Stichproben führten. Für das Glasgower CRM ließ sich auch eine externe Validierung durchführen: anhand der in einer der Stichproben, nämlich in derjenigen der auf HIV getesteten IDU, ermittelten HIV-Prävalenz von 1,4 % wurde diese Zahl auf die mit dem CRM geschätzte Zahl von 8500 IDU angelegt und eine Anzahl von 119 HIV-pos. IDU in Glasgow postuliert. In der Tat waren Ende 1990 in Glasgow 100 HIV-pos. IDU bekannt, die fehlenden 19 zur hypothetischen Zahl waren gut durch die eben noch nicht detektierten Fälle zu erklären [FRISCHER 1997]. (Anm.: diese Berechnung ist natürlich stark von der Allgemeingültigkeit der in ausgerechnet einer Stichprobe ermittelten HIV-Prävalenz abhängig) (die umfangreichste bzw. detaillierteste Beschreibung der Anwendung der Capturerecapture-Methode entstammt einer österreichischen Arbeit zum Thema ([UHL UND SEIDLER 2001]; vgl. das entspr. Länderkapitel Europäische IDU-Datenlage /... in Österreich ).
10 Korf beschreibt schließlich Erfahrungen aus Amsterdam mit der gleichzeitigen Verwendung von CRM (von ihm als CRC bzw. Capture-re-capture bezeichnet) und Nominations-Techniken. Nominationsverfahren hätten zu geringeren Schätzgrößen als CRM-Verfahren geführt. Da, wie gesagt, kein Goldstandard zur externen Validierung zur Verfügung stand, seien die jeweiligen Testcharakteristika so verglichen worden: Entweder waren die Nominations-Ergebnisse korrekt, dann mussten die CRM-Ergebnisse die Prävalenz überschätzen. Korf sah dafür gewisse Anhaltspunkte, z.b. bei einem gegenseitigen Ausschluss ( mutual exclusion ) beim Zugang zu bestimmten Methadonprogrammen und zu Inhaftierungen; oder umgekehrt waren die CRM-Schätzungen richtig, dann führten die Nominations-Werte zur Unterschätzung. Dies konnte etwa durch eine Überrepräsentierung der registrierten DU in den Nominierungen durch die Szene-Stichprobe geschehen sein. (Anm.: als Besonderheit zu erwähnen sind noch die Inhomogenitäten z.b. in Amsterdam, mit ethnischen Holländern, ethnischen Minoritäten, i.d.r. aus den ehemaligen Kolonien) und Ausländern, überwiegend Drogentouristen aus dem übrigen Europa) Insgesamt sei die Capture-recapture-Methode zu favorisieren und habe am Beispiel Amsterdam über die Jahre zu erstaunlich konstanten Prävalenzschätzungen geführt, wohingegen die Nomination weiter als Validierungsinstrument eine ergänzende Rolle spiele [KORF 1997a]. Eine interessante Kombination verschiedener Einzelansätze zur Schätzung einer IDU-Populationsgröße führen Mastro et al. durch. Sie kombinieren Elemente des Capture-recapture-Verfahrens mit einem Screening. Als erstes capture dient die Registrierung in Drogenbehandlungseinrichtungen, als zweites die Erfassung derjenigen polizeilichen Festnahmen, die beim Urin-Screening auf Opiat-Metabolite positiv waren [MASTRO ET AL. 1994]. Neugebauer und Wittes kritisieren diesen Ansatz aus verschiedenen Gründen: erstens sei die Wahrscheinlichkeit, in eine Behandlungs-Stichprobe zu gelangen, in der IDU-Population inhomogen verteilt und variiere je nach soziodemografischen Faktoren und Krankheitsschwere, ferner sei die Wahrscheinlichkeit, in die Festnahme-Stichprobe zu geraten, ebenso inhomogen verteilt, was zumindest für die USA gelten würde, wo eine Festnahme je nach Verhalten, Sozialstatus, Rasse, oder Geschlecht unterschiedlich wahrscheinlich sei; schließlich sei die Annahme von Mastro et al., das Urinscreening habe eine exzellente Spezifität bzw. beinhalte keine falsch-positiven, nicht haltbar, da kein Test eine 