Wie Kinderrechte zu Rechten von Kindern werden

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "Wie Kinderrechte zu Rechten von Kindern werden"

Transkript

1 Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.v. (Hrsg.) Wie Kinderrechte zu Rechten von Kindern werden Abschlussbericht zum Modellprojekt gerecht in NRW Unabhängige Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.v. Hofkamp Wuppertal

2 Durchführung: Deutscher Kinderschutzbund LV NRW e.v. Friedhelm Güthoff (Geschäftsführung) Hofkamp Wuppertal Laufzeit: August 2010 Dezember 2012 Auftraggeber: Landschaftsverband Rheinland (LVR), Modellprojektförderung Mitarbeiter/innen: Dr. Margareta Müller DKSB LV NRW Tel Dr. Thomas Swiderek DKSB LV NRW e.v. Tel Katharina Groß (bis 2/2012) Carsten Schröder (ab 3/2012) Konzept und Texterstellung: Thomas Swiderek Margareta Müller Friedhelm Güthoff Carsten Schröder Katharina Groß Redaktionelle Bearbeitung: Nicole Vergin Johannes von Ahn 2

3 Kooperierende Einrichtungen: Essen: Evangelische Jugend- und Familienhilfe Essen ggmbh Imhoffweg Essen Ansprechpartner: Herr Bodden, Herr Gröber Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung Steelerstr Essen Ansprechpartnerin: Frau van Bonn, Frau Davidheimann Kinderhausverbund Stiftung Glaubens- und Lebenshilfe Buddestr Essen Ansprechpartner: Herr Riemer Kinderheim St. Josefs Haus Münzenberger Platz Essen Ansprechpartner/in: Frau Gerschermann, Herr Kuhlmann Kindernotaufnahme Spatzennest Deutscher Kinderschutzbund OV Essen e.v. Schichtstr Essen Ansprechpartnerin: Frau Heuer Prof. Dr. Christian-Eggers-Stiftung Haus Trialog Alexanderstr Essen Ansprechpartner: Herr Kremer Köln: Caritas-Jugendhilfe-Gesellschaft mbh Klosterstr Köln Ansprechpartnerin: Frau Dr. Bommert Der Sommerberg Arbeiterwohlfahrt Am Sommerberg Rösrath Ansprechpartner: Herr Mönch Haus Eichenhöhe Bergstr Eitorf Ansprechpartnerin: Frau Weiß 3

4 Haus Miriam (CJG) Caritas-Jugendhilfe-Gesellschaft Klosterstr. 79, Köln Ansprechpartnerin: Frau Hennecke Jugend- und Behindertenhilfe Michaelshoven Pfarrer-te-Reh-Str Köln Ansprechpartner/in: Frau Braun, Herr Posthast Kinderheim Anna-Stiftung e.v. Bachstelzenweg Köln Ansprechpartner/in: Hr. Halbey, Frau Krizan Kinder- und Jugendhilfe St. Josef (CJG) Am Portzenacker 1a Köln Ansprechpartner: Herr Urbic Haus Maria Schutz Sozialdienst Katholischer Frauen Köln e.v. Clarenbachstr. 184a, Köln Ansprechpartnerin: Frau Rindle, Frau Theisen Schulte-Schmelter-Stiftung Rheinbergstr Köln Ansprechpartner: Herr Maurer In den kooperierenden Einrichtungen standen uns die vorgenannten Personen als Ansprechpartner/innen zur Verfügung. Weitere Mitarbeiter/innen der Einrichtungen waren engagiert am Projekt beteiligt. Auch ihnen und allen beteiligten Kindern und Jugendlichen danken wir an dieser Stelle für ihre Mitarbeit. 4

5 Gliederung 1. Einleitung Rechtsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe zwischen objektivrechtlichen Verpflichtungen und individuellen Rechtsansprüchen Rechtsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe und Betroffenenbeteiligung Rechte von Kindern und Jugendlichen Kinderrechte und Beteiligung im Kinder- und Jugendhilfegesetz Betroffenenrechte und Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe Beschwerden und Beschwerdebegriff Annäherung und Definition Kinderrechte und Partizipation: Handlungs- und Strukturmerkmale der Kinder- und Jugendhilfe Lebenslagen und Lebensbedingungen von Kindern Kinderschutz ist mehr als nur Schutz für Kinder Kinderschutz und Kinderrechte wie geht das zusammen? Kindzentrierte, partizipative Schutzkonzepte in Institutionen...35 Exkurs: Kinderrechte und Partizipation in der Erziehungshilfe Beispiel eines gelungenen Organisationsprozesses Zielsetzung, Projektantrag und Rahmenbedingungen der Projektgestaltung Förderziele und Aufgabenstellung Projektziele und Projektebenen Projektgruppentreffen der Modelleinrichtungen in Köln und Essen Ziele, Aufgaben und inhaltliche Entwicklungen Steuerungsgruppe Umsetzung der Ziele Informationsgewinnung zur Bestandsaufnahme und Bedarfsermittlung in den Modellstandorten Köln und Essen Primäre Adressatengruppe

6 5.1.2 Sekundäre Adressatengruppe Schwerpunkte und Ergebnisse der Gespräche Beschwerdeverfahren, Kinderschutzverfahren und Vereinbarung: Grundlagen der Kooperation und praktischen Zusammenarbeit Das Beschwerdeverfahren Herzstück der Zusammenarbeit Kontaktmöglichkeiten und Präsenz in den Einrichtungen Fortbildung der Mitarbeiter/innen Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung Ehrenamtliche als Ombudspersonen in Einrichtungen der Jugendhilfe Kinder- und Beschwerderechte in Einrichtungen mit jungen Kindern: Ein Praxisbeispiel Ombudschaft/Beschwerdestellen und web 2.0: Möglichkeiten zur Nutzung interaktiver Medien Beschwerden und Anfragen aus den Modellstandorten sowie externe Anfragen und Beschwerden Beschwerden und statistische Auswertung Fallbeispiel von Annahme, Verlauf und Auswertung einer Beschwerde Externe Anfragen und Beschwerden Fallbeispiel von Annahme, Verlauf und Auswertung einer Anfrage Interpretation der Beschwerden und Rückschlüsse für eine externe Beschwerdestelle in Einrichtungen der Erziehungshilfe Kontaktierung und Beschwerdegründe Anfragen, Kritik und Beschwerden sind Bestandteil des pädagogischen Alltags...97 Exkurs: Anfragen zur Beratung von Jugendhilfeträgern und Organisationsprozessen in Jugendhilfeeinrichtungen Kinderrechte als Medium gezielter Bildungsangebote Kinderrechte und Bildung Das Handlungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit Ziele der aufklärenden Bildungsarbeit Das Selbstverständnis pädagogischer Angebote in den Einrichtungen vor Ort

7 7.2.3 Die Strukturierung der pädagogischen Angebote Erfahrungsberichte aus Sicht von gerecht in NRW Die pädagogische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen Zusammenarbeit mit den Fachkräften Erfahrungsberichte aus Sicht der Jugendlichen und der pädagogischen Fachkräfte Die Wahrnehmung der pädagogischen Arbeit aus Sicht eines Jugendlichen Die Wahrnehmung der Zusammenarbeit aus Sicht einer pädagogischen Fachkraft Das Spannungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit Resümee Kinderrechte auf der Leinwand: Kinder und Jugendliche drehen einen Film Einleitung/Kontext Projektziele Projektplanung und -durchführung Vorbereitungen Film-Workshop in den Osterferien Außendrehtermine in den Einrichtungen in Köln und Essen Projektfeedback mit den Kindern und Jugendlichen und Filmaufführung Der Film als Arbeitsmaterial und Veröffentlichung einer DVD - Filmbroschüre Abschließende Bewertung Voraussetzungen und Qualitätsmerkmale interner und externer struktureller Beschwerdeangebote in den Hilfen zur Erziehung Grundlagen und Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden Qualitätsmerkmale interner struktureller Beschwerdesysteme Voraussetzungen und Qualitätsmerkmale externer Maßnahmen im Umgang mit Beschwerden Merkmal der Unabhängigkeit Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationsbemühungen

8 9.3.3 Konstante Ansprechpersonen vor Ort Zielgruppenspezifische Kontaktmöglichkeiten Verfahren zur Bearbeitung von Beschwerden Transparenz der Arbeit Reflexion und Offenheit eine lernende Organisation sein Fortbildung und Supervision Standards externer Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden Zusammenwirken interner und externer Maßnahmen in der Erziehungshilfe (interinstitutionelles Beschwerdemanagement) Regelung des Zusammenwirkens von internen und externen Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden in einer Kooperationsvereinbarung Weitere Aspekte des Zusammenwirkens interner und externer Maßnahmen mit oder ohne Kooperationsvereinbarung Aus Erfahrungen lernen: Ergebnisse Eindrücke Spuren Fachpolitische und strukturelle Voraussetzungen Meilensteine im Projektverlauf Soziale Arbeit ist menschlich Erfahrungen, die wir brauchen Vereinbartes und Gedrucktes stabile Plattformen auf unwegsamem Gelände Wegweiser und Perspektiven Ausbau von Organisations- und Qualitätsentwicklungs- prozessen in teilstationären und stationären Einrichtungen der Jugendhilfe Qualitativer und quantitativer Ausbau der Beratungsleistung des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe (gem. 8b Abs. 2 SGB VIII) Initiierung zielgerichteter Konzeptdiskussionen zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe ( 79a SGB VIII) Implementierung einer starken Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe in NRW Landesgesetzliche Absicherung des präventiven Kinderschutzes in NRW Literatur

9 13. Anhang Grundsätze und Standards 13.2 Beschwerdeverfahren, Kinderschutzverfahren, Vereinbarungen, Flyer für Kinder und Fachkräfte/Eltern 13.3 Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis (Methodenkoffer) 9

10 1. Einleitung Ich werde mich über Sie beschweren! Wer das hört, bekommt Herzklopfen ob als Verkäufer im Supermarkt, als Beamtin in der Postfiliale oder Erzieher/in in der Kindertagesstätte. Beschwerden sind für die meisten Menschen im alltäglichen Leben unangenehm und störend. Sie rücken die Unzufriedenheit des Gegenübers in den Mittelpunkt, lassen Fehler groß und übermächtig erscheinen und das macht Angst. Kein Wunder, dass auch im Modellprojekt gerecht in NRW der Ausdruck der Beschwerde zunächst kontrovers diskutiert wurde. Dennoch hat sich das Team des Modellprojekts gerecht in NRW dazu entschlossen, weiter daran festzuhalten. Das Ziel der Arbeit war es, eine unabhängige, externe Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche in teilstationären und stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, sich an Fachleute außerhalb ihrer eigenen Einrichtung zu wenden und zu sagen, was sie stört und was sie sich in ihrem Alltag anders wünschen. Diese Beschwerden sind aber viel mehr als lästige Bremsen in der Heim-Routine. Sie sind Ausdruck einer gelebten Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, die nicht nur ihre Unzufriedenheit weitergeben, sondern auch vielfältige Ideen von einem fairen Miteinander in den Wohngruppen transportieren. Kritik ist immer auch ein Geschenk: Diese Idee steckte hinter der Arbeit im Modellprojekt auch wenn sich der Teufel natürlich wie vielerorts im Detail verbirgt. Der vorliegende Bericht zeichnet die Arbeit von gerecht in NRW nach von der Suche nach Kooperationspartnern in zwei Modellregionen, über das Konzept der Beschwerdestelle bis hin zur praktischen Arbeit. Dabei war es wichtig, auch Nebenschauplätze in der Projektentwicklung abzubilden und fachliche und politische Debatten darzustellen. Der Forderung, die Rechte von Kindern in der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken, ist eine heftige öffentliche Diskussion vorausgegangen. Zahlreiche Fälle von sexualisierter Gewalt durch Mitarbeiter/innen in Heimen und Internaten hatten Bevölkerung und Fachwelt aufgeschreckt. Zwei Runde Tische (Runder Tisch Heimerziehung der 1950er bis 1070er Jahre und Runder Tisch Sexueller Missbrauch) gaben Ende 2011 ihre Empfehlungen an die Politik weiter 1. Ein Vorschlag 1 Runder Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren sowie Runder Tisch Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich. Parallel dazu wurde eine Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von der Bundesregierung ernannt, die ihrerseits Expertisen in Auftrag gab und auch als Anlaufstelle für Anrufe Betroffener fungierte. 10

11 des Runden Tisches Heimerziehung (Abschlussbericht 2010, S. 40) in seinem Abschlussbericht war, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Er plädierte einerseits dafür, interne Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten in Einrichtungen auf- und auszubauen. Andererseits befürwortete der Runde Tisch externe Beschwerdemöglichkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe. Solche externen Beschwerde- oder Ombudsstellen gibt es in Deutschland bereits vereinzelt. Alle bisherigen Projekte, Vereine oder Initiativen konzentrieren sich überwiegend auf den Bereich der Hilfegewährung. Sie bieten vorrangig Unterstützung bei Konflikten mit dem öffentlichen Träger 2. Im Gegensatz dazu lag der Schwerpunkt von gerecht in NRW auf dem Erziehungsalltag in den Einrichtungen. Das Team des Modellprojekts beschäftigte sich mit alltäglichen Fragen zum Miteinander, mit Anregungen und Kritik der Kinder und Jugendlichen zum Leben in der Gruppe, aber auch mit expliziten Beschwerden. Die beteiligten Einrichtungen des Modellprojekts in Essen und Köln öffneten sich für die praktische Projektarbeit und boten den nötigen Raum für Diskussionen über Erziehungskonzepte und das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte. Sie unterstützten und motivierten die Kinder und Jugendlichen, ihre Kritik und Beschwerden nach außen zu richten. Auf dieser Grundlage konnte das Team des Modellprojekts Verfahren und Vereinbarungen erarbeiten und abstimmen sowie eingehende Beschwerden in enger Kooperation mit den Fachkräften in den Einrichtungen bearbeiten. Herzlichen Dank für das Vertrauen und die Bereitschaft zur fachlichen Diskussion! Aufbau: Ein Modellprojekt hat den Vorteil, alle Fragen stellen zu dürfen, die die Thematik im weiteren wie im engeren Sinne berühren. Der vorliegende Abschlussbericht ist daher sowohl Sachbericht als auch fachliche Auseinandersetzung mit den bestehenden Rechtsverhältnissen sowie der Umsetzung von Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Wie der Bericht gegliedert ist und welche inhaltlichen Schwerpunkte in den einzelnen Kapiteln aufgegriffen werden, ist Inhalt dieses einleitenden Kapitels. 2 Siehe Netzwerkstelle Ombudschaft in der Jugendhilfe, Berliner Rechtshilfefonds e.v. 11

12 Kapitel 2 beleuchtet das rechtliche Verhältnis zwischen jungen Menschen und den Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe und definiert den Begriff der Beschwerde. Im Mittelpunkt von Kapitel 3 steht die Bedeutung von Kinderrechten und Beteiligung in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als eine grundlegende Voraussetzung für das Wahrnehmen eigener Rechte. Kapitel 4 und 5 beschreiben das Projekt in seinen einzelnen Arbeitsebenen und - phasen, die Erarbeitung von Verfahren und Vereinbarungen. Eine Auswertung der eingegangenen Beschwerden folgt in Kapitel 6. Eine intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit ihren Rechten im Erziehungsalltag ist eine wichtige Komponente bei der Etablierung externer Beratungs- und Beschwerdenagebote in der Kinder- und Jugendhilfe. Hier sind gezielte Bildungsangebote, wie in Kapitel 7 näher beschrieben, notwendig. Sich mit Kinderrechten, Mitbestimmung und Beschwerden im Heimalltag filmisch zu beschäftigen, war Anlass eines Filmprojekts (Kapitel 8), an dem sieben Mädchen und Jungen aus den Modelleinrichtungen teilnahmen. Entstanden ist ein 17- minütiger Film, der einen wunderbar subjektiven Einblick in das Leben und Erleben der Kinder und Jugendlichen in ihren Einrichtungen gibt. Externe Beschwerdeangebote bedürfen bestimmter Voraussetzungen und Qualitätsmerkmale. Dazu gehört auch ein gelingendes internes Beschwerdemanagement und bestenfalls auch Kooperationsvereinbarungen. Im Kapitel 9 werden diese beschrieben und mit den Erfahrungen des Modellprojekts konkretisiert. Ein Ziel des Modellprojekts war die größtmögliche Beteiligung der Projektpartner/innen aus den Modellstädten in allen Projektphasen, so auch bei der Ergebnisdiskussion und -dokumentation. Kapitel 10 ist somit der Versuch, inhaltliche wie organisatorische Verläufe und Entwicklungen der gesamten Projektlaufzeit aus Sicht aller Projektbeteiligten zusammen zu fassen und zu bewerten. Damit die Ergebnisse des Modellprojekts für die Qualitätsentwicklung in der Kinderund Jugendhilfe nicht verloren gehen, ist es erforderlich, über die fachliche Auseinandersetzung der Notwendigkeit zusätzlicher externer Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe hinaus, notwendige fachpolitische Konsequenzen und Perspektiven aufzuzeigen. Kapitel 11 fasst diese abschließend nochmals thesenartig zusammen und bildet damit den Abschluss des Berichts. 12

13 Abschließend sei noch bemerkt, dass dieser Abschlussbericht die Arbeit mehrerer Autorinnen und Autoren ist, die im Projekt beteiligt waren. Das heißt, unterschiedliche Sprach- und Schreibstile mussten miteinander zu einem inhaltlich stimmigen und lesbaren Text geformt werden, ohne die einzelnen Kapitel allzu sehr zu verwässern. Deshalb kann es an einigen Stellen zu inhaltlichen Überschneidungen kommen. Wir haben uns aber bewusst dagegen entschieden, die Textabschnitte namentlich zu kennzeichnen, weil gerecht in NRW eine Gemeinschaftsarbeit war. Vor allem die Kooperationspartner/innen, die Fachkräfte aus den beteiligten Einrichtungen, die Vertreter/innen der freien, öffentlichen und überörtlichen Träger, die Teilnehmer/innen der Steuerungsgruppe, die Projektmitarbeiter/innen und last but not least natürlich die Kinder und Jugendlichen, haben zum Gelingen des Projekts beigetragen. Der Erfolg dieses Projektes misst sich nicht an der Zahl der eingegangenen Beschwerden. Bedeutsam ist vielmehr die in den Einrichtungen aufgebaute, weiterentwickelte und gepflegte Kultur des Umgangs mit den Rechten des Kindes bis hin zur Möglichkeit, im Falle einer subjektiv oder objektiv erlebten Ungerechtigkeit eine unabhängige Beschwerdestelle aufsuchen zu können. Nicht zuletzt liegt der Erfolg auch in der Fortführung der Arbeit in einem breiteren Rahmen. Ombudschaft Jugendhilfe Nordrhein-Westfalen e.v. knüpft seit dem mit seiner Arbeit an den Erfahrungen und Ergebnissen des Modellprojektes gerecht in NRW an. Dies geschieht in personeller Kontinuität durch zwei Mitarbeiterinnen und durch einen kontinuierlichen fachlichen Austausch. GeRECHT in NRW beschränkt sich zukünftig auf die Beratung von Trägern beim Auf- und Ausbau einer lebenswerten Ideen- und Beschwerdekultur. 13

14 2. Rechtsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe zwischen objektiv- rechtlichen Verpflichtungen und individuellen Rechtsansprüchen Das Gesamtsystem der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland stellt sich denjenigen, die es nutzen den Eltern, Kindern und Jugendlichen als ein historisch gewachsenes, bewährtes, aber auch [als ein] kompliziertes Verhältnis ( ) von freien und öffentlichen Trägern dar (Wabnitz 2007, S.26). Brauchen Eltern, Kinder oder Jugendliche Hilfe und Unterstützung, wenden sie sich an das örtliche Jugendamt, an einen der vielen anerkannten Träger der Kinder- und Jugendhilfe oder Initiativen vor Ort, die eine Leistung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe anbieten. Das wichtigste Gesetz der Kinder- und Jugendhilfe ist das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz). Das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Familie regelt sich durch Artikel 6 des Grundgesetzes, in dem die Rechte und Pflichten sowohl der Eltern als auch des Staates festgelegt sind. Nach Satz 1 sind Pflege und Erziehung der Kinder zuvörderst Recht und Pflicht der Eltern. Hier darf der Staat nur eingreifen, wenn das Wohl des Kindes tatsächlich gefährdet ist oder gefährdet sein könnte. In Satz 2 heißt es dann einschränkend weiter, dass der Staat über die Betätigung der Eltern wacht (Staatliches Wächteramt) 3. Elternrechte dürfen nur zum Schutz der Kinder und Jugendlichen eingeschränkt werden. In seiner historischen Entwicklung ist das Kinder- und Jugendhilferecht auch ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen sowie zeitgeschichtlicher und politischer Formationen. Während früher die Zwangserziehung nonkonformer Jugendlicher das Ziel staatlicher Eingriffe war (Fürsorge), steht heute das Recht auf Erziehung eines jeden jungen Menschen im Vordergrund, um ihm eine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu ermöglichen 4. Der Kinder- und Jugendhilfe kommt hier die Aufgabe zu, zur Verwirklichung dieses Rechts junge Menschen zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden, Eltern zu beraten und zu unterstützen sowie Kinder und Jugendliche vor Gefahren zu schützen und positive Lebensbedingungen sowie eine kinder- und familienfreundli- 3 Artikel 6, Satz 2 GG: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft ( ). 4 Siehe Kinder- und Jugendhilfegesetz 1, Abs. 1 SGB VIII. 14

15 che Umwelt zu schaffen. Das SGB VIII hat diverse Leistungen (Hilfen und andere Aufgaben) recht konkret benannt ( 2 Abs. 2 Nr. 1 6 SGB VIII). In 27 bis 41 SGB VIII stellt die Kinder- und Jugendhilfe Leistungen und Angebote zur Verfügung, auf die Eltern und junge Menschen einen Anspruch haben. Ihnen schließen sich hoheitliche Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (insbesondere SGB VIII) an. Für den vorliegenden Zusammenhang ist es wichtig, zwischen den objektiven Rechtsverpflichtungen der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe einerseits und den subjektiven Rechtsansprüchen junger Menschen oder Personensorgeberechtigten andererseits zu unterscheiden. In Zeiten knapper öffentlicher Mittel und Ressourcen in den Kommunen wird es bei gleichzeitig steigender Inanspruchnahme der Hilfen zur Erziehung (vgl. Tabel/Fendrich/Pothmann 2011) - für die Nutzer/innen sozialer Leistungen immer wichtiger, ihre Rechte zu kennen und diese auch einfordern zu können. Das betrifft sowohl Unklarheiten bei der Hilfebewilligung und gewährung als auch Fragen, die sich seitens der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Personensorgeberechtigten während der Hilfeerbringung (zum Beispiel in einer Jugendhilfeeinrichtung) ergeben können Rechtsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe und Betroffenenbeteiligung Das rechtliche Verhältnis zwischen jungen Menschen und Personensorgeberechtigten, den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den Trägern der freien Jugendhilfe wird häufig als sozial- und jugendhilferechtliches Dreiecksverhältnis dargestellt und impliziert ein Gleichgewicht von Partnern. 5 Vgl. hierzu: Wohin treibt das KJHG Aktuelle Tendenzen in Politik und Praxis, in neue praxis 5/2011, S und neue praxis 6/2011, S , Lahnstein

16 Leistungsberechtigte: Kinder, Jugendliche, Personensorgeberechtigte Gegenseitiger Vertrag (privatrechtlich) z.b. Betreuung Individueller Rechtsanspruch gem. SGB VIII (öffentliches Recht) Träger der freien Jugendhilfe Träger der öffentlichen Jugendhilfe Vereinbarungen über Kostenerstattung, Entgelte (öffentlich-rechtliche Verträge) In der Jugendhilfepraxis sowohl bei der Gewährung als auch bei der Durchführung der Leistungen und Hilfen begegnen sich die Personen in der Regel aber nicht auf Augenhöhe (Machtasymmetrie). Diese Feststellung ist nicht ganz neu, aber in der aktuellen fachlichen Debatte um Beschwerdestellen und Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe hat sie eine neue Qualität erreicht. Hintergrund sind u.a. eine Vielzahl von Beispielen abgelehnter Hilfen seitens der örtlichen Jugendhilfe, die in ihrer Begründung oft nicht mit den rechtlichen Bestimmungen übereinstimmen (vgl. Berliner Rechtshilfefonds 2012, S ). An dieser Stelle fehlen Beratung und Unterstützung für die Antragsteller/innen, die sich oft wegen ihrer benachteiligten Lebensumstände nicht ausreichend in der gesetzlichen Begründung auskennen bzw. nicht entsprechend argumentieren und/oder schriftlich Stellung nehmen können. Für Nordrhein-Westfalen kommt hinzu, dass im Zuge des Bürokratieabbaus seit Ende 2007 kein (einfaches) Widerspruchsrecht mehr besteht. Das heißt, wenn Eltern bei- 16

17 spielsweise einen abschlägigen Antrag auf Hilfe zur Erziehung bekommen, müssen sie den gerichtlichen Klageweg einschlagen. Das überfordert viele Eltern in ihrem Wissen um Strukturen, Klagewege und Inhalte. Oftmals kennen sie ihre Rechte kaum oder nicht ausreichend genug 6. Die beschriebene Machtasymmetrie zwischen den erwachsenen Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe einerseits und den Kindern und Jugendlichen andererseits hat in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen geführt. Die Kinder und Jugendlichen sind beispielsweise in teilstationären oder Tag und Nacht in stationären Einrichtungen untergebracht und leben somit nicht ausschließlich bei ihren Eltern 7. Die Forderung, in diesen Institutionen die Stärkung der Kinderrechte im Rahmen von Beschwerdeangeboten zu ermöglichen, geht vordergründig auf die aktuellen Vorfälle des sexuellen Missbrauchs in sozialen Einrichtungen (Internate, Schulen und Heime) 8 sowie auf die große Anzahl bekannt gewordener Fälle von zum Teil gravierenden und systematischen Rechtsverletzungen gegenüber Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung der 1950er bis 1970er Jahre zurück. Eine Konsequenz daraus waren die Runden Tische, die in ihren Ergebnissen u.a. auf das Fehlen entsprechender Angebote der Beschwerde in und außerhalb der Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe verwiesen haben. Diese sollen u. a. das dem Erziehungsverhältnis innewohnende immanente asymmetrische Machtverhältnis zwischen Erzieher/innen und Kindern/Jugendlichen auszugleichen helfen. 6 Die nunmehr zehnjährige Arbeit des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. belegt, dass ein großes Interesse an Beratung und Unterstützung sowohl bei der Beantragung als auch bei Fragen zur Weiterförderung von Hilfen besteht. Die Ratsuchenden sind vorrangig die Sorgeberechtigten (Kindesmütter), die oftmals durch einen Jugendhilfeträger auf das Angebot hingewiesen werden (vgl. Berliner Rechtshilfefonds 2007, S. 10). In erster Linie war das Ziel der Ratsuchenden, eine neue Hilfe durchzusetzen oder eine bestehende Hilfe fortzuführen. 7 Diese Fokussierung auf teilstationäre und stationäre Einrichtungen begründet sich aus dem Modellprojekt, dessen Umsetzung als Modellprojekt in der Jugendhilfe diese Einschränkung notwendig machte. Für die grundsätzliche Frage des Angebots externer Beschwerdestellen/Ombudschaftschaft in der Jugendhilfe öffnet sich das Spektrum für alle Nutzer/innengruppen. Hier sei nur an die große Zahl von Pflegekindern/-stellen erinnert, die aufgrund ihrer Außenstellung eine potentielle Beratungsebene finden könnten. 8 Siehe hierzu beispielhaft die Missbrauchsvorwürfe und Betroffenenberichte ehemaliger Schüler/innen konfessioneller Institutionen wie dem Canisius-Kolleg oder auch die Fälle sexuellen Missbrauchs in der staatlich geförderten Odenwaldschule. 17

18 2.1.1 Rechte von Kindern und Jugendlichen Wie sehen nun die Rechte von Kindern und Jugendlichen in diesem jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis aus? Sind sie ausschließlich im Verbund mit ihren Eltern und Personensorgeberechtigten zu sehen oder haben sie auch eigene Rechte und Positionen in der Kinder- und Jugendhilfe, unabhängig von verantwortlichen Erwachsenen? Die Antwort darauf geht weit über nationale Gesetze und Bestimmungen hinaus. Dass es Kinderrechte gibt, - Rechte (nur) für Kinder und Jugendliche - ist spätestens seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) im Jahr 1989 formal festgelegt und durch Unterzeichung und Ratifizierung der nationalen Staaten (in Deutschland grundlegend 1992 u durch die Aufhebung der bisherigen Vorbehalte) bestätigt worden. Seitdem sind die Staaten verpflichtet, ihre Gesetze und vor allem die Lebensumstände für alle Kinder und Jugendlichen in ihren Ländern so zu gestalten, dass alle die bestmöglichen Voraussetzungen und Chancen zur Entwicklung und Förderung bekommen. Das heißt auch, dass es nicht mehr nur darum geht, unsere Gesellschaft kinderfreundlicher, sondern ausdrücklich kindgerechter zu gestalten. Denn es gibt einen Unterschied zwischen Rechte haben und Rechte ausüben können. Daher stellt sich die Frage: Was muss geschehen, damit diese Rechte im Alltag der Kinder relevant werden und von ihnen selbst als relevant und gerecht für ihr Leben verstanden und genutzt werden können und das sowohl in der Gegenwart und wie in der Zukunft? Zu beachten ist dabei, dass Rechte von Kindern nur als relevant für das eigene Leben geschätzt werden können, wenn sie mit ihrer Alltagsrealität zu tun haben und wenn Kinder sie zur Stärkung ihres sozialen Status nutzen können. Es geht also um die Frage, wie Kinderrechte als subjektive Rechte oder Handlungsrechte von Kindern verstanden und sie auch von Kindern selbst durchgesetzt werden können. (Liebel 2012, S. 16) Dies muss eine Grundfrage sein, wenn es darum geht, welche (eigenen) Rechte Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe zustehen, wie sie sich umsetzen lassen und wo die Grenzen liegen. 18

