Arbeiten in der Industrie von morgen

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1 Arbeiten in der Industrie von morgen Trendbestimmungen und Handlungsfelder Jonathan Niehaus Forschungsgebiet Industrie- und Arbeitsforschung Digitale Ethik 4.0: Gestalten Sie noch die Zukunft oder lassen Sie schon gestalten?, Köln, Niehaus

2 Die Vision Industrie Industrielle Revolution, neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten industriellen Wertschöpfungskette (Plattform Industrie 4.0) Integration von realer und virtueller Produktionswelt, dezentrale Selbstorganisation intelligenter Produkte Zentrale Entwicklungstrends (Pfeiffer/Suphan 2015; Kuhlmann/Schumann 2015) datentechnische Verknüpfung physischer Produkte (CPS) und deren Selbstoptimierung sowie Simulation Robotik-Konzepte und Assistenzsysteme Nutzung neuer Kommunikationsmedien und Plattformen (social media) in der industriellen Produktion,Frischzellenkur für den Industriestandort Deutschland 2

3 Die Vision Industrie 4.0 Quelle: Siemens, Amberg 3

4 Die Vision Industrie 4.0 Vorwiegend technikzentrierte Perspektive auf die Gestaltung zukünftiger Produktions- und Arbeitswelten Aber: Einbettung in betriebliche Zusammenhänge von Arbeit, Technik und Organisation notwendig smart factory als sozio-technisches System mit Wahlund Gestaltungsspielräumen 4

5 Industrie 4.0 als soziotechnisches System Übergreifendes Managementsystem, Vernetzung, Wertschöpfungskette Rahmenvorgaben: strategisch, normativ Autonom interagierende technologische Systeme: CPPS, Logistik etc. Mitarbeiter: Aufgaben Qualifikationen Erfahrungswissen Handlungsspielräume Organisation: Arbeitsteilung Kooperation Kommunikation Leitungsstruktur... mehr als Technik 5

6 Handlungsfelder zur Zukunft der Industriearbeit Beschäftigung: Substitution vs. Sicherung Arbeitsstrukturen: Entgrenzung vs. Regulierung Arbeit in der Industrie 4.0 Qualifikation: Upgrading vs. Polarisierung Mensch-Maschine- Interaktion: technische vs. menschliche Kontrolle 6

7 Beschäftigung Trendbestimmungen zwischen Erosion und Revival von Industriearbeit In our analysis of Industry 4.0 s impact on German manufacturing, we found that the growth it stimulates will lead to a 6 percent increase in employment during the next ten years. (BCG 2015, S. 8) Lassen sich die erwarteten Produktivitätspotentiale von Industrie 4.0 verwirklichen, werden ( ) zukünftig weniger Mitarbeiter benötigt. (Schlund et al. 2014, S. 20; ähnlich Frey/Osborne 2014, Bowles 2014) Menschenleere Fabrik nicht realistisch langfristigen Beschäftigungsperspektiven offen 7

8 Beschäftigungssegmente Hohe Übereinstimmung bei der Substitution von geringqualifizierten, einfachen Tätigkeiten in einigen Jahren wird es keine Jobs mehr für niedrig qualifizierte Arbeiter in der industriellen Produktion geben. (Th. Bauernhansl, Fraunhofer IPA zit. nach Spath et al. 2013) Aber: Strukturelles Beharrungsvermögen von Einfacharbeit bei schwer standardisierbaren Produktionsbedingungen Wachsende Anteile von hochqualifizierten Tätigkeiten (F&E, Engineering etc.) in der Industrie (10% Wachstum nach BCG-Studie) Zukunft der mittleren Qualifikationsebene (Facharbeit) ungewiss! 8

9 Neue Qualifikationsanforderungen Weitere Digitalisierung der industriellen Produktion führt zu veränderten Tätigkeits- und Qualifikationsanforderungen Anlern-, Facharbeits-, Zusatzqualifikationen Neue Aus- und Weiterbildungsstrukturen, neue Berufsbilder Aber: Wenig einheitliche Aussagen zu den unterschiedlichen Beschäftigungssegmenten Im Ergebnis unterschiedliche Entwicklungspfade: Upgrading oder Polarisierung von Qualifikationen 9