100 %ige Spezifität aufweise [NEUGEBAUER UND WITTES 1994]. An dieser Stelle ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine mögliche CRM- Misklassifikation (mit den entspr. Konsequenzen, wie bereits dargelegt) auch abhängig vom eingesetzten Diagnoseinstrument bzw. Test mit seiner entspr. Sensitivität und Spezifität ist. Beispiele aus der Infektionsepidemiologie Reintjes untersuchte den Wert der Capture-recapture-Methode in der Analyse der Sensitivität der Fall-Identifikation ( case finding ) zweier verschiedener
11 Erfassungssysteme für Geschlechtskrankheiten ( sexually transmitted diseases STD), nämlich der gemeindebezogenen bzw. amtlichen Erfassung sowie der Erfassung in STD-Kliniken. Am Beispiel der Syphilis und der Gonorrhoe konnte gezeigt werden, dass beide Systeme z.t. deutlich unterschiedliche Ergebnisse lieferten: das Gemeindesystem hatte, bezogen auf die mit CRM hochgerechnete Gesamtzahl an Fällen, nur 31 % der Syphilis- und gar nur 15 % der GO-Fälle erfasst, wohingegen das Kliniksystem 64 % der Syphilis- und immerhin 22 % der GO-Fälle erfasst hatte. Kombinierte man beide Systeme, im Sinne von verbundenen Tests, konnte man für die Syphilis eine Gesamtsensitivität von immerhin 76 % erreichen, für die GO allerdings trotzdem nur von 34 %. Die Autoren schlussfolgern, dass CRM auch zur Qualitätskontrolle von vorhandenen Datensätzen brauchbar sei, und um Surveillance-Rohdaten zu hinterfragen [REINTJES ET AL. 1999]. Pullwer fokussierte als Ziel eines Capture-recapture-Modells ebenfalls die Sensitivität verschiedener Datenquellen, diesmal in der Epidemiologie der Meningokokken- Meningitisfälle in Nordrhein-Westfalen, bezogen auf Eingesetzt wurden folgende drei Datenquellen: lokale Gesundheitsämter das Nationale Referenzzentrum für Meningokokken die Krankenhaus-Diagnosestatistik. Diese Trias kann als Prototyp für entsprechende CR-Schätzungen auch im Bereich der Epidemiologie von Drogen und assoziierten Infektionskrankheiten angesehen werden. Darüber hinaus ist die Arbeit aufgrund ihrer ausführlichen Beschreibung der statistischen Details der CR-Methode sowohl in Bezug auf den theoretischen Hintergrund als auch am praktischen Beispiel herausragend als Grundlage für weitere Arbeiten zu diesem Thema [PULLWER 2000]. Die Capture-recapture-Methode wurde bereits in großem Stil in einer französischen Studie zur AIDS-Epidemiologie verwandt [BERNILLON ET AL. 2000]. Gegeben waren zwei Datenbanken zur Erfassung von AIDS-Fällen, und zwar ein Pflicht- Melderegister ( déclaration obligatoire, DO) und eine Datenbasis zu Krankenhausfällen (FHDH). Bei der Identifikation der einzelnen Fälle standen die Autoren dabei einem besonderen Problem gegenüber, nämlich der Zusammenführung ( matching ) von gleichen Individuen aus beiden Erhebungen, um die Schnittmenge berechnen zu können, da in beiden Datenbasen unterschiedliche Anonymisierungen bzw. Verschlüsselungen der individuellen Patientendaten durchgeführt worden waren. Die DO-Datenbasis verwandte einen Schlüssel bestehend u.a. aus dem Geburtsdatum, den Initialen des Nach- und des Vornamens, des Geschlechts und der zweistellig fortlaufenden Nr. des Départements des Wohnortes. Die FHDH- Datenbasis hingegen verwandte eine Verschlüsselungsmethode, die aus dem Namen und dem Geburtsdatum einen anonymen Code generierte, der nicht zurückzuübersetzen war. Beiden Codes waren zur epidemiologischen Auswertung anamnestische und klinische Datensätze zugeordnet, die nun dem matching dienen konnten.