19 2.1.2 Kinderrechte und Beteiligung im Kinder- und Jugendhilfegesetz Das im Jahr 1990 verabschiedete Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) war der Abschluss einer mindestens 30-jährigen Diskussion in der Kinder- und Jugendhilfe. In diesem Prozess musste diese ihr Selbstbild grundlegend ändern. Sie wollte sich fortan mit einem modernen Angebots- und Leistungsgesetz präsentieren und nicht mehr wie noch im Jugendwohlfahrtsgesetz als Ordnungsinstanz. Dieses Selbstverständnis wird zum einem durch die Grundprinzipien in 1 SGB VIII, zum anderen durch die gesetzlich verankerten Leistungsmerkmale (Förderung) deutlich. Ein großer Fortschritt war die Aufnahme expliziter Rechte von Eltern und Personensorgeberechtigten und Kindern/Jugendlichen (z. B. 8, 24 und 42 SGB VIII). Die Kinder- und Jugendhilfe ist verpflichtet, sie an Auswahl und Gestaltung der Hilfe zu beteiligen. 8 SGB VIII in Verbindung mit den 1, 5 und 9 SGB VIII können als Grundnormen für die Beteiligungsrechte von Kindern verstanden werden. In 8 SGB VIII heißt es: Kinder ( ) sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentliche Jugendhilfe zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen (Landschaftsverband Rheinland 2012, S. 18f.). Damit werden Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Interessen wahrgenommen. Hier korrespondiert das SGB VIII mit dem Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention. Unter Berücksichtigung der genannten Paragraphen im SGB VIII sind alle Beteiligten gefordert, emanzipatorische Programmansätze in erlebbare Praxis umzusetzen. Die Beteiligung von Kindern entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen ( 8 SGB VIII), die Berücksichtigung ihres Bedürfnisses zu selbständigem, verantwortungsvollem Handeln sowie ihrer jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten mit dem Ziel, die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen und Benachteiligungen abzubauen ( 9 SGB VIII) erfordern vielfältige Angebote der Partizipation, die für die Leistungen und die anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach 2 SGB VIII zu konkretisieren sind (AGJ 1994, S. 102). Das heißt u.a., dass es keine Bereiche oder Leistungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe gibt, wo sowohl die Wahrung der Kinderrechte als auch die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen ausgeschlossen ist. Ebenso sind keine Altersbeschränkungen benannt. Es wird le- 19

20 diglich darauf verwiesen, dass die Beteiligung entwicklungsentsprechend angeboten werden muss. Bezeichnend für diesen Zusammenhang ist der deutliche Verweis auf 8a SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung). Auch die unmittelbaren Konsequenzen aus den Ergebnissen der Runden Tische Heimerziehung der 1950 bis 1070er Jahre und Sexueller Missbrauch nehmen den Beteiligungsgrundsatz aktiv auf, indem sowohl das Jugendamt als auch die freien Träger die Erziehungsberechtigten als auch die Kinder und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einbeziehen sollen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird ( 8a Abs 4, S. 3). Zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind die freien Träger durch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) nunmehr im Rahmen der Betriebserlaubnis ( 45 SGB VIII) verpflichtet, geeignete Verfahren der Beteiligung sowie Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten anzubieten und umzusetzen. Insbesondere diese Neuerung hat in den Jugendhilfeeinrichtungen eine erkennbare Belebung ihrer Anstrengungen der (weiteren) Implementierung von Kinderrechten und des Ausbaus von Beteiligungsstrukturen bewirkt. Wenn Einrichtungen Beschwerdemöglichkeiten schaffen, erweitern sie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen enorm. Andererseits ergeben sich neue Herausforderungen, will man die Beschwerdemöglichkeit als ein Instrument der Beteiligung und als ein Recht der Kinder und Jugendlichen im Alltag garantieren. Dazu muss der freie Träger aktiv anpacken - mit Unterstützung des öffentlichen Trägers 9. Hierzu kann der freie Träger auf die fachliche Beratung zu Fragen der Gewaltprävention, Beteiligung und Beschwerdeverfahren durch den öffentlichen (überörtlichen) Träger zurückgreifen ( 8b Abs. 2 SGB VIII), der wiederum durch seine Verantwortung für die Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe ( 79a SGB VIII) nun auch die Sicherung der Rechte der Kinder und deren Schutz vor Gewalt in den Einrichtungen in seiner Prüfung zu beachten hat. Hiermit wurde den Forderungen des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch Rechung getragen. 9 So lässt sich hier fragen, ob diese Beratung auch von externen Beschwerde- und Ombudsstellen angeboten und übernommen werden kann und/oder soll. Die Beratungs- und Fortbildungsangebote zu Fragen von Kinderrechten und Beschwerdeformen im Rahmen des Modellprojekts gerecht in NRW in den Modellstädten sind von vielen Einrichtungen mit Interesse wahrgenommen worden (siehe hierzu die Kapitel 4, 5 und 8 dieses Berichts). 20

21 Hilfeplangespräch Befindet sich ein Kind in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, ist zunächst die Einrichtung der Ansprechpartner bei allgemeinen Fragen des Hilfeverlaufs, aber auch bei Beschwerden. Das können Beschwerden der Eltern selbst sein oder auch solche, die sie gegebenenfalls stellvertretend für ihre Kinder äußern. Kinder und Jugendliche können sich aber auch direkt an das Jugendamt oder Landesjugendamt wenden, wenn sie Fragen zu ihrem Hilfeverlauf haben, eine Beschwerde äußern wollen oder sich um eine Hilfe bemühen 10. Das originäre Gremium dafür ist das Hilfeplangespräch ( 36 SGB VIII). Es leitet eine neue Hilfe ein (Falleingangsphase), findet während der Erziehungsmaßnahme (Fortschreibungsphase) regelmäßig statt und beendet die Hilfe abschließend (Fallabschlussphase). Außerdem kann es bei Klärungsbedarf zusätzlich einberufen werden. So ist das Hilfeplangespräch auch ein Ort, an dem Beschwerden geäußert werden können, um sie gemeinsam klären zu können. Das Hilfeplangespräch ist also ein zentraler Baustein bei der Umsetzung der Beteiligungsorientierung im Kinder- und Jugendhilfegesetz zumindest theoretisch. Aber Anspruch und Wirklichkeit der Hilfeplanung klaffen weit auseinander. Im Kern verweisen die bisherigen Studien auf ein hohes, von allen Beteiligten anerkanntes Kooperationsideal, das jedoch durch unklare Rollendefinitionen, übergangene oder verzerrt dargestellte Vereinbarungsinhalte sowie durch kollektive Meidung besonders belastender Themen unterlaufen oder außer Kraft gesetzt wird. (Messmer/Hitzler 2011, S. 51). Diese Aussage wird durch andere Studien untermauert, die auf die besondere Zusammensetzung der Gesprächsrunde (Fachpersonal versus Laien; Hilfegewährer und Hilfeanbieter versus Hilfeempfänger; Erwachsene versus Kinder/Jugendlichen) hinweisen. So werden Klienten oftmals im Unklaren darüber gelassen, an welchem Punkt des Entscheidungsprozesses sich das Gespräch gerade befindet. Das erschwert ihre Beteiligungsmöglichkeiten entsprechend. Denn, so Messmer und Hitzler weiter: Mitunter werden auch diejenigen Themen, die bei Klienten vermutlich auf Widerspruch stoßen, von den Professionellen aber als zentral eingeschätzt werden, von diesen bereits im Vorfeld erörtert und im Hilfeplangespräch lediglich als ein Entscheidungsprozess reinszeniert (ebenda 2011, S. 59). Diese Einschätzungen deuten auf zentrale 10 8, Abs. 3 SGB VIII beinhaltet den Anspruch der Kinder und Jugendlichen auf Beratung ohne Kenntnis des Personenberechtigten, wenn die Beratung auf Grund einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist und solange durch die Mitteilung an den Personenberechtigten der Beratungszweck vereilt würde. 21

22 Problemlagen im Hilfeplangespräch hin, die sich - im Sinne einer gelingenden Beschwerdeaufnahme und bearbeitung eher kontraproduktiv auswirken (können). Es wäre als geeignetes Gremium vorstellbar, kann aber in der Realität der Jugendhilfe dem gesetzlichen und fachlichen Anspruch, Entscheidungen in der Hilfeplanung und Hilfeerbringung im Rahmen eines gemeinsamen Prozesses aller Beteiligten zu treffen, so nicht gerecht werden. Diese strukturelle Machtasymmetrie im Hilfeplanprozess gilt es zu erkennen, abzubauen bzw. anzugleichen (vgl. Urban -Stahl 2012). Kinderschutz und Kinderrechte per Betriebserlaubnis: Rolle des überörtlichen Trägers Die Aufgabe des Landesjugendamtes, den Schutz von Kindern und Jugendlichen - insbesondere in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe - zu gewährleisten, ist Bestandteil des staatlichen Wächteramtes. Begründet wird diese Verpflichtung zum einen mit der Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung bei der Durchführung einer Jugendhilfemaßnahme über die Delegation durch die Eltern. Zum anderen ist es aufgrund des besonderen staatlichen Schutzauftrages verpflichtet, das Wohl des Kindes durch präventive wie intervenierende Maßnahmen (Aufsicht) zu gewährleisten. 11 Dieser traditionsreiche und institutionalisierte Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen ( SGB VIII) ist ordnungsrechtlicher Natur und hat durch die vielfältigen Diskussionen der letzten Jahre um den Kinderschutz und durch die Ergebnisse der Runden Tische Heimerziehung der 50er und 60er Jahre und Sexueller Kindesmissbrauch im Bundeskinderschutzgesetz eine deutliche (Wieder-)Aufwertung erfahren. Das spiegelt sich auch im Gesetzestext durch eine klarere Formulierung 12. Neu aufgenommen wurde als ausdrückliche, das Kindeswohl konkretisierende Voraussetzung (zur Sicherung der Rechte der Kinder) - das Postulat (Mörsberger 2011, S. 562), dass geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden ( 45 Abs 2 Satz 3 SGB VIII). 11 Vgl. Grundsätze des Landesjugendamtes Rheinland zur Einrichtungsaufsicht nach 45 SGB VIII, in: LVR/LJA 2008: Arbeitshilfen zur Aufsicht über stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe. 12 Eine ausführliche Auseinandersetzung und Bewertung der Neuerungen und Änderungen des 45 SGB VIII kann an dieser Stelle nicht stattfinden. Hier geht es konkret um die Auflagen der Einrichtungen bezüglich der Kinderrechte und der Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten. 22

23 Diese Neuformulierung lässt sich dahingehend interpretieren, dass Schutz hier mehr sein soll als die bloße Abwehr von Gefahren. Der Gesetzgeber erkennt die Notwendigkeit an, den Begriff des Kindeswohls entsprechend weit zu fassen (siehe hierzu auch Kapitel 3). Für die Landesjugendämter bedeutet dies beispielsweise, Kinder und Jugendliche auch im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Einrichtungsaufsicht zu beteiligen. 13 Neben Einrichtungsleitung, Trägern und örtlichen Jugendämtern sind die Aufsichten (Landesjugendämter) auch eine Beschwerde- und Beratungsinstanz für Kinder und Jugendliche (Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter 2009, S. 4). Beschwerden werden nach der Auffassung des Landesjugendamtes Rheinland - als Hinweis auf mögliche Mängel in der Einrichtung verstanden, die zum Beispiel in der pädagogischen Betreuung oder in der räumlichen Ausstattung gesehen werden oder sich auf eine Sachbeschädigung oder Lärmbelästigung beziehen. Beschwerdeführer/innen kann jede Person wie z.b. Kind/Jugendlicher, Eltern bzw. Personensorgeberechtigte, Mitarbeiter/innen aus Einrichtungen und Jugendämtern oder Nachbarn sein. 14 Dies ist aber kein neues Angebot, sondern bereits seit Beginn der Fürsorgeerziehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bestandteil der Heimaufsicht. Die Aufwertung der bisherigen Pflicht als Gesetzesnorm zur Meldung besonderer Vorkommnisse ( 47 Satz 2 SGB VIII) ist grundsätzlich zu begrüßen, bedeutet aber für die konkreten und alltäglichen Konflikte und möglichen Kinderrechtsverletzungen in den Einrichtungen keine ausreichende Handlungsbasis. Die Anzahl der eingegangenen Meldungen besonderer Vorkommnisse am Beispiel des Landesjugendamtes Rheinland macht deutlich, dass insbesondere Kinder und Jugendliche diese Beschwerdemöglichkeit nicht oder nur sehr selten nutzen 15. Das heißt: für die pädagogische Alltagspraxis ist die Fokussierung auf die besonderen Vorkommnisse und die institutionalisierte Beschwerdeform über eine Aufsichts- und Kontrollbehörde für Kinder und Jugendliche keine ausreichende Form der Wahrung und Stärkung ihrer Rechte. Hierzu sind Formen und Angebote notwendig, die zum einen direkter im Alltag der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen verankert sind (einrich- 13 Zu den Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen gehören nach 85 Abs, 2 Nr. 6 in Verbindung mit 45 ff SGB VIII die Aufsicht, die Beratung im Rahmen der Aufsicht, das Betriebserlaubnisverfahren bei neuen und veränderten Einrichtungsangeboten und die Vermittlung zwischen Einrichtungsträgern und Jugendamt. Im Rahmen der Aufsicht geben Mindeststandards Rahmenbedingungen vor, wie der Schutz von Kindern/Jugendlichen in Einrichtungen sicherzustellen ist. 14 Landschaftsverband Rheinland/Landesjugendamt 2008: Arbeitshilfen ( arbeitshilfen). 15 Für das Jahr 2011 sind sechs Beschwerden durch Kinder und Jugendliche an das Landesjugendamt eingegangen, siehe hierzu: Auswertung der Vorkommnisse in Einrichtungen für das Jahr 2011 (nicht veröffentliche Zahlen des Landesjugendamt Rheinland, Fotokopie). 23

24 tungsinterne Beschwerdemöglichkeiten) und gleichzeitig auch unabhängiger vom unmittelbaren Erziehungs- und Hilfeprozess (externe Beschwerdeangebote) verortet sind. 2.2 Betroffenenrechte und Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe Kaum ein anders Sozialleistungsgesetz verweist wie das Jugendhilferecht so häufig und eindringlich auf die Bedeutung der Betroffenen und Anspruchsberechtigten für die Leistungsbewilligung und gewährung, auf deren Beteiligung im (Hilfeplan- )Verfahren, das ihnen als Leistungsberechtigte zustehende Wunsch- und Wahlrecht zwischen unterschiedlichen geeigneten Hilfenageboten (Schruth 2008, S. 1). Gerade deshalb ist es wichtig zu hinterfragen, wie dieser Anspruch in der Realität umgesetzt wird oder ob hier wie viele Beispiele abgelehnter Leistungsansprüche insbesondere in den Hilfen zur Erziehung in vielen Kommunen der letzten Jahre belegen - ein Widerspruch zwischen Rechtsgestaltung und Rechtswirklichkeit auszumachen ist. Die Beratungsfälle des Berliner Rechtshilfefonds lassen erkennen, dass es sich in fast 50 Prozent der Erstkontaktierungen um Fälle handelt, denen eine Streichung bzw. Nicht-Gewährung der Hilfen (Soll-Leistungen) zu Grunde liegt (vgl. Berliner Rechtshilfefonds 2007). Spektakuläre Fälle wie der des Jugendamts Halle oder in vereinzelten Berliner Bezirken, wo Mitarbeiter/innen aufgefordert werden, Leistungen bewusst vorzuenthalten, sind vielleicht die Spitze. Dennoch ist zu beobachten, dass viele finanzschwache Kommunen versuchen, über abgelehnte Anträge zur Hilfe ihre kommunalen Ausgaben zu steuern. Es kann nur vermutet werden, dass hier durchaus (bewusst) mit einer gewissen Abschreckung operiert wird. Denn um die abgelehnten Leistungen dennoch durchsetzen zu können, brauchen die Antragsteller/innen genaue Rechtskenntnisse oder müssen von Beratungsstellen oder Anwältinnen oder Anwälten unterstützt werden. Die Annahme, dass die Betroffenen zu häufig von ihrem Rechtsanspruch auf Leistungen gemäß SGB VIII Gebrauch machen, ist nicht belegt. Besorgniserregend ist auch die Diskussion um die politischen Vorschläge zur Veränderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, die eine Wiedergewinnung kommunalpolischer Handlungsfähigkeit zur Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen (vgl. 24

25 neue praxis 5/2011 u. 6/2011) zum Ziel haben. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem vorgeschlagen, den Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung durch eine objektiv-rechtliche Gewährleistungsverpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu ersetzen. Das hieße: mehr sozialräumliche Hilfen als Regelangebote (etwa Frühe Hilfen, Kindertagesbetreuung und der Schulen) auf Kosten individualrechtlicher Anspruchsleistungen der Hilfen zur Erziehung. Denn gerade diese subjektiven Rechtsansprüche eröffnen den Klageweg zu den Gerichten. Nur auf diesem Weg können Kläger ihre berechtigten Anliegen auch gegenüber der öffentlichen Hand durchsetzen. Gerade diese Rechtsansprüche, so Wabnitz (2011, S. 464), waren deshalb in der Vergangenheit häufig ganz wesentliche Motoren für die Fortentwicklung von Leistungsstrukturen, insbesondere im Sozialrecht. Werden subjektive Rechtsansprüche abgeschafft, immer häufiger eingeschränkt oder gegen bestehendes Recht abgelehnt, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen gegen diese Entwicklungen notwendig und sinnvoll sind. Die bisherigen Erfahrungen der wenigen ombudschaftlichen Beratungsstellen machen aber bereits deutlich, dass Unterstützung gewünscht und genutzt wird. Will man die Betroffenenrechte in der Kinder- und Jugendhilfe stärken, geht es um Herausforderungen, die Leistungsberechtigten in ihrer Subjektrolle zu stärken, und dies kann eigentlich nur in einem kooperativen Prozess zwischen Kostenträger, Leistungserbringer und den Leistungsberechtigten selbst gelingen. Bei der Fragestellung, wer von diesen Akteuren momentan in der Praxis die Interessen der Kinder anwaltschaftlich vertreten würde, kommt Wiesner zu dem ernüchternden Schluss, dass dies keine Partei zur Genüge wahrnehme (Schruth 2008, S. 4). Hier setzt die Forderung nach partizipativer ombudschaftlicher Vertretung an, da folglich das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis seinem Anspruch nicht ausreichend gerecht wird Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe Der Diskurs um Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe ist noch relativ jung. Gerade im Bezug auf einrichtungsinterne und externe Beschwerde- und Ombudsstellen gibt es nur wenig empirisches und strukturiertes Wissen. Aktuell werden unter der Überschrift Ombudschaft/Beschwerdestellen verschiedene Modelle zur Sicherstellung der Rechte von Leistungsadressaten und -adressatinnen diskutiert. Die inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte reichen von der Sicherstellung und Stärkung der Anspruchsrechte der Leistungsadressat/innen einerseits bis hin zu einem unabhän- 25

26 gigen Beschwerdemanagement bei Verletzungen von Persönlichkeitsrechten der Leistungsadressat/innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe andererseits (Mund 2011, S. 161). Das heißt, die Sicherung von Anspruchsrechten (Leistungsgewährung) ist nur ein Aspekt der Debatte um die Stärkung von Betroffenenrechten. Es geht aber auch darum, welche ombudschaftlichen Strukturen in den teilstationären und stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vorhanden und notwendig sind und wie diese ausgestaltet sein müssen, damit sie die Rechte von Kindern und Jugendlichen schützen. Diese Überlegungen verweisen auf einen weiteren Aspekt der Diskussion, der dem Modellprojekt gerecht in NRW zugrunde liegt. Die seit 2002 in Deutschland existierenden Initiativen und Vereine, die sich als unabhängige Anlauf- und Beratungsstellen für Konflikte zwischen Kindern/Jugendlichen, Personensorgeberechtigten und öffentlichen und freien Trägern engagieren, sind seit 2008 in dem Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Jugendhilfe zusammengeschlossen 16. Diese Initiativen haben verschiedene inhaltliche Arbeitsschwerpunkte, gehören einzelnen Wohlfahrtsverbänden an oder sind gemeinnützige Vereine. Sie bilden die Spannbreite der Diskussion um die Etablierung der Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe ab. Alle nehmen für sich in Anspruch, unabhängig für die Rechte von Kindern, Jugendlichen und deren Personensorgeberechtigten einzutreten. Einige sind ausschließlich für ihre Verbände tätig und arbeiten zumindest in ihrer Zielrichtung überwiegend mit ehrenamtlichen Personen. Allen gemeinsam ist, dass sie auf Kooperationsbeziehungen der Beteiligten angewiesen sind, da es bisher keine fachliche und gesetzliche Verankerung von Beschwerdeund Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland gibt. Keine Tradition ombudschaftlicher Tätigkeiten Fachlich lassen sich diese partizipativen, ombudschaftlichen Angebote in der Kinderund Jugendhilfe nur schwer mit vorhandenen Formen von Ombudschaft in anderen gesellschaftlichen Bereichen vergleichen. Der Begriff Ombud stammt aus dem Schwedischen und lässt sich wohl am ehesten mit den Begriffen Beauftragter` oder Bevollmächtigter übersetzen. Die Ombudspersonen werden als neutrale Personen/Instanzen bezeichnet, die die Rechte der Bürger/innen gegenüber den Behörden 16 Siehe Homepage des Berliner Rechtshilfe Fonds: In einer Expertise im Auftrag des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen wurde 2010 eine erste Gesamterhebung der Initiativen vorgenommen (Urban-Stahl 2011). 26

27 wahrnehmen und im Konfliktfall vermittelnd tätig werden. Ombudsleute arbeiten in der Regel ehrenamtlich, der Bürger kann unentgeltlich die Unterstützung in Anspruch nehmen. Diese niederschwellige Form der partizipativen Unterstützung bei rechtlichen Auseinandersetzungen hat in Deutschland keine (große) Tradition. Deshalb lassen sich für die Kinder- und Jugendhilfe daraus keine unmittelbaren institutionellen oder organisatorischen Bezüge ableiten. Erfahrungen gibt es in Deutschland seit den 1970er Jahren in Bereichen der Verwaltung (Bürgerbeauftragte), im zivilrechtlichen Bereich durch Ombudspersonen bei Versicherungen, Banken oder der Bahn, im Strafvollzug oder im Gesundheits- und Behindertenbereich wie im Krankenhaus, in der Psychiatrie oder in Erwachsenenwohnheimen. Der erste politisch verankerte Beauftragte war der Wehrbeauftragte. Verbreiteter ist das Petitionswesen zur öffentlichrechtlichen Kontrolle. Gemäß Artikel 17 GG haben alle das Recht, sich einzelnen oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden Beschwerden und Beschwerdebegriff Annäherung und Definition Die Bestimmung des Begriffs Beschwerde erfolgt auf der Grundlage von Beobachtungen und Erfahrungen innerhalb der Praxisanteile des Modellprojekts gerecht in NRW, die nun im Reflexions- und Analyseprozess abstrahiert werden. Um sich einer Definition aus der pädagogischen Perspektive anzunähern, werden die Merkmale des Begriffs systematisch beschrieben. a.) Beschwerden im gesellschaftlichen Raum Angestoßen durch das Beschwerdemanagement in wirtschaftlichen Unternehmen wurde im gesellschaftlichen Raum eine Kultur geschaffen, um Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Ist jemand mit einem Produkt oder der Leistung eines Unternehmens nicht zufrieden, werden die Servicestellen der jeweiligen Firma kontaktiert, um nach einer Lösung zu suchen. So hat etwa die Telekom eine Beschwerdestelle. Das Personal dort nimmt sich bestehender Probleme an und versucht, die Sachverhalte zu klären. 27

28 In ähnlicher Weise findet man - nach dem Vorbild von wirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen - in Verwaltungen (Universität, kommunale Verwaltung, Landesverwaltung etc.) Beschwerdesysteme. Dort können Personen etwa ein Formular ausfüllen oder eine zuständige Person ansprechen, um Unmut, Wut, Ärgernis oder Unzufriedenheit über einen Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen. Grobe Merkmalsbeschreibung: Wer sich beschwert, ist mit etwas unzufrieden. Wer sich beschwert, bringt subjektives Erleben zum Ausdruck. Wer sich beschwert, möchte etwas verändern. Das heißt für den Kinder- und Jugendhilfebereich: Was Kinder, Jugendliche und ihre Eltern denken und wollen, ist bedeutsam, vor allem bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen. Kinder, Jugendliche und Eltern sowie anderweitige Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe haben zivile Freiheits- und Schutzrechte, soziale Teilhabeund politische Teilnahmerechte (vgl. Marshall 1992). Das bedeutet, dass auf der politischen Ebene Beschwerden als Möglichkeit gesehen werden, um auf die Inhalte sozialpädagogischer Angebotsstrukturen Einfluss nehmen zu können. Dies setzt eine partizipative Infrastruktur voraus, um den Stimmen der Nutzer/innen einen politischen Raum zu geben. In der öffentlichen Heimerziehung sollte diese mikropolitische Ebene in den Strukturen der Einrichtung verankert sein. Um zu sagen, wie sie sich den Alltag in der Wohngruppe vorstellen, brauchen Kinder und Jugendliche regelmäßige Gespräche mit den Fachkräften und ihren Gruppenmitgliedern. b.) Beschwerdeführende Personen: Eine informelle Beschwerde ist eine Verbalisierung von subjektiv erlebten Ungerechtigkeiten oder Rechtsverletzungen im Alltagsleben, die durch die betroffene Person oder einem Personenkreis gegenüber Dritten zum Ausdruck gebracht wird. Kinder und Jugendliche sprechen in der Regel vertraute Menschen in ihrer Umgebung an, um ihr Problem zu lösen. Indem sie sagen, was sie stört, bringen sie eine informelle Beschwerde auf den Weg. Eine formalisierte Beschwerde ist eine Versprachlichung von subjektiv erlebten Ungerechtigkeiten und Rechtsverletzungen im Alltagsleben, die auf dem informellen 28

29 Wege nicht zu lösen sind. Die betroffenen Personen greifen im sozialen Raum auf interne bzw. externe Beschwerdesysteme zurück, um nach einer Lösung für ihr Problem zu suchen. c.) Beschwerdebearbeitung Kennzeichen der informellen Beschwerdearbeit ist es, dass Beschwerden im Rahmen von beratenden Tätigkeiten oder klärenden Gesprächen im Alltagleben bearbeitet werden. Die formelle Beschwerdearbeit kennzeichnet sich als eine Bearbeitung von Beschwerden, die im Rahmen eines formal festgelegten Beschwerdeverfahrens bearbeitet werden Beschwerdemanagement - (z.b. durch Rückgriff auf ein externes oder internes Beschwerdesystem). Ein Definitionsversuch: Eine 'Beschwerde' basiert auf einem real existenten Wirklichkeitserleben einer betroffenen Person, das gekennzeichnet ist von subjektiv empfundenen Ungerechtigkeiten oder Rechtsverletzungen im Alltagsleben und gegenüber Dritten zum Ausdruck gebracht wird. Eine 'Beschwerde' impliziert eine Situation, die für die jeweilige Person als unbefriedigend oder gar als schädigend zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit empfunden wird und mit dem mehr oder weniger bewussten Bedürfnis einhergeht, eine Lösungsmöglichkeit für den problematisierten Sachverhalt zu finden. 29

30 Schaubild: Intervention Subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten und Unzufriedenheiten oder gar gravierende Rechtsverletzungen Bedürfnis- und Interessensäußerungen oder Fragen, die sich auf das Alltagsleben beziehen Formelle Beschwerdearbeit Beschwerdebegriff - real existentes Wirklichkeitserleben einer betroffenen Person - subjektiv empfundenen Ungerechtigkeiten oder Rechtsverletzungen - gegenüber Dritten zum Ausdruck gebracht - unbefriedigende o. schädigende Situation für die jeweilige Person - impliziert Bedürfnis nach Lösungsmöglichkeiten Informelle Beschwerdearbeit Telefonische Sprechstundenangebote, Beratung über Facebook und kontakte Aufklärung/ Information in den Einrichtungen vor Ort Prävention 30