10 Upgrading von Qualifikationen Deutlich erhöhte Qualifikationsanforderungen aller Industriebeschäftigten Kompetenzen: IT-Kompetenz, Prozessverantwortung, theoretisch-analytisches Verständnis, Informationsverarbeitung, Erfahrungswissen Neue Schnittstelle zwischen Produktentwicklung und Produktion, Verbindung projektgeprägter Wissensarbeit und prozessgeprägter Produktion (Spath et al. 2013) Schwarm-Organisation als arbeitsorganisatorisches Muster: qualifizierte, selbstorganisiert agierende Beschäftigte These der Höherqualifizierung bzw. eines Attraktivitätszuwachses von Industriearbeit 10

11 Polarisierung von Qualifikationen These der Ausdifferenzierung: Einerseits: Zunahme von hochqualifizierten Tätigkeiten; Andererseits: Residualkategorien geringqualifizierter und einfacher Facharbeiten Erosion mittlerer Qualifikationsebenen (Produktion, Montage, Verwaltung) durch Prozesse der Substitution und Dequalifizierung polarisierte Organisation als arbeitsorganisatorisches Muster ausgeprägte Arbeitsteilung (Aufgabenerweiterung einerseits und Standardisierung andererseits) 11

12 Qualifikation: Divergierende Organisationsmuster Quelle: Hirsch-Kreinsen

13 Handlungsfelder zur Zukunft der Industriearbeit Beschäftigung: Substitution vs. Sicherung Arbeitsstrukturen: Entgrenzung vs. Regulierung Arbeit in der Industrie 4.0 Qualifikation: Upgrading vs. Polarisierung Mensch-Maschine- Interaktion: technische vs. menschliche Kontrolle 13

14 Mensch-Maschine-Interaktion Schlüsselfrage: Aufgaben-, Funktions- und Verantwortungsverteilung zwischen dem technischen System und manueller Produktionsarbeit Differenzierung zwischen Automatisierungsszenario (Steuerungsfunktion beim CPPS) und Werkzeugszenario (Kontrolle durch Facharbeiter, Unterstützung durch intelligente Systeme) Fachkräfte entweder als Träger der planenden, steuernden und ausführenden Tätigkeiten oder als vernetzte Rädchen in der unmenschlichen Cyberfabrik (Kurz 2015; Windelband 2015) offen: Fragen nach Kontrollpotentialen der Systeme (Big Data) und Kontrollstrategien des Managements 14

15 Entgrenzte Arbeitsstrukturen künftige Gestaltung von Arbeits- und Leistungsbedingungen von Industriearbeit wachsende Entkopplung von Arbeitszeit und Arbeitsort, zeitlich und räumlich flexible Formen der Projektarbeit Einerseits: bessere Work-Life-Balance, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Entlastung älterer Beschäftigter durch Assistenzsysteme Andererseits: fehlende Regulation, neue prekäre Arbeitsformen, Leistungsverdichtung Fragen der Beteiligung und Mitbestimmung der Beschäftigten und Funktionalität des Betriebsverfassungsgesetzes 15

16 Fazit: Arbeitspolitische Herausforderungen Widersprüchliche Trendbestimmungen zum Wandel der Industriearbeit Negative Tendenzen: Beschäftigungsunsicherheiten, Dequalifizierung, neue Kontrollmechanismen, Einschränkung von Beteiligungsspielräumen, hohe Leistungsanforderungen Positive Tendenzen: attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten, höherwertige Tätigkeiten und Qualifikationen, erweiterte Handlungsautonomie, selbstbestimmte Arbeitsstrukturen Reichweite der Industrie 4.0 noch unklar ( Insellösungen ) Vielfältige Potentiale, aber auch Grenzen, Widerstände, Abstimmungsprobleme mit bestehenden Strukturen, fehlende Ressourcen (u.a. KMU) 16

17 Ausblick: Prognosen? Zukunft der (Industrie-)Arbeit in der Konsequenz offen, aber auch gestaltbar (partizipative Systemeinführung) Zentrale Stellhebel der Gestaltung 1. Entwicklung arbeits-/sozialorientierter Leitbilder 2. Design des technologischen Teilsystems 3. Verlauf des Einführungsprozesses 4. Beteiligung und Partizipation der Mitarbeiter Akteure müssen Handlungsspielräume ergreifen 17

18 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. 18