12 Zu bedenken ist, dass nicht zur ein qualitatives, sondern auch ein erhebliches quantitatives Problem zu lösen war, da jeweils eine fünfstellige Zahl an Datensätzen zu verarbeiten war. Entsprechend wurde ein vom Computer verarbeitbarer Algorithmus konstruiert, der nach einer komplexen hierarchischen Gliederung die nicht anonymisierten Datensätze aus beiden Datenbasen zur Deckung zu bringen versuchte (sog. probabilistic record-linkage ). Als Kriterium 1. Ordnung diente z.b. das Datum der AIDS-Diagnosestellung, gefolgt von den Daten einer infektiösen Bluttransfusion bzw. des Versterbens, soweit bekannt, hin zu AIDS-definierenden Erkrankungen usw., mit insgesamt 35 Kriterien. Auf diese Weise wurden alle Datensätze beider Datenbasen miteinander verknüpft, bis jeweils die Diskordanz so groß war, dass eine Übereinstimmung der Individuen unwahrscheinlich war ( too substantial to feel confident about their matching ), ohne genauere Angaben, bzw. ohne exakte Angaben, ab welcher Übereinstimmung eine Deckungsgleichheit als belegt angesehen wurde. Exkurs: Zur Verknüpfung von Individuen auf verschiedenen Listen ( record linkage ) gibt es laut Spasoff zwei theoretische Zugehensweisen: die deterministische, die auf exakte Übereinstimmungen von Identitätsmarkern achtet bzw. nur ja-nein-entscheidungen zulässt die probabilistische, welche die Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung eines Datensatzes bzw. der zugehörigen Person auf verschiedenen Listen berechnet. Eingedenk der Tatsache, dass viele Gesellschaften sehr restriktiv ggü. rückidentifizierbaren Personencodes sind, sei dem probabilistischen Ansatz eher der Vorzug zu geben. Der dem Wesen nach Bayes sche Ansatz geht in folgenden Schritten vor sich: Zuerst erfolgt eine à-priori-schätzung der Vortest-Odds für eine Übereinstimmung zweier Datensätze auf verschiedenen Listen. Daran schließt sich eine Berechnung des Wahrscheinlichkeitsverhältnisses (Likelihood-ratio) an, dass übereinstimmende Daten eine echte Übereinstimmung anzeigen. Darauf folgt die Berechnung einer zusammengesetzten Likelihood-ratio bzw. des zusammengesetzten Multiplikators. Am Ende schließt sich die Berechnung der Nachtest-Odds an. Dabei kann noch gewichtet werden nach allgemeinen Variablen ( common values ), wie z.b. dem Geschlecht, und nicht allgemeinen Variablen ( uncommon values ), wie z.b. der Postleitzahl des Wohnorts, indem eine Übereinstimmung bei letzteren eine stärkeres Maß an Kohärenz aufweist ([SPASOFF 1999], S. 67). Die Berechnung durch Bernillon et al. erfolgte nach der im Abschnitt Berechnungsgrundlage beschriebenen einfachen Capture-recapture-Formel. Bernillon et al. diskutierten schließlich noch die Frage der positiven Abhängigkeit ( positive dependence"): dies würde zu Überschätzung der Komplettheit" führen, eine negative Abhängigkeit ( negative dependence") zu deren Unterschätzung" (vgl. Abschn. Voraussetzungen, Probleme, Einschränkungen ). Die Autoren stellten fest, dass zur Evaluation der Richtigkeit des Ergebnisses eine dritte, unabhängige Datenbasis erforderlich wäre, die aber nicht zur Verfügung stand [BERNILLON ET AL. 2000].