31 3. Kinderrechte und Partizipation: Handlungs- und Strukturmerkmale der Kinder- und Jugendhilfe Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Erziehung haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend geändert und werden in der Programmatik des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, insbesondere im 1 SGB VIII, deutlich, wenn es heißt: Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Im Mittelpunkt steht dabei ein Erziehungs- und Entwicklungsverständnis, welches das Kind und den Jugendlichen als Subjekt in seiner Umgebung sieht und von der wechselseitigen Beeinflussung zwischen dem jungen Menschen und den Erwachsenen (Erziehung) sowie der umgebenden Umwelt (Entwicklung) ausgeht. Erziehung bezieht sich demnach auf ein bestimmtes Verhältnis und eine bestimmte Beziehung von Generationen zueinander. Traditionell wird dabei die Differenz zwischen den Erziehenden und den Zu-Erziehenden (Kindern) betont. Doch im modernen Verständnis von Erziehung wird diese Differenz nicht als einfaches Gefälle von Erfahrungen und Wissen begriffen, sondern es wird von der wechselseitigen Beeinflussung zwischen Erwachsenen und dem Zu-Erziehenden ausgegangen. Somit ist Erziehung ein wechselseitiger kooperativer Prozess (Rätz-Heinisch/u.a 2009, S. 58). 3.1 Lebenslagen und Lebensbedingungen von Kindern Doch seit man die Bedeutung von Entwicklung und Erziehung von Kindern für das Fortbestehen und die Entwicklung von Gesellschaften erkannt hat, bleiben bis heute zwei Fragen im Mittelpunkt: Sind Kinder nur dazu da, die Weiterentwicklung der Gesellschaft zu sichern und sich in die Vorgaben der Erwachsenwelt (Herrschaftssicherung) und deren Zukunftsvorstellungen einzufügen? Oder sind Kinder junge Bürger, die zwar ihre Bürgerrechte noch nicht alle selbst wahrnehmen können und deshalb des besonderen Schutzes durch die Erwachsenen bedürfen, um eigenständige Lebensvorstellungen auszubilden? Denn damit, so Bertram (2008, S. 8), bekämen sie die Chance, ihr Leben in der gleichen Freiheit und selbstbestimmt entwickeln (Partizipation) zu können wie die Elterngeneration. 31

32 Aktuell werden vornehmlich gesellschaftliche Aspekte und Herausforderungen debattiert, die die Verletzlichkeit von Kindern hervorheben. Sie transportieren Appelle, die Kinder vor Bedrohungen zu schützen. Das Spektrum dieser Bedrohungen einer natürlichen Kindheit reicht dabei von der Kindesvernachlässigung über die Pädagogisierung ihrer Lebenswelten im Zeichen des Turbolernens bis hin zu den Medien, die pauschal sowohl für das zunehmende Übergewicht von Kindern als auch für deren schwache Leseleistungen verantwortlich gemacht werden. Trotzdem gehen wir davon aus, dass heute die meisten Kinder in Deutschland die Chance haben, in Sicherheit und Geborgenheit aufzuwachsen 17, und dass viel für ihre Entwicklung investiert wird. Dennoch stellt sich die Frage, ob der Anspruch, dass alle Kinder entsprechend ihren Kompetenzen eine angemessene Bildung erhalten und auch ohne allzu große ökonomische Not aufwachsen, tatsächlich umgesetzt ist. Viele öffentliche Debatten, wie etwa die über die demographische Entwicklung in Deutschland, thematisieren vor allem den Nutzwert von Kindern und diskutieren nicht deren individuelle Zukunftschancen in einer alternden Gesellschaft. Dieser Einschätzung entgegen steht das Wissen über eine sich in Deutschland manifestierende (Kinder-)Armut, die in ihrem Kern (noch immer) insbesondere Kinder betrifft. Die Forschungen liefern hierzu ein recht stabiles Bild von Armutsrisiken. Sie betrifft in erster Linie erwerbslose und kinderreiche Familien, Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sowie Kinder von Alleinerziehenden (s. hierzu Lutz/Hammer 2010). Das bedeutet: Armut in den Familien bestimmt das Aufwachsen und Leben von immer mehr Kindern in Deutschland. Damit wäre bereits eine aktuelle gesellschaftliche Herausforderung benannt, die sowohl für die Erziehung als auch für die Bildung in der Kindheit relevant ist. Das heißt, Kindheiten unterscheiden sich stark voneinander: In Abhängigkeit davon, welcher sozialen Schicht die Eltern angehören, wachsen Kinder in einem bildungsfreundlicheren Klima auf oder werden in einem eher bildungsfernen Milieu sozialisiert. In diesem Fall haben sie von vorneherein schlechtere Startchancen. Barrieren im deutschen Bildungswesen erschweren ihnen zusätzlich, mögliche Rückstände aufzuholen. 17 Vgl. hierzu: World Vision Deutschland 2010; Elefanten-Kindergesundheitsstudie 2011/

33 Kindheit ist auch durch eine sozialräumliche Differenzierung sowie eine mehr oder minder vorhandene Ausstattung mit kulturellem Kapital (Pierre Bourdieu) charakterisiert: Kinder, die in einem Umfeld groß werden, in dem Bildung und Kultur selbstverständlich sind, weisen in der Regel eine höhere Lernbereitschaft auf als Kinder, deren Eltern solche Rahmenbedingungen nicht schaffen können. Je nachdem, in welches soziale Milieu ein Kind hineingeboren wird, genießt es also von Geburt an Privilegien oder erleidet Benachteiligungen: Lebenschancen werden sozial vererbt (vgl. Schnitzlein 2013, S. 3-10). In Deutschland wird (noch immer) zu wenig dafür getan, diese Benachteiligungen von Kindern auszugleichen, denen keine behütete und geförderte Kindheit zuteil wird. Es gilt, jene Familien zu unterstützen, die nicht in der Lage sind, die gesellschaftliche Norm der guten Kindheit zu erfüllen. Wo weder die finanziellen Mittel noch der kulturelle Unterbau vorhanden sind, reicht der gute Wille, den eigenen Kindern einen guten Platz im Wettbewerb um die besten Chancen zu verschaffen, in der Regel nicht aus. Für kindliche Bildungs- und Erziehungsprozesse förderliche Aspekte Dies führt zu der Frage nach der angemessenen Förderung kindlicher Bildungs- und Erziehungsprozesse - ein Thema, das sowohl die Fachwelt als auch die breite Bevölkerung seit jeher immer wieder beschäftigt. Neueste Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zeigen, dass gerade der vorschulischen Kindheit eine besondere Bedeutung zukommt. Sie steht deshalb auch in der gegenwärtigen Diskussion im Mittelpunkt vor allem, weil in dieser Zeit offensichtlich wichtige Weichen für die Gesamtentwicklung gestellt werden. Besonders hervorgehoben wird aktuell die zentrale Stellung der frühen Kindheit. Bindungs- und Hirnforschung haben deutlich gemacht, dass frühkindliche Beziehungserfahrungen zu den primären Bezugspersonen einen herausragenden Einfluss auf die weitere Entwicklung von Mädchen und Jungen haben. Das bezieht sich sowohl auf spätere sozial-emotionale Kompetenzen als auch auf spätere Lernkompetenzen. 3.2 Kinderschutz ist mehr als nur Schutz für Kinder Zu den Grundhaltungen des Kinderschutzes gehört es, dass Erwachsene besser als Kinder wissen, was für sie gut ist und was ihnen schadet. Deshalb ist es überwiegend die Aufgabe der Erwachsenen, zu bestimmen, vor welchen Situationen und 33

34 Handlungen Kinder zu bewahren sind und welche Maßnahmen dazu nötig sind. Eine weitere grundlegende Annahme des Kinderschutzes besteht darin, dass ein drohender Schaden verhindert werden soll auch wenn dessen Ursachen nur selten eindeutig zu bestimmen sind. Dieser Sichtweise liegen sowohl bestimmte Vorstellungen von der Schutzbedürftigkeit des Kindes zugrunde, als auch darüber, was dem Kind vermeintlich schadet. Der Blick auf die Schutzbedürftigkeit hat praktisch immer zur Folge, dass die Urteils- und Bewältigungskompetenzen der Kinder unterschätzt oder gar gänzlich ausgeblendet werden (vgl. Liebel 2009; Swiderek 2003). Das heißt, vielen Maßnahmen und Angeboten liegt auch heute noch - ein Kindheitskonzept zugrunde, das Kinder vorrangig als schwache und hilfsbedürftige Wesen betrachtet. Kinder werden in erster Linie als Opfer, nicht jedoch als Subjekte ( Seiende nicht nur Werdende ) 18 verstanden, die selbst ein Interesse an der Vermeidung oder Abwendung von Risiken und Gefahren haben und eine aktive Rolle dabei spielen können (Liebel 2009, S. 52). Tatsächlich spielen Kinder und Jugendliche selbst im Schutzprozess aber in der Regel nur eine untergeordnete Rolle - auch wenn das Kinder- und Jugendhilferecht die Beteiligung ( 8 SGB VIII) als ein Querschnittsmerkmal der Kinder- und Jugendhilfe formuliert hat. Theoretisch ist etwa im Hilfeplanverfahren ( 36 SGB VIII) ein aktiver bzw. erzieherischer Kinderschutz vorgeschrieben. Außerdem ist die Kinder- und Jugendhilfe aufgefordert, junge Menschen zu befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen und sie zur Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen zu führen ( 14 SGB VIII). Trotz dieser guten Ansätze gibt es in der praktischen Umsetzung weiterhin Schwächen. Dies lässt sich auf eine fehlende Bereitschaft wie die Unsicherheit der Fachkräfte zurückführen, Kinder in Verfahren hier im Besonderen in Kinderschutzverfahren - zu beteiligen (vgl. Kotthaus 2007). Ein weiterer Grund dafür ist eine Haltung, Kindern keine oder zu wenige Kompetenzen zuzutrauen. Gerade Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Erziehungshilfe werden diese Fähigkeiten noch allzu oft abgesprochen. Doch ist dieses Schutzverständnis noch ausreichend und entspricht es den akzeptierten pädagogischen Grundsätzen einer auf Partizipation und Kinderechten basierenden Kinder- und Jugendhilfepolitik? 18 S. dazu u. a. Sünker Die dahinter stehende Auffassung hat sich in der Kindheitsforschung mit einem eigenen Ansatz positioniert, der den besonderen Subjektstatus von Kindern als eigenständige Akteure ihres Selbst definiert. 34

35 3.3 Kinderschutz und Kinderrechte wie geht das zusammen? In heutigen Debatten um Kinderschutz wird noch immer zu selten zur Kenntnis genommen, dass Kinder eigene Rechte besitzen, wie es seit der UN- Kinderrechtskonvention (1989) der Fall ist (Liebel 2009, 53). Die große Herausforderung wird nun sein, Kinderschutz und Partizipation zusammen zu denken, da diese beiden Begriffe nicht ohne weiteres zusammengehören. Die UN- Kinderrechtskonvention hat die drei zentralen Säulen der Kinderrechte Schutz (protection), Vorsorge/Förderung (provision) und Beteiligung (participation) (vgl. Sünker 1996, S. 30) nebeneinander und damit in ein Spannungsverhältnis zueinander gesetzt. Deutlich wird dieses Spannungsverhältnis besonders in der Debatte um Kindeswohl und Kindesrechte. Das Kinder- und Jugendhilferecht verfährt ähnlich, wenn es einerseits die Aufsicht und Kontrolle des Schutzes der Kinder der staatlichen Gemeinschaft überträgt, andererseits aber die Träger auffordert, Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Angelegenheiten entsprechend zu beteiligen. Es gilt, sowohl das Kindeswohl, das Interesse und die Bedürfnisse der Mädchen und Jungen als auch den Kindeswillen in einem Schutzprozess zu berücksichtigen. Was Kindeswohl ist, ergibt sich dabei nicht aus fürsorglichen Entscheidungen der Fachkräfte für (...) Kinder, sondern aus einem aktiven Beteiligungsprozess. Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutet daher auch, sie zu befähigen, mit Gefahren umgehen zu lernen und sich vor Gefahren zu schützen (Wiesner 2009, S. 21). Das Thema Kinderschutz in der Kinder- und Jugendhilfe darf deshalb nicht nur auf die Wahrnehmung des Schutzauftrages nach 8a SGB VIII verengt werden Kindzentrierte, partizipative Schutzkonzepte in Institutionen Die Diskussionen darüber, wie (sexualisierte) Gewalt in Institutionen verhindert werden kann, beschränken sich bisher eher auf Vorschriften und Verbote. Damit soll auch demonstriert werden, dass das Thema sexualisierte Gewalt (durch Mitarbeiter/innen) in Einrichtungen als ein ernstzunehmendes Problem anerkannt wurde. Es wurden Ethikrichtlinien formuliert oder vergleichbare Strukturen und Inhalte für Bewerbungsgespräche erarbeitet. Anlagen zum Arbeitsvertrag (polizeiliches Führungs- 35

36 zeugnis 19 ) sollen die Fürsorgepflicht dokumentieren (Huxoll 2007, S. 40). Darüber hinaus beschäftigten sich Fachberatungen wie etwa beim Deutschen Kinderschutzbund mit der Erarbeitung von Verfahrensregeln, die bei einem Verdacht auf Missbrauch einzuhalten sind: So müssen Sicherheitspläne vorliegen, Ansprechpartner/innen für betroffene Kinder/Jugendliche bekannt sein und Verantwortliche benannt sein. Außerdem müssen die Fälle von Missbrauch entsprechend dokumentiert werden. Weiter sollen Fort- und Weiterbildungen dafür sorgen, dass die Maßnahmen und Interventionen tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden können. All diese strukturellen und konzeptionellen präventiven Maßnahmen und Interventionen richten sich in erster Linie an die Einrichtungsleitungen, an die Qualitätsbeauftragten sowie an die Mitarbeiter/innen 20. Diese Schutzmaßnahmen bilden gewissermaßen das Gerüst, das interne, beteiligungsorientierte Schutzmaßnahmen auf der Ebene des Erziehungsalltags ermöglicht. Grundsätzlich lassen sich einzelfallorientierte und institutionsweite Präventionsmaßnahmen unterscheiden. Präventionsmaßnahmen, die sich auf den Einzelfall konzentrieren, umfassen etwa Vertrauenspersonen oder anonyme Beschwerdemöglichkeit wie einen Briefkasten. Die institutionsweite Prävention beinhaltet beispielsweise Kinderrechte-Workshops, Veranstaltungen über sexuellen Missbrauch oder Selbstverteidigungsangebote. In den meisten Einrichtungen finden sich kombinierte Präventionsangebote (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2011, S. 108). Deutlich wird, dass der Bedarf an (präventiven) Maßnahmen, aber auch an Interventionsmöglichkeiten groß ist und eine Kombination von einzelfall- und institutionsweiten Angeboten favorisiert wird (ebenda, S. 108). Interne partizipativ-orientierte Schutzkonzepte nehmen Kinder und Jugendliche als aktive Beteiligte in ihre Präventionsangebote mit auf. Die strukturellen Maßnahmen präventiven Kinderschutzes bleiben weiter bestehen, sie werden im erzieherischen Bereich erweitert. Partizipation ist seit langem ein fester Bestandteil bzw. eine gesetzliche Vorgabe pädagogischen Handels in der Kinder- und Jugendhilfe. Das heißt, Kinder und Jugendliche sollen dem gesetzlichen Auftrag entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen 21 beteiligt werden. Dieser Anspruch wird nun auch auf Situationen des Kinderschutzes angewendet wer- 19 Die Einforderung (erweiteter) Führungszeugnisse für hauptamtliche Mitarbeiter/innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist zum Standard geworden ( 72a SGB VIII). Diskutiert wird weiterhin, ob auch ehrenamtliche und Honorarkräfte verpflichtet werden sollen, diese vor einer Einstellung vorlegen zu müssen. 20 Siehe hierzu auch: Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter 2008; Landesjugendamt Rheinland 2008: Mindeststandards beim Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen. 21 Siehe hierzu grundsätzlich: 8 SGB VIII: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. 36

37 den. Mädchen und Jungen in den Hilfe- und Schutzkonzepten zu beteiligen heißt, sie als Experten in eigener Sache wahrzunehmen, die ihrerseits sowohl Gefahren erkennen als auch eigene Vorstellungen für ihren Schutz entwickeln können. Exkurs: Kinderrechte und Partizipation in der Erziehungshilfe Beispiel eines gelungenen Organisationsprozesses Kinderrechte: Partizipation - Beschwerde Schutz 22 Am Beispiel des Organisationsprozesses in den Einrichtungen des Diakonieverbundes Schweicheln e.v. wird deutlich, dass die Verschränkung von Rechten, von Beschwerdemanagement und von Partizipationsgremien sinnvoll und notwendig ist. In ihren jeweiligen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in Bochum, Geltow, Marzahn- Hellersdorf und Schweicheln hatten sich Arbeitsgruppen gebildet, die an folgenden, sich überschneidenden Vorhaben gearbeitet haben: a. der Entwicklung eines Rechtekataloges, b. der Entwicklung und Implementierung von Partizipationsgremien und c. der Entwicklung und Implementierung eines internen Beschwerdemanagements Eine Vorrausetzung ist, dass Einrichtungen sich zunächst fragen, Was sie veranlasst oder angeregt hat, über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen nachzudenken bzw. einen Prozess zu planen, warum sie Partizipation für notwendig halten und welchen Nutzen sie hat und sie erwarten, was sie unter Partizipation verstehen, wie sie bisher Beteiligung von Kindern und Jugendlichen umgesetzt haben und was und wo in ihrer Einrichtung bereits strukturell verankert ist? (Kriener 2006, S. 129). 22 Die folgenden Ausführungen sind leicht überarbeitet - einem Text des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW e.v. (Hrsg.) 2012: Sexualisierte Gewalt durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an Mädchen und Jungen in Organisationen Eine Arbeitshilfe, KA , entnommen. 37

38 Als Methoden werden vorgeschlagen: Mitarbeiterversammlungen und interne Fachveranstaltungen. Um die Prozesse aber nicht ausschließlich durch die Leitungsebene zu organisieren und zu strukturieren, erscheint es sinnvoll, Arbeitsgruppen zu bilden. So werden möglichst viele Mitarbeiter/innen der Einrichtung eingebunden und der Informationsfluss wird transparenter. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche von Beginn an beteiligt sind, eventuell auch Eltern oder Personensorgeberechtigte. Diese Arbeitsgruppen brauchen alle einen verbindlichen Arbeitsplan (Zielsetzung, Zeitrahmen). Eine besondere Herausforderung ist es, gemeinsame, kindgerechte und erwachsenenangemessene Arbeits- und Kommunikationsformen zu finden, die Entscheidungsstrukturen zu klären und die Zielsetzung des Projekts zeitlich abzusichern. Weiter erscheint es sinnvoll, dass die Arbeitsgruppen vor Beginn der eigentlichen inhaltlichen Arbeit diese Besonderheiten und/oder Unsicherheiten offen aussprechen. (Vielleicht kann es auch nötig sein, einen unabhängigen Moderator für diese Phase hinzuzunehmen, damit die eigentliche Arbeitsphase nicht gestört wird) a. Entwicklung eines Rechtekataloges: Dass Kinder und Jugendliche Rechte haben, ist hoffentlich allgemein (Kindern wie Erwachsenen) bekannt. Aber welche Rechte sie haben und ob sie diese Rechte kennen, ist meist schon weniger sicher. Deshalb ist es zuvörderst notwendig, die Kinder und Jugendlichen über ihre Rechte zu informieren, damit sie möglichst konkret wissen, was sie in der Betreuung im Rahmen ihrer Jugendhilfeleistung (arbeitsfeldspezifisch unterschiedlich) erwarten können (ebenda, S. 130). Kinderrechte sind auf internationaler wie nationaler Ebene verankert: in der UN- Kinderrechtekonvention, der EU Charta der Grundrechte, dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im achten Sozialgesetzbuch Kinder- und Jugendhilferecht. Hier wird z. B. auf die freie Meinungsäußerung (UN-Konvention, EU-Charta, SGB VIII), auf das Recht auf Bildung, Schutz und Förderung (UN-Konvention, SGB VIII) oder das Recht auf Beteiligung (UN-Konvention, SGB VIII) verwiesen. 38

39 Diese Rechte sind nun auf die jeweilige Betreuungssituation in der Institution herunterzubrechen und mit den Erziehungszielen abzugleichen. Dies kann in folgenden Schritten erfolgen: Rechte sammeln und zusammenfassen, Rechte konkretisieren Rechtekatalog überarbeiten Rechte sammeln und zusammenfassen: Hier kann eine offene Diskussion über alle Rechte beginnen: Welche Rechte gibt es überhaupt, warum sind sie entstanden, für wen gelten sie und welche betreffen mich hier am meisten? Die Zusammenstellung der für die jeweilige Betreuungssituation (in Kindergärten sind andere Rechte für die Kinder und Jugendlichen relevant(er) als in Heimen oder in offenen Freizeiteinrichtungen) wichtigen und grundlegenden Rechte werden in einem Katalog zusammengestellt und mit der Praxis abgeglichen. Je nach Alter der Kinder/Jugendlichen lassen sich diese Zusammenstellungen unterschiedlich darstellen, in Schriftform oder bildlich dargestellt. Dies kann methodisch in Gruppendiskussionen, durch Fragebögen, in einem Brainstorming oder auch durch das Malen von Bildern geschehen. 39

40 Rechte konkretisieren: Nun geht es darum, die gesammelten Rechte mit der Praxis in der Institution abzugleichen. Das heißt, es geht darum zu erarbeiten, wie die Rechte der Kinder und Jugendlichen bisher in der Einrichtung, im Erziehungsalltag umgesetzt werden. Wie wird das Recht auf Intimsphäre umgesetzt? Haben die Kinder/Jugendlichen eigene Zimmer, einen eigenen Schlüssel zum Verschließen? Kann Eigentum sicher aufbewahrt werden? Wie verhalten sich die Erzieher/innen? Respektieren sie meine Intimsphäre: Wird angeklopft oder das Zimmer einfach betreten? Habe ich eine/n Vertrauenserzieher/in? Wie werde ich auf mein Hilfeplangespräch vorbereitet und werden meine Erziehungsziele mit mir besprochen? Habe ich darauf realen Einfluss? Das sind Beispiele für eine Diskussion über Rechte im Alltag, die vielleicht auch zu einer Diskussion über Erziehung im Alltag werden kann. In der abschließenden dritten Phase geht es darum, diese Rechte im einem Katalog, in einem Vertrag gemeinsam mit allen Beteiligten (Leitung, Mitarbeiter/innen, Kinder/Jugendliche) festzuschreiben. Dabei ist zu beachten, das die Rechte klar und nachvollziehbar formuliert sind, alle Kinder und Jugendlichen diesen Katalog kennen und die Rechte zum Betreuungsalltag Bezug haben (ebenda. S. 136). Diese Fixierung soll nun Grundlage sein, miteinander im Alltag umzugehen. Beinhalten sollte dieser Katalog auch die (zusätzlichen) Möglichkeiten, die Kinder und Jugendliche haben, sollten ihre Rechte nicht gewahrt werden. Weiter ist zu überlegen, wie dieser Katalog in die Praxis eingehen kann. Möglich ist, die Rechte bei jeder Neuaufnahme den Kindern auszuhändigen und sie gezielt auf die Einhaltung hinzuweisen. Sie können als Rechte-Plakate in der Einrichtung aufgehängt werden, um als Diskussionsgrundlage zu dienen. Wichtig ist es auch, diese Aufstellung der Rech- 40

41 te nicht nur als einen einmaligen Vorgang anzusehen, sondern sie kontinuierlich zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren (Überprüfung und Fortschreibung). b. Entwicklung von Partizipationsgremien und Partizipationsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen Partizipation von Kindern/Jugendlichen in allen sie betreffenden Angelegenheiten ist der im Kinder- und Jugendhilferecht formulierte Anspruch. Dieses Ziel lässt sich in allen Erziehungsbereichen umsetzen - mit jeweils anderen Methoden und anderen Zielsetzungen. Zur grundlegenden Verständigung über die Bedeutung und die Umsetzbarkeit ist vorab wichtig, dass alle Mitarbeiter/innen die Möglichkeit bekommen, offen und ehrlich über ihre Unsicherheiten und mögliche Gefahren eines partizipativen Erziehungsmodells zu sprechen. Gerade in Einrichtungen mit schwierigen Kindern und Jugendlichen erscheint es vielen zunächst wichtig, Regeln und verbindliche Strukturen zu vermitteln. Beteiligung von Kindern erscheint deshalb oft als eine Verweichung oder Aufhebung von Pflichten und Regeln. Des Weiteren besteht die Angst, dass Partizipation zu einem Verlust von (Erzieher-)Macht führt und die Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder aufgehoben wird. Deshalb ist es wichtig, Ziele zu formulieren, warum Beteiligung von Kindern notwendig ist, welche Erziehungsziele erreicht werden sollen und welchen Einflussbereich die Kinder und Jugendlichen erhalten, (mit)gestalten, mitentscheiden oder selbst entscheiden sollen. Was ist Partizipation und was nicht? Partizipation ist ein Lernprozess für beide Seiten. In der genaueren Beschäftigung mit Beteiligungsformen und möglichkeiten wird erkennbar, dass Beteiligung auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlicher Wirkung (Partizipationsgrade) geschieht. In der Literatur wird hier eine sogenannte Stufenleiter der Beteiligung vorgeschlagen, die verdeutlichen soll, dass Beteiligung nicht gleich Beteiligung und Partizipation ein Entwicklungsprozess ist: 41

42 Stufen der Beteiligung Schröder (1995, S.16) in Anlehnung an Hart (1992) und Gernert (1993): Selbstverwaltung Selbstbestimmung Mitbestimmung Mitwirkung Zugewiesen aber informiert Teilhabe Alibi- Teilnahme Dekoration Fremdbestimmung (1) Fremdbestimmung: keine echte Beteiligung, die Kinder haben keine Kenntnisse der Ziele und verstehen dadurch die Aktion nicht. Inhalte, Arbeitsformen und Ergebnisse sind fremdbestimmt. Beispiel: Kinder als Plakatträger auf einer Demonstration. (2) Dekoration: Kinder wirken auf einer Veranstaltung mit, ohne genau zu wissen, worum es geht. Beispiel: Kindertanzgruppe (3) Alibi-Teilnahme: Kinder nehmen an einer Veranstaltung teil, haben aber nur scheinbar eine Stimme. Beispiel: Konferenzen, teilweise auch Kinderparlamente. (4) Teilhabe: Kinder würden über die bloße Teilnahme hinaus ein gewisses sporadisches Engagement der Beteiligung zeigen (können). (5) Zugewiesen aber informiert: Das Projekt wird von Erwachsenen vorbereitet, aber die Kinder sind gut informiert, verstehen worum es geht und was sie bewirken wollen. Beispiel: Schulprojekte (6) Mitwirkung: Kinder haben die Möglichkeit, durch Interviews eigene Vorstellungen oder Kritik zu äußern. Sie besitzen bei der konkreten Planung und Umsetzung jedoch keine Entscheidungskraft. (7) Mitbestimmung: Kinder werden bei Entscheidungen tatsächlich miteinbezogen. Dadurch wird ihnen das Gefühl vermittelt, dazuzugehören und Verantwortung mitzutragen. Die Idee zum Projekt kommt zwar von 42

43 Erwachsenen, alle Entscheidungen werden aber demokratisch mit den Kindern getroffen. (8) Selbstbestimmung: Ein Projekt wird von den Kindern und Jugendlichen selbst initiiert. Die Kinder und Jugendlichen werden von Seiten engagierter Erwachsener unterstützt und gefördert. Die Entscheidungen fällen die Kinder und Jugendlichen, Erwachsene werden eventuell beteiligt, tragen die Entscheidungen aber mit. (9) Selbstverwaltung: Hier geht es um die Selbstorganisation z. B. einer Jugendgruppe. Die Gruppe hat völlige Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wie von Angeboten. Entscheidungen werden Erwachsenen lediglich mitgeteilt (Schröder 1995, S. 16f.). Die Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsrealitäten von Kindern und Jugendlichen in sozialen Institutionen lassen sich nicht immer eindeutig einer Stufe zuordnen. Deutlich wird aber, dass es sich um unterschiedliche Qualitäten von Beteiligung handelt und das reine Informiertsein von Kindern (5) oder die Formulierung eigener Ziele und Wünsche durch die Kinder und Jugendlichen ohne Entscheidungskraft (6) keine Partizipation im Sinne einer Mitbestimmung mit demokratischen Entscheidungsprozessen (7) oder gar selbstbestimmte Beteiligung (8) bedeutet. Allzu oft werden Kinder und Jugendliche nur scheinbar beteiligt (vgl. Swiderek 2003, S ). Zielformulierung: Will eine Institution Partizipationsgremien einrichten und Beteiligung als Struktur- und Handlungselement in ihren erzieherischen Alltag einbauen, ist es notwendig, sich über die Ziele bewusst zu werden: Das können z.b. folgende Zielformulierungen sein: Kinder und Jugendliche nehmen Einfluss auf Alltag, Zusammenleben und Miteinander in ihrer Gruppe, setzen sich mit unterschiedlichen Perspektiven, Argumenten und möglichen Konsequenzen auseinander, kommen zu tragfähigen Entscheidungen und übernehmen Verantwortung für deren Umsetzung und 43

44 wirken an der Durchführung und Ausgestaltung der Partizipationsgremien mit (Kriener 2006, S. 141). Gegenstandsklärung: In einem nächsten Schritt soll geklärt werden, was unter Partizipationsgremien auf die unterschiedlichen Arbeitsfelder in den verschiedenen sozialen Institutionen bezogen - verstanden wird. Auch wenn sich die Formen entsprechend der Differenzierung, Dezentralisierung und Flexibilisierung von Hilfen verändert haben, ist das Anliegen weitgehend gleich geblieben, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten der Einflussnahme zu sichern (ebenda, 2006, S. 142). Weiter ist zu klären, welche Formen der Beteiligung bereits in den Einrichtungen vorhanden bzw. welche als die geeigneten eingeschätzt werden. Unterscheiden lassen sich drei Formen: repräsentative (Gruppensprecher), institutionalisierte (Gruppenversammlung, Vollversammlungen) und projektorientierte (Gestaltungsprojekte, Workshops) Formen. Einflussbereiche konkretisieren Für eine gelingende Beteiligung ist es notwendig, sehr offen und klar die Einflussbereiche und die Einflussstärke zu definieren und festzuhalten. Damit Partizipation gelingt, müssen die Kinder und Jugendlichen dazu motiviert werden. Ihnen muss klar sein, welche Vorteile sich für ihr alltägliches Leben bieten 23. Mögliche Einflussreiche für Kinder und Jugendliche könnten sein: die eigenen Angelegenheiten berührend: (z.b. die eigene Person betreffende Erziehungsziele; Schul- und Arztwahl; Elternkontakte; Taschengeld; Gestaltung des eigenen Zimmers) die Angelegenheiten der Gruppe betreffend: (z.b. Vereinbarungen, die das Zusammenleben in der Gruppe betreffen; Umgang mit Regeln; Vertretung der Gruppeninteressen; Einsatz finanzieller Mittel) die Angelegenheiten der gesamten Einrichtung betreffend: 23 Die Motivation zur Beteiligung ist abhängig von der unmittelbaren Belohnung. Es geht um die Frage, was ich davon habe, wenn ich mich in dieser Situation beteilige? Dieses Verhalten, eher ein antizipierendes als reaktives, ist in der Beurteilung der Motivation von Kindern und Jugendlichen besonders zu beachten, vgl. Swiderek, 2003, S

