Epilepsien. Thomas Münte
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- Lennart Scholz
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1 Epilepsien Thomas Münte geboren 1960, verheiratet, 4 Kinder Medizinstudium Göttingen U of California San Diego, Dept of Neuroscience Neurologie (Psychiatrie) Med Hochschule Hannover U of California San Diego, Dept of Cognitive Science Lehrstuhl für Neuropsychologie, U Magdeburg International Neuroscience Institute Hannover Seit 1. Mai 2010 Universität zu Lübeck 1
2 Poliklinik-Vorlesung Erstes Treffen: Morgen, Dienstag, :15 Uhr Bibliothek Neurowissenschaften Zwischen Station 45b und 46b Prävalenz neurologischer Erkrankungen in den USA M. Alzheimer 1 5 Mill. Schlaganfall 2.8 Mill. Epilepsie 1.5 Mill. M. Parkinson Mill. Multiple Sklerose 0.25 Mill. Querschn.-L Mill. Hirnverletztung Mill. Newsletter der World Fed Neurol, Jan
3 Epidemiologie der Epilepsien Inzidenz Neuerkrankungen / / Jahr Kumulative Inzidenz 2 5 % Epidemiologie der Epilepsien In Deutschland etwa Epilepsiekranke Bei jedem 20. Menschen >/= 1 Anfall 3
4 Vorurteile gegenüber Epilepsien Sündenstrafe Besessenheit durch Dämonen Ansteckung Christus heilt einen Fallsüchtigen Tafelbild um 1750 Lutherische Kirche in Krummenau 4
5 Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 Halten Sie Epilepsie für eine Form von Geisteskrankheit oder nicht? Würden Sie etwas dagegen haben, dass ihr Kind oder eines ihrer Kinder in der Schule und beim Spielen mit Personen zusammenkommt, die manchmal epileptische Anfälle bekommen? Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 Epilepsie eine Geisteskrankheit? JA NEIN? Alle Abi/Uni j > 65 J
6 Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 Umgang des eigenen Kindes mit einem epilepsiekranken Kind? ja nein? Häufigkeit und Stigma machen Epilepsie zu einem sozialmedizinischen Problem ersten Ranges Epilepsiebericht 1985 /1999 6
7 Epileptischer Anfall Gelegenheitsanfall Unprovozierter Anfall Epilepsie Wiederholtes und (mit Ausnahme der sehr seltenen Epilepsien mit spezifischen auslösenden Stimuli) unprovoziertes Auftreten von Anfällen aufgrund paroxysmaler exzessiver neuronaler Entladungen des Gehirns bei fehlender akuter Ursache Mechanismen, die epileptische Reaktionen von Neuronengruppen auslösen können Störungen des exzitatorischen / inhibitorischen Transmitterstoffwechsels Veränderungen der Membranrezeptoren / Ionenkanäle Veränderungen des Elektrolytgleichgewichts Störungen des neuronalen Energiestoffwechsels 7
8 Diagnostik einer Epilepsie Die D. erfolgt klinisch und beruht auf einer detaillierten Anamnese der Abläufe vor, während und nach dem Anfall (Patient und Anfallszeuge) sowie auf den klinischen, elektroenzephalographischen und bildgebenden Untersuchungsbefunden Klassifikation der Epilepsien Fokale E. Generalisierte E. Unklassifizierbar 8
9 Fokale Epilepsien Generalisierte Epilepsien 9
10 Epilepsie vs. Anfall Für die Diagnose Epilepsie ist das wiederholte Auftreten von Anfällen entscheidend. Abgrenzung von einem Gelegenheitsanfall notwendig. Grundsätzlich ist jedes Gehirn krampffähig individuelle Krampfschwelle/Disposition. Mögliche Auslöser sind: Alkohol Infekt Schlafentzug starke körperliche Anstrengung Alkalose Medikamente. Idiopathisch vs. symptomatisch idiopathische (genuine) Epilepsie: Fehlen einer bekannten Urs., starke genetische Disposition, altersgebundener Beginn. symptomatische Epilepsie: Mißbildungen, perinatale, traumatische, entzündl., ischämische Hirnschädigung, Tumor, metabolische Störungen, Alkohol (-entzug). erstmalige Krampfanfälle nach dem 25. Lebensjahr immer V.a. symptomatische Anfälle!!! 10
