Von *hdl* bis *cul8r*
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- Viktor Stein
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1 Thema Deutsch. Band 7 Von *hdl* bis *cul8r* Sprache und Kommunikation in den Neuen Medien Herausgegeben von Peter Schlobinski Dudenverlag Mannheim Leipzig Wien Zürich
2 Inhalt Vorwort 7 GUNDOLF S. FREYERMUTH: Internetbasierte Kommunikation und ihre Auswirkungen auf die soziale Kommunikation 9 PETER SCHLOBINSKI: Die Bedeutung digitalisierter Kommunikation für Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften 26 ULRICH AMMON: Die Stellung der deutschen Sprache im Internet 38 OLIVER STENSCHKE: Internetfachsprache und Allgemeinwortschatz 52 TORSTEN SIEVER: Sprachökonomie in den Neuen Medien 71 ULRICH SCHMITZ: Tertiäre Schriftlichkeit. Text-Bild-Beziehungen im World Wide Web 89 CHRISTA DÜRSCHEID: Merkmale der -Kommunikation 104 UWE WIRTH: Chatten online 118 BEAT SIEBENHAAR: Regionale Variation in deutschen, österreichischen und Schweizer Chaträumen 133 MICHAEL TEWES: Eliza und ihre Kinder: Chat- und Lingubots als Beispiel für Mensch-Maschine-Kommunikation im Internet 148 JANNIS ANDROUTSOPOULOS: Mehrsprachigkeit im deutschen Internet: Sprachwahl und Sprachwechsel in Ethnoportalen 172 KATRIN LEHNEN: Hypertext kommunikative Anforderungen am Beispiel von Websites 197 HANS-JÜRGEN BUCHER: Gedrucktes im Internet: Online- Zeitungen und Online-Magazine auf dem Weg zu einer eigenständigen Mediengattung 210 5
3 Inhalt KLAUS SCHÖNBERGER: Weblogs: Persönliches Tagebuch, Wissensmanagement-Werkzeug und Publikationsorgan 233 HAJO DIEKMANNSHENKE: Ich war auch hier! Elektronische Gästebücher 249 BEAT SUTER: Neue Formen der Literatur und des Schreibens 265 STEFFEN RITTER VON STURIES: Sprache und Kommunikation in den Textwelten von Adventure-Computerspielen 283 JENS RUNKEHL & NINA JANICH: Werbesprache im Internet 299 GURLY SCHMIDT: Sprachliche Variation in der SMS-Kommunikation 317 Autorinnen und Autoren 334 6
4 PETER SCHLOBINSKI Die Bedeutung digitalisierter Kommunikation für Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften Dass Kommunikation unsere Kultur entscheidend prägt und dass massenmediale Kommunikation einen wesentlichen Anteil an dieser Prägung hat, dies hat Niklas Luhmann in seiner berühmten Schrift Die Realität der Massenmedien folgendermaßen formuliert: Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien (Luhmann 1996: 9). Doch nicht nur unser Wissen über die Welt ist medial vermittelt, auch unser Handeln in der Welt folgt den Strukturen der Mediengesellschaft. Für viele beginnt der Abend mit der tagesschau und der Morgen mit den Klängen des Radioweckers. Wenn das Handy klingelt, erwartet man die Frage Wo bist du?, im Chat begrüßt man sich Hi oder Hallo, Werbefenster schieben sich über den Bildschirm und werden weggeklickt, Wissen wird über Wikis abgerufen. Kommunikation ohne s ist heute kaum noch vorstellbar, Internettelefonie wird immer selbstverständlicher, in den Naturwissenschaften ist E-Publishing mittlerweile die zentrale Publikationsform (s. Dürr 2005). Die Geschwindigkeit der Übermittlung von Nachrichten und die Menge der übermittelbaren Informationen hat stark zugenommen (quantitativer Aspekt), aber nicht nur dies: Die Kommunikation hat sich qualitativ geändert. Die kommunikationstechnische Entwicklung in den letzten vierzig Jahren ermöglicht prinzipiell die kommunikative Vernetzung eines jeden jederzeit und an jedem Ort, und damit ändern sich kommunikative und soziale Beziehungen in erheblichem Maße. Diese Veränderung besteht u. a. in der Zunahme und dem raschen Wechsel