45 (z.b. Gestaltung der Hausordnung; Beschwerdemöglichkeiten; Aktivitäten der Einrichtung; bauliche Gestaltung) die Außenbeziehungen betreffend: (z.b. Hilfeplanvereinbarungen; Kooperation mit Jugendamt; Stadtteilaktivitäten) (vgl. Kriener 2006, S. 143). Methodisch können hier Brainstorming, Gruppendiskussionen, Zukunftswerkstätten oder auch Rollenspiele eingesetzt werden - je nach bereits vorhandenen Partizipationsformen sowie dem Alter der Kinder und Jugendlichen. Wichtig ist auch an dieser Stelle die Konkretisierung und verbindliche Vereinbarung darüber, woran Kinder und Jugendliche in welchem Maße beteiligt sind. Der Inhalt dieser Absprache muss als Mindeststandard garantiert sein. c. Entwicklung und Implementierung einer internen Ideen- und Beschwerdekultur für Kinder/Jugendliche (und Eltern) Recht zu haben, heißt nicht auch Recht zu bekommen. Was können Kinder und Jugendliche tun, wenn ihre Rechte verletzt werden? Hier geht es einerseits um die (vermeintlich) kleinen Rechtsverletzungen im Alltag (z.b. Stubenarrest, Taschengeldentzug), aber auch um massive Verletzungen, seien sie sexuell oder körperlich gewalttätig oder sexuell oder psychisch belästigend. Wie bereits erwähnt, suchen Kinder und Jugendliche in solchen belastenden Situationen eine Person, der sie sich anvertrauen können. Aber es müssen auch Möglichkeiten geschaffen werden, die unabhängig(er) von einer Person wirken. Das heißt, es muss Strukturen geben, in denen ein Vorwurf oder eine Beschwerde geklärt werden kann. Dieses Verfahren muss bekannt, transparent und einfach zugänglich sein. In den Gesprächen mit den Einrichtungen in Köln und Essen, die am Modellprojekt gerecht in NRW beteiligt waren, ist deutlich geworden, dass es solche internen Beschwerdeverfahren in der Regel bereits gibt. Diese wurden im Rahmen von Qualitätsentwicklungen von Beauftragten erarbeitet. Sie gelten in der Regel für alle Mitglieder der Organisation. Das heißt, die Verfahren und Texte sind für Erwachsene konzipiert, wenn es hier um die Beschwerdemöglichkeit der Mitarbeiter/innen geht. 45

46 Es erscheint sinnvoll, im Rahmen einer Qualitätsentwicklung spezielle Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Das setzt voraus, dass vorab geklärt wurde, was als Beschwerde verstanden wird. Im Allgemeinen sind Beschwerden persönlich empfundene und artikulierte Unzufriedenheit über einen Zustand, eine nicht erbrachte Leistung und/oder das Miteinander, verbunden mit dem Wunsch nach Veränderung 24. Im Sinne des Gesamtzusammenhangs Kinderrechte Partizipation Beschwerde Schutz ist in einem ersten Schritt zunächst zu klären: Was ist eine Beschwerde? Wie definieren sich Beschwerden, wie eng oder weit werden sie gefasst? Geht es ausschließlich um Mangelzustände oder auch um eine Form der Kritik oder Anregung und damit in Zusammenhang die Frage, welche Kultur der Beschwerde herrscht in der Einrichtung vor? Wie werden Beschwerden aufgenommen (positiv konstruktiv oder negativ störend)? Zur Entwicklung eines kindgerechten, internen Beschwerdeverfahrens gilt es u. a. folgende Aspekte zu beachten und Fragen zu klären: Informiertheit Wie werden Kinder über die Möglichkeit zur Beschwerde informiert (z.b. durch Flyer, Poster in Gruppen, Aufklärung bei Aufnahmegesprächen, Aufnahme des Punktes Beschwerden in jedem Gruppengespräch)? Erreichbarkeit, Zugangswege Welche Zugänge für Kinder und Jugendliche sind vorhanden, um eine Beschwerde zu formulieren und einen Beschwerdeprozess zu eröffnen (z. B. Vertrauenspersonen, Beschwerdebeauftragte oder Beschwerdestellen, Heimparlament, Kummerkasten)? 24 Vgl. hierzu: Diakonieverbund Schweicheln, 2006, S ; 58-61; u

47 Beschwerdeannahme und Beschwerdebearbeitung Wie wird die Beschwerde aufgenommen (z.b. standardisiertes Formular)? Wer bearbeitet sie in welchem Zeitraum (Verantwortlichkeit)? Wie ist die Position der Kinder/Jugendlichen? Wer ist Beschwerdeführer/in ( Herr des Verfahrens, d.h. die Kinder müssen zum Beispiel die Beschwerde auch zurückziehen können)? Wie geschieht die Rückkopplung zum Kind/Jugendlichen? Welche konkreten Schritte werden eingeleitet (z. B. Gespräch mit Erzieher/in)? Wer entscheidet über die Beendigung des Beschwerdeverfahrens? Wichtig ist auch, den Kindern und Jugendlichen wenn sie das wollen bzw. die Beschwerde das notwendig macht Anonymität zu zusichern. Ausgenommen davon sind Fälle von Gefahr für das Wohl des Kindes durch Mitarbeiter/innen oder anderen Mitbewohner/innen. Beschwerdeauswertung und Dokumentation Um das interne Beschwerdeverfahren kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine Beschwerdekultur in einer Einrichtung zu etablieren, ist es wichtig, die eingegangenen Beschwerden zu systematisieren und auszuwerten: Festzuhalten sind etwa Beschwerdearten, Alter und Geschlecht der Beschwerdeführer/innen, Beschwerdeverläufe, Beschwerdeerfolge und misserfolge. Daraus ergibt sich ein Profil, das in die Qualitätsentwicklungsprozesse der Einrichtungen einfließen kann. Weiter ist zu prüfen, ob und wie die gesetzten Ziele der Beschwerde erreicht wurden oder ob strukturelle Hindernisse eine erfolgreiche Bearbeitung verhindert haben. Abschließend sollte dieses Beschwerdeverfahren allen Mitarbeiter/innen und Bewohner/innen der Institution vorgestellt und von ihnen verabschiedet werden. Ob es tatsächlich den Bedürfnissen der Menschen in der Einrichtung entspricht, zeigt sich bei der Anwendung in der Praxis. 47

48 4. Zielsetzung, Projektantrag und Rahmenbedingungen der Projektgestaltung 4.1 Förderziele und Aufgabenstellung Die Idee zum Projekt gerecht in NRW unabhängige Beschwerdeinstanz für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe hing eng mit der breiten öffentlichen Diskussion über Rechtsverletzungen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammen. Begleitet wurde diese Auseinandersetzung von Überlegungen der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtpflege NRW (LAG FW), die Rechte von Kindern, Jugendlichen und Eltern als Anspruchsberechtigte von Leistungen nach dem SGB VIII zu stärken. Alle Mitglieder der AG Ombudschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW bekundeten ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Die allgemeinen Kriterien der Modellförderung des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) sehen vor, dass die Projekte einen Modellcharakter aufweisen, neue Inhalte, Formen und Methoden in der Jugendhilfe aufzeigen und sich für die Gewinnung und Verbreitung neuer Arbeitsansätze eignen (Landschaftsverband Rheinland 2009, S. 2). Dieser Zuschnitt auf die Kinder- und Jugendhilfe führte in der Ausschreibung im Weiteren zu einer Fokussierung auf die Einrichtungen der teilstationären und stationären Erziehungshilfe. Ziel laut Ausschreibung war die modellhafte Initiierung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz, die auf eine oder mehrere Träger in einer Region ausgerichtet sein soll. Die Beschwerdeverfahren sollen durch externe, ehrenamtliche Personen getragen und auf der Grundlage regelmäßiger Kontakte mit den Kindern in den Einrichtungen (Sprechstunden) oder aufgrund schriftlicher oder mündlicher Eingaben befasst sein (ebenda, S. 5 6). Der auf dieser Grundlage verfasste Förderantrag sah eine enge Kooperation mit Trägern von stationären und/oder teilstationären Einrichtungen und ihren örtlichen Jugendämtern in zwei Modellregionen vor (Köln und Essen). Erwartet wird hier die Bereitschaft eines Trägers oder Trägerzusammenschlusses über das eigene Qualitäts- und/oder Beschwerdemanagementverfahren hinaus, junge Menschen und ihre Eltern aktiv über die Arbeit von gerecht in NRW zu informieren und sich als Einrichtung an Schulungsbemühungen konstruktiv und offen zu beteiligen (Deutscher Kinderschutzbund 2010, S. 9), so der Antragsteller. Dies ge- 48

49 schah auf Basis der erklärten Kooperationsbekundung der Mitglieder der LAG Freie Wohlfahrtspflege. Hier wird bereits erkennbar, dass diese Bewerbung um die Projektausschreibung Teil einer fachlich-politischen Debatte um die Frage der Notwendigkeit und Umsetzung einer Ombudschaft für die Jugendhilfe in NRW war, die durch die Freien Wohlfahrtsverbände (AG Ombudschaft NRW) mitgetragen wurde. Ein Meilenstein in der Diskussion über die Bedeutung einer Ombudschaft in NRW war eine Fachtagung 25 im April 2009 mit dem Thema Ombudschaft für junge Menschen Kinderrechte in der Jugendhilfe. Organisiert wurde sie vom Landschaftsverband Rheinland in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW). Hier fanden auch für das Modellprojekt bedeutsame Aspekte Aufmerksamkeit: Wer kann sich an eine solche Ombudsstelle wenden? Wie kann man diese erreichen? Und: Wie lassen sich Beschwerde- und Ombudsstellen in der Praxis umsetzen? Die aufgeworfenen Fragen machen deutlich, dass das Thema strukturelle Fragen (zusätzliches Kontrollsystem) mit Belangen fachlichen Handelns verbindet. Denn fachlich geht es bei einer Beschwerdestelle darum, dass Beteiligungsrechte auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilferechts sichergestellt werden. Auf die besondere Bedeutung der UN- Kinderrechtskonvention als kinderund jugendhilfepolitische Handlungsmaxime wurde von Beginn an hingewiesen. 4.2 Projektziele und Projektebenen So verwies auch der Projektantrag mit der Begründung einer Beschwerdeinstanz in der Kinder- und Jugendhilfe auf die vorhandenen rechtlichen Bedingungen (Förderrechte, Schutzrechte, Beteiligungsrechte) in der UN-Konvention und machte auf offene Fragen und Probleme bei der Umsetzung der Kinderrechte aufmerksam. Die Rechte des Kindes zu wahren heißt beispielsweise, im Dialog mit den Adressaten zu klären, ob eine persönliche Anhörung bei Verfahren vor dem Familiengericht erfolgte, eine Beteiligung im Hilfeplanverfahren gegeben war, Taschengeldzahlungen begründet und nachvollziehbar gekürzt oder gestrichen wurden oder bei der Entscheidung zur Gewährung einer Hilfe nach 27ff SGB VIII zuvörderst das Wohl des Kindes Berücksichtigung fand (Deutscher Kinderschutzbund 2010, S. 6). In der Fokussierung auf den Bereich der Hilfen zur Erziehung heißt das, es geht um die Mög- 25 Siehe: Fachtagung Ombudschaft für junge Menschen Kinderrechte in der Jugendhilfe, Pressemeldung des LVR, in: 49

50 lichkeit, im Einzelfall Beschwerde gegen erlebte Kinderrechtsverletzung im Rahmen einer stationären/teilstationären Maßnahme der Jugendhilfe (Initiierung und Durchführung) einlegen zu können. Hauptziele des Modellprojekts waren die Entwicklung, der Aufbau und das Angebot einer externen Beschwerdemöglichkeit für junge Menschen sowie die Unterstützung bei der Bewältigung von Konflikten mit und zwischen den Beteiligten (Eltern, Jugendamt, Kinder/Jugendliche) sowie bei der Durchführung einer Hilfe in und mit Einrichtungen der Erziehungshilfe. Das heißt, es ging zunächst um die Konzipierung einer externen Beschwerdestelle, die anschließend als Angebot in der Praxis in erster Linie für die kooperierenden Einrichtungen zur Anwendung kommen sollte. Das Konzept des Antrages sah vor, das Modellprojekt auf folgenden vier Ebenen zu entfalten: Steuerungsgruppe Projektentwicklung Zentrale Anlauf- und Steuerungsstelle Regionale Beratungsteams in Essen und Köln (Ehrenamtliche) Regionale Projektgruppen in Essen und Köln Konzipierung einer zentralen Anlauf- und Steuerungsstelle (drei Mitarbeiter/innen, Teilzeit) beim DKSB Landesverband NRW e.v. in Wuppertal, die die eingehenden Beschwerden annimmt, nach einem 50

51 Beschwerdeverfahren auswertet und an die regionalen Beratungsteams weiterleitet. Einrichtung regionaler Projektgruppen in den Modellregionen, um das Projekt in vor Ort existierende Arbeitsgremien der Jugendhilfe zu implementieren und einer fachlichen Debatte zu unterziehen sowie die Mitarbeit der Projektgruppen bei der Entwicklung des Projekts. Aufbau regionaler Beratungsteams in den Modellstädten Essen und Köln, die vor Ort bei Beschwerden und Anfragen ansprechbar sind und diese bearbeiten. Installierung einer Steuerungsgruppe, die die Arbeit der Anlaufstelle und der Regionalteams während seiner Laufzeit fachlich begleitet. Die in 4.4 folgende Darstellung der Prozesse und Aktivitäten im Projekt verdeutlicht, welche Entwicklungs- und Arbeitsschritte auf allen Projektebenen notwendig waren, um die Ideen und die Beschwerdestelle organisatorisch wie inhaltlich vorzubereiten (Ziel 1). Arbeitsebene waren die Projektgruppentreffen in den Modellstädten sowie die individuellen Gespräche in den einzelnen Einrichtungen. Beschwerden von Kindern und Jugendlichen aus den kooperierenden Einrichtungen gingen in der Entwicklungsphase nicht ein. Hierzu mussten erst Vereinbarungen auf der Grundlage gemeinsam erarbeiteter Beschwerdeverfahren in den Einrichtungen verabschiedet werden (s ). Im nächsten Kapitel 5 (Umsetzung der Ziele) werden einzelne Projektziele thematisch gebündelt. Anhand der Arbeitsziele, die im Antrag formuliert sind, soll der Projektprozess in all seinen Facetten (Planung, Kooperation, Umsetzung) deutlich werden. 4.3 Projektgruppentreffen der Modelleinrichtungen in Köln und Essen Der kontinuierliche inhaltliche Austausch in den Projektgruppen mit den kooperierenden Einrichtungen war eine wichtige Säule bei der Projektdurchführung. Erfahrungen und Ergebnisse sind ein Resultat der Zusammenarbeit mit den Einrichtungen (Leitungskräfte und Mitarbeiter/innen) sowie den Vertreter/innen der beteiligten Jugendämter. Die Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW erhielten in diesem Rahmen einen direkten Zugang zu Gruppen der Einrichtungen und somit zu den hier lebenden Kindern und Jugendlichen und 51

52 zu Mitarbeiter/innen, die mit ihrem Fachwissen und ihrer Praxiserfahrung die Projektarbeit bereicherten. Während der Projektlaufzeit fanden regelmäßige Treffen (insgesamt 14) in Köln und Essen statt. 4.4 Ziele, Aufgaben und inhaltliche Entwicklungen Die im Erstantrag genehmigte Gesamtlaufzeit des Modellprojekts gerecht in NRW betrug zwei Jahre. Im Mai 2011 wurde das Projekt durch die Zustimmung des Landesjugendhilfeausschusses bis zum 31. Dezember 2012 verlängert. Bevor der Landesjugendhilfeausschuss das Projekt im Mai 2010 bewilligte, erfolgte eine Anfrage potentieller Kooperationspartner in den Städten Essen und Köln. Das Vorhaben wurde in diversen Gesprächen vorgestellt und mit formell sowie informell tagenden Arbeitsgruppen in den beiden Städten durchaus auch kontrovers diskutiert. Bis zum offiziellen Start im August 2010 erklärten beide Kommunen und insgesamt 16 Träger mit 18 Einrichtungen 26 ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Für die Projektumsetzung wurde die Gesamtlaufzeit in fünf Projektphasen unterteilt: Zu den wesentlichen Aufgaben der ersten Projektphase gehörten die Projektinitiierung, theoretische Arbeiten und die Entwicklung von Strukturen und Vorbereitungen für die Öffentlichkeitsarbeit. Folgende Ziele wurden für die erste Phase verfolgt: Informiert starten örtliche Gegebenheiten aufgreifen und nutzen Prozesse initiieren Kompetenzen der Beteiligten im Miteinander nutzen, Impulse setzen - Standards und Grundsätze einer Ideen- und Beschwerdestelle zur Diskussion stellen, rechtliche Grundlagen erfassen, Handlungsrahmen beschreiben, Kinder und Jugendliche ansprechen, Informationsmaterialien erstellen neue Medien nutzen Öffentlichkeit informieren (inhaltliche und technische Realisierung einer Homepage für gerecht in NRW). 26 Fünf Einrichtungen stiegen in der ersten Projektphase aus und eine Einrichtung wurde neu in das Modellprojekt aufgenommen, so dass die reale Teilnehmerzahl für die Gesamtlaufzeit 14 Einrichtungen von 13 Trägern beträgt. 52

53 Zu den Schwerpunkten der inhaltlichen Arbeiten des Projektteams (s. dazu genauer in Kapitel 5) in der Anfangszeit gehörte eine Bestandsaufnahme zum Thema Beschwerdestellen/Ombudsstellen, die Erarbeitung von Grundsätzen und Standards von gerecht in NRW, die Erstellung von zwei Flyern, Kurzdarstellungen und Handreichungen für die Einrichtungen, die inhaltliche und technische Realisierung einer Homepage für gerecht in NRW sowie die Klärung rechtlicher Fragen zur Umsetzung einer Beschwerdestelle in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Die kooperierenden Einrichtungen in den Modellregionen und die örtlichen Spitzenverbände wurden zu Beginn der ersten Projektphase über die Projektinitiierung und Teamzusammensetzung von gerecht in NRW informiert. Der Auf- und Ausbau einer Beschwerdeinstanz für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Jugendhilfe greift einschneidend in das Programm und die Praxis der stationären und teilstationären Jugendhilfe ein. Prozesse und Ergebnisse wirken auf das Verhältnis zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe, der Leistungsanbieter untereinander und auf das Grundverständnis einer Heimpädagogik ein. Bedeutsam war es daher, auch die kommunalen Träger der Jugendhilfe und die Vertreter/innen der Freien Wohlfahrtspflege (hier beispielsweise im Rahmen der AG 78) in den Modellstädten näher an das Projekt heranzuführen und für eine Mitarbeit zu gewinnen. In beiden Modellstandorten gab es entsprechende Gespräche. Eine aus Repräsentanten der Wohlfahrtspflege, der überörtlichen Jugendhilfe, des Projektträgers und der qualifizierten (Rechts-)Praxis bestehende Steuerungsgruppe begleitete von Anfang an die Projektarbeit. Neben den bundesweit bestehenden lokalen bzw. regionalen Beschwerdestellen/Ombudsstellen existiert ein bundesweites Netzwerk, das vom Berliner Rechtshilfefond Jugendhilfe (BRJ) betreut wird. Das Modellprojekt wurde in das Netzwerk aufgenommen und nahm während der gesamten Projektlaufzeit an den regelmäßigen Netzwerktreffen teil. Wichtiger Teil der zweiten Projektphase war es, das Projekt in enger Kooperation zusammen mit den Einrichtungen weiterzuentwickeln (Bestands- und Bedarfsanalyse). Dazu wurden Interviews mit allen Einrichtungsleitungen, mit einer Auswahl von 53

54 Mitarbeiter/innen sowie Kindern und Jugendlichen geführt. Ein wesentlicher Aspekt des Projekts war es, die Einrichtungen dahin gehend zu unterstützen, die Rechte der Kinder zu stärken und die Beteiligung in den Einrichtungen der Erziehungshilfe (weiter) auszubauen. Um anschließend ein kindgerechtes partizipativorientiertes Beschwerdeverfahren entwickeln zu können, war es grundlegend, Kinder und Jugendliche in diesen Prozess mit einzubeziehen. Ein Kinderschutzverfahren und eine Kooperationsvereinbarung zwischen gerecht in NRW und den kooperierenden Einrichtungen verhalf zu Transparenz und Handlungssicherheit. Die entwickelten Papiere wurden in einem gemeinsamen Prozess zunächst mit der Projektgruppe Köln abgestimmt. Dieser komplexe und notwendige Prozess dauerte bis zum September Zu diesem Zeitpunkt arbeitete in Essen noch keine regelmäßige Projektgruppe. Die kooperierenden Einrichtungen waren jedoch in Form von Einzelgesprächen in einigen Einrichtungen an der Entwicklung der Unterlagen beteiligt. Ein weiteres Schwerpunktthema waren Fragen zur Erreichbarkeit und den Kontaktmöglichkeiten: Wie können die Mitarbeiter/innen des Projekts die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen erreichen und wie können die Kinder und Jugendlichen die Beschwerdestelle erreichen? Diese Fragen waren auch Inhalt der Bestands- und Bedarfsanalyse in den Einrichtungen, insbesondere in den Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen sowie in der Projektgruppe Köln. Eine Kontaktaufnahme über eine Homepage (per Beschwerdeformular) und auch die social media als jugendgerechte Kommunikationswege wurden als bedeutsam gewertet. Diese wurden zusätzlich zu den üblichen Kontaktmöglichkeiten wie Flyer, Telefon und aufgenommen. Die Umsetzung einzelner Projektschritte war am Modellstandort Essen von einem besonders intensiven fachlichen Austausch geprägt. Gegenstand der zum Teil kritisch und kontrovers geführten Debatten war insbesondere: das Spannungsverhältnis von (formal-)rechtlichen Vorgaben und professioneller Handlungspraxis, der Unabhängigkeitsanspruch der externen Beschwerdestelle und die Qualität der Kooperation und Anzahl der Kontakte mit den Modelleinrichtungen. 54

55 Einerseits waren damit Fragen verbunden, die sich auf die praktischen Umsetzungsbedingungen der Kinderrechte im institutionellen Kontext und andererseits auf die Nähe- und Distanzverhältnisse bezogen. Die intensive Zusammenarbeit war dementsprechend geprägt von einem Aushandeln von Positionen, die vielfältige Impulse beinhalteten und die Entwicklung des Modellprojekts letzten Endes sehr positiv beeinflussten. In diesem Prozess konnten wertvolle Erkenntnisse generiert werden, die darauf verwiesen, welche strukturellen Rahmenbedingungen notwendig waren, um eine externe Beschwerdestelle in einer kommunalen Jugendhilfestruktur zu etablieren. Vor diesem Hintergrund erhielt die Bildungsarbeit in Essen (s. hierzu auch Kapitel 7) einen wichtigen Stellenwert. Hier ging es darum, im Miteinander Strukturen und Kulturen zu entwickeln, die einerseits den Umgang mit Beschwerden, andererseits die Einführung der externen Beschwerdestelle auf der institutionellen Ebene regelten. Den im Projektantrag formulierten Ansatz, baldmöglichst ehrenamtliche Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen als Ansprechpartner für die Kinder und Jugendlichen einsetzen zu können, wurde in Absprache mit der Steuerungsgruppe modifiziert: Diese Arbeit sollte zunächst von den drei Projektmitarbeiter/innen übernommen werden. Aufgrund der hochsensiblen Konflikt- und Gesprächssituationen mit den Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen bedarf es einer gründlichen Vorbereitung und Auswahl möglicher Mitarbeiter/innen im Ehrenamt. Bereits bei der Suche nach einer potentiellen Gruppe (ehemalige Mitarbeiter/innen der öffentlichen und freien Jugendhilfe, Jugend-/ Familienrichter/innen) wurde deutlich, welche fachlichen, sozialen und emotionalen Anforderungen zur Gewährleitung einer hohen Beratungs- und Begleitungskompetenz an das Ehrenamt gestellt werden müssen. Der Ansatz Einsatz von ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern im Rahmen einer Ideen- und Beschwerdeinstanz blieb aber weiterhin auf der Agenda. Die in der zweiten Phase begonnene Entwicklung der Verfahren (Beschwerde- und Kinderschutzverfahren) sowie die Vereinbarungen zwischen gerecht in NRW und den kooperierenden Einrichtungen wurden in der dritten Projektphase (im September 2011) in der Projektgruppe Köln verabschiedet. Die Zielgruppen konnten sich über folgende Materialien und Zugangswege informieren: zwei Flyer (für Kinder/Jugendliche, für Erwachsene), 55

56 die Projekt-Homepage mit einem Beschwerdeformular ( ein Facebook-account ( Telefon- und Handynummern und adressen, postalische Erreichbarkeit, telefonische Sprechstunden und Sprechstunden und Besuche in den Einrichtungen. In der Praxis waren zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht alle Kinder, Jugendlichen und Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen ausreichend über das Projekt gerecht in NRW, die Kontaktmöglichkeiten sowie über das Verfahren informiert. Hierzu waren weitere Gespräche mit den verschiedenen Zielgruppen in allen Einrichtungen nötig, um das Projekt, die erarbeiteten Verfahren sowie die Ansprechpersonen (Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW) bekannt zu machen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass eine weitergehende Auseinandersetzung und Vertiefung mit den Themen Kinderrechte, Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten, Ungerechtigkeiten und mögliche Rechtsverletzungen in Einrichtungen notwendig war. Die zuvor skizzierte Situation am Modellstandort Essen entwickelte sich positiv, sodass die verbliebenen sechs kooperierenden Einrichtungen und das Jugendamt Essen ihr Interesse an der Mitarbeit im Modellprojekt erneut bekundeten. Die Projektgruppe Essen nahm im September 2011 ihre Arbeit auf. Die in der Projektgruppe Köln verabschiedeten Verfahren und Vereinbarungen wurden auf den Modellstandort Essen übertragen und von den Einrichtungen als Arbeitsgrundlage mit wenigen Modifizierungen weitgehend übernommen. Für die vierte Projektphase lassen sich zwei Schwerpunkte nennen: die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen (Bildungsarbeit) und die Fortbildungsangebote für die Mitarbeiter/innen in den Modelleinrichtungen. Beide Angebote waren per se nicht im Projektantrag vorgesehen, sondern sind aufgrund projektinterner sowie fachpolitischer Entwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe (Bundeskinderschutzgesetz) entstanden. Ein weiterer Schwerpunkt war das Filmprojekt Kinderrechte im Heim, das durch zusätzliche Fördermittel der Deutschen Kinderschutzbund-Stiftung zustande kam. Beides lässt sich unter dem Stich- 56

57 wort Bildungsarbeit mit Kindern/Jugendlichen und Fachpersonal zu den Themen Kinderrechte, Beteiligung und Beschwerden zusammenfassen. In der vorangegangenen Darstellung des Projektverlaufs ist deutlich geworden, dass die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten vor allem in Fragen der praktischen Umsetzung im pädagogischen Alltag in vielen Einrichtungen noch zu wenig stattfindet. Fragen und Antworten zu Kinderrechten und damit auch zu Aspekten der angemessenen Thematisierung von Ideen und Beschwerden müssen sich in den Alltag integrieren und feste Strukturen finden. Methodische und didaktische Ansätze einer alltagspraktischen Vermittlung rückten in den Blickpunkt der Projektarbeit. Das Filmprojekt (s. hierzu genauer Kapitel 7) war sowohl ein Angebot der Vermittlung von Kinderrechten und Beschwerden im Leben der Kinder und Jugendlichen als auch ein Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt. Das große Interesse an dem Film belegt die Aktualität des Themas und die Attraktivität des Mediums Film in der Kinder- und Jugendhilfe. Bemerkenswert im Sinne des Projekts sind die im ersten Halbjahr 2012 eingegangenen Beschwerden und Anfragen. Hier zeigte sich, dass es richtig war, das Ideen- und Beschwerdeangebot auf der Homepage und per Facebook- Account bekannt zu machen. Die Aufnahme, Bearbeitung und Auswertung dieser Beschwerden und des Beschwerdeverlaufs waren ein Kernaspekt des Projekts. Das verstärkte Interesse der Einrichtungen an Fort- und Weiterbildung zu den Vorgaben des Bundeskinderschutzgesetzes setzte sich auch in der zweiten Hälfte des Jahres 2012 (fünfte Projektphase) fort. Die Verpflichtung der Einrichtungen, geeignete Verfahren zur Sicherstellung der Rechte von Kindern und Jugendlichen bereitzustellen sowie Möglichkeiten der Beschwerde festzuschreiben, forcierte die Auseinandersetzung mit den projektrelevanten Themen. Diese Entwicklung wurde durch das Projekt dahingehend aufgenommen, dass das Angebot der Fortbildung für das Fachpersonal in den kooperierenden Einrichtungen wiederholt und parallel dazu die Bildungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen intensiviert wurde. Auch das Angebot eines separaten Filmprojekts für Kinder und Jugendliche aus Köln und Essen bot eine weitere Möglichkeit, sich intensiv und alternativ mit Fragen von Kinderrechten und dem gerechten Leben im Heim zu beschäftigen. Anspruch war hier, die Thematik in einer für die Zielgruppe attraktiven Form zu bearbeiten. Selbst einen Film zu konzipieren, zu drehen und zu schneiden birgt eine Vielzahl neuer, 57

