Universität Kassel, Grundpraktikum Physikalische Chemie Studiengänge Nanostrukturwissenschaft, Lehramt Chemie, Diplom Biologie
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- Alfred Dunkle
- vor 7 Jahren
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1 Molmassenbestimmung mittels Gefrierpunktserniedrigung (Kryoskopie) Themenbereiche Chemisches Potential; Thermodynamik idealer und nichtidealer Lösungen; Aktivitäten und Aktivitätskoeffizienten; Phasengleichgewichte; kolligative Eigenschaften. Aufgabe Bestimmen Sie die Molmasse eines nichtflüchtigen gelösten Stoffes. Die zu untersuchende Substanz erhalten Sie vom Betreuer des Versuchs. Messprinzip Die Gefrierpunktserniedrigung ΔT einer Lösung im Vergleich zum reinen Lösemittel hängt in erster Näherung nur vom Lösemittel und von der Stoffmengen-Konzentration des Gelösten, nicht aber von dessen Materialeigenschaften ab. Zwischen der eingewogenen Masse m der gelösten Substanz und ΔT besteht demnach ein Zusammenhang, über den man die Molmasse M der gelösten Substanz ermitteln kann. Theorie Der Unterschied der Gefriertemperaturen von Lösung und reinem Lösemittel als Funktion der Konzentration des gelösten Stoffes kann auf thermodynamischem Weg berechnet werden. Betrachten wir das Gleichgewicht zwischen dem reinen festen Lösemittel A und der flüssigen Lösung, die eine in A gelöste Substanz B enthält. Der Molenbruch des Gelösten sei x B, dann ist der Molenbruch des Lösemittels x A = 1 - x B. Am Gefrierpunkt der Lösung sind die chemischen Potentiale des Lösemittels A in der festen (s) und flüssigen (l) Phase gleich und hängen mit x A folgendermaßen zusammen: μ* A (s) = μ A (l) = μ* A (l) + RT ln x A (1) Mit * gekennzeichnete Größen beziehen sich auf die Reinsubstanz; bezüglich der Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials werden ideale Verhältnisse angenommen. Gleichung (1) geht davon aus, dass sich die Substanz B nur im flüssigen Lösemittel A, nicht aber in festem A löst. Dies ist keineswegs immer der Fall. Ein Gegenbeispiel ist das System Gold in Silber, das gegenüber dem Schmelzpunkt von reinem Silber eine Gefrierpunktserhöhung Seite 1 von 7
2 aufweist, weil sich Gold nicht nur in flüssigem Silber, sondern auch in festem Silber löst (Mischkristallbildung). Jetzt stellen wir (1) um und machen von der Tatsache Gebrauch, dass bei jeder Temperatur T die Differenz μ* A (l) - μ* A (s) gleich der molaren freien Schmelzenthalpie Δ sm G(T) des reinen Lösemittels ist: ln x A = ln(1-x B ) = 1 RT [μ* A(s) - μ* A (l)] = G (T) RT Bitte führen Sie die Herleitung und Begründung von Gleichung (2) im einzelnen durch; diese Aufforderung gilt auch für alle anderen hier benutzten Zusammenhänge. Aus (2) werden wir nun mit einem mathematischen Trick (den Sie sich nicht merken müssen) die Schmelztemperatur als Funktion von x B ermitteln. Bezeichnet man nämlich die Schmelztemperatur des reinen Lösemittels mit T*, dann gilt bei T* selbstverständlich ln 1 = G(T*) RT* = 0 (3) Aus der Differenz der beiden Gleichungen (2) und (3) zusammen mit der Definitionsgleichung für die Freie Enthalpie G = H - TS erhält man weiter (2) ln(1-x B ) - ln 1 = ln(1-x B ) = G (T) G(T*) RT RT* = H (T*) RT* S(T*) R H (T) sm S(T) sm RT R Mit der Annahme, dass nur wenig gelöste Substanz vorhanden ist (0< x B 1), folgt einerseits ln(1- x B ) - x B. Andererseits ist dann zu erwarten, dass die Gefrierpunktserniedrigung klein sein wird, was wir gleich benutzen werden. Nimmt man schließlich noch an, dass die Schmelzenthalpie und die Schmelzentropie in dem betreffenden Temperaturbereich temperaturunabhängig sind, heben sich die beiden Entropieterme im letzten Gleichungsteil heraus, und die Gleichung lautet -x B = H R 1 T* 1 T (4) Im letzten Schritt ersetzen wir in guter Näherung (weil T nahe T* liegt) die Differenz der reziproken Temperaturen in (4) durch (T-T*)/T* 2 = ΔT/T* 2 und erhalten für die Gefrierpunktserniedrigung ΔT = T - T* ΔT = RT*2 H x B In dieser Formel kommt (neben der Schmelzenthalpie des Lösemittels und der Temperatur) nur der Molenbruch der gelösten Substanz vor, aber keine der Materialeigenschaften der ge- Seite 2 von 7