11 Genetik Risiko für Kinder von Gesunden ca. 1 % Risiko bei Kinder von idiopathischen Epileptikern ca. 5 % für manche Syndrome (familiäre Frontallappenepilepsie) sind Veränderungen an Ionenkanälen beschrieben worden. In Zukunft vermehrt genetische Lokalisation und Charakterisierung von Kanalschäden zu erwarten. Anfälle / Status Anfall: kurze, meist nur Sekunden bis Minuten dauernde Episode mit epileptischer Erregung im ZNS Anfallsserie: mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Anfälle mit zwischenzeitlicher Wiedererlangung des Bewußtseins. Status epilepticus: Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Wiedererlangung des Bewußtseins. (Letalität >>10%, sofortige Therapie!!) 11
12 Einteilung (ILAE, 1981): I. Fokale Anfälle: 1. Einfach-fokale Anfälle (Bewußtsein nicht gestört): Motorische Symptome (z.b. Jackson Anfälle), somatosensorische oder spez. sensorische Symptome, autonome oder psychische Symptome 2. Komplex-fokale Anfälle (mit Störung des Bewußtseins) a.) mit Störung des Bewußtseins zu Beginn b.) Einfach fokaler Beginn, gefolgt von einer Störung d. Bewußtseins 3. Fokale Anfälle, die sich zu sekundär generalisierten Anfällen entwickeln Fokale Anfälle A Einfach fokale Anfälle ohne Bewußtseinstrübung Jackson-Anfälle tonische oder klonische Zuckungen (motorische Jackson-Anfälle) oder Mißempfindungen (sensible Jackson-Anfälle), die sich meist an Armen oder Beinen von distal nach proximal ausbreiten (March of convulsion) postparoxysmale Parese möglich Ursache: umschriebene Hirnschädigung in der Zentralregion 12
13 Fokale Anfälle A Einfach fokale Anfälle ohne Bewußtseinstrübung Adversiv-Anfälle Sekunden dauernde Seitwärtsbewegung der Augen und tonische Drehung d. Kopfes, z.t. Heben des angeblickten Armes Urs: Kortikale Schädigung der lateralen oder medialen Frontalregion Einfach fokaler Anfall 13
14 Einfach fokaler Anfall Einfach fokaler motorischer Anfall 14
15 Supplementär motorischer Anfall 15
16 Fokale Anfälle B Komplex fokale Anfälle Psychomotorische Anfälle = Temporallappen-Epilepsie Verlauf in 3 Stadien: (1) Aura (2) Bewußtseinstrübung: Dauer 1-2 Minuten, gewisse Reaktionsfähigkeit erhalten,orale Automatismen, Nesteln; vegetative Symptome (Pupillenerweiterung, HF-Steigerung, Hyperventilation (3)Reorientierung: für den Anfall besteht Amnesie Urs: Hirnschädigungen im Bereich des basalen Temporallappens (auch als sekundäre Schädigung nach häufigen großen Krampfanfällen möglich) 16
17 Komplex-fokaler Anfall 17
18 Temporallappen-Anfall links 18
19 Mesiale Temporallappensklerose Komplex fokaler Anfall 19
20 Fokale Anfälle B Komplex fokale Anfälle Frontallappen-Anfälle Komplexe, oft bizarre Symptomatik (DD: psychogene Anfälle), jedoch in der Wiederholung sehr ähnlich, abrupter Beginn, kurze Dauer u. große Häufigkeit mögliche Symptome: Herumlaufen, Hinfallen, Fechterstellung, Grimassieren, Automatismen, emotionale Symptome Fronto-lateraler Anfall 20
21 Orbitaler Anfall 21
22 Cingulärer Anfall 22
23 Okzipitallappenepilepsie; Anfall 23