58 spannender Erfahrungen für die Jugendlichen. Hier konnte eine neue thematische Auseinandersetzungsform für die Kinder und Jugendlichen mit der sozialen Erfahrung des eigenständig entwickelten und umgesetzten Projekts (Film wird öffentlich aufgeführt) verknüpft werden. Die im Anschluss zusammen mit allen Beteiligten erstellte Broschüre machte nochmals deutlich, wie intensiv die Erfahrung war und wie wichtig der Inhalt für das alltägliche Leben der Kinder und Jugendlichen aber auch für die pädagogischen Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen geblieben ist. Die Bearbeitung der projektinternen Beschwerden erwies sich als geeignete Folie zur Aufarbeitung grundsätzlicher Fragen, die bei der Konzipierung und Umsetzung einer externen Beschwerdestelle in Zusammenarbeit mit internen Beschwerdeangeboten der Einrichtungen zu klären sind. Es lassen hier zwei Aspekte hervorheben: Zum einen ergeben sich Beschwerden von Kindern und Jugendlichen in der Regel aus ihrem Alltag und berühren somit Fragen des pädagogischen Handelns im Erziehungsalltag. Zum anderen bewegt sich das Handeln von gerecht in NRW im Spannungsverhältnis von Vertretung der Rechte und Interessen des Kindes oder des Jugendlichen und dem Selbstverständnis des Hilfesystems Heimerziehung. Diese sehr grundsätzlichen Gesichtspunkte verweisen auf Fragen, die bei der Implementierung einer externen Beschwerdestelle im System Jugendhilfe (Autonomie der freien Träger) bedacht und beantwortet werden muss (siehe hierzu auch Kapitel 10). Im Rahmen dieser projektinternen Diskussionen wurde deutlich, dass die unmittelbare Beschwerdebearbeitung einen deutlichen Eingriff in den pädagogischen Ablauf bedeutete. Diesbezügliche Erfahrungen des Projekts verweisen auf die Voraussetzung einer großen gegenseitigen Offenheit, will man die Beschwerdebearbeitung mit Ausnahmen erkennbarer Kinderschutzfälle als einen kooperativen und mediativen Prozess verstehen (s. dazu mehr in Kapitel 6). Darüber hinaus waren sowohl die Abschlussveranstaltung des Projekts im November 2012 als auch das Verfassen des Abschlussberichts und die Diskussionen hierüber weitere wichtige Aspekte in der Endphase des Projekts. Ziel war es dabei, die Beteiligten in möglichst hohem Maße zu involvieren. Die Abschlussveranstaltung sollte einerseits erste Ergebnisse des Projekts präsentieren, andererseits aber auch das aktuell große Interesse der Praxis an Fragen des Kinderschutzes in Einrichtungen der Jugendhilfe aufgreifen. Beides wurde in die inhaltliche Gestaltung des Programms aufgenommen und durch die aktive Beteiligung der kooperierenden Partner 58

59 aus Essen und Köln umgesetzt. Ebenso wurden die Kooperationspartner bei der Verfassung des Abschlussberichts durch die Vorlage von Entwurfsfassungen beteiligt. 4.5 Steuerungsgruppe Die Steuerungsgruppe war fester Bestandteil des Projekts und diente der fachlichen Begleitung sowie der Anbindung an die Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen. Ein Ziel war es, die Arbeit der Beschwerdestelle möglichst von Beginn an und auf allen Ebenen in die sozialpolitischen Debatten der freien und öffentlichen Jugendhilfe in NRW einzubinden. Besetzt war die Steuerungsgruppe mit jeweils einer/m Vertreter/in der Wohlfahrtsverbände, des Landschaftsverbandes Rheinland/Landesjugendamt, des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW als Projektträger und einem unabhängigen Experten aus dem Bereich des Kinderschutzes. Eine Vertretung der kommunalen Spitzenverbände konnte nicht gewonnen werden. Die Steuerungsgruppe setzte sich für die Gesamtdauer des Modellprojekts aus folgenden Personen zusammen: Tanja Buck, Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.v. (ab 10/2011) Sabine Depew, Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.v. (ab 1/2012) Friedhelm Güthoff, Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.v. Bernd Hemker, Der Paritätische Nordrhein-Westfalen e.v. Dr. Nicole Knuth, Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.v. (bis 09/2011) Stephan Palm, Landschaftsverband Rheinland/ Landesjugendamt Hubert Perschke, Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.v. (bis 12/2011) 59

60 Prof. Dr. Hans-Jürgen Schimke, Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.v. Anita Stieler, Der Sommerberg, Arbeiterwohlfahrt Betriebsgesellschaft mbh, Rösrath Martin Stoppel; ehemaliger Jurist des Landschaftsverbandes Rheinland/ Landesjugendamt (als ständiger Experte) Darüber hinaus wurden weitere Fachleute zu einzelnen Sitzungen eingeladen. Schwerpunktmäßig kamen der Steuerungsgruppe folgende Aufgaben zu: Strategische Steuerung von Anfragen und Maßnahmen im Sinne des Projektantrages und der konzeptionellen Vorgaben des Trägers, Begleitung eines Qualitätsdialogs im Sinne des Selbstverständnisses und der Aufgaben und Ziele der Anlaufstelle gerecht in NRW, Entscheidung über die Unterstützung des jungen Menschen und seiner Familie in gerichtlichen Verfahren, Erarbeitung fachlicher Standards im Umgang mit Informationen über Einrichtungen der öffentlichen wie freien Jugendhilfe auf der Grundlage fachlicher Empfehlungen der Projektgruppen (Wann ist die Heimaufsicht gem. 45 SGB VIII zu informieren? Wer wird wann, in welchem Umfang und wie anonym informiert? Festschreibung einer für das Projekt verbindlichen Handlungs- und Informationskette). Daraus ergaben sich für die Projektentwicklung folgende grundlegende und projektbegleitende Aspekte: Wie können die Mitglieder der Steuerungsgruppe einen Transfer der Projektentwicklung und diskussionen in die Verbände organisieren, um einen möglichst transparenten Prozess zu gewährleisten? Wie können der Projektträger und die zentrale Anlauf- und Steuerungsstelle einen Einblick in die verbandsinternen Debatten in der Frage der Installierung einer externen Beschwerdestelle/ Ombudsstelle in der Jugendhilfe erhalten? Die inhaltlichen Debatten in der Steuerungsgruppe (sieben Sitzungen) reflektierten die aktuellen Entwicklungen im Projekt und boten gleichzeitig übergreifende Diskus- 60

61 sionen zu Fragen der strukturellen Implementierung von Ombuds-, Ideen- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe, der Umsetzung in den Einrichtungen der Erziehungshilfe sowie Aspekte einer juristischen Einordnung in das Kinder- und Jugendhilferecht. Gerade zu Beginn des Projekts war für die Einrichtungen wichtig zu erfahren, welche Stellung die externe Beschwerdestelle im vorhandenen System der Aufsicht der Jugendämter und des Landesjugendamtes einnimmt (die Beschwerdestelle als der verlängerte Arm des Landesjugendamtes? ). Diese Frage beinhaltet einen Kernaspekt, der die Implementierung einer externen Beschwerdestelle grundlegend begleitet, die Frage nach der Schnittstelle Heimaufsicht und externer Beschwerdestelle. Aus der Sicht des Modellprojekts war es wichtig zu erfahren, wie die konkrete Arbeit des Modellprojekts in den Einrichtungen in den Verbänden wahrgenommen wird, welche Rückmeldungen aus den Einrichtungen in die Verbände eingehen oder ob es überhaupt ein Thema ist. Auch hier wurde deutlich, dass die Verabschiedung und die gesetzten Verpflichtungen des Bundeskinderschutzgesetzes Ende 2011 den Stellenwert der Debatte um externe Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe auch in den Verbänden noch einmal verstärkt hat. Die Steuerungsgruppe gab bei der Bearbeitung vorgenannter Aspekte wertvolle Anregungen. 61

62 5. Umsetzung der Ziele Benötigen Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe eine externe Beschwerdestelle in ihrem Alltag und würden sie ein solches Angebot nutzen? Welche Kontaktmöglichkeiten sind sinnvoll und erwünscht? Unterstützt eine solche zusätzliche Stelle die Mitarbeiter/innen in ihrer pädagogischen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen und welche möglichen Auswirkungen könnten solche neuen, externen Strukturen aus Sicht der Leitungskräfte für ihre Einrichtungen bedeuten? Um eine erste Einschätzung dieser Fragen zu bekommen, wurden zunächst mit allen Beteiligten in den Modelleinrichtungen in Köln und Essen leitfadengestützte Gespräche geführt. Es ging darum, bedarfsgerechte Kontaktmöglichkeiten zu ermitteln, die Projektmitarbeiter/innen als Ansprechpersonen für die Kinder, Jugendlichen und Mitarbeiter/innen vorzustellen und erste Informationsgespräche zur gemeinsamen Erarbeitung der Verfahren (Beschwerde- und Kinderschutzverfahren und Vereinbarungen) einzuleiten. 5.1 Informationsgewinnung zur Bestandsaufnahme und Bedarfsermittlung in den Modellstandorten Köln und Essen Primäre Adressatengruppe Die primäre Adressatengruppe bildeten die Kinder und Jugendlichen, die in den insgesamt 14 beteiligten stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leben und denen mit dem Projekt eine unabhängige externe Beschwerdemöglichkeit angeboten werden sollte. Um ihre Meinung aufzunehmen und abzubilden, wurden ihre Heimsprecher/innen oder die Gruppensprecher/innen des Heimparlaments im Entwicklungszeitraum des Projektes interviewt. Die Interviews fanden in drei aufeinanderfolgenden Runden statt, die sich jeweils einem neuen Thema und einer neuen Zielsetzung der Gespräche widmeten: In den ersten Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen ging es vor allem darum, ihnen die Idee einer Beschwerdestelle vorzustellen und sie mit dem Team der zentralen Steuerungsstelle bekannt zu machen. Dann schlossen sich Gespräche zur ge- 62

63 zielten Informationsermittlung an. Hier wurden die Mädchen und Jungen danach befragt, welche Zugänge sie sich zu einer externen Beschwerdestelle wünschten, welche Themen sie dort besprechen wollen würden, unter welchen Bedingungen sie eine solche Beschwerdestelle nutzen würden und unter welchen nicht und was sie sich konkret von einer solchen Stelle erhofften. In einer dritten Gesprächsrunde konnten die Kinder und Jugendlichen mit konkreten Anliegen, Beschwerden und Fragen zu den Mitarbeiter/innen der zentralen Steuerungsstelle kommen und diese zu zweit oder dritt besprechen. Zusammenfassend lässt sich auf dieser Grundlage feststellen, dass die Interviews mit den Kindern und Jugendlichen entscheidende Informationen gebracht haben sowohl was das Konzept und die Grundsätze des Beschwerdeverfahrens betrifft als auch die Gestaltung der Flyer, die direkte Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Projektentwicklung für den Erfolg des Projektes unerlässlich war, da sie die Entwicklung einer Vertrauensbeziehung zu den Kindern und Jugendlichen in hohem Maße fördert und somit zumindest potentielle Zugänge erschließt, das Gelingen der Gespräche (gemessen an: Informationsgewinn, vertrauensvolle Atmosphäre, Gesprächsbereitschaft und Interesse) mit Kindern und Jugendlichen in hohem Maße von der Bereitschaft der in der Einrichtung tätigen Fachkräfte abhängig ist, den Kindern und Jugendlichen ein geschütztes Setting für diese Interviews anzubieten: Je stärker das Thema Beschwerde in der jeweiligen Einrichtung angstbesetzt war, desto stärker wurden die Gespräche durch die Fachkräfte kontrolliert und desto je geringer war die Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen, sich den Mitarbeiter/innen der zentralen Steuerungsstelle interessiert zu zuwenden oder Auskunft zu geben Sekundäre Adressatengruppe Die Gruppe der sekundären Adressaten setzte sich aus den Fachkräften und Leitungskräften der 14 beteiligten stationären Jugendhilfeeinrichtungen zusammen. Da- 27 Weiter gefasst ließe sich hier vielleicht auch folgende Hypothese formulieren: Ohne eine gelebte Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderrechte, Beteiligung, Beschwerde, fehlerfreundliche Haltung gegenüber Fachkräften innerhalb einer Einrichtung ist eine gelingende Zusammenarbeit mit einer externen, unabhängigen Beschwerdestelle nicht möglich. Ohne innere Beschwerdekultur ist kein Beschwerdemanagement von außen möglich! 63

64 von ausgehend, dass jeder Beschwerdefall eines Kindes oder Jugendlichen einer stationären Einrichtung im Regelfall auch eine enge Kooperationsbeziehung mit den in der Einrichtung tätigen Fachkräften notwendig macht, sind mit dieser Adressatengruppe Gespräche, getrennt nach Leitungs- und Fachkräften, geführt worden. Dies war unter anderem notwendig, da eine unabhängige Beschwerdestelle intern befürwortet werden muss, um Kindern ganz praktisch, aber auch im Sinne von Es ist gewünscht, dass Du Dich im Beschwerdefall an diese unabhängige Beschwerdestelle wendest, Zugänge zu ermöglichen. Die Gespräche mit den Leitungskräften fanden zunächst in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Runden statt, bevor alle weiteren Kontakte zu diesen Kooperationspartnern gemeinsam über die Projektgruppen gestaltet werden konnten. In der ersten Interviewrunde im Frühjahr stand insbesondere das Kennenlernen der unterschiedlichen Einrichtungen im Fokus der Gespräche. Die Mitarbeiter/innen der zentralen Steuerungsstelle informierten sich in diesem Rahmen über die spezifischen Strukturen der einzelnen Einrichtungen (Alter der aufgenommenen Kinder, Anzahl der Plätze, Besonderheiten etc.) sowie über den Stellenwert der Kinderrechte in der Einrichtung (beispielsweise durch die Übernahme ins Leitbild), gelebten internen Beschwerdekulturen (Ansprechpersonen, Verfahren), Beteiligungsmöglichkeiten, Häufigkeiten von Beschwerdefällen und Beschwerdethemen. Darüber hinaus wurden Anregungen, Probleme und Schwierigkeiten aus der Perspektive der Leitungen im Hinblick auf eine zu entwickelnde externe Beschwerdestelle aufgenommen. Nicht zuletzt dienten die Gespräche dieser ersten Runde auch dazu, Missverständnisse anzusprechen, die Projektidee miteinander abzugleichen und sich somit einer gleichen Zielrichtung zu versichern. Die zweite Gesprächsrunde mit Leitungskräften fand im Sommer 2011 statt. Im Mittelpunkt standen dabei das durch die zentrale Steuerungsstelle entwickelte Beschwerdeverfahren und Kinderschutzverfahren sowie die konkrete Kooperation im Falle einer Beschwerde mit den jeweiligen Einrichtungen (siehe hierzu 5.2). Dies wurde in einer schriftlichen Vereinbarung mit jeder Einrichtung festgehalten. Die Leitungskräfte erhielten gezielt Gelegenheit, sich in diesen Prozess einzubringen, spezi- 28 Aufgrund der am Modellstandort Essen zunächst fehlenden Arbeitsebene in Form einer regionalen Projektgruppe, wie konzeptionell vorgesehen, konnte erst im Rahmen einer Sitzung des Arbeitskreises Heim im Frühjahr 2011 erstmals Kontakt zu den Einrichtungsleitungen durch die zentrale Steuerungsstelle aufgenommen werden. In Köln konnte bereits Anfang des Jahres mit der Projektarbeit begonnen werden. 64

65 fische Veränderungen bezogen auf ihre Einrichtung zu formulieren und die konkrete Zusammenarbeit zu gestalten. Aus diesem Abstimmungsprozess ging in den meisten Einrichtungen der Wunsch hervor, möglichst viele Fachkräfte in den Einrichtungen über die Projektidee, Ziele und konkrete Ausgestaltung der externen Beschwerdestelle zu informieren. Deshalb gab es im Anschluss verschiedene Gespräche mit den Fachkräften in den Gruppendiensten. Neben der bloßen Information über das Projekt ging es in diesen Gesprächen primär darum, Ängste, Sorgen und Misstrauen der Fachkräfte gegenüber einer externen sie möglicher Weise kontrollierenden, machtausübenden Beschwerdestelle transparent zu machen und abzubauen. Folgender Aspekt der Gespräche mit der sekundären Adressatengruppe ist in besonderer Weise in den Blick zu nehmen: Es fiel auf, dass in Gesprächen mit Leitungskräften in der ersten Runde der Begriff Beschwerde oftmals negativ konnotiert und zum Teil sogar abgelehnt wurde. Stattdessen verwendeten zahlreiche Leitungskräfte die Ausdrücke Konflikt oder Kritik. Unserer Einschätzung nach ging es bei dieser Abgrenzung darum, deutlich zu machen, dass Konflikte im pädagogischen Alltag ihren Platz haben und eine Klärung dieser Konflikte innerhalb der Beziehung Kind/Jugendlicher und Fachkraft angestrebt wird. Der Begriff der Beschwerde hingegen weist direkt auf fehlerhaftes Verhalten durch Professionelle hin. Dies deutlich in den Blick zu nehmen, fiel offensichtlich schwer. Kontinuierliche Gespräche und Diskussionen über das Thema Beschwerden im Erziehungsalltag führten im Laufe der Projektarbeit bei den meisten Beteiligten zu einer differenzierten Ansicht und Haltung. Dies wurde auch durch das Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes unterstützt, sodass der Begriff der Beschwerde durch die Projektbeteiligten jetzt mit einem neuen Selbstverständnis belegt werden konnte Schwerpunkte und Ergebnisse der Gespräche Welche Rückschlüsse lassen sich für die konzeptionelle, strukturelle und praktische Entwicklung einer externen Beschwerdestelle in der Kinder- und Jugendhilfe ziehen? Übereinstimmend für alle Einrichtungen in beiden Modellstädten lässt sich konstatieren, dass alle Einrichtungen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen einen 65

66 hohen Stellenwert beimessen. Partizipation ist in allen Leitbildern und konzeptionellen Papieren der Einrichtungen aufgenommen. Es wird deutlich, dass Beteiligung als ein grundlegendes Merkmal sozialpädagogischer Methodik und praktischen Handelns verstanden wird. Bei der Frage, wie Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen, respektive in den Gruppen umgesetzt wird, was gut funktioniert und ob Beteiligung institutionell eingebettet ist (Gremien), welche Stolpersteine im Alltag erkannt und wie diese reflektiert werden und wie sich die strukturelle und alltagpraktische Beteiligung im Beziehungsverhältnis Erzieher/in Kind/Jugendlicher gestaltet, werden Unterschiede deutlich. In allen Einrichtungen gibt es Gruppengespräche, in einigen Heimräte oder Kinderkonferenzen. In machen sind diese Angebote aktuell ungenutzt, wenn auch konzeptionell vorgesehen. Es wird deutlich, dass die Bedeutung von Partizipation als ein Recht für Kinder und Jugendliche verstanden und anerkannt wird. Aber in der praktischen Umsetzung im Erziehungsalltag bekommt die Beteiligung nicht (immer) genügend Aufmerksamkeit. Man erkennt gewissermaßen eine ritualisierte Haltung gegenüber der Maxime der Beteiligung, die Partizipation als wichtig und elementar diagnostiziert, aber im Alltag noch immer Gefahr läuft, unterzugehen. Oftmals heißt es auch auf die Frage, ob Kinderrechte ein alltägliches Thema (z.b. im Aufnahmegespräch oder in Konflikten) seien, dass zunächst mal die Pflichten im Vordergrund stehen (müssten), bevor man auf die Rechte hinweisen sollte. Diese Verknüpfung zwischen Rechten und Pflichten steht gewissermaßen im Mittelpunkt des erzieherischen Handelns und kann nur durch intensive Gespräche mit den Fachkräften reflektiert und aufgelöst werden. In den Angeboten der aufklärenden Bildungsarbeit, die während der Projektentwicklung in einigen Einrichtungen stattfanden (s. 7. Kapitel), konnte das Team von gerecht in NRW dazu erste Ansätze erarbeiten. Bei der Frage, welche Instrumente (internes Beschwerdesystem) und Möglichkeiten (Gremien, Info- oder Kummerkasten) die Einrichtungen vorhalten, damit Kinder und Jugendliche ihre Meinungen äußern können, zeigt sich, das die meisten Einrichtungen hier noch auf dem Weg sind. An dieser Stelle wird auch geäußert, dass man sich bei der Einrichtung und Anwendung institutioneller Gremien Unterstützung wünscht, sowohl bei der Einrichtung als auch bei der Umsetzung 29. In vielen Einrich- 29 Hier stellt sich ein Verweis auf die Frage der Beratung nach 8b SGB VIII dar, der die überörtlichen Träger auffordert, die Träger von Einrichtungen hinsichtlich der Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen als auch von Beschwerdemöglichkeiten zu beraten. 66

67 tungen ist es bereits üblich, die Kinder und Jugendlichen bei der Aufnahme in die Einrichtung über ihre rechtlichen Möglichkeiten innerhalb der Einrichtung (z.b. Vertrauenserzieher/in) als auch über einrichtungsexterne Formen (Beschwerde an das Jugendamt) zu informieren. Nicht repräsentativ verifizierbar ist, wie und ob die Kinder und Jugendlichen bei der Nutzung der Möglichkeiten unterstützt werden bzw. welche Hindernisse (Schwellen) es gibt. Sowohl die Leitungskräfte als auch die Kinder und Jugendlichen bestätigen, dass die Nutzung externer Beschwerdeangebote kaum bis gar nicht wahrgenommen wird 30. Das heißt, es geht hier um die Erreichbarkeit und Höhe der Schwelle, ein externes Angebot auch wahrzunehmen. Diese Aussagen und Positionen waren für die Auswahl der Kontaktangebote der externen Beschwerdestelle im Modellprojekt grundlegend. Es ist deutlich geworden, dass es von unterschiedlichen Faktoren abhängt, welche Haltungen zu einer externen Beschwerdestelle in den Einrichtungen vorherrschen. Dazu gehört einerseits das Engagement der Einrichtungsleitung ( es ist mir ein Anliegen, das Thema voran zubringen ), andererseits aber auch äußere Gegebenheiten des Trägers bzw. der Einrichtung. Das sind etwa Größe (kleine, zentrale oder dezentrale Gruppen), Lage (in der Stadt oder weit außerhalb liegend) oder von den Traditionen ( bei uns war/ist die Meinung der Mitarbeiter/innen schon immer wichtig ). Diese Einrichtungskulturen, die sich durch Haltungen ausdrücken, sind starke Einflussfaktoren bezüglich des Umgangs aller direkt (Kind, Jugendlicher, Eltern, Fachkräfte, Leitung) und indirekt Beteiligten (örtliches und überörtliches Jugendamt, Schule) einer Jugendhilfeeinrichtung (s. hierzu auch Kapitel 10) mit Rechten, Beteiligung und Beschwerden in einer Einrichtung. 5.2 Beschwerdeverfahren, Kinderschutzverfahren und Vereinbarung: Grundlagen der Kooperation und praktischen Zusammenarbeit Zunächst war es bei der Projektentwicklung wichtig, handlungsorientierte Verfahren zur Beschwerdebearbeitung in den Einrichtungen zu entwickeln. Von Beginn an war es das Ziel, ein gemeinsam erarbeitetes Verfahren zu erreichen, das durch einzelne 30 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Nutzung des Landschaftsverbands Rheinland als externe Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe. 67

68 Arbeitsschritte sowohl Offenheit und Sicherheit für alle Beteiligten garantieren als auch das Selbstverständnis einer externen Beschwerdestelle deutlich machen sollte. Diese Kooperationsgespräche fanden auf der Basis erarbeiteter Standards und Grundsätze 31 des Projekts statt, die das Selbstverständnis einer externen Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche in der Kinder- und Jugendhilfe abstecken sollte: Zielsetzung ist eine parteiliche Vertretung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, davon ausgehend, Kinder und Jugendliche als Träger eigener Rechte anzuerkennen. Handlungsleitlinien sind die Prinzipien einer partizipativen Betroffenenbeteiligung. Bei der Unterstützung der Ratsuchenden und der Umsetzung der Kinderrechte haben Beratung, Vermittlung, Verhandlung im Sinne von konstruktiver Konflikthandhabung Vorrang vor juristischen Schritten. Kinder oder Jugendliche erteilen der Beschwerdestelle freiwillig einen Auftrag. Sie behalten dabei Subjektstellung im Beschwerdeverfahren, das sich durch Transparenz auszeichnet. Bei Verdacht auf eine akute Kindeswohlgefährdung treten die Mitarbeiter/innen der Beschwerdestelle für den wirksamen Schutz des Kindes oder Jugendlichen ein. Ein eigenes Verfahren zum Kinderschutz (angelehnt an 8a SGB VIII) wurde entwickelt. Die Beschwerden werden dokumentiert, ausgewertet und anschließend anonymisiert archiviert Das Beschwerdeverfahren Herzstück der Zusammenarbeit Die sich hieran anschließende Diskussion über ein geeignetes Verfahren zur Beschwerdebearbeitung einer externen Beschwerdestelle in Einrichtungen der Erziehungshilfe war mehr als nur eine Auseinandersetzung über pragmatische Handlungsschritte. Die Frage, wie weit eine externe, unabhängige Stelle im pädagogischen Alltagsprozess Einblick und Handlungsmacht erhalten soll, verlangte eine offene Debatte über Grundsätzliches. Es geht dabei vor allem um herkömmliche konzeptionelle und interne Strukturen in der Heimerziehung und um die konkrete Erarbeitung von Verfahren, die einen großen Vertrauensvorschuss seitens der pädagogischen Einrichtungen gegenüber einer neuartigen, im Jugendhilfesystem bisher nicht verankerten externen Beschwerdestelle benötigen. So war es wichtig, die einzelnen Handlungsschritte möglichst detailliert zu trennen und transparent zu gestalten, denn gänzlich auflösen lässt sich dieses Spannungsverhältnis zwischen der Ein- 31 Der gesamte Text der Standards und Grundsätze ist im Anhang einsehbar. 68

69 richtung und der externen Stelle nicht. Sie bildeten den Rahmen, um die Diskussion zielführend abschließen zu können. Wichtig war dabei auch die Erkenntnis, dass ein Beschwerdeverfahren - über die grundsätzlichen Arbeits- und Handlungsschritte hinaus - offen für einrichtungsspezifische Bedingungen sein muss. Dabei müssen Fragen wie diese berücksichtigt werden: Gibt es ein einrichtungsinternes Beschwerdesystem, das mit einem zusätzlichen externen Angebot abgestimmt werden muss? Handelt es sich um eine kleine zentrale Einrichtung oder um eine große, dezentrale Einrichtung? (siehe hierzu genauer im Kapitel 9). Vor diesem Hintergrund konnte ein kooperatives Beschwerdeverfahren 32 wenn auch für beide Modellstädte geringfügig differenziert erarbeitet und verabschiedet werden. Die Verfahrens- und Handlungsschritte decken sich im Wesentlichen mit den Grundsätzen und Standards des Projekts und betonen sowohl die Parteilichkeit für die Rechte der Kinder und Jugendlichen als auch die notwendige Transparenz und Offenheit im Umgang mit den Fachkräften, den Einrichtungen und ihrer jeweiligen pädagogischen Konzepte. Der Kern des Verfahrens lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Angebot der Beschwerdestelle gerecht in NRW richtet sich an Mädchen und Jungen, die in (teil-)stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe in den Modellregionen Essen und Köln leben. Wird eine Beschwerde durch Eltern, Fachkräfte oder Dritte herangetragen, so wird zunächst das Gespräch mit dem betroffenen Mädchen/Jungen gesucht. Dies verdeutlicht die Subjektstellung des Kindes/Jugendlichen zu Beginn und über das gesamte Beschwerdeverfahren hinweg und will deutlich machen, dass das Kind bzw. der/die Jugendliche mit seinem/ihrem Anliegen ernst genommen und an allen Entscheidungen und Handlungsschritten beteiligt wird. So wird das Mädchen/der Junge umfänglich, seinem Alter entsprechend in einem transparenten Verfahren beteiligt, parteilich beraten und im Rahmen eines fachlichen Prozesses unterstützt. Hierbei wird das Mädchen/der Junge bereits zu Beginn des Verfahrens über den Kinderschutzauftrag der Beschwerdestelle altersentsprechend und unabhängig vom Auftreten gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung informiert, um sicherzustellen, dass dem Kind/Jugendlichen die Rahmenbedingungen eines Tätigwerdens der Beschwerdestelle eingangs bekannt sind. 32 Die ausführlichen Texte und den genauen Wortlaut des Beschwerdeverfahrens sowie des Kinderschutzverfahrens sind im Anhang des Berichts einsehbar. 69