von Kommunikationspartnern und [ ] in der Veränderung der Kommunikationsmedien, welche unweigerlich die Qualität der Interaktion und damit der sozialen Beziehung selbst beeinflussen (Roth 2006: 172). Als Resultat löst sich Kommunikation von räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontexten und flexibilisiert sich somit immer weiter. Neue und alte Kommunikationstechnologien bilden ein Netz, in dem für uns die Grenzen zwischen Face-to-Face-Kommunikation und technisch vermittelter Kommunikation, zwischen Realität erster und zweiter Hand zunehmend verschwimmen. Das historisch Spezifische der digitalen Integration von Kommunikationsweisen in ein neues Kommunikationssystem ist nicht die Einführung einer virtuellen Rea- 26
5 Bedeutung digitalisierter Kommunikation lität, sondern die Konstruktion realer Virtualität (Castells 2001: 425): Digitale Kommunikation ist gleichbedeutend mit Kommunikation schlechthin. Die Integration verschiedener Kommunikationsstrukturen und -systeme auf der Folie digitalisierter Information, die Herausbildung eines Hypermediums ist in der Geschichte massenmedialer Kommunikation eine extrem junge und hochdynamische Entwicklung. In jüngster Zeit sind Spielwelten (s. den Beitrag von Ritter in diesem Band) aber auch Communitys und Wissensmarktplätze zunehmend als ausgefeilte 3D-Welten aufgebaut, in denen der Benutzer Kontakte knüpfen, sich multimedial über bestimmte Themengebiete informieren und sich mit anderen Benutzern oder Avataren austauschen [kann] (Möbius et al. 2006: 214). Die Geschichte des Internets lässt sich in vier Hauptphasen einteilen. Nach der Initialzündung auf Grund militärischer Überlegungen in den sechziger Jahren folgte die Entwicklung in Wissenschaftsnetzen, von denen aus eine Demokratisierung des Netzes stattfand, die schließlich in die anhaltende Phase der Kommerzialisierung mündete und Anwendungen im Internet zunehmend unter das Diktat der Gewinnerwirtschaftung stellt(e). Bekanntlich haben vor über 30 Jahren Physiker erst zwei, dann vier Universitäten in Kalifornien und Utah miteinander vernetzt und damit den Grundstein für das weltweite Netzwerk gelegt. Der Durchbruch in der Öffentlichkeit gelang allerdings erst 1989: Am Kernforschungszentrum in Genf, CERN, wurde ein Projekt mit dem Namen HyperText und CERN diskutiert, das dann 1990 mit dem Namen World Wide Web die Geburtsstunde des Inter-Netzes wurde. Die Bedeutung und Rasanz der Entwicklung seit Anfang der neunziger Jahre spiegelt sich in der exponentiellen Entwicklung der vernetzten Rechner (Hosts) und Domains wider. Im Januar 2005 stieg die Zahl der.de-domains erstmals auf über 9 Millionen, in Deutschland sind heute 58 % der Bevölkerung ab 14 Jahre online (vgl. Abb. 1) und täglich erreicht das Internet nach der repräsentativen Studie Massenkommunikation 2005 (Ridder/Engel 2005: 429) 28 % der Bevölkerung. Als Hauptgrund der Internetnutzung geben 91 % der Befragten die Suche nach Information an und als zweitwichtigsten Grund Spaß haben, dennoch ist das Internet aber weiterhin, anders als Fernsehen und Rundfunk, kein Medium, bei dem Entspannung als Motiv stark genannt wird (ebd., S. 430). Es scheint, als sei die Welt durch das Internet vernetzt und jeder habe Zugang zum weltumspannenden Inter-Net. Dies gilt jedoch nur eingeschränkt: Während Nordamerika mit 5,1 % Anteil an der Weltbevölkerung 23,4 % aller Internetuser stellt und Europa mit einem Anteil von 11,4 % derweltbevölkerung 28,5 % aller User, ist in Afrika mit 14 % der 27