24 Auren ein "aufsteigendes" Gefühl vom Bauch, Brust, Rücken, Beinen, ein Kribbeln im Arm oder Bein, Sehen von Licht- oder Farberscheinungen, Perspektivveränderungen, Gesichtsfeldeinschränkungen, Hören von Musik, Stimmen, Geräuschen, Auren Halluzination von Szenen, Imaginationen Zeitlupenempfindung, "Käseglockengefühl" Geruchs- und Geschmacksempfindungen Fremdheit von Bekanntem, scheinbare Vertrautheit oder Wiedererkennen von unbekannten Dingen oder Situationen (Dejavu). Stimmungsveränderungen mit Glücks- oder Angstempfinden 24
25 Einteilung (ILAE, 1981): II. Generalisierte Anfälle: Absencen Grands-maux Myoklonisch-astatische Anfälle bei generalisierten Anfällen liegt keine umschriebene Hirnschädigung vor (beachte jedoch: sekundär generalisierte Anfälle) III. Unklassifizierbare Anfälle BNS Krampf 25
26 Generalisierte Anfälle Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (West-Syndrom) 1. Lebensjahr brüske Vorwärtsbewegung des Kopfes, Anheben der Beine und des Rumpfes, Einschlagen der Arme, Bewußtseinstrübung, wenige Sekunden Dauer EEG: Hypsarrhythmie Urs. 90% perinatale Hirnschäden, 30% zusätzliche konstitutionelle Krampfbereitschaft schlechte Prognose 26
27 Hypsarrhythmie Generalisierte Anfälle Lennox-Gastaut-Syndrom Slow-spike-wave-Komplexe 27
28 Generalisierte Anfälle Pyknolepsie = Absencen (Friedmann Syndrom) Lebensjahr (Grundschule) Kind wird blaß, bekommt einen starren Blick, hält mit seiner Tätigkeit inne, ohne hinzustürzen und reagiert nicht auf Anruf. Evtl. Lidmyoklonien, nystagtische Augenbewegungen nach oben, ruckartiges Rückwärtsneigen des Kopfes, leichtes Zucken mit den Armen Anfallsdauer wenige Sek., aber große Häufigkeit von 100/Tag möglich EEG: charakteristische 3/sec spikes and waves Urs.: hereditäre Disposition 3/s Spike-Wave-Komplexe 28
29 Abscencen 29
30 Generalisierte Anfälle Grand mal evtl. Einleitung durch Aura (bei sekundär general. Anfällen) Initialschrei, Verdrehung der Bulbi, zyanotisches Gesicht Sturz zu Boden tonischer Krampf mit Streckung von Beinen und Armen klonische Zuckungen für 1-2 Minuten Zungenbiß, Schaum vor dem Mund, Enuresis Terminalschlaf postparoxysmaler Dämmerzustand: Bewußtseinstrübung, Ruhe-/Ratlosigkeit, überschießende Reaktionen, ängstl. Fluchtreaktionen oder aggressives Agieren möglich Tonisch-klonischer Grand Mal 30
31 Tonisch klonischer Anfall 31
32 Tonischer Anfall 32
33 Generalisierte Anfälle Myoklonisch-astatische Anfälle 2-7. Lebensjahr Plötzlicher Tonusverlust Sturz, v.a. nach dem Aufwachen EEG: Spike-wave- Variantmuster, Polyspike wave Urs.: hereditäre Disposition 33
34 Generalisierte Anfälle Impulsiv-Petit Mal Lebensjahr (Pubertät) plötzliche myoklonische Stöße der Schultern und Arme unwillkürliches Wegschleudern von Zahnbürste oder Kaffeetasse, v. a. morgens, 2-3 Sek. Dauer polyspike-wave-komplexe Urs.: hereditäre Disposition Poly-Spike-Wave-Komplexe 34
35 Psychogener Anfall 35
36 Psychogene Anfälle Konversionsneurotisch häufig haben Epileptiker neben organischen Anfällen auch psychogene Augen geschlossen Reflexe normal EEG normal Bei Videoaufnahmen häufig Abstützreaktionen sichtbar Auslösbarkeit durch NaCl Lösung Psychogene Anfälle 36
37 Psychogene Anfälle Psychogene vs. Organische Anfälle Situationen, in den Anfälle auftreten Verletzungen? Zungenbiß? (gegebenenfalls wo) Reflexe / Babinski Augen geschlossen / offen? Pupillenreaktion? Auslösbarkeit (durch NaCl) beachte: psychogene Anfälle kommen nicht selten bei Epileptikern vor. 37
