Marius von Mayenburg DAS KALTE KIND
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- Julian Kohl
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1 Marius von Mayenburg DAS KALTE KIND 1
2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2001 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2
3 PERSONEN Johann Tine 3
4 I Johann Johann Es hätte auch woanders sein können, aber ich habe sie auf der Toilette kennengelernt. Und wir waren dabei. Ich war nicht dabei. Natürlich warst du dabei. Ich war im Leben noch auf keiner Damentoilette. Da sind sie auch allein gewesen, zu zweit. Eben, aber du sagst, du warst dabei. Ein gemeinsam verbrachter Abend, das ist entscheidend, auf dem Klo waren sie natürlich zu zweit. Ich bin sonst nicht gewalttätig, aber es gibt Situationen, da reißt mir der Faden. Außerdem, und das ist entscheidend, waren sie gar nicht zu zweit. Es ist alles falsch, was sie sagt. Angefangen habe ich möglichst weit weg vom Zentrum. Am Stadtrand. Die ersten Bierschwemmen und Ausflugslokale, die in Sicht kommen, wenn man von der Autobahn abgeht. Aber mit der Zeit wird es fad da draußen, also hab ich mich vorgearbeitet, Stück für Stück in Richtung Stadtmitte. Das hat eine Weile gedauert, weil ich immer nur am Wochenende losbin, bis zum Noldeplatz hab ich sicher zwei Jahre gebraucht. Wir sind verabredet in dem neuen Restaurant am Noldeplatz, wo man auch draußen sitzen kann. Wir warten in einer Bar am Noldeplatz auf Johann und Melanie, Pentagon, oder so ähnlich. Ist das die Kneipe? Klub, die nennen das jetzt Klub. 5
5 Tine Wir sind im Polygam, das ist eins von den Cafés am Noldeplatz, in die ich sonst keinen Schritt setze. Meine Eltern sind reingefahren aus Schönewald mit meiner Schwester, sie wollen sehen, wie sowas ist, wo ich immer hingehe, in der großen Stadt, aber wo ich immer hingehe, da kann ich sie natürlich nicht mitnehmen. Hier schlägst du also deine Nächte um die Ohren. Von der Bar aus sichte ich die Fleischtheke.. Der Mensch an der Bar starrt dich an. Der meint sicher die Tine.. Die meint er jedenfalls unter Garantie nicht., sei nicht garstig. War das garstig? Ich hab das nicht gesagt, um dich zu kränken,, das war ganz ohne Ironie.. Vielleicht meint er ja dich. Noch nicht viel los. Den Fenstertisch behalt ich im Auge. Er starrt wirklich immer wieder rüber mit durchsichtigem Blick, aber zu dem Zeitpunkt läuft noch alles ganz gewöhnlich, und ich denke nichts weiter. Ich weiß nicht, wie ich den Abend schaffen soll und fange übergangslos an zu trinken. Ich hab nicht richtig Lust heut, es ist mehr, weil Samstag ist, und ich weiß, wenn nicht heut, dann wirds wieder eine Woche nichts. Es ist ein lauer Abend mit Sonne auf der Terrasse, als die beiden sich kennenlernen. Sieht nach Regen aus, setzen wir uns rein. Du hast noch nicht mal an den Himmel geschaut. Das riech ich. 6
6 Ein erster Sommertag. Das Kind friert. Sie trinkt Campari Orange zur Überbrückung, und weil sie sonst nichts von der Karte kennt. Ich habs noch nie erlebt, daß ich reinkomme, und Johann und Melanie sitzen schon am Tisch und winken. Nie. Hast du noch was zum Zudecken? Ihre Lippen sind schon blau. Wahrscheinlich hat sie sich die Lippen angemalt und das Hemd so aufgeknöpft, daß ihre weißen Brüste halb zu sehen sind. Was? Und dann hat sich Johann nicht beherrschen können und hat sie im Flur gegen die Schrankwand gedrückt und sie gefickt. Wovon redest du? Im Stehen durch den Hosenschlitz, mit hochgeschlagenem Rock, und ihr weißer Arsch hat geschimmert im Dunkeln.. Die kalten Finger. Faß mal an da. Und danach muß sich Melanie neu anziehn und noch mal vor den Spiegel, weil ihr die Lippen quer übers Gesicht geschmiert sind, und Johann braucht eine neue Hose, und das ist jedesmal so, wenn sie sich anmalt und das Hemd aufknöpft zum Ausgehen, und deshalb sind sie nie da, wenn man verabredet ist.? Ja? Der Kinderwagen. Schau. Nina hat blaue Lippen und zittert. Unser Kind friert. Wenn ich weiß, daß ich warten muß, bestell ich gemischte Alkoholika und senke mit versteinten Zügen den Kopf über das Glas. Der Mensch hinter der Theke denkt dann, ich bin ein unglücklicher Trinker mit Problemen zu Hause und läßt mich in Ruhe. Ist das dein Freund, der Mensch an der Bar? 7
7 Tine Ich hör nicht, was sie sagen, ich schau auf die Kastanie vor dem Fenster, die ausgeschnitten in einer schwarzen Gewitterwand steht, die Sonne spielt noch mit letzten Strahlen auf den Blättern, und schwarze Vögel Ob das dein Freund ist, der Mensch an der Bar? Ich kenn ihn nicht. Das hab ich gehört, daß man heute anonymen Sex lieber mag. Er meint das nicht so. Genau. Entschuldigung. Was ich sagen will was machst du so, liebe? Ich studiere,. Richtig. Was war das noch? Ägyptologie,. Nicht wahr,? Ja. Ägyptologie. Und da lernst du dann, wie man Ägypter wird? Nein? Nein, das lerne ich da nicht. Aber wie man eine Ägypterin wird, wie man ihn verführt, so einen arabischen Ägypter? Das ist natürlich völliger Unsinn, entschuldige. Ich höre dir zu. Ich lerne ausschließlich, wie man sie fickt, die Ägypter, möglichst viele, weil sie ja arabisch sind und einen Harem haben. Natürlich. Sag ich doch. Eine Unverschämtheit. Ich hab gleich gewußt, daß man mit ihr nicht reden kann., red nicht so mit. Wo er dir eine Chance gibt. Ein besonderer Abend. Atmosphärisch speziell. Ich weiß schon jetzt, heute abend wird etwas geschehen. Ich weiß nicht, ob mein Geschlecht groß ist oder klein. Ich habe keinen Vergleich. Mir kommt es groß vor, wenn ichs in der Hand halte. 8
8 . Hm? Du schaust nur in den Kinderwagen. Tu ich das? Ständig. Als ob da drin ein Fernseher läuft. Schaut ja sonst keiner rein. Das Kind könnte erfrieren da drin. Trink mal einen Schluck Bier. Du schaust bloß zur Tür, ob Melanie und Johann im Eingang stehen. Weils eine Unverschämtheit ist. Wegen mir brauchen die gar nicht mehr kommen. Nach einer Stunde hab ich keine Lust mehr, mit denen zu reden. Dann schau nicht immer zur Tür. Schon wieder. Was? Nicht mal, wenn du mit mir sprichst, ziehst du den Kopf aus dem Kinderwagen. Du bist fixiert. Mich wundert, daß dieses Kind überhaupt noch lebt, bei der Mutter. ( schüttet s Bierglas in den Kinderwagen.) O Gott. Bist du bescheuert? ( nimmt das Kind auf den Arm. will es nehmen.) Finger weg. Das wollt ich nicht. Sah auch ganz unabsichtlich aus. 9
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