6 PETER SCHLOBINSKI Weltbevölkerung der Anteil der Internetuser mit 2,5 % extrem gering 1. Neben diesem global digital divide bestehen auch starke lokale Unterschiede im Internetzugang (vgl. Einemann 2006). Selbst in Ländern mit einer hohen Internet-Penetrationsrate wie Deutschland gibt es eine deutliche Scheidung in jene, die privilegierten Zugang zum Internet haben, und jene, die weitgehend ausgeschlossen sind, sei es aufgrund sozialer oder anderer Faktoren. Abb. 1: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland (nach van Eimeren/Frees 2005: 363) Neue Technologien haben Auswirkungen auf lokale Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften, aber auch globalisierte Kommunikationszusammenhänge. Die digitale Revolution ist in vollem Gange und erfindet sich immer wieder neu, wie die Entwicklung der Blogosphäre (nicht nur) in Deutschland zeigt (vgl. hierzu Schlobinski/Siever 2005 und den Beitrag von Schönberger in diesem Band), und sie ist nicht die erste Revolution im Hinblick auf mediale Kommunikationstechnologien. Die Entwicklung der Schrift, die skriptografische Revolution, die Erfindung des Buchdrucks, die typografische Revolution, und die Erfindung der Ton- und Filmträger, die phonografische und kinomatografische Revolution, waren entscheidende Etappen im Hinblick auf massenmediale Kommunikationsformen, die der sog. 2. Gutenberg-Revolution vorausgesetzt sind. Die Entwicklung der Schrift vor knapp 5000 Jahren ist ein junger, aber dennoch extrem bedeutsamer Schritt in der Geschichte der Medienentwicklung. Aus der Perspektive einer literaten Gesellschaft wie der unsrigen scheint es kaum vorstellbar, dass die Folgen der skriptografischen Revolution gegenüber der Oralität so kritisch gesehen wer- 1 < > 28
7 Bedeutung digitalisierter Kommunikation den wie bei Platon, der im Phaidros vier Einwände gegen die Schrift formuliert: Schrift schwäche das Gedächtnis, biete nur einen stummen Text, sei nicht auf einen spezifischen Adressatenkreis ausgerichtet und der nicht anwesende Autor stehe als Person nicht für das zu Vermittelnde ein (s. Schlaffer 1986: 10). Die Einwände Platons bilden eine Negativfolie für die positiven Aspekte von Schrift. Sie entlastet das Gedächtnis, und mit Schrift wird Kommunikation aufbewahrbar (Luhmann 1984: 127). Dadurch findet ein Entsituierungsprozess statt: Die Kommunikation wird enttemporalisiert, unabhängig vom Gedächtnis der Interaktionsteilnehmer, unabhängig vom Hier der Interaktionsteilnehmer und unabhängig von der Alter-Ego-Situation. In bühlerschen Kategorien gefasst: Durch Schrift wird Kommunikation unabhängig von der Sprechsituation und die primäre Origo zu einer virtuellen, sekundären. Dabei wird die Kommunikation in ihren sozialen Effekten vom Zeitpunkt ihres Erstauftretens, ihrer Formulierung abgelöst (ebd., S. 128). Konsequenzen: Man schreibt zukünftige sozial prototypische Situationen, bei denen man nicht anwesend zu sein braucht. Die Erfindung des Buchdrucks erhöht die Reichweite und Frequenz der Distanzkommunikation mit entsprechenden Auswirkungen auf Sprach- und Kommunikationsgemeinschaften. Giesecke (1998) hat in seiner Arbeit zu den Auswirkungen des Buchdrucks in der frühen Neuzeit gezeigt, dass die im Zeitalter des Buchdrucks in Europa geschaffenen Sprachen sich letztlich als Kodierungsanweisungen für die Informationsspeicherung und -verbreitung in den neuen, nationalen typographischen Systemen erweisen. Durch internet- und mobilfunkbasierte Schriftkommunikation werden die Standardsprachen als ursprünglich notwendige Standarddruck- bzw. Standarddruckschriftsprachen neu und verändert gebraucht in schriftbasierten, aber konzeptionell oraten Kommunikationssystemen. Schriftsprache