13 Anwendungen für CRM in anderen Gebieten CRM fand inzwischen auch in anderen klinisch-epidemiologischen Bereichen Verwendung. Das Dept. für Epidemiologie der Universität Pittsburgh / Pennsylvania / USA befasst sich u.a. ausführlich mit dem Thema CRM. Dort werden verschiedene Anwendungsbereiche aufgelistet, z.b. Diabetes, Traumatologie, Krebs, Infektiologie und insbes. auch Drogenkonsum (Internet 3/03: Nach den Autoren sei CRM weltweit inzwischen zu einer Standard-Methode zum Inzidenz-Monitoring des insulinpflichtigen Diabetes avanciert (Anm.: was dem Verfasser zumindest für Deutschland noch nicht geläufig ist). Zum Thema Monitoring von Unfallverletzungen legte die Pittsburgher Gruppe um La Porte 1995 eine entsprechende Arbeit zur Schätzung der Inzidenz von Unfällen bei Heranwachsenden vor. Dabei zeigte sich zwar eine maximale Sensitivität von 90,6 % bezogen auf den Goldstandard bei der Kombination der verschiedenen Capture-Stichproben; eine zunehmende Genauigkeit war jedoch auch mit einer deutlichen Zunahme angesichts des jeweiligen Aufwandes verknüpft. Die Schlussfolgerung hieraus war, dass nicht wahllos so viele Stichproben wie möglich miteinander kombiniert werden sollten (Anm.: einmal abgesehen vom dabei auch überproportional zunehmenden Rechenaufwand), sondern dass eine Evaluation der vernünftigsten Kombinationen erfolgen sollte [LA PORTE ET AL. 1995]. Weitere Anwendung fand CRM in der Verkehrsunfall-Forschung auch bei anderen Arbeitsgruppen (z.b. [JARVIS ET AL. 2000]). Ein wichtiger Zweck zur Anwendung von Capture-recapture in der Epidemiologie lag bisher nicht nur in der genaueren Bestimmung von Schätzzahlen für bestimmte Krankheiten, sondern auch zur besseren Einschätzung der Sensitivität von Surveillance-Maßnahmen ([INT. WORKING GROUP, Part II]; vgl. z.b. auch [PULLWER 2000]). Vorschlag für ein eigenes CR-Modell Um ein entsprechendes CR-Modell für einen Einsatz im Drogenbereich in Deutschland zu entwickeln, müssten zunächst die folgenden drei Aspekte berücksichtigt werden: die Identifizierung der gesuchten IDU-Subpopulation, die Auswahl von geeigneten Stichproben und schließlich die Entwicklung eines geeigneten Codes. Die zu bestimmende Subpopulation kann je nach Fragestellung frei variiert werden. Es ist davon auszugehen, dass vornehmlich Populationen mit höherem Risiko, also Heroinkonsumenten bzw. IDU oder auch ethnische Subpopulationen in Frage kommen. Ein konkretes Modell für die Prävalenzschätzung von Opioidkonsumenten bzw. IDU in einer Großstadt wie Bielefeld könnte so aussehen: An geeigneten Stichproben bzw. Datenbanken stünden z.b. zur Verfügung:
14 Datenbasen eines oder mehrerer Krankenhäuser das Register der Drogenberatungsstelle das nationale Methadon-Register (gem. Änderung der Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung (BtmVV) zum ) polizeiliche und Strafvollzugs-Datenbasen. Am Beispiel der Krankenhaus-Datenbasen wären die Datensätze technisch relativ einfach hinsichtlich entspr. drogenrelevanter Diagnosen (z.b. Drogenintoxikationen, Drogenabhängigkeit, Hepatitis, HIV) zu erfassen. Dies darf auch für das im Aufbau befindliche nationale Methadon-Register angenommen werden. Die Voraussetzungen bei der Drogenberatungsstelle bzw. im polizeilichen und Vollzugsbereich wären abzuklären. Ein geeigneter Code bzw. Minimaldatensatz sollte Bestandteile des Vor- und Nachnamens, des Geburtsdatums sowie eine räumliche Zuordnung enthalten und muss mit dem zuständigen Datenschutzbeauftragten abgestimmt sein (Beispiel für die entspr. Vorgehensweise bei [PULLWER 2000]). Eine spanische Arbeit untersuchte in zwölf drogenbezogenen Institutionen die Verfügbarkeit von personenbezogenen Daten, die für einen Code geeignet waren. Sie stellten fest, dass praktisch in allen dieser Datenbasen die Initialien, das Geschlecht, das Geburtsdatum und der Wohnort verfügbar waren [IRIBAS UND DOMINGUEZ 1997]; gleiches wird auch für die eigenen vorgeschlagenen Datensätze angenommen. Nota bene, dies ist ein theoretischer Ansatz, und es erscheint fraglich, ob die benannten Institutionen zu einer entsprechenden Kooperation bzw. Datenweitergabe bereit wären. (Literatur beim Verfasser)
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