3 lösten Substanz. Das weist die Gefrierpunktserniedrigung als eine kolligative Größe aus. Andere Beispiele kolligativer Größen sind Dampfdruckerniedrigung, Siedepunkterhöhung und osmotischer Druck. Bitte beachten Sie, dass in der Literatur, sogar in Lehrbüchern, häufig das inhärent negative Vorzeichen von ΔT ignoriert wird. Weitere Umformung unter Verwendung der Näherung x B n B n A = m B M A m A M B (m steht für die Masse und M für die Molmasse des Lösemittels A bzw. des gelösten Stoffes B) ergibt den für die Laborpraxis wichtigen Ausdruck M B = M A RT *2 H m B m A 1 T = K kr m B m A 1 T (5) wobei im letzten Gleichungsteil die für das Lösemittel charakteristischen Werte in der sogenannten kryoskopischen Konstanten K kr zusammengefasst worden sind. Kryoskopische Konstanten einiger Lösemittel sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Lösungsmittel K kr / (K kg mol -1 ) Schmelzpunkt / C Wasser Benzol Cyclohexan Campher Die experimentellen Werte bestätigen die Vorhersage von Gleichung (5), dass Lösemittel mit großer Molmasse und hohem Schmelzpunkt, aber relativ niedriger Schmelzenthalpie wie z.b. Campher besonders große kryoskopische Konstanten haben. Solche großen Konstanten sind für die Molmassenbestimmung von Vorteil (wieso?). Historisch gesehen war die Kryoskopie, als genauere Methoden noch nicht zur Verfügung standen, eine wichtige Methode zur Molmassenbestimmung niedermolekularer Stoffe (Methode von RAST). Praktischer Teil Apparatur Die folgende schematische Abbildung zeigt die im Praktikumsversuch benutzte Apparatur. Die Lösung befindet sich in einem doppelwandigen Gefäß, das durch einen Stopfen verschlossen ist. Durch den Stopfen ist ein Rührer mit einem äußeren Motor verbunden. Das Seite 3 von 7
4 Doppelwandgefäß sitzt in einem mit Eis gefüllten Behälter. Als Maß für die Temperatur der Lösung wird die Thermospannung eines Thermoelements verwendet. Das andere Ende des Thermoelements taucht in Eiswasser, welches die Bezugstemperatur liefert. Die Thermospannung wird verstärkt und nach Kompensation eines konstanten Anteils mit einem Schreiber registriert. Ausführung der Messung Als Lösemittel für die unbekannte Substanz dient Cyclohexan. Die Lösung wird nach Angabe des Versuchsbetreuers hergestellt und in das doppelwandige Gefäß gegeben. Ohne große Verzögerung den Deckel mit Rührer und Thermoelement auf das Doppelwandgefäß setzen und mit den Klammern verschließen. Gefäß in den Eisbehälter einbringen und beide Teile am Stativ befestigen. Motor mit der Rührerachse verbinden und dabei auf freie Drehbarkeit der Achse achten. Das freie Ende des Thermoelements in einen Dewar mit Eis und Waser stecken. Das Eisgefäß mit zerkleinertem Eis füllen, den Abfluss-Schlauch schließen und dann Wasser zum Eis geben. Ein Abkühldiagramm ist leicht und genau auszuwerten, wenn die entscheidenden Merkmale das Schreiberblatt möglichst flächendeckend füllen. Dies ist bei Cyclohexan dann der Fall, Seite 4 von 7