70 Wendet sich ein Mädchen/ein Junge mit einem Anliegen oder einer Beschwerde an die externe Stelle, werden die Pädagog/innen der zuständigen Gruppe darüber informiert, dass ein Kontakt zwischen gerecht in NRW und dem Mädchen bzw. Jungen besteht. Das beteiligte Kind oder der/die Jugendliche wird ebenfalls über diesen Schritt in Kenntnis gesetzt. Dies schließt anonyme Beschwerden im Sinne des hier vorgeschlagenen Beschwerdeverfahrens aus. Bei anonymen Meldungen werden entsprechend geeignete Stellen (Einrichtung, örtliches Jugendamt, Landesjugendamt etc.) informiert. Auf dieser Basis wurde zur gegenseitigen Absicherung der Zusammenarbeit am Modellstandort Köln eine Absprache zwischen den beteiligten Einrichtungen und dem Modellprojekt formuliert und verabschiedet. Diese fasste nochmals die Hauptaspekte des Beschwerde- und Kinderschutzverfahrens mit den Grundsätzen und Standards des Projekts zusammen und unterstrich somit die Bereitschaft der Einrichtungen, mit der externen Beschwerdestelle zu kooperieren und zusammenzuarbeiten. 5.3 Kontaktmöglichkeiten und Präsenz in den Einrichtungen Ein weiterer wichtiger Schritt in der Projektentwicklung war es, unterschiedliche Kontaktangebote für Kinder und Jugendliche im Besonderen, aber auch für die pädagogischen Fachkräfte sowie Eltern und andere Verantwortliche zu entwickeln. So entstanden im Laufe des Projekts kind- und erwachsengerechte Flyer 33, die das Projekt, seine Ziele und Angebote sowie die Ansprechpersonen im Beschwerdefall vorstellten. Parallel dazu wurde eine (altersentsprechende) Homepage ( innrw.de) entwickelt. Sie bot einen weiteren Zugang zur Beschwerdestelle. Außerdem sollte sie allen Interessierten vielfältige Fachinformationen zur Verfügung stellen, etwa zu den Themen Kinderrechte, Beteiligung, Qualitätsentwicklungen und zu den aktuellen Debatten im Bereich der Hilfen zur Erziehung und der Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen. Zwei Plakate, die illustrativ und appellativ zwei wichtige Kinderrechte der UN-Kinderrechtskonvention abbildeten, wurden flächendeckend verteilt: Meine Rechte nimmt mir keiner weg (das Recht auf Vorrang des Kindeswohls allen Angelegenheiten; Artikel 3) und Ich sag was mir wichtig ist (das Recht auf Berücksichtigung des Kindeswillens; Artikel 12). 33 Die beiden Flyer sind im Anhang einsehbar. 70

71 Diese Plakate sollten die Beschwerdestelle weiter bekannt machen. Sie dienten auch als Anregung dazu, in den Einrichtungen und Gruppen über die Themen Kinderrechte, Beteiligung und Beschwerden ins Gespräch zu kommen. Im Laufe des Projekts wurde dann zusätzlich auch das Angebot einer virtuellen Beratung über einen projektinternen Facebook-Account ermöglicht, der seitens der Kinder und Jugendlichen vorrangig als niederschwelliges (anonymes) Angebot zum Beratungseinstieg genutzt wurde. Darüber bot dieser Zugang auch eine unverbindliche Form der Auseinandersetzung und Diskussion mit anderen Interessierten und verwies auf zahlreiche im Netz zugängliche Informationen. Eine weitere Form der Kontaktpflege waren regelmäßige Sprechstunden. Dazu kamen gezielte Angebote für Einrichtungen, die junge Kinder betreuen oder Gespräche in Intensivgruppen, die aufgrund ihres speziellen pädagogischen Settings einen gesonderten Zugang zum Angebot einer externen Beschwerdestelle brauchen (siehe hierzu auch 5.6) Fortbildung der Mitarbeiter/innen In den Gesprächen und Diskussionen wurde von Seiten der Modelleinrichtungen das Interesse geäußert, sich vertiefend mit den Partizipationsmöglichkeiten, der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und dem Umgang mit Beschwerden von Kindern und Jugendlichen im beruflichen Alltag befassen zu wollen. Deshalb konzipierte und organisierte das Team des Modellprojekts gerecht in NRW Fortbildungen und Workshops zu den benannten Themenfeldern. Die folgenden Ausführungen sollen erläutern, welche Ziele mit den damit verbundenen Tätigkeiten verknüpft waren, mit welchem Selbstverständnis in den Workshops gearbeitet und was durch die Workshops erreicht wurde. Ziele Dieses Interesse der Einrichtungen und Mitarbeiter/innen zu Fragen der Bedeutung von Kinderrechten und den Möglichkeiten einer vielfältigeren Beteiligung der Kinder und Jugendlichen korrespondierte mit dem Ziel des Projekts, eine Diskussion über die Wirksamkeit und Umsetzung von Beschwerden im Erziehungsalltag mit den Fachkräften zu führen. Für die Planung kam es deshalb darauf an, die herausgearbeiteten Ziele (u.a. Vermittlung des Rechts auf Beschwerde als Teil gelebter Beteili- 71

72 gung in den Einrichtungen ) und das methodische Vorgehen so transparent und offen zu gestalten, dass die Bedürfnisse und Interessen der Teilnehmer/innen in die Planung und in die Arbeitsschritte aufgenommen und die Fachkräfte selber an der Gestaltung der Inhalte beteiligt werden konnten. Die hier nun folgenden Zielvorstellungen spiegeln daher auch eine Ergebnisdarstellung aus dem Gesamtprozess aller Fortbildungen und Workshops wider, die im Rahmen des Modellprojekts gerecht in NRW durchgeführt wurden: theoretische Reflexionen zu den Begriffen Kinderrechte, Partizipation, Bildung und Beschwerden sowie deren Bedeutung für das professionelle Handeln im beruflichen Alltag Analyse der professionellen Handlungspraxis hinsichtlich der Umsetzungsbedingungen des Beschwerdemanagements und der Partizipationskultur im institutionellen Arrangement Erörterungen des Spannungsverhältnisses von Recht und professioneller Handlungspraxis fallbezogene Diskurse zur Praxis der Kinderrechte im Wohngruppenalltag. Selbstverständnis Aus der Zusammenarbeit mit den Fachkräften im Projekt resultierte die Erkenntnis, dass eine gelebte Partizipation innerhalb der Fortbildungen zu einer Partizipationskultur in den Einrichtungen beitragen kann. Diese Auffassung und die damit verbundene Erfahrung erforderte ein Lernen, welches das Selbstverständnis innerhalb der Gestaltung der Workshops berührte. In der Durchführung der Fortbildungsveranstaltungen wurde sehr schnell deutlich, dass die Fachkräfte eigene Fragen an das Thema haben und Interessen mitbringen, die sie im Diskurs erläutern wollten. Auf dieser Grundlage wurde entschieden, eine fortbildungseigene Partizipationsstruktur zu schaffen, um die Teilnehmer/innen an den Inhalten und der Gestaltung der Fortbildungen zu beteiligen. Daher wurden die Inhalte und Vorgehensweisen, wie ein Workshop gestaltet sein muss, um den fachlichen Interessen und Fragen gerecht werden zu können, mit den Teilnehmer/innen diskutiert. Diese hatten das Interesse geäußert, anhand von konkreten Fallbeispielen das Spannungsverhältnis von Recht 72

73 und professioneller Handlungspraxis zu erörtern, um im Diskurs die Grenzen von Recht und Unrecht auszuloten. In der praktischen Durchführung wurde dementsprechend eine grobe Struktur zur Orientierung vorgegeben, die sich das eine oder andere Mal änderte. Die Projektmitarbeiter/innen mussten in ihrer Rolle der Moderatoren und der Steuerung solcher Prozesse offen sein für die Interessen und Bedürfnisse der Gruppe. Diese dialogische Struktur der Fortbildungsveranstaltungen ließ viel Raum, um Praxiserfahrungen auszutauschen und diese zu analysieren und zu reflektieren. Thematisch wurde dabei oft Bezug genommen auf das professionelle Selbstverständnis, das von institutionellen Arrangements mitbestimmt wird, so dass in diesem Kontext vor allem die Implementierungsbedingungen einer Partizipationskultur im Wohngruppenalltag diskutiert wurden. Im Nachhinein kann man sagen, dass dieses Vorgehen, das sich aus vielfältigen Reflexionen der Arbeitsvorgänge ergeben hat, eine sinnvolle Entwicklung beinhaltete, da damit der Anspruch erfüllt werden konnte, dem fachlichen Interesse der Pädagog/innen gerecht zu werden. Ergebnisse Bei der Frage danach, was die Fortbildungen aus Sicht der Fachkräfte gebracht haben, muss man berücksichtigen, dass die fachlichen Impulse auch Grenzen haben. Die durchgeführten Workshops können nur der Anfang gewesen sein, um eine Partizipationskultur im stationären Kinder- und Jugendhilfebereich zu stärken. Oftmals wurde von den Fachkräften beklagt, dass Fortbildungen dieser Art zu selten angeboten werden und in Ausbildungs- und Studiengängen tendenziell nur eine marginale Stellung einnehmen, obgleich ein Bedarf an Fortbildungen sowie ein Interesse an den Themenfeldern Kinderrechte, Partizipation und Beschwerden besteht. Die Beteiligten an den Fortbildungsveranstaltungen äußerten, dass sie für ihre pädagogische Arbeit vielfältige Ideen und Impulse mitnehmen konnten: Eine Partizipationskultur im Wohngruppenalltag zu implementieren, betrifft nicht nur Einzelne, sondern die gesamte Wohngruppe. 73

74 Das Spannungsverhältnis von Recht und professioneller Handlungspraxis kann zwar nicht aufgelöst werden, aber man kann einen Umgang im Team und mit der Wohngruppe finden. Professionelles Handeln benötigt Strukturen und Räume, um sich selbst zu hinterfragen und auf Grundlage dessen die eigene Professionalität und die des Teams weiterzuentwickeln. Die Erörterung von Fallbeispielen ist ein probates Mittel, um die alltäglichen und schnell ablaufenden Kommunikationsprozesse im Zeitlupentempo zu betrachten. Dies eröffnet die Möglichkeit, die professionelle Handlungspraxis zum Gegenstand intensiver Analysen und Reflexionen zu machen. Die Selbstverständlichkeiten des Alltagslebens sind nicht immer so selbstverständlich, wie man meinen mag. Das alltägliche Zusammenleben ist geprägt von sozialen Dynamiken, die eine Offenheit gegenüber den Regeln der Gruppe und den Bedürfnisse und Interessen der Wohngruppe erfordern. 5.4 Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung Bei einem so aktuellen wie brisanten Projekt war Öffentlichkeitsarbeit ein entscheidender Aspekt der Projektentwicklungen. Gerade vor dem Hintergrund der breiten öffentlichen wie fachpolitischen Debatten um die Aufarbeitung der Geschichte der Heimerziehung für die Jahre 1950 bis 1970 und den aktuellen Fällen gewalttätigen und sexuellen Missbrauchs in konfessionellen wie staatlichen sozialen Einrichtungen erhielt das Modellprojekt von Beginn an eine große Aufmerksamkeit in der Fachwelt. Die beiden Fachveranstaltungen im November 2011 und im November 2012 stießen auf großes Interesse, was durch die Verabschiedung der neuen gesetzlichen Verpflichtungen im Bundeskinderschutzgesetz noch zusätzlich verstärkt wurde. Während der Gesamtlaufzeit des Projekts konnten die Mitarbeiter/innen an verschiedenen landes- und bundesweiten Fachveranstaltungen (u.a. am Sozialpädagogiktag 2011; Kinder- und Jugendhilfetag 2012; Bundeskongress Soziale Arbeit 2012; Kinderschutzforum 2012) mit eigenen Beiträgen in Fachforen teilnehmen. Einige dieser Veranstaltungen fanden in enger Kooperation mit der Netzwerkstelle Ombudschaft in der Jugendhilfe statt, einem Zusammenschluss verschiedener ombudschaftlicher Projekte und Aktivitäten in Deutschland. Diese Zusammenarbeit und Vernetzung er- 74

75 wies sich als äußerst förderlich für die Projektentwicklung - gerade vor dem Hintergrund der noch ungeklärten fachpolitischen Entwicklungen im Bereich des Kinderund Jugendschutzes in Einrichtungen der Jugendhilfe. Die neuerliche Verpflichtung der Einrichtungen ( 45 SGB VIII), von nun an konkreter und offensiver die Verwirklichung der Kinderrechte sowie die Beteiligungsmöglichkeiten strukturell und alltagsorientiert zu verbessern, förderte die Bereitschaft der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, die Entwicklung einer externen Beschwerdestelle mit Interesse zu verfolgen. Auch die regelmäßigen Projektreffen in den beiden Modellstädten Köln und Essen waren ein Stück Öffentlichkeitsarbeit im regionalem Raum. Die Beteiligung der freien und kommunalen Träger der Jugendhilfe sowohl an der konkreten Projektentwicklung als auch an der Abschlussveranstaltung sowie die Einbindung der Trägervertreter/innen in der Steuerungsgruppe war Teil des partizipativen Arbeitsstils. Er bot gleichzeitig einen unmittelbaren Transfer der Entwicklungen und der fachlichen Debatten in die Verbände und Einrichtungen. Ziel war es, die Idee einer externen Beschwerdestelle in der Kinder- und Jugendhilfe parallel zur Projektentwicklung in den Modellstädten in den Verbänden wachsen zu lassen und im Gegenzug auch von internen Diskussionen in den Verbänden und Jugendämtern profitieren zu können. 5.5 Ehrenamtliche als Ombudspersonen in Einrichtungen der Jugendhilfe Die Zielsetzung der Akquise und Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter/innen zur Beschwerdebearbeitung in den Einrichtungen vor Ort wurde bereits zu Beginn des Projekts kritisch diskutiert und daraufhin ausgesetzt (s. hierzu 4.3). Die Befürchtungen und Einwände seitens der Einrichtungsleitungen, dass es zur Aufnahme und Bearbeitung von Beschwerden von Kindern und Jugendlichen zuvorderst vertrauliche Beziehungen bekannter Personen bedarf, waren nachvollziehbar und verständlich. Auch im Kontakt mit den zuständigen pädagogischen Mitarbeiter/innen in den Gruppen der Einrichtungen verwies man auf die Notwendigkeit vertrauter Gesichter. Dies setze eine Vertrauensbildung voraus, die zunächst durch die Projektmitarbeiter/innen gewahrt werden sollte. Somit wurde das Projektziel Ehrenamtliche einvernehmlich zunächst ausgesetzt. 75

76 Für die weiterführende Debatte um eine Installierung ombudschaftlicher Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe wird man die Frage der Mitarbeit ehrenamtlicher Personen wieder aufnehmen (müssen). Gerade in großen Flächenländern wie Nordrhein- Westfalen muss man darüber diskutieren, wie eine landesweit arbeitende Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche sicherstellen will, dass alle Einrichtungen erreicht werden. Hier bietet sich die Möglichkeit ehrenamtlicher Unterstützer/innen an. Diese müssten selbstredend gut qualifizierte, im Themenbereich der Kinder- und Jugendhilfe versierte Fachkräfte sein. Gleichzeitig bedarf es eines notwendigen Abstandes zur jeweiligen Einrichtung und vielleicht auch - zum konkreten Arbeitsbereich, damit die nötige Distanz zur Profession und zum konkreten, beschwerdeauslösenden fachlichen Handeln gegeben ist. Dieses Spannungsverhältnis wird sich nicht in Gänze auflösen lassen, muss aber offen thematisiert und geklärt werden. Will man auf die Mitarbeit ehrenamtlicher Personen verzichten, müssten verlässliche und finanziell abgesicherte Strukturen bereitstehen, die die ombudschaftliche Arbeit einer externen Beschwerdestelle als festen Bestandteil des Kinder- und Jugendhilfeangebots erst möglich machen würden. Die Frage, wie eine Unabhängigkeit zu gewährleisten ist, bleibt aber auch hier zu beantworten. Die Frage der Finanzierung solcher kommunenaher Angebote steht neben der fachlichen Debatte deutlich im Raum. Das dem Modellprojekt nachfolgende Projekt der Ombudschaft Jugendhilfe NRW geht den Weg der ehrenamtlichen Ombudspersonen und wird finanziell ausschließlich durch die Träger der freien Wohlfahrt getragen. Deshalb wird es weiterhin wichtig sein, die kommunalen Träger noch enger in die Debatte einzubeziehen und das Thema bundes- wie landespolitisch aktuell zu halten. 5.6 Kinder- und Beschwerderechte in Einrichtungen mit jungen Kindern: Ein Praxisbeispiel Hintergrund des dargestellten Angebots in einer kooperierenden Einrichtung des Modellprojekts gerecht in NRW war die Frage, wie das Beschwerderecht in einer Gruppe von Vorschul- und Grundschulkindern (3 bis 8 Jahre) mit teilweise erheblichen Entwicklungsverzögerungen und weiteren jungen Kindern in der Gesamteinrichtung realisiert werden kann. Im Kontext einer Betriebserlaubnis für eine stationäre Kleinkindgruppe wurde diese Frage an das Projekt herangetragen. Die Herausforde- 76

77 rung, auch für junge Kinder einen Zugang zu einer externen Beschwerdestelle herzustellen, wurde vom Projektteam aufgegriffen und exemplarisch in einer Einrichtung realisiert. Während des Jahres 2012 fand monatlich ein altersentsprechendes Angebot statt, bei dem sich die Kinder spielerisch mit ihren Rechten auseinandersetzten und auch Ungerechtigkeiten äußern konnten. Die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema `Kinderrechte und Bildung findet in Kapitel 7 statt und kann grundsätzlich auch auf die Arbeit mit den jungen Kindern übertragen werden. Sie ist jedoch methodisch dem jeweiligen Entwicklungsstand anzupassen. Aufgrund der umfassenden Darstellung des Themas in Kapitel 7 findet an dieser Stelle lediglich die Beschreibung des erfolgten Angebots `Kinderund Beschwerderechte mit jungen Kindern statt. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass das vorrangige Ziel des Angebots mit den jungen Kindern die Bereitstellung einer externen Beschwerdemöglichkeit war und die Auseinandersetzung mit den Kinderrechten als Empowerment der Kinder und als Zugang zur Beschwerdestelle zu betrachten ist. Beim ersten Treffen nahmen alle Kinder der Gruppe, eine in der Gruppe wohnende Mutter 34 und die diensthabenden Pädagog/innen teil. Zunächst ging es darum, sich kennenzulernen. Die Kinder berichteten vom Kindergarten, von der Schule und dem Leben der Gruppe, jedes Kind zeigte sein Zimmer und seine Lieblingsspielsachen. Aufgrund starker Entwicklungsverzögerungen (insbesondere sprachlicher Art) und fehlender Konzentrationsfähigkeit bei den jüngsten Kindern wurde vereinbart, die zukünftigen Angebote zunächst mit den drei älteren Jungen (5 bis 8 Jahre) durchzuführen. Je nach Angebot kamen im Laufe des Jahres auch die jüngeren Kinder hinzu. Da zu Beginn dieses Angebotes noch weitere junge Kinder (bis 7 Jahre) in verschiedenen Gruppen der Einrichtung lebten, fand auch mit diesen in Begleitung ihrer Bezugsbetreuerinnen ein erstes Kennenlernen statt. Jedoch hatten diese Kinder bis zum nächsten Termin die Einrichtung schon wieder verlassen, so dass ein kontinuierliches Angebot zu Kinderrechten und Beschwerdemöglichkeit nur in der obengenannten Kindergruppe stattfand. Die Angebote dauerten jeweils etwa eine Stunde. Bei den ersten Treffen stand das Wohlfühlen der Kinder in der Gruppe im Mittelpunkt. Es ging um Gefühle und Bedürfnisse, die sie im Gespräch, mit Malen, dem Mimwürfel und Geschichten ausdrücken konnten 35. Die Kinder äußerten sich offen 34 In der Gruppe leben 4 Jungen mit ihrer Mutter und ein weiteres Geschwisterpaar. 35 Der Donna Vita Verlag bietet Bilderbücher, Geschichten und weitere Materialien zum Thema Gefühle, Regeln und Grenzen an. 77

78 über erlebte Zufriedenheit, Unzufriedenheit oder Wut. Dies stand meist im Zusammenhang mit ihrer Mutter oder ihren Geschwistern, die mit in der Gruppe lebten. Über das Leben in der Gruppe sprachen sie sich durchweg zufrieden aus. Gelegentlich berichteten die Jungen über Konsequenzen (z.b. Fernsehverbot wegen Prügeleien) durch die Pädagog/innen, die aber nicht den Charakter der Beschwerde hatten. Nach einigen Treffen konnten die Jungen an die Kinderrechte und auch den Begriff des Rechts herangeführt werden. Dies geschah mit einem selbstgemachten Kinderrechte-Memory und Kinderrechte-Karten 36. Die Kinder waren sehr interessiert an den verschiedenen Rechten, bezogen diese auch immer wieder auf ihre eigene Situation und fragten nach. Bei Folgeterminen stellte sich heraus, dass die Kinder noch viele Rechte in Erinnerung hatten und diese je nach individuellem Bedürfnis und Hintergrund unterschiedlich in ihrer Wichtigkeit beurteilen. So suchte sich ein Junge als sein wichtigstes Recht das Recht auf Freizeit und Sport und ein anderer das Recht auf gewaltfreie Erziehung aus, um es anschließend malerisch darzustellen. Beim Einsatz des Memorys kamen auch die jüngsten Kinder hinzu und beteiligten sich zwar aktiv am Spiel, aber weniger am Gespräch. Die regelmäßigen Angebote zu Kinderrechten führten sowohl bei den Kindern als auch bei den Pädagog/innen (die gelegentlich am Angebot teilnahmen) zu einer Sensibilisierung und Wissenserweiterung. Zur Abrundung der Angebote fand im Anschluss daran ein kurzer Austausch mit einer pädagogischen Fachkraft aus dem Gruppendienst statt. (Junge) Kinder über ihre Rechte und Beschwerdemöglichkeiten zu informieren, sollte dauerhafter Bestandteil der pädagogischen Arbeit in den Gruppen bzw. der Gesamteinrichtung sein. Zudem sind die Einrichtungen verpflichtet, Beschwerdeverfahren anzubieten. Junge Kinder sind jedoch in ihren Handlungsmöglichkeiten noch eingeschränkt, wenn sie auf Ungerechtigkeiten oder Rechtsverletzungen hinweisen und auch Hilfe einfordern möchten. Dazu brauchen sie eine bekannte Ansprechperson vor Ort. Auf der Basis der bisherigen Erfahrungen in der Kindergruppe ist der Einsatz einer Ombudsperson zu empfehlen, die regelmäßigen Kontakt mit den Kindern hat. Das oben genannte Angebot in einer Kindergruppe ist 36 Zu Kinderrechten bieten zudem Die Falken ( ein Memory an, Das große Kinder haben Rechte-Legespiel, das sich allgemein auf die Kinderrechte bezieht und in einer Kindergruppe eingeschränkt nutzbar ist. Weiterhin können einige Übungen, Spiele aus Compasito Handbuch zur Menschrechtsbildung mit Kindern für junge Kinder genutzt bzw. vereinfacht werden. Empfehlenswert ist auch das Bilderbuch Der Kummerkönig (Keune-Sekula), dem ein Ratgeber für die pädagogische Praxis beigefügt ist. 78

79 exemplarisch und kann von außenstehenden, unabhängigen Ombudspersonen in den Einrichtungen umgesetzt werden. 5.7 Ombudschaft/Beschwerdestellen und web 2.0: Möglichkeiten zur Nutzung interaktiver Medien Heute stößt man im Internet überall auf soziale Netzwerke, egal ob es sich um einen Film, einen Song, einen Markenartikelhersteller oder die Onlineausgabe einer Zeitung handelt: Neben einer Homepage gibt es in der Regel eine zusätzliche Präsenz in sozialen Netzwerken. Mittlerweile sind darin auch Träger von Jugendhilfeeinrichtungen, Institutionen, Verbände und Fachportale vertreten. Während der Entwicklung der projekteigenen Homepage von gerecht in NRW gab es auch Überlegungen bezüglich der Nutzung eines sozialen Netzwerks. Dabei stellten sich folgende Fragen: Welches Netzwerk ist für unsere Zielgruppe geeignet? Welche konkreten Handlungsoptionen bieten die Netzwerke für unsere Interessen an? Aufgrund des großen Bekanntheitsgrades, insbesondere bei jungen Menschen, entschied sich das Projekt für eine Anmeldung beim Netzwerk Facebook. Nachdem die Homepage von gerecht in NRW online gegangen war, wurde ein Facebook- Konto eröffnet, um es als zusätzliches Informationsportal und als weitere Kontaktmöglichkeit für Jugendliche und andere Personen anzubieten. Da bisher keine der bestehenden ombudschaftlichen Initiativen Erfahrungen mit der Nutzung sozialer Netzwerke vorweisen konnten, war es zunächst ein Experiment. Dem lagen Ideen, Ziele, Vorstellungen, aber auch Bedenken zugrunde. Rückblickend lässt sich resümieren, dass das Angebot der projekteigenen Facebook-Seite im Sinne einer externen Beschwerde-/ Ombudsstelle durchaus sinnvoll war und von vielen Interessierten genutzt wurde. 79

80 Folgende Fragen waren für die Nutzungsentscheidung wichtig: Welche Handlungsoptionen konnte sich gerecht in NRW bei Facebook zu nutze machen? Zunächst bekam das Modellprojekt ein eigenes Profil, das heißt, eine öffentliche Seite als Dienstleister. Die Netzwerkseite des Betreibers ist für alle Interessierten offen, jede/r kann diese Seite nutzen. Ein weiteres Profil bietet die Administratorenseite mit Foto und Namen einer Projektmitarbeiter/in. Diese Seite ist nicht öffentlich, sondern nur für Freunde 37 (dadurch auch für deren Freunde) einsehbar. Sie bietet zusätzlich die Funktion des chattens. Beide Netzwerkseiten können für folgende Funktionen genutzt werden: für eigene Beiträge und Informationen zu Aktivitäten, Terminen oder Themen des Projekts, für Empfehlungen von Beiträgen und Informationen anderer thematisch interessanter Netzwerkseiten wie beispielsweise dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe, dem Deutschen Kinderhilfswerk oder dem Deutschen Kinderschutzbund Bundesverband, für Empfehlungen weiterführender Links, zur eigenen, schnellen Informationsgewinnung (z. B. von Einrichtungen, Fachportalen, Verbänden, Zeitschriften), zur weiteren Vernetzung und die Nutzung der `I like Funktion zur Bewerbung der eigenen Seite und eigenen Homepage. Die `I like -Funktion auf den Dienstleisterseiten von Facebook verhilft zu einer breiten kostenlosen Werbung. Jede Person, die die `I like -Funktion betätigt, informiert damit auch ihre Freunde über die Seite und unterstützt somit die weitere Vernetzung. 37 Die Beiträge könnten auch öffentlich gemacht werden, dies hängt von der Auswahl der Sicherheitseinstellung ab. Es ist grundsätzlich möglich, die Beiträge auf der Pinnwand von Facebook `nur ich, für `Freunde (dazu gehören auch die Freunde der Freunde), `öffentlich und `benutzerdefiniert zu posten. 80

81 Die Administratorenseite bietet vorrangig die Möglichkeit, mit anderen zu kommunizieren. Außerdem macht sie den Kontakt zu Jugendlichen und anderen Personen möglich entweder durch das Versenden von Nachrichten oder im Chat. In einem konkreten Beschwerdefall war die Kommunikation über Facebook der einzig zuverlässige Kommunikationsweg, den der Nutzer zuließ. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit für eine externe Beschwerdestelle bietet die Funktion der Gründung geschlossener und offener Gruppen, in denen verschiedene Themen angeregt und diskutiert werden können mit Fachkräften oder mit Jugendlichen. Fachspezifische Diskussionen können ebenfalls auf der Pinnwand angeregt werden. Welches soziale Netzwerk ist für die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen am besten geeignet? Die MePublic Studie (2010), eine umfangreiche Social Media Jugendstudie von MTV Networks und Volkswagen, verfügt als Datenbasis über eine quantitative Erhebung von jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren in zehn Ländern. Diese Studie belegt, dass 94 Prozent der Altersgruppe ein Handy und 72 Prozent einen mobilen Computer haben. 58 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen täglich soziale Netzwerke und 36 Prozent chatten jeden Tag online (vgl. MePublic 2010). Die Studie Medien, Kultur und Sport (MediKuS), die vom Deutschen Jugendinstitut und vom Institut für Internationale Pädagogische Forschung durchgeführt wurde und bundesweit knapp 5000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 9 bis 24 Jahren befragte, weist auf eine Internetnutzung von fast 100 Prozent hin. 88 Prozent der Befragten sind Nutzer/innen sozialer Netzwerke (Grgic./Holzmayer 2012, S ). Eine weitere repräsentative Studie zum Medienumgang von 12- bis 19-Jährigen in Deutschland, ist die JIM-Studie : Jugend, Information, (Multi-) Media aus dem Jahr Sie macht darauf aufmerksam, dass Facebook derzeit von den meisten Jugendlichen genutzt wird. Vier Fünftel der Jugendlichen nutzen soziale Netzwerke, 57 Prozent loggen sich täglich ein, zwei Drittel davon sogar mehrmals täglich. 16 Pro- 81