38 Synkope 38
39 Und was ist das??? 39
40 Leitlinien der Behandlung Gründliche Diagnostik (insbesondere : DD epileptische nichtepileptische Anfälle, Syndromklassifikation, Ätiologie) Einigkeit zwischen Arzt und Patient über die Therapieziele Individuell dosierte Pharmakotherapie mit optimal geeigneten Medikamenten Falls nötig, frühzeitige psychiatrische und psychologische Therapie sowie soziale Unterstützung Bei Therapieresistenz frühzeitige Prüfung der Indikation zu einer epilepsiechirurgischen Therapie 40
41 Therapie von Epilepsien Behandlung der Ursache Vermeidung von anfallsauslösenden Faktoren Medikamentöse Behandlung Chirurgische Therapie der Epilepsie Psychologische Therapie?? Indikation zur medikamentösen Therapie Mehr als 1 Anfall Ausnahmen: Lange Pausen zwischen den Anfällen Provozierte Anfälle Ungenügende Compliance Bereits nach einem Anfall bei hohem Risiko eines Anfallsrezidivs Beispiele: strukturelle Hirnschädigung, myoklonischer Anfall bei Jugendlichem 41
42 Ziele der Behandlung Anfallsfreiheit Keine bedeutsamen Nebenwirkungen der Behandlung Problemlose psychosoziale Entwicklung Entdeckung /Markteinführung klassischer Antiepileptika 1857 Brom 1912 Phenobarbital (PB) 1938 Phenytoin (PHT) 1944 Oxazolidine 1951 Sukzimide 1952 Primidon (PRM) 1962 Carbamazepin (CBZ) 1973 Valproat (VPA) 42
43 Markteinführung neuer Antiepileptika 1991 Vigabatrin (VGB) SABRIL 1993 Lamotrigin (LTG) LAMICTAL 1995 Gabapentin (GBP) NEURONTIN 1995 Felbamat (FBM) TALOXA 1997 Tiagabin (TGB) GABITRIL 1998 Topiramat (TPM) TOPAMAX 2000 Oxcarbazepin (OXC) TIMOX TRILEPTAL 2000 Levetiracetam (LEV) KEPPRA 2004 Pregabalin LYRICA Untersuchung der Wirksamkeit alter und neuer Antiepileptika Kwan u Brodie N Engl J Med 2000;342:314-9 Kwan u Brodie Epilepsia 2001;42:
44 Nebenwirkungen Behandlung Müdigkeit Kognitive Einbußen Stimmungsveränderungen Fruchtschäden Leberfunktionsschäden Anfallsfreiheit bei > 80 % der generalisierten Anfälle bei < 60 % der komplex partiellen Anfälle Chirurgische Therapie von Epilepsien 44
45 Behandlung Ca. 20 Medikamente sind im Handel unterschiedliche Wirksamkeit bei den verschiedenen Epilepsieformen Prinzipien Monotherapie > ausdosieren zweites Medikament, Monotherapie > ausdosieren Kombinationstherapie 3-Fach Kombination Chirurgische Therapie von Epilepsien Bei < 1 % angezeigt Resektion des epileptogenen Herdes Multiple subpiale Transsektion Stereotaktisch geführte Radiotherapie Stimulation des N. vagus Direkte cerebrale Stimulation Nucl. subthalamicus Thalamus Hippocampus Split-brain Operation 45
46 Chirurgische Therapie Nebenwirkungen Psychosen Gedächtnisstörungen (H.M.!) Patient H.M. 46
47 Patient H.M. 50 Jahre später Patient H.M. 50 Jahre später heute intakte alte Fakten retrograde Amnesie anterograde Amnesie Zeitbegrenzte Rolle des Hippokampus beim episodischen Abruf Kritische Rolle des Hippokampus bei der Enkodierung 47
48 Medial Limbic Circuit Cingulate Gyrus Anterior Thalamus Mamillothalamic Tract Mammilary Bodies Fornix Hippocampus Medial (Papez) Psychologische Behandlung Biofeedback? Negativierung im EEG = Aktivierung Positivierung im EEG = Hemmung Steuerung eines Raumschiffes über das DC- Potentials des EEG Wirksamkeit umstritten 48
49 Hemisphärenatrophie bei Rasmussen-Syndrom SPECT bei Rasmussen-Syndrom Hyperperfusion 49
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