5 wenn ein Temperaturbereich von etwa 4.5 bis 7 C abgedeckt wird. Die hierfür optimalen Einstellungen der Kompensationsschaltung und des Schreibers diskutieren Sie bitte mit dem Versuchsbetreuer. Das benutzte Thermoelement ist ein Kupfer-Konstantan-Element und ändert, bei fester Bezugstemperatur von 0 C, seine Thermospannung in der Nähe von 0 C um 39 μv pro Grad Celsius oder Kelvin. Den Rührmotor in Gang setzen und die Temperaturregistrierung beginnen. Wenn die Temperatur auf etwa 7 bis 8 C abgesunken ist, die Abkühlgeschwindigkeit durch Ablassen von Wasser durch den Abfluss-Schlauch verlangsamen. Der Gefrierpunkt des reinen Cyclohexans liegt bei 6 C. Da Cyclohexan zur Unterkühlung neigt, sinkt die Temperatur oft unter diesen Wert, ohne dass sich zunächst eine feste Phase bildet. In der Regel jedoch verlässt die Lösung den Zustand der Unterkühlung spontan, wobei die Temperatur rasch bis zum Schmelzpunkt steigt (wieso?). In Ausnahmefällen muss die Lösung mit festem Cyclohexan geimpft werden. Zu diesem Zweck in einem Reagenzglas Cyclohexan ausfrieren und eine Spur (die die Konzentration der Lösung nicht nennenswert ändert) des Festkörpers mit dem Glassstab in die Lösung bringen. Als erstes wird so der Schmelzpunkt des reinen Cyclohexans bestimmt. Danach durch Wegziehen des Kühlgefäßes das Cyclohexan wieder verflüssigen und die erste abgewogene Probe der zu untersuchenden Substanz darin auflösen. Die Lösung abkühlen und und ihren Gefrierpunkt messen wie zuvor beschrieben. Während der Vorbereitung dieser Messung können Sie den Schreiber anhalten. Wiederanschalten nicht vergessen, Schreibereinstellungen nicht verändern! Bei den weiteren Messungen geben Sie jedesmal zusätzliche Substanz zu der jeweils bereits vorhandenen und vermessenen Lösung; es soll nochmals betont werden, dass vor Substanzzugabe vollständige Verflüssigung vorliegen muss! Die vorgeschlagene additive Methode ist zeit- und substanzsparend, muss aber selbstverständlich bei der Auswertung der Messungen entsprechend berücksichtigt werden. Zur Temperaturmessung Für die Auswertung brauchen Sie die Unterschiede der Gefriertemperaturen. Sie erhalten Sie, indem Sie den mehr oder weniger waagrechten Teil Ihrer Temperatur-Zeit-Kurven bis zum Schnittpunkt mit dem vor dem Gefrieren abfallenden Kurventeil zurückextrapolieren. Da die Abstände dieser Punkte auf dem Schreiberpapier zur Berechnung der Temperaturdifferenzen dienen, dürfen Sie unter keinen Umständen die Einstellungen an Schreiber oder Kompensationsschaltung verändern. Andernfalls ist Ihre Messung wertlos. Zur Auswertung Bestimmen Sie die Abstände der extrapolierten Schmelzpunkte auf dem Schreiberpapier und rechnen Sie diese Abstände in Temperaturunterschiede und damit Gefrierpunktserniedrigungen um. Aus der verwendeten Lösungsmittelmenge und den zu den jeweiligen Gefrier- Seite 5 von 7
6 punktserniedrigungen führenden Probeneinwaagen erhalten Sie die anderen Daten, die zur Ermittlung der Molmasse der Probensubstanz erforderlich sind. Dabei ist es zweckmäßig, das Cyclohexan nicht auszuwiegen, sondern auszupipettieren. Die für die Umrechnung vom Volumen auf die Masse erforderliche Dichte des Cyclohexans erhalten Sie aus der Zahlengleichung ρ = (δ ), wo ρ der Zahlenwert der in g/ml gemessenen Dichte und δ der Zahlenwert der in C gemessenen Temperatur ist. Das Resultat einer Messung kann nur dann wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, wenn für das Resultat ein zumindest abgeschätztes Vertrauensintervall angegeben ist. Spezifizieren Sie deshalb den mittleren und den maximalen Fehler ihrer Molmassenbestimmung. Beachten Sie dabei, mit welcher Genauigkeit die relevanten Temperaturen und Temperaturunterschiede, die Masse des Cyclohexans und die Masse des Gelösten bestimmt wurden. Fragen Mit dem Sternchen * sind etwas schwierigere Fragen gekennzeichnet. zum