82 zent der täglichen Nutzer lassen sich über alle Neuigkeiten der Community per Handy informieren. (Jim-Studie 2011, S. 47). Ein Teil der Mädchen und Jungen ist in mehreren Communities angemeldet, Facebook wird von fast drei Viertel der jungen Menschen genutzt, danach folgt schülervz mit 29 Prozent. Die Plattform Schüler VZ - als vormaliger Marktführer - verlor etwa die Hälfte der Nutzer/innen, dagegen konnte Facebook die Zahl seiner Nutzer/innen fast verdoppeln - von 37 Prozent (2010) auf 72 Prozent (2011) (vgl. JIM-Studie 2011). In den Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen in den kooperierenden Einrichtungen des Modellprojekts konnte festgestellt werden, dass vielen Mädchen und Jungen der Zugang zum Internet in der Einrichtung möglich ist. Außerdem besitzen viele Jugendliche ein internetfähiges Handy. Zugleich ist das Thema Medien und Mediennutzung in den Einrichtungen oftmals auch ein Konfliktthema, mancherorts ist die Nutzung mit strengen Regeln versehen (knappe, restriktive zeitliche Nutzung), so dass die Kinder und Jugendlichen nicht immer einen freien Zugang zum Internet haben. Gleichzeitig bestätigten die befragten Jugendlichen in der Regel die Mitgliedschaft bei Facebook. Facebook ist bei Jugendlichen ein vertrautes und zielgruppengerechtes Medium und entspricht den Aneignungs- und Handlungsweisen dieser Altersgruppe. Sie können sich themen- und interessensorientiert informieren, vernetzen sowie in ihrer Peergroup kommunizieren. Diese Aspekte unterstützen die Idee, dass auch eine externe Beschwerdestelle Facebook als Kontakt- und Informationsmöglichkeit für Jugendliche nutzen sollte. Auch Erwachsene sind bei Facebook registriert. Dort waren auch Mitarbeiter/innen aus Einrichtungen der Erziehungshilfe anzutreffen, die hier in Gruppen fachspezifische Themen miteinander diskutierten. Was spricht darüber hinaus für die Nutzung von Facebook? Zum einen ist die Nutzung von Facebook kostenlos, weitere Argumente sind die einfache Bedienung und der Aspekt, dass die Pflege von Facebook-Konten von jedem Computer, Smartphone oder Ipad mit Internetzugang möglich ist. 82

83 Bedenken und kritische Aspekte Neben obengenannten Argumenten, die für die Nutzung von Facebook sprechen, gab es allerdings auch Bedenken und Aspekte, die bei der Nutzung für eine Ombuds-/-Beschwerdestelle zu berücksichtigen waren. Dazu gehört, dass eine Facebook Seite eine ständige (tägliche + regelmäßige) Beobachtung und ggf. auch eine schnelle Reaktion bei Nachrichten oder Kommentaren erfordert. Die meisten Aktivitäten in Facebook finden zwischen 17 und 22 Uhr und an den Wochenenden statt, also nicht zu den üblichen Arbeitszeiten 38. Eine Ombuds-/-Beschwwerdestelle sollte ein Konzept bzw. Handlungsstrategien für unterschiedliche Szenarien (z.b. bei Gründung von Gruppen, Regeln zu Kommentaren auf der Pinnwand, Regeln zur Kontaktgestaltung mit Minderjährigen) entwickeln und transparent machen. Die letzten Aspekte verdeutlichen, dass ein Facebook Konto nicht so nebenbei geführt werden kann. Es braucht Personalressourcen und Regeln, wer wann für die Pflege und Kontrolle ggf. die Bearbeitung von Beschwerden und Anfragen zuständig ist. Zu den kritischen Aspekten bei Facebook gehört auch das Thema Datenschutz. Hier geht es um die Frage, was mit den persönlichen Daten bei Facebook passiert. Wie werden diese weiter verwendet? Auch die persönlichen Einstellungen zur Privatsphäre führten in der Vergangenheit zu problematischen Entwicklungen. Dazu gehören beispielsweise die sogenannten Facebook Partys. Die MediKuS Studie greift das Problem des Datenschutzes auf und berichtet, dass 73 Prozent der Nutzer/innen sozialer Netzwerke ihren vollen regulären Namen und 33 Prozent ihren Wohnort veröffentlichen (Grgic, M./Holzmayer, M, 2012). Welche Probleme hinsichtlich des Datenschutzes könnten im Zusammenhang mit einer Ombuds-/Beschwerdestelle auftreten? Bisher gab es keine diesbezüglichen Vorkommnisse. Denkbar wären jedoch abwertende Einträge über Personen und Einrichtungen auf der Pinnwand. Bei Recherchen in Facebook wurden negative Aussagen über Einrichtungen und Personen auf Seiten von Jugendlichen vorgefunden. Auch Fachkräfte berichteten von solchen Einträgen, die von Jugendlichen vorgenommen wurden, etwa im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung in der Einrichtung. Für eine Ombuds-/Beschwerdestelle hat dies zur Folge, die Seite 38 PR Workshop mit Stefan Prott (Agentur für Public Relations) am

84 kontinuierlich zu sichten und eventuelle negative Einträge zu kommentieren oder zu löschen. Bei Facebook können solche Posts auf der Pinnwand vom Administrator entfernt werden. Vereinzelt wurden Bedenken seitens der Einrichtungsleitungen in den Projektgruppentreffen geäußert, dass die Kontaktmöglichkeiten im Internet auch zum Cyber Mobbing oder gar für die Kontaktanbahnung von Täter/innen genutzt werden können. Eine Registrierung mit falschen Daten macht dies recht einfach. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Aufklärung über die Nutzung von sozialen Netzwerken erforderlich und sicherlich auch ein verstärktes Interesse und Auseinandersetzung seitens der Fachkräfte notwendig. Darüber hinaus sollten die Regeln der Kontaktgestaltung transparent gemacht werden, wenn eine Ombuds-/- Beschwerdestelle Facebook zur Kontaktierung und Kommunikation mit Jugendlichen will. 84

85 6. Beschwerden und Anfragen aus den Modellstandorten sowie externe Anfragen und Beschwerden Ein grundlegendes Ziel des Projekts war es, (1) Beschwerden von Kindern und Jugendlichen in erster Linie aus den Einrichtungen der Modellregionen Essen und Köln aufzunehmen und zu bearbeiten, um (2) anhand dessen Voraussetzungen und Kriterien einer externen Beschwerdestelle zu erarbeiten. Auf diese Weise sollten die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen einer solchen (zusätzlichen) Beschwerdestelle für die Erziehungshilfe ermittelt werden. Die Ergebnisse könnten auch auf andere Angebote der Jugendhilfe übertragen werden. Die hierzu notwendigen Vorarbeiten sind bereits in den Kapiteln 4 und 5 ausführlich dargestellt worden. Als Ideen- und Beschwerdeinstanz musste gerecht in NRW sicherstellen, dass die Kinder und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe das Angebot überhaupt kennen und dann leicht nutzen können. Um das zu erreichen, arbeitete das Projektteam auf mehreren Ebenen. Dazu gehörten: die Schaffung unterschiedlicher Kontaktmöglichkeiten (Kinderrechte-Flyer, Homepage mit Kontaktformular und Telefonnummern, Facebook-Account), die persönliche Vorstellung der Mitarbeiter/innen der Beschwerdestelle in den Einrichtungen die sich anschließenden Kontakte und Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen und vielfältige Begegnungen mit Leitungskräften und Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen. Alle Kontakte dienten dem wechselseitigen Informationsaustausch und der intensiven, kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit der Idee der externen Beschwerdestelle. Diese notwendige Vorarbeit half, das Angebot einer externen partizipati- 85

86 ven Beschwerdestelle im (Heim-)Leben der Kinder und Jugendlichen bekannt zu machen. Die ersten Beschwerden gingen im Februar 2012 ein. Bis Ende Oktober 2012 wurden insgesamt 37 Beschwerden und Anfragen sowohl aus den Einrichtungen der Modellregionen als auch aus ganz Deutschland an die zentrale Anlauf- und Beschwerdestelle gerichtet und dort bearbeitet. Im Folgenden werden die einzelnen Beschwerden nach Alter, Geschlecht und den Beschwerdeanlässen differenziert dargestellt. Dokumentierte Beschwerdeverläufe verdeutlichen die Arbeit von ge- RECHT in NRW. 6.1 Beschwerden und statistische Auswertung Von insgesamt 37 eingegangenen Beschwerden und Anfragen waren 24 direkt von Kindern und Jugendlichen an die Beschwerdestelle gerichtete Anfragen und Beschwerden (13 Beschwerden aus den Modellregionen und 14 Beschwerden von außerhalb) sowie 13 landes- und bundesweite Anfragen und Beschwerden, davon 8 Anfragen und Beschwerden durch Stellvertreter/innen wie Eltern oder Vertrauenspersonen, 3 allgemeine Anfragen zur Beratung in Fragen der Leistungsgewährung, zu Verfahrensabläufen und Zuständigkeiten im Antragsprozess und 2 grundsätzliche positive Bekundungen über das Bestehen einer externen Beschwerdestelle. 86

87 Kinder und Jugendliche als Direktmelder/innen Eltern, Personensorgeberechtigte in Stellvertretung Leistungsgewährung positive Bekundungen Das heißt, insgesamt 24 Kinder und Jugendliche wandten sich innerhalb von neun Monaten mit konkreten Beschwerden und Anfragen an die Beschwerdestelle. Von den 24 Kindern und Jugendlichen waren 17 Mädchen und 7 Jungen im Alter von 12 bis 18 Jahren. Beschwerdeanlässe Die Anlässe zur Kontaktaufnahme zu gerecht in NRW lassen sich thematisch wie folgt unterteilen: Gewalt in der Schule durch andere Mitschüler/innen Gewalt in der Gruppe durch andere Kinder oder Jugendliche kein heiminterner Internetzugang Taschengeldabzug als Strafe oder Wiedergutmachung oftmalige Verlegung innerhalb des Heimes aufgrund von zu wenig Personal in der Gruppe (Personalmangel Gruppenwechsel) Sperre des Wochenendbesuchs bei der Mutter Provokationen seitens der Erzieher/innen, keine positiven Verstärkungen, verbale Kränkungen Verpflichtende Teilnahme an Gruppenfreizeit in den Ferien Beschwerdebearbeitung und inhaltliche Auswertung des Verlaufs Die Bearbeitung einer Beschwerde erfolgte auf der Grundlage eines abgestimmten Beschwerdeverfahrens (siehe Kapitel 5.2). Es besteht aus folgenden Schritten: Aufnahme und Ziel- bzw. Auftragsklärung mit dem/r Beschwerdeführer/in, 87

88 kollegiale Beratung innerhalb des Teams gerecht in NRW, Klärung der nächsten Schritte und Maßnahmen mit dem Kind/Jugendlichen, persönlich, telefonisch oder schriftlich per Mail, Einleitung und Durchführung eines Klärungsgespräches bzw. Rücksprache mit der Einrichtung (i. d. Regel). Dabei wird die Einrichtung über die Beschwerde und den Beschwerdeanlass informiert. In Absprache mit allen Beteiligten werden Wege der Klärung gesucht. In den vorliegenden Beschwerdefällen konnten alle aus den Modellstädten Essen und Köln eingegangenen Beschwerden zu einem Abschluss geführt werden wenn auch nicht alle zur vollen Zufriedenheit der Kinder und Jugendlichen. Insbesondere Beschwerden, die eher struktureller oder konzeptioneller Art waren wie beispielsweise Fragen nach der Internetnutzung oder nach Taschengeldregelungen ließen sich nicht oder nur unzureichend klären. Konflikte oder Beschwerden, die eher die direkte personale und fachliche Begegnung betrafen (Provokationen seitens der Erzieher/in; Kontaktsperre) konnten durch klärende, moderierende Gespräche gelöst werden. Hinweise, in denen ein Gruppen- oder Einrichtungswechsel problematisiert wurde, fanden im Rahmen von Hilfeplangesprächen oder eines Erziehungsgespräches Beachtung. Sie wurden in diesem Rahmen besprochen und geklärt. Die vorgetragenen Beschwerden lassen erkennen, dass es sich hier überwiegend um Aspekte des Alltags handelt. Sie betreffen den konkreten erzieherischen Umgang der Erzieher/innen mit den Kindern und Jugendlichen. Aber auch Konflikte zwischen Kindern und Jugendlichen können einen Anlass bieten, sich an eine externe Beschwerdestelle zu wenden. Deutlich geworden ist, dass gerecht in NRW besonders dann erfolgreich sein konnte, wenn ein heißer Konflikt (vgl. Glasl 2004) zwischen einem Kind/Jugendlichen und einer/m Erzieher/in aufgetreten war. Hier konnte gerecht in NRW aufgrund der neutralen Stellung die Beteiligten zu einem nochmaligen Klärungsversuch motivieren und als Moderator oder Mediator wirken. Schwieriger wird es in der Regel bei Fällen, deren Klärung einrichtungsinterne Regelwerke bzw. getroffene interne Absprachen (auch mit Kindern und Jugendlichen) infrage stellen, wie etwa bei der Taschengeldregelungen. Obwohl es Richtlinien und Empfehlungen des Landesjugendamtes zur Anwendung des Taschengeldes in Einrichtungen der Erziehungshilfe gibt, regeln einzelne Einrichtungen ihre Handhabung durchaus autonom. Um die Beschwerde zu klären, müssten gleich mehrere 88

89 Diskussionen geführt werden. Darin ginge es etwa um die Verunsicherung vieler pädagogischer Fachkräfte im Umgang mit Kindern/Jugendlichen und die fehlenden Möglichkeiten, um auf störendes Verhalten zu reagieren. Es könnte aber auch Fragen diskutiert werden, wie unabhängig die Einrichtungen agieren können (Aufsicht) oder auch sollen (Autonomie der freien Träger) Fallbeispiel von Annahme, Verlauf und Auswertung einer Beschwerde Die folgende Beschwerde ist im Rahmen eines Bildungsangebots in einer Einrichtung an den Mitarbeiter des Modellprojekts herangetragen worden und verdeutlicht den Verlauf einer Beschwerdebearbeitung exemplarisch. Beschwerde von Merle jähriges Mädchen, Bewohnerin einer am Modellprojekt beteiligten Einrichtung Biographische Aspekte der Lebenssituation Merle erklärte, dass sie psychisch krank sei und unter einer Persönlichkeitsstörung litt. In der Vergangenheit habe sie sich des Öfteren geritzt und habe ihre Impulse zeitweise nicht unter Kontrolle - vor allem dann nicht, wenn sie sich provoziert fühle. Merle wuchs in einem sozialen Umfeld auf, in dem die psychischen Probleme der Mutter ständig präsent waren. Das Mädchen übernahm nach eigenen Angaben in ihrer familiären Umgebung viel Verantwortung, da die Mutter sich selbst nicht in der Lage sah, die Anforderungen des Alltags zu bewältigen. Mit dieser Erfahrung erkämpfte sie sich in der Gruppe ihrer Einrichtung eine dominante Stellung, die sie des Öfteren ausnutzte. Sie blieb über Nacht weg, trank Alkohol, konsumierte anderweitige Drogen etc. Weitere Informationen zur familiären Situation liegen nicht vor. Wie die Beziehung zum Vater war und ob Merle noch Geschwister hat, ist nicht bekannt. 39 Alle Personen und Namen wurden anonymisiert. 89

90 Anlass der Beschwerde Merle äußerte, dass sie sich in ihrer Wohngruppe nicht wohl fühle. Ihr Befinden macht sie an der Wohngruppe und an ihrer Person fest. Das Mädchen erklärte, dass sie sich insbesondere von zwei Erzieherinnen ihrer Gruppe nicht ernst genommen und mitunter provoziert fühle. Sie erhalte wenig Lob und kaum ein Danke. Ihr fehle die emotionale Zuwendung. Dies sei aber nicht nur für sie ein Problem. Auch andere Wohngruppenmitglieder, so berichtete Merle, würden von den Erzieherinnen schlecht behandelt. Auch ihnen fehle es ebenfalls an einem emotional warmen Klima. Für sich und andere Gruppenmitglieder wünschte sich Merle eine baldige Veränderung im Miteinander. Außerdem wollte sie die Wohngruppe wechseln, um ein Zimmer für sich allein zu bekommen. Derzeitig teilte sie sich mit einem anderen Mädchen der Wohngruppe ein Zimmer. Da sie sich auf den Weg mache ein neuer Mensch zu werden, brauche sie einen intimen Raum für sich, den sie zum Nachdenken über sich nutzen wolle, so Merle. Ihr Wunsch nach einem Einzelzimmer konnte aber in ihrer Jugendhilfeeinrichtung nur schwer umgesetzt werden. Deshalb wollte sie in eine andere Wohngruppe umziehen. Den Vorschlag, etwa in die Mädchenwohngruppe zu wechseln, konnte sie nicht akzeptieren, da sie nicht mit allen Mädchen dieser Wohngruppe zurechtkam. Auch dort gab es Vorurteile gegen sie. Sie kam aus ihrer Sicht nur schwer aus diesen Rollenzuweisungen heraus, die ihr durch diese Vorurteile auferlegt wurden. Dies erschwerte aus ihrer Sicht die von ihr geplanten Veränderungsprozesse in ihrer Lebensführung. Dies war ein weiterer Grund dafür, die Wohngruppe wechseln zu wollen, um in einer neuen unbekannten Gruppe einen Neuanfang starten zu können. Zu Beginn hatte sich Merle in ihrer Gruppe allerdings sehr wohl gefühlt. Sie schätzte den guten Draht zu ihrer Bezugserzieherin, die ihre Bedürfnisse wahrnahm und sie unterstützte. Dieser Aspekt sollte bei den Überlegungen bzgl. einer Verlegung bedacht werden. Da die vorangegangenen Gespräche mit der Einrichtungsleitung und der Bezugsbetreuerin aus Merles Sicht zu keiner befriedigenden Lösung geführt hatten, und sie sich von den Erzieher/innen in diesen Gesprächen nicht ernst genommen fühlte, erhoffte sie sich von den Mitarbeiter/innen der externen Beschwerdestelle Unterstützung und Rat für das weitere Vorgehen. 90

91 Gespräch mit Bezugsbetreuerin, der Leitung und der Beschwerdestelle Im Gespräch wurde noch einmal das Anliegen von Merle wiederholt. Sie äußerte aus ihrer Perspektive, wie sie ihre Situation in der Gruppe einschätzte und was sie an der derzeitigen Situation störte (siehe hierzu Punkt 1). Die Leitung und die Bezugsbetreuerin versicherten Merle, dass sie sie mit ihrem Anliegen ernst nehmen. Die Fachkräfte konnten Merles Argumentation nachvollziehen und bekräftigten sie in ihrem Bemühen, die Wohngruppe zu wechseln. Eine weitere Klärung sollte dann im kommenden Hilfeplangespräch stattfinden, in dem auch das Verhalten der beiden Erzieher/innen thematisiert werden sollte. Nachbesprechung des Gesprächs mit Leitung und Bezugsbetreuerin Es wurde festgehalten, dass Merle mit den Folgen des Zusammenlebens mit der psychisch kranken Mutter zu kämpfen habe. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung konnte die Mutter Merle kein Gegenüber sein, so dass Merle kaum Grenzen erfahren habe und die Schwächen ihrer Mutter zum Teil ausgenutzt habe. In ihrer Familie habe Merle eine dominante Stellung eingenommen. Dieses Muster habe sich auch in der Wohngruppe wiederholt. Merle habe ihren Teil dazu beigetragen, wie die anderen sie sehen. Nichtsdestotrotz sei ihr Bedürfnis ernst zu nehmen, dass sie sich auf den Weg begibt, etwas an ihrem Leben ändern will. Insbesondere die Bezugsbetreuerin merkte an, dass dieses auch im Alltag der Wohngruppe bemerkbar sei. Wo sie vorher den Betreuer/innen der Wohngruppe mit heftigen Beleidigungen begegnete, reduzierten sich diese zusehends. Ebenso zeige Merle, dass sie ihre Gefühle besser steuern könne. Bezüglich des Umzugs in eine andere Wohngruppe wurde festgehalten, dass die bestehende gute Beziehung zur Bezugserzieherin und die therapeutischen Sichtweisen hier ihre Berücksichtigung finden müssen. Ein Wohngruppenwechsel könne auch mit neuen Herausforderungen verbunden sein, die auf das Befinden von Merle belastend einwirken könnten. Diese Einschätzung sollte aus Sicht der Therapeut/innen bedacht und mit Merle im Hilfeplangespräch besprochen werden. In der Nachbesprechung mit Merle wurde noch einmal das Erstgespräch reflektiert und besprochen, ob der Verlauf und das Ergebnis für Merle zufriedenstellend sind. 91

92 Aus ihrer Perspektive war alles gut gelaufen. Sie fühlte sich mit ihren Anliegen ernst genommen und wollte dann erst einmal das Hilfeplangespräch abwarten. Dann wollte sie entscheiden, ob sie weitere Unterstützung von gerecht in NRW bräuchte. Mit der Leitung wurde vereinbart, dass gerecht in NRW über den Verlauf des Hilfeplangesprächs informiert wird. Gespräch mit der Leitung am 7. November 2012 Im Hilfeplangespräch am 6. November 2012 wurde entschieden, dass Merle in eine andere Einrichtung umziehen kann. Merle ist damit zufrieden, es wird nun ein anderer Platz gesucht. In einem abschießendem Telefonat mit Merle konnte geklärt werden, dass sie mit dem Verlauf der Beschwerdeklärung zufrieden und mit dem Ergebnis einverstanden war. Weitere Unterstützung seitens der Beschwerdestelle benötigte sie nicht. Auswertung und Dokumentation des Beschwerdeverlaufs Die Beschwerde konnte anhand des Beschwerdeverfahrens durchgeführt und zu einem für alle befriedigenden - Abschluss gebracht werden. Merle wandte sich an die externe Stelle, da sie sich außer Stande sah, ihr Problem alleine zu lösen. Sie fühlte sich von ihren Erzieher/innen nicht ernst genommen und hatte das Gefühl, aus dieser Verhaltensspirale nicht herauszukommen. Die beteiligten Personen (Jugendliche, Betreuerin und Leitungspersonal) waren in ihren Positionen und Rollen so festgelegt, das zur Klärung eine Vermittlung von außen notwendig wurde. Die externe Stelle hatte somit in diesem festgefahrenen Prozess die notwendige Neutralität. Sie konnte ohne Vorbehalte neue (alte) Lösungsmöglichkeiten einbringen, die von den Beteiligten akzeptiert und genutzt wurden. Erste Voraussetzung dafür war die Bereitschaft des Einrichtungspersonals sowie der Leitung, den Mitarbeiter von gerecht in NRW in den laufenden Konflikt einzubeziehen und mitwirken zu lassen. Für Merle war es wichtig, dass die externe Stelle sie in einem nächsten Gespräch mit dem Personal unterstützte, um mit ihr gemeinsam auf eine Lösung hinzuarbeiten. Das vorliegende Beispiel zeigt die klassischen Verhinderungsstrukturen einer Konfliktlösung, die durch eine außenstehende, neutrale Stelle mit mediatorischen Mitteln 92

93 aufgebrochen werden konnte. Abschließend wurde der Beschwerdeverlauf erneut im Team besprochen und dokumentiert. 6.2 Externe Anfragen und Beschwerden Über die internen Beschwerden aus den Projekteinrichtungen hinaus erreichten uns auch externe Anfragen und Beschwerden, sowohl von Kindern und Jugendlichen als auch von Erwachsenen. Die Beschwerdeanlässe waren sehr verschieden und zum Teil in ihrer Problemstellung sehr komplex. Insbesondere die Anfragen von Eltern oder Personensorgeberechtigten beruhten oftmals auf langen behördlichen Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt, bei denen unter Umständen auch gerichtliche Instanzen beteiligt waren. Auch wenn diese Anfragen über den originären Projektrahmen hinausgingen, konnten die meisten von ihnen durch die Projektmitarbeiter/innen bearbeitet oder an andere Fachstellen verwiesen werden. Die Beschwerdeanlässe der Mädchen und Jungen bezogen sich sowohl auf Beschwerden während des Aufenthalts in einer Jugendhilfeeinrichtung (Mobbing in der Gruppe) als auch auf familiäre Lebenssituationen (Gewalt in der Familie, Auszugswünsche aus der Herkunftsfamilie). In der Regel wurden diese externen Anfragen und Beschwerden telefonisch und per Mail bearbeitet. Es gab also in der Regel keinen persönlichen Kontakt. Dies lag an den entfernten Wohnorten der Beschwerdeführer/innen, wobei in Einzelfällen auch Beratungsgespräche in der Anlaufstelle des Modellprojekts stattfanden Fallbeispiel von Annahme, Verlauf und Auswertung einer Anfrage 40 Lisa, ein 14-jähriges Mädchen aus Nordrhein-Westfalen Biographische Aspekte und Lebenssituation Lisa und ihre zwei Jahre jüngere Schwester lebten beim leiblichen Vater und der Stiefmutter. Ihr Verhältnis zu den Eltern war sehr angespannt. Zwischenzeitlich hat- 40 Alle Personen und Namen mit Ausnahme der Mitarbeiter/innen des Modellprojekts wurden aus datenrechtlichen Gründen anonymisiert. 93

94 ten sie bei den Großeltern gelebt, bei denen sie sich sehr wohlfühlen. Die Versorgung (Ernährung, Betreuung) beim Vater und der Stiefmutter war unregelmäßig. Der Vater war oft unterwegs und kam betrunken nach Hause. Lisas Eltern waren geschieden; das Verhältnis zur neuen Partnerin des Vaters war sehr belastet. Die Mädchen wurden geschlagen und beleidigt und mussten sich immer häufiger selber ums Essen kümmern. Wenn die Eltern nicht zu Hause waren, wurden die Türen zum Wohn- und Essbereich abgeschlossen. Lisa hatte Kontakt zur Mutter, die sie in ihrem Wunsch nach Auszug bestärkte und ihrerseits einen Anwalt einschaltete. Das Sorgerecht war ein gemeinsames. Anlass der Anfrage (Beschwerde): Aufgrund der häuslichen Lebensumstände wollten Lisa und ihre Schwester von zu Hause ausziehen und bei den Großeltern leben. Sie hatten sich ihrerseits an das Jugendamt gewandt, die häuslichen Missstände der Mitarbeiterin geschildert und erklärt, nicht mehr mit ihrem Vater und seiner Partnerin zusammen leben zu können. Dieser Wunsch wurde vom Jugendamt abgelehnt. Daraufhin liefen Lisa und ihre Schwester von zu Hause weg. Durch die Polizei wurden sie für zwei Wochen in einer Jugendhilfeeinrichtung (betreutes Wohnen) untergebracht. Anschließend mussten sie wieder in die väterliche Wohnung zurück. Eine erneute Anfrage von Lisa beim Jugendamt sowie die Intervention der Großeltern führten zu keinem anderen Ergebnis. Nach Lisas Aussage veränderten sich die Verhältnisse und das Verhalten des Vaters und der Stiefmutter gegenüber den beiden Mädchen nicht. Für Lisa stellte sich nun die Frage, was sie noch tun muss, damit das Jugendamt ihr glaubt und einem Auszug von Zuhause zu den Großeltern zustimmt. Deshalb bat sie gerecht in NRW um Unterstützung und Beratung. Beratungsverlauf: Lisa wandte sich per Mail an die Beschwerdestelle, da sie die Homepage im Internet gefunden hatte. Sie schrieb von Beginn an sehr direkt und bat um genaue Informationen. Der Kontakt sollte auf Lisas Wusch per Mail verlaufen. Die schriftliche Beratung bezog sich zunächst auf den Hinweis des grundsätzlichen Beratungsanspruchs in einer Not- und Konfliktsituation beim Jugendamt nach dem 94

95 SBG ( 8 Abs. 3 SBG VIII) und einer Schilderung hinsichtlich des üblichen Verfahrens (Besuch des Jugendamtes bei den Eltern zu Hause). Das Team des Modellprojekts klärte sie darüber auf, dass es dem Jugendamt zu Beginn immer erst darum gehen wird, die entstandenen Konflikte innerhalb der Familie zu klären und Lösungswege zu finden. Im weiteren Verlauf des Mailkontaktes (Lisa wollte nicht telefonieren) berichtete sie über ein weiteres Gespräch mit dem Jugendamt. Daran nahmen der Vater, ihre Schwester und Lisa selbst teil. Es ging darum, die Familie durch ein Angebot einer Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) im Rahmen eines vereinbarten Hilfeplans zu betreuen. Parallel dazu versuchte die Mutter über einen Anwalt, mit ihrem geschiedenen Mann ins Gespräch zu kommen. Sie wollte ihn auf diese Weise von der Auszugslösung überzeugen. Sollte es zu keinem Einvernehmen kommen, würde es in einem nächsten Schritt womöglich zu einem Verfahren beim Familiengericht kommen. An dieser Stelle brach der (Mail)-Kontakt zu Lisa ab. Die Beratung und Unterstützung lag in erster Linie darin, ihr immer wieder die Verfahrensabläufe und die möglichen Entwicklungen zu erklären. Für sie war es wichtig, sich über die externe Beratungsstelle schlau zu machen und sich die Informationen zu holen, die sie an anderer Stelle nicht bekam. Sie wählte ganz bewusst den anonymeren Weg der virtuellen Beratung, um den nötigen Abstand zu wahren. Ihr Interesse war erkennbar aufrichtig. Sie gestaltete aber von Beginn an den Beratungsablauf (technisch und inhaltlich) so, wie sie es für richtig hielt und bestimmte auch das Ende der Beratung selbst. Dies ist kein ungewöhnlicher Verlauf einer virtuellen Beratung über Mailkontakt und Internet und sollte nach Ansicht der Mitarbeiter/innen des Modellprojekts eine erkennbare Berechtigung in der Angebotspalette einer externen Beschwerdestelle für Mädchen und Jungen in der Kinder- und Jugendhilfe haben. 95