kommt unter den Druck emulierter Mündlichkeit (vgl. Haase et al. 1997). Es entstehen funktionale Schriftsprachvarianten, die sich in Konkurrenz zu Standardisierungs- und Normierungsprozessen ausbilden und die im Hinblick auf die medialen Bedingungen und kommunikativen Funktionen optimiert sind. Die schriftsprachlichen Varianten in der Chat- oder SMS- Kommunikation sind somit nicht defizitäre Standardschreibungen, sondern adäquater, funktionaler Ausdruck veränderter Schreibpraxen vor dem Hintergrund der computer- und handybasierten Technik einerseits (speziell der Tastaturbedienung) und der sprechsprachlichen Konzeptionalität andererseits. Damit verbunden ist eine Abkehr von der handschriftlichen Papierkommunikation. Wie eine neuere Studie 2 zeigt, 2 < > 29
8 PETER SCHLOBINSKI schreiben noch 39 % der über 65-Jährigen auf Papier, bei den Jährigen sind es indes gerade noch 5 %. Demgebenüber hat die - Kommunikation einen Anteil von 49 %, bei den Jüngeren aber nur noch einen von 28%. Diese benutzen stattdessen viel stärker SMS oder Instant Messaging, was die schriftliche Kommunikation verdichtet und mit grafischen Zeichensystemen verbindet. Damit verstärkt sich die Tendenz, dass visuell vermittelte Botschaften heute nicht aus Schriftzeilen (gar aus fortlaufend zu lesenden Ganztexten), sondern aus Sehflächen [bestehen], auf denen außer Schrift alle möglichen anderen Arten sichtbarer Zeichen auf mehr oder minder komplexe Weise versammelt oder komponiert sind (Schmitz 2005: 3). Im Internet findet sich die digitale Variante einer tertiären Schriftlichkeit, wie sie Ulrich Schmitz in seinem Beitrag beschreibt. Indem Schriftsprache als standardisierte Sprache derart von zwei Seiten in die Zange genommen wird durch die gesprochene Sprache sowie Visualisierungstechniken, das Einfallstor sind hierbei neue Textsorten und Mediengenres der 2. Gutenberg-Revolution wie z. B. die Chatkommunikation, unterliegen Sprachnormen einem zunehmenden Druck, der zu sprachlichen Variationen führt und Auslöser für einzelne Sprach- und Schriftwandelprozesse sein kann. Die medial bedingten Schreibpraxen sind auf der Folie schriftsprachlicher Normierung zu sehen, sie ersetzen nicht das standardisierte Schriftsystem, bilden sich aber in Konkurrenz und quasi als Parallelsysteme aus. Vor dem Hintergrund der klassischen Medienrevolutionen ist das Internet kein neues Medium, sondern eine Technologie, in der auf der Folie der Digitalisierung von Information bisherige Medien integriert sind. Genau dies ist gemeint, wenn vom Internet als Multimedium oder Hybridmedium gesprochen wird. Es findet eine Integration verschiedener Kommunikationsweisen in ein interaktives Netzwerk statt: die Herausbildung eines Hypertextes und einer Meta-Sprache, die erstmals in der Geschichte der schriftlichen, oralen und audiovisuellen Spielarten der menschlichen Kommunikation in dasselbe System integrieren (Castells 2001: 376). Intermedialität und funktionale Abstimmung unterschiedlicher Einzelmedien bilden das Fundament der Integration und Hybridisierung. Dies findet seinen Niederschlag im Konzept von Hypermedia, in dem Bild, Ton und Schrift integral und durch Linkstrukturen vernetzt aufeinander bezogen sein können. Hypermedia sind Hypertexte in Kombination mit Multimedia. Einen wesentlichen Aspekt von Hypermedia stellt die Hypertexttechnologie dar, die als Medium der nicht linearen Organisation von Informationseinheiten (vgl. Kuhlen 1991) ein starkes Potenzial zur Interaktivität und Interaktion aufweist, die partiell quasisynchron erfolgt 30
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