Experiment: Welche Methoden der Temperaturmessung kennen Sie? Wie kommt eine Thermospannung zustande (SEEBECK-Effekt)? Wieso braucht man zur Temperaturmessung mit Hilfe der Thermospannung eine wohldefinierte Bezugstemperatur? Wieso nimmt man hierzu Eiswasser (also nicht etwa "trockenes" Eis)? Welche Methoden der Molmassenbestimmung kennen Sie? Was ist der Unterschied zwischen einem xy-schreiber und einem yt-schreiber? Welche Art setzen Sie im Experiment ein? Wieso? Prinzipiell hat eine elektrische Kompensationsschaltung die Aufgabe, relativ kleine Änderungen relativ großer Spannungen mit optimaler Genauigkeit registrieren zu können. Erläutern Sie Aufbau und Wirkungsweise einer Kompensationsschaltung. Warum kühlt die Lösung langsamer ab, wenn man "trockenes" Eis statt Eis in Wasser zum Abkühlen verwendet? Warum verlangsamt sich die Abkühlgeschwindigkeit bis auf Null, sobald beim Vermessen des reinen Lösungsmittels im Gefäß feste Phase abgeschieden wird? Wieso ist dieser Effekt bei Lösungen schwächer ausgeprägt? (Die Abkühlgeschwindigkeit sinkt, aber nicht auf Null.) Wieso eignet sich die Kryoskopie auch bei geringen Genauigkeitsansprüchen nicht gut für hochmolekulare Stoffe? Könnte man, statt im Winter mit Kochsalz zu streuen, prinzipiell auch Zucker nehmen? Wenn ja, warum tut man es nicht? Wasser und gelöstes Kochsalz kann man durch Tempertaurerhöhung, nämlich durch Destillation, trennen. Kann man die Salzlösung auch durch Temperaturerniedrigung trennen? Seite 6 von 7
7 Wieso kann man hartnäckige Unterkühlung durch "Impfen" brechen? (Manchmal genügt sogar Reiben mit einem Glasstab.) Erläutern Sie die Fehlerfortpflanzung im Falle der Gleichung (5) dieses Skripts. Welchen Vorteil gegenüber der in der Praxis gebräuchlicheren Molarität hat das in der Theorie der Lösungen benutzte Konzentrationsmaß Molalität? zur Theorie: Machen Sie sich anhand der Gleichung (5) klar, dass die kryoskopische Konstante eines Lösemittels zahlenmäßig gleich dem Betrag der (in K gemessenen) Gefrierpunktserniedrigung einer einmolalen, nicht der Dissoziation unterliegenden Lösung einer Substanz in diesem Lösemittel ist. Skizzieren Sie die Abhängigkeit der chemischen Potentiale der festen und flüssigen Phase einer Reinsubstanz von der Temperatur. Versuchen Sie, mit Diagrammen dieser Art die Gefrierpunktserniedrigung in Lösungen qualitativ zu erklären. * Versuchen Sie, mit Diagrammen dieser Art die Gefrierpunktserhöhung in solchen Systemen qualitativ zu erklären, in denen ausgeprägte Mischkristallbildung auftritt (das Beispiel Silber / Gold wurde in dem vorliegenden Skript genannt). Tip: Hier sinkt das chemische Potential des Substrats auch im festen Zustand mit zunehmendem Anteil der Fremdsubstanz. Wissenschaftshistorisch hat die Gefrierpunktserniedrigung eine wichtige Rolle bei der Beantwortung (VAN'T HOFF 1885) der Frage gespielt, ob die Dissoziation von Elektrolyten in Ionen schon beim Auflösen in Wasser erfolgt oder, wie manche damals noch geglaubt haben, erst beim Anlegen einer elektrischen Spannung an die Lösung. Wieso? Erläutern Sie die Phasenregel, i.b. deren Aussagen über binäre (d.h. zweikomponentige) Systeme. * Erläutern Sie das Phasendiagramm Wasser / Kochsalz bei Atmosphärendruck. (Unter dem Phasendiagramm eines solchen binären Systems versteht man die Auftragung der Temperaturen, bei denen zwei oder drei Phasen koexistieren, gegen die Zusammensetzung jeder dieser Phasen bei konstantem Druck, meist Atmosphärendruck. Bei einem bestimmten Druck deutlich unter Atmosphärendruck würde es sogar Koexistenz von vier Phasen geben.) Seite 7 von 7
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