96 6.3 Interpretation der Beschwerden und Rückschlüsse für eine externe Beschwerdestelle in Einrichtungen der Erziehungshilfe Kontaktierung und Beschwerdegründe Die Mehrzahl der Anfragen und Beschwerden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 41 (in dieser Reihenfolge) erreichten die Anlauf- und Beschwerdestelle über das Kontaktformular der Homepage, über die angegeben Mailadressen, telefonisch sowie über den Facebook-Account. In Fällen von projektinternen Beschwerden schlossen sich unmittelbar persönliche Gesprächskontakte an, in Fällen von projektexternen Anfragen verlief der Kontakt in der Regel - wie bereits gesagt - ohne persönliche Begegnung. Das bedeutete zunächst, dass sich nicht nur Kinder und Jugendliche aus den Modelleinrichtungen an das Projekt wandten, die zuvor in einem persönlichen Kontakt mit den Projektmitarbeiter/innen standen und gegebenenfalls durch ihre Erzieher/innen in den Gruppen zur Teilnahme motiviert wurden. Auch ein individuelles Bedürfnis nach Unterstützung und Beratung oder eine akute Notsituation waren Anlass und Motivation genug, sich ohne vorherige persönliche vertrauliche Beziehung an die externe Stelle zu wenden. Das ist durchaus eine nicht vorhersehbare Entwicklung, waren doch die Befürchtungen oder die Skepsis groß, dass sich Kinder und Jugendliche vielleicht gar nicht oder nur selten melden würden. Das heißt, die Nutzung setzt nicht grundsätzlich voraus, dass Mitarbeiter/innen einer externen Beschwerdestelle in der Kinder- und Jugendhilfe persönlich bekannt sein müssen. Einige Kinder und Jugendliche nutzten auch ganz bewusst die Möglichkeit einer niederschwelligen und anonymen Form der Kontaktaufnahme. Die Altersstruktur hingegen entspricht durchaus den Erwartungen: Es wandten sich überwiegend ältere Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren an die Beschwerdestelle, und es waren mehrheitlich Mädchen. Das heißt, will man auch jüngeren Kindern ihre Rechte und Beschwerdemöglichkeiten zugestehen, müssen altersspezifische Formen und Methoden angeboten werden (s. hierzu auch Kapitel 5.4.2). 41 Die Auswertung der Beschwerden bezieht sich im Folgenden auf die von Kindern und Jugendlichen. 96

97 Für die eingegangenen Beschwerden aus den Modelleinrichtungen lässt sich zusammenfassen, dass es sich vorrangig um Fragen, Kritik und Beschwerden des pädagogischen Alltags handelte: Gewalt in der Gruppe durch andere Kinder und Jugendliche Gewalt in der Schule Fragen zur Internetnutzung Taschengeldabzug als Strafe Personalmangel Beendigung einer Maßnahme Probleme mit Erzieher/innen verpflichtende Teilnahme an Freizeit in den Ferien Gruppenwechsel Die Beschwerden und Fragen von Kindern und Jugendlichen außerhalb der Modelleinrichtungen bezogen sich vorrangig auf Konflikte im familiären Zusammenleben: Wunsch nach Auszug aus der Familie und Umzug zu den Großeltern Gewalt in der Familie und unzureichende Versorgung durch die Mutter Mobbing in der Gruppe einer Einrichtung Verweigerung des Besuchsrechts für eine minderjährige Mutter durch das zuständige Jugendamt (Kind in Pflegefamilie) Anfragen, Kritik und Beschwerden sind Bestandteil des pädagogischen Alltags Beschwerden, Kritik, Anregungen oder auch nur Äußerungen von Mädchen und Jungen hinsichtlich ihres Alltags in ihren Einrichtungen werden in der Regel nicht in der Öffentlichkeit diskutiert, sondern intern geäußert und bearbeitet. Dazu stehen in einigen - meist größeren Einrichtungen - interne Beschwerdesysteme zur Verfügung (s. Kap. 9.2). Ansprechpartner sind die Leitungskräfte und Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen, darüber hinaus Freunde, Eltern, vielleicht noch die Lehrer/innen in der Schule und (sehr) selten das Jugendamt oder gar das Landesjugendamt. Die Forderung nach externen Möglichkeiten beinhaltet die Auffassung, dass allein interne Verfahren nicht ausreichen, alle denkbaren Beschwerdebereiche und Gefah- 97

98 ren abzudecken, und dass es weitere Alternativen geben sollte. Dies haben auch die eingegangenen Beschwerden während des Modellprojekts bestätigt. Darüber hinaus muss auch hier daran erinnert werden, dass die Einrichtungen als Anbieter der Jugendhilfeleistung für das Kind nicht immer der richtige Ansprechpartner sind, wenn es um die Klärung organisatorischer wie pädagogischer Beschwerden geht. Das trifft erst recht dann zu, wenn es um Fragen des Schutzes durch Fehlverhalten von Mitarbeiter/innen geht. Doch auch die Lösung alltäglicher Konflikte bedarf durchaus der Moderation von außen. Das heißt, das Projekt gerecht in NRW sollte herausfinden, ob und welche Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen vorhanden sind, wie sie genutzt werden und wie effektiv sie sind. Damit verbunden ist die Frage nach der Beachtung der Kinderrechte und den Beteiligungsmöglichkeiten in den Einrichtungen. Dahinter steht auch die gesetzliche Aufforderung und pädagogische Auffassung, dass Kinder und Jugendliche entsprechend ihres Alters und Entwicklungsstandes in allen ihren Lebensbereichen beteiligt werden sollen und ihnen subjektive Rechte zustehen. Das heißt aber eben auch, dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte kennen müssen, damit sie diese auch einfordern können. Hier setzte das Projekt in seiner praktischen Arbeit in den Einrichtungen an, wenn nach vorhandenen Beschwerdemöglichkeiten, der Umsetzung von Beteiligungsmöglichkeiten sowie dem Wissen über Kinderrechte im Alltag gefragt wurde. Die grundlegende Bereitschaft der Einrichtungen, das Team von gerecht in NRW Gespräche führen zu lassen, war vorhanden - auch wenn zu Beginn eine Vorsicht und Skepsis spürbar war, welche Themen zur Sprache kommen könnten und welche Versprechen oder Vereinbarungen mit den Kindern getroffen werden könnten. Die Diskussion um das schriftliche Beschwerdeverfahren hat bereits erkennen lassen, dass die Einrichtungen ein großes Interesse haben, die Beschwerden und Konflikte vorrangig innerhalb ihrer Einrichtung zu lösen. Auch auf den möglichen Missbrauch der Beschwerdemöglichkeit durch die Kinder und Jugendlichen wurde hingewiesen. Dem Modellprojekt war es an dieser Stelle immer wichtig darauf hinzuweisen, dass eine Bearbeitung der Beschwerden im Sinne einer konstruktiven Lösung und Verbesserung (in der Regel) immer den Dialog mit der Einrichtung beinhaltet. Die Kinder sollten aber zunächst einmal darauf vertrauen können, es mit neutralen Ansprech- 98

99 partner/innen zu tun zu haben. Gesprächsinhalte sollten nicht unmittelbar und grundsätzlich wieder in die Einrichtung zurück getragen werden - es sei denn, die Kinder/Jugendlichen wollten das. Hier entstand sozusagen ein Informations- und Transparenzvakuum, das seitens der pädagogischen Einrichtungen die Anerkennung der Fachlichkeit der Arbeit der externen Beschwerdestelle voraussetzte. Dies war in der Projektarbeit in den Einrichtungen in Köln eher der Fall als in den Einrichtungen in Essen (s. Kap. 5.1). Doch die praktische Projektarbeit in den Einrichtungen zeigte eben auch, dass es auch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Einrichtung und Projektmitarbeiter/innen kommen kann. Das war etwa bei manchen Taschengeldregelungen in den Einrichtungen der Fall. In der Reflexion der Ereignisse wurde deutlich, dass in den Einrichtungen durchaus große Sorge vorherrschte, das eine einseitige Betonung der Kinderrechte seitens einer externen Stelle schwierige pädagogische Aushandlungsprozesse infrage stellen könnte. Es wurde befürchtet, dass pädagogische Absprachen zwischen Einrichtung und Kind untergraben werden könnten. Doch gerade diese pädagogischen Zwischenräume müssen bei einem Projekt wie gerecht in NRW offen diskutiert werden, will man die Kinderrechte gerade in schwierigen Situationen nicht außen vor lassen oder nach eigenem Ermessen interpretieren. Das heißt, sowohl die theoretische als auch die praktische Auseinandersetzung über die Frage, wie intensiv eine externe Beschwerdestelle in den pädagogischen Alltag eingreifen darf (oder muss), bleibt grundsätzlich bestehen. Diese praktischen Erfahrungen verweisen auf grundsätzliche Fragen pädagogischen Handelns und lassen sich in folgenden Aussagen zusammenfassen: Beschwerden von Kindern und Jugendlichen ergeben sich (in der Regel) aus ihrem Alltag und berühren somit Fragen des pädagogischen Handelns im Erziehungsalltag. Das heißt, die von Kindern/Jugendlichen im stationären Hilfekontext zum Ausdruck gebrachten Beschwerden richten sich gegen Entscheidungen, Beschlüsse, Maßnahmen und/oder Situationen, die ihren Lebensalltag in ihren Einrichtungen betreffen. Die Beschäftigung mit einer Beschwerde durch Dritte hier durch 99

100 gerecht in NRW als Beispiel einer externen Beschwerdestelle - steht somit im unmittelbaren Zusammenhang zum Lebens- und Erziehungsalltags der Kinder und der pädagogischen Fachkräfte. Bekommt eine externe Beschwerdestelle also einen Auftrag i. S. einer Beschwerde, hat sie es einerseits mit Fragen zu tun, die die Interessen des Kindes oder Jugendlichen im Alltag betreffen. Zum anderen geht es um Fragen des erzieherischen Handelns der pädagogischen Fachkräfte im Wohngruppenalltag. Daraus ergeben sich u.a. folgende Fragestellungen: Welche sozialen Dynamiken werden durch die Bearbeitung einer Beschwerde im Wohngruppenalltag angestoßen? Ist es für eine externe, unabhängige Beschwerdestelle überhaupt möglich, im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer Beschwerde nicht in das pädagogische Handeln einer Wohngruppe oder auch der Einrichtung einzugreifen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Gesichtspunkten für das Handeln einer externen Beschwerdestelle (gerecht in NRW) im Beschwerdefall? Das Handeln von gerecht in NRW bewegte sich im Spannungsverhältnis von Vertretung der Interessen und Rechte des Kindes/Jugendlichen und dem Selbstverständnis des Hilfesystems Heimerziehung. Subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten, Unklarheiten bezüglich der eigenen Rechte bis hin zu Rechtsverletzungen können Inhalte von Anfragen und Beschwerden sein. Bei der Bearbeitung dieser Anfragen und Beschwerden sind die Interessen und das Recht der Mädchen und Jungen Ausgangspunkt der Arbeit von gerecht in NRW. In diesem Zusammenhang findet das Handeln von gerecht in NRW im Hilfesystem Heimerziehung auf verschiedenen Interaktionsebenen statt: (1) der Einrichtungen mit ihren Leitungs- und Vertretungskräften, (2) der vor Ort arbeitenden Mitarbeiter/innen und (3) des Kindes/Jugendlichen im Lebensumfeld. 100

101 Im Rahmen der Beschwerdebearbeitung bewegt sich gerecht in NRW innerhalb der o.g. Interaktionsebenen insbesondere in dem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz: (1) Auf der Ebene der Projekteinrichtung bewegt sich gerecht in NRW im Spannungsfeld von Kooperation mit den Einrichtungen bei gleichzeitiger Wahrung des Unabhängigkeitsanspruchs. (2) Auf der Ebene der vor Ort arbeitenden Mitarbeiter/innen bewegt sich gerecht in NRW im Spannungsfeld des Erziehungsalltags der professionell Handelnden und der Interessenvertretung für die Rechte des Kindes/des Jugendlichen. (3) Auf der Ebene der Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen bewegt sich gerecht in NRW im Spannungsfeld einer Vertretung der Interessen Mädchen und Jungen, den pädagogischen Leitlinien der Einrichtung und den persönlichen sowie fachlichen Kompetenzen der Mitarbeiter/innen. Dieses Spannungsverhältnis ergibt sich auch aus dem Selbstverständnis von gerecht in NRW. Deeskalation von Konflikten, Wertschätzung aller Beteiligten und der Grundsatz schlichten statt richten sind Inhalte dieses Selbstverständnisses. Daraus ergeben sich u.a. folgende Fragestellungen: Wie verhält es sich mit der Unabhängigkeit der Beschwerdestelle innerhalb der Kooperationsbeziehungen mit den Projekteinrichtungen? Inwiefern benötigen die vor Ort arbeitenden Mitarbeiter/innen in der Wohngruppe und gerecht in NRW eine gemeinsame Handlungsbasis? Welche sozialen Dynamiken beinhaltet die Rolle als Interessensvertreter/in für die Interessen der Mädchen und Jungen in Beziehung zum erzieherischen Handeln der pädagogischen Fachkräfte im Rahmen einer Beschwerde? Diese Fragen sind grundsätzlicher Art und müssen im Rahmen einer gelingenden Arbeit und Zusammenarbeit von Einrichtungen der Jugendhilfe und einer externen, unabhängigen Beschwerdestelle aufgegriffen, analysiert und bearbeitet werden. Sie berühren einige der Grundfesten, wenn es darum geht, die professionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeit einer externen Beschwerdestelle zu klären. 101

102 So lassen sich vor dem geschilderten Hintergrund hier aus Sicht der Einrichtungen folgende Fragen/Aspekte formulieren: Wie weit muss eine Einrichtung sich öffnen, damit eine externe Beschwerdestelle wie gerecht in NRW den notwendigen Kontakt sowohl zu den Kindern und Jugendlichen als auch zu den Mitarbeiter/innen herstellen kann? Welche Verfahren und Vereinbarungen sind nötig und wie konkret müssen diese sein? Welchen Einfluss haben die Einrichtungen auf den konkreten Beschwerdeprozess? Wie lassen sich die Prinzipien der Beschwerdestelle Unabhängigkeit und externe Stellung in Einklang bringen mit dem Recht der Einrichtungen auf Autonomie und dem Wunsch nach Kontrolle? Exkurs: Anfragen zur Beratung von Jugendhilfeträgern und Organisationsprozessen in Jugendhilfeeinrichtungen Mit dem Bekanntwerden des Projektes durch Öffentlichkeitsarbeit und Homepage und im Zuge des Bundeskinderschutzgesetzes verstärkte sich das Interesse an den Angeboten einer externen Beschwerdestelle für Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe deutlich. Das führte unter anderem in der zweiten Hälfte des Jahres 2012 zu verschiedenen Anfragen von Trägern zur Unterstützung beim Aufund Ausbau interner Beschwerdestrukturen (Kinderrechte und Partizipation). So erfolgte die Nachfrage, inwieweit gerecht in NRW neben der Tätigkeit als externe Beschwerdestelle auch Beratungen übernehmen könne. Denn Einrichtungen der Erziehungshilfe stehen bundesweit vor der Frage, wie sie Beteiligungsstrukturen einführen können und brauchen bei dieser weitreichenden Strukturveränderung Unterstützung. Insbesondere individualpädagogische, bundesweit arbeitende Träger zeigten Interesse an einer Zusammenarbeit, aber auch stationäre Einrichtungen fragten nach Beratung und der Nutzung eines externen Beschwerdeangebots. Das folgende Beispiel eines Beratungs- und Organisationsangebots für einen individualpädagogisch tätigen Träger soll verdeutlichen, welche strukturellen und 102

103 inhaltlichen Aspekte bei der einrichtungsinternen sowie -externen Implementierung von Kinderrechten, Beteiligung und Beschwerdemöglichkeiten grundsätzlich zu berücksichtigen und zu bearbeiten sind. Darüber hinaus sind einrichtungsindividuelle Faktoren zu berücksichtigen. Vorschlag eines Organisationsprozesses zur Implementierung einer externen Beschwerdestelle im Auftrag eines Jugendhilfeträgers In einem ersten Sondierungsgespräch mit den Vertreter/innen einer bundesweit agierenden Jugendhilfeeinrichtung (individualpädagogisches Jugendhilfeangebot) und des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) Landesverband NRW e.v. wurde überlegt, wie und unter welchen Voraussetzungen der DKSB Landesverband NRW eine externe Beschwerdestelle bereitstellen könne. Außerdem ging es darum, welche inhaltlichen und strukturellen Voraussetzungen beim Träger vorab notwendig wären. Die Jugendhilfeeinrichtung hatte bereits begonnen, Materialien und Konzepte zu den Themen Kinderrechte und Beteiligung zu entwickeln. Dabei war es zu kontroversen Diskussion innerhalb der Einrichtungsteams (Leitungspersonal und Koordinator/innen) sowie den Mitarbeiter/innen in den Betreuungsstellen gekommen. Die Einrichtung brauchte Unterstützung von außen und zog gerecht in NRW hinzu. Das Modellprojekt schlug folgendes Angebot vor: Vorbereitung und Umsetzung einer externen Beschwerde- und Ombudsstelle (1) Situationsanalyse (Leitfadengespräch) und Auswertungsgespräch mit der Leitung des Trägers: Um Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in der Einrichtung zu verankern und um eine externe Beschwerdestelle bereitzustellen, ist zunächst eine Situationsanalyse nötig. In einem Leitfadengespräch sollten Fragen zur Umsetzung der Kinder-, Beteiligungs- und Beschwerderechte geklärt werden. Hier geht es neben der konzeptionellen Verankerung insbesondere um die konkrete praktische Umsetzung in den Betreuungsstellen, die Kultur vor Ort, die Haltung der Mitarbeiter/innen, aber auch um mögliche Stolpersteine in der Umsetzung. Ein weiterer Aspekt der Situations- 103

104 analyse ist die Sichtung von pädagogischen Konzepten und Verträgen mit den Betreuungsstellen. Anschließend findet eine Auswertung statt. Diese Ergebnisse der Situationsanalyse sind Grundlage für einen anschließenden Workshop, der gemeinsam mit dem Leitungsteam und den Koordinator/innen durchgeführt werden sollte. Gemeinsame Prozesse sind grundsätzlich zur Entwicklung einer gemeinsamen Haltung, Motivation, Überzeugungsfähigkeit und Nachhaltigkeit förderlich. Die Ergebnisse der Situationsanalyse werden im Leitungsteam präsentiert und diskutiert sowie die anschließenden Schritte gemeinsam geplant. Zeitumfang: 2 Tage (Leitfadengespräch, Auswertung, Auswertungsgespräch) (2) Workshop mit den Leitungskräften und den Koordinator/innen In diesem Workshop soll es - neben einem Input zur Implementierung von Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten - um die gemeinsame Erarbeitung realistischer und notwendiger Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten für das besondere Jugendhilfeangebot mit der dazugehörigen besonderen Struktur des Jugendhilfeträgers gehen. Ziele: Vermittlung von Wissen zu Kinder-, Beteiligungs- und Beschwerderechten sowie den Anforderungen des Bundeskinderschutzgesetzes (BkiSchG) Gemeinsame Erarbeitung eines Beschwerdeverfahrens und einer Kultur des Umgangs mit Beschwerden als institutionelles Merkmal unter Berücksichtigung der bereits erarbeiteten Unterlagen des Trägers Geplanter Zeitumfang: 1 Tag (5 Stunden Workshop und Auswertung) (3) Workshop mit den Mitarbeiter/innen der Betreuungsstellen - Durchführung in Zusammenarbeit mit den Koordinator/innen 104

105 Die Betreuer/innen sollen über Kinder-, Beteiligungs- und Beschwerderechte informiert werden. Schwerpunkt dieses Workshops wird das zuvor entwickelte Beschwerdeverfahren mit seiner dazugehörigen Kultur sein. Ziele: Vermittlung von Wissen zu Kinder-, Beteiligungs- und Beschwerderechten den Anforderungen des Bundeskinderschutzgesetzes (BkiSchG) Präsentation des entwickelten Beschwerdeverfahrens Diskussion um die dazugehörige Kultur einer kinderrechte- und beschwerdefreundlichen Einrichtung Das entwickelte Beschwerdeverfahren soll im Anschluss an den Workshop in der Praxis umgesetzt und gelebt werden. Zeitumfang: 1 Tag (5 Stunden Workshop und Nachbereitung) (4) Inkrafttreten der externen Beschwerdestelle Die externe Beschwerdestelle kann nach dem Workshop mit den Betreuer/innen entsprechend des entwickelten Beschwerdeverfahrens ihre Arbeit aufnehmen. Kosten: Hinsichtlich der Konkretisierung der Kosten sind die Erfahrungswerte eines Jahres abzuwarten. Daher schlagen wir folgendes vor: Während des ersten Jahres einen Kostenbeitrag pro Fall mit einer zeitlichen Begrenzung durch die externe Beschwerdestelle von einer halben Stunde, bei besonderem Bedarf kann dieser Zeitrahmen erweitert werden. Nach einem Jahr kann auf der Basis der Erfahrungen eine Kostenpauschale vereinbart werden. 105

106 7. Kinderrechte als Medium gezielter Bildungsangebote 42 Das Modellprojekt gerecht in NRW hat verschiedene Konstitutionsphasen durchlaufen. Eine Station war die Entwicklung der Bildungsarbeit. Sie hängt eng mit den übergeordneten Zielen von gerecht in NRW zusammen: Eine Aufgabe des Modellprojekts darin bestand, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte im Wohngruppenalltag zu informieren. Außerdem sollte nach niederschwelligen Formen gesucht werden, um das Angebot bei Kindern und Jugendlichen bekannt zu machen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in Zusammenarbeit mit den Modelleinrichtungen in Köln und Essen die Idee der aufklärenden Bildungsarbeit. Die damit verbundenen Arbeitsprozesse, die in diesem Zusammenhang stattgefunden haben, werden hier nun dokumentiert. In einem ersten Zugang werden die Kinderrechte als Medium aufklärender Bildungsarbeit (7.1) diskutiert. Hierbei werden die Tätigkeiten als eine demokratische Staatsbürgerqualifikationsarbeit verstanden, die im Kontext einer politischen Bildungsarbeit stattfindet. Darauf aufbauend wird das Handlungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit (7.2) beschrieben. Hier werden die Ziele, das Selbstverständnis sowie das Vorgehen in der pädagogischen Arbeit erläutert. Daran schließen Erfahrungsberichte (7. 3) an, in dem die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen und den Fachkräften der Einrichtungen aus Sicht der Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW beschrieben wird. Hierauf folgt dann ein Erfahrungsbericht, in dem die Teilnehmer/innen zu Wort kommen und die Zusammenarbeit mit dem Modellprojekt aus ihrer Perspektive (7.4) darstellen. Des Weiteren findet eine Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit (7.5) statt, um auf die strukturellen Herausforderungen der Tätigkeiten zu verweisen. Abschließend erfolgt ein Resümee (7.6). In diesem Rahmen werden die zentralen Ergebnisse der praktischen Erfahrungen zusammengefasst. 42 Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle denjenigen Projektteilnehmer/innen, die mit ihren Ideen und Anmerkungen positive Impulse gesetzt und zur Weiterentwicklung des Berichts beigetragen haben. 106

107 7.1 Kinderrechte und Bildung Den Ausgangspunkt für die aufklärende Bildungsarbeit bildet die UN- Kinderrechtskonvention, die den Status der Kinder und Jugendlichen als Bürger/innen in einer Gesellschaft betont. Sie sind Träger von Schutz-, Beteiligungs- und Förderrechten (vgl. Marshall 1992, S. 40ff). In dieser Hinsicht sind sie Rechtssubjekte, mit der die Forderung an die Gesellschaft verbunden ist, Kinder und Jugendliche vor körperlichen, seelischen und geistigen Gefahren oder Gefährdungen zu schützen. Außerdem sollen ihnen Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit gegeben werden und sie sollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben sowie politisch teilnehmen dürfen. Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, eine rechtliche Infrastruktur auf Bundesebene zu schaffen, die die Rechte des Kindes achtet (siehe Kapitel 2). Vor diesem Hintergrund versteht sich die aufklärende Bildungsarbeit als politische Bildung, die sich als eine demokratische Staatsbürgerqualifikationsarbeit (Schaarschuch 1996, S. 865) begreift. Als Bürger/innen des Gemeinwesens nehmen die Mädchen und Jungen in der öffentlichen Heimerziehung einen sozialen Dienst der Gesellschaft in Anspruch (vgl. Wagner 2009, S. 31), in dem sich zivile Schutz- und Freiheitsrechte, soziale Teilhaberechte und politische Teilnahmerechte (vgl. ebd.: S. 25) widerspiegeln. Kinder und Jugendliche haben in der öffentlichen Heimerziehung also die Möglichkeit, eigene Anliegen, Bedürfnisse und Interessen zu formulieren, um auf die Bedingungen zum Zeitpunkt der Nutzung der sozialen personenbezogenen Dienstleistung Einfluss nehmen zu können (vgl. Schaarschuch 2008, S. 197). Dies fordert eine partizipative Infrastruktur, die im Kinder- und Jugendhilfegesetz bspw. im 8 SGB VIII 43 als rechtliche Norm gesetzt ist und findet sich in der pädagogischen Praxis der Heimerziehung insbesondere in Beteiligungsformen wieder. Dazu gehören etwa Gruppenabende, Kinder- oder Heimräte sowie interne oder externe Beschwerdemöglichkeiten. Hiermit wird den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet, den Wohngruppenalltag auf der mikropolitischen Ebene mitgestalten und beeinflussen zu können Hiernach haben Kinder und Jugendliche ein Mitbestimmungsrecht in allen sie betreffenden Angelegenheiten. 44 Die hier dargelegten formalen Beteiligungsformen sind auf eine Kultur des Sozialen angewiesen, in denen sich ein Selbstverständnis im Umgang miteinander widerspiegelt und die Beziehungen in der Wohngruppe strukturiert und formt. Der Umgang mit Beschwerden und die Möglichkeiten der Beteiligung drücken sich in und durch die Interaktionsprozesse der sich im institutionellen Kontext bewegenden Akteur/innen aus und sind dementsprechend ein Ausdruck der Kultur des Sozialen. 107

108 Die aufklärende Bildungsarbeit muss als ein zusätzliches Angebot verstanden werden, das die vorhandenen Programmstrukturen der am Modellprojekt beteiligten Wohngruppen ergänzt. Die Einrichtungen und das Modellprojekt gerecht in NRW verfolgten hierbei eine gemeinsame Zielsetzung: Es ging darum, Mädchen und Jungen darin zu bestärken, über ihre Bedürfnisse und Wünsche zu sprechen und so auf das soziale Geschehen im Wohngruppenalltag einwirken zu können. Grundlage dafür ist, mit den Kindern und Jugendlichen zu erörtern, welche Bedeutung die Rechte für ihr Leben im Wohngruppenalltag haben oder aber auf welche institutionellen und gesellschaftlichen Ressourcen sie zurückgreifen können, wenn sie ihre Rechte als gefährdet oder verletzt sehen. Ebenso wurde die Frage erläutert, wie sie ihre Bedürfnisse und Interessen zum Ausdruck bringen sowie mit subjektiv erlebten Unzufriedenheiten oder gar Rechtsverletzungen im Alltag der Wohngruppe umgehen können. Mit diesem Vorgehen war die Absicht verbunden, einen Beitrag zur Reproduktion und Fortentwicklung der bereits bestehenden Kultur der Beteiligung und Beschwerde im Wohngruppenalltag zu leisten. Ungeklärt ist noch die Frage, was in der Bildungsarbeit unter dem zentralen Begriff Bildung zu verstehen ist. Denn die intentionale Gestalt der Bildungsarbeit ist bei genauerem Hinsehen eine demokratische Erziehungsarbeit. Erziehung wird hier verstanden als die Ermöglichung von Bildung (vgl. Winkler 2006, S. 83), also die Organisation von Settings und Arrangements [...] in welche das sich bildende Subjekt eintreten kann, um seinen Bildungsprozess voranzutreiben (ebd., S. 82ff). Eine Gesellschaft braucht zur Fortentwicklung des demokratischen Gemeinwesens mündige und kompetente Bürgerinnen und Bürger, so dass damit eine Erziehungsaufgabe verknüpft war, die die Mündigkeit (vgl. Adorno 1971) der Kinder und Jugendlichen als Zielsetzung der erzieherischen Tätigkeiten sah (vgl. ebd.). Es geht hier also um die Reproduktion von emanzipatorischen Impulsen zur Bewusstseinsbildung über die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens (Sünker 1999, S. 340). Die Bildungsarbeit versteht sich von hier aus gedacht als ein Arrangement, das Ermöglichungsräume für die Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen schaffen will. Bildung meint in dieser Hinsicht einen Selbstbildungsprozess, der die Eigentätigkeiten der Mädchen und Jungen betont. Demnach können die Aneignungsleistungen sowie die Bewusstseinsbildungsprozesse nur von ihnen selbst erbracht werden (vgl. Heydorn 1972, S. 148). Diesbezüglich ist mit dem Bildungsprozess ein Aneignungshandeln 108

109 (vgl. ebd., S. 143) gemeint, das die Überführung von Kenntnissen in das innere Eigentum der Person, der selbsttätigen, reflektierenden Verarbeitung gesellschaftlicher Wissensbestände (Bernhard 2008, S. 75) beschreibt. Die Kinderrechte waren in der aufklärenden Bildungsarbeit ein Medium der demokratischen Staatsbürgerqualifikationsarbeit (Schaarschuch 1996, S. 865), mit der Zielsetzung, über die eigenen Rechte aufzuklären sowie Mittel und Wege zu diskutieren, wie die sozialen Strukturen und Räume - unter Berücksichtigung bereits vorhandener Ressourcen der Institutionen - im Wohngruppenalltag gestaltet und mitbestimmt werden können. Mit der aufklärenden Bildungsarbeit war demnach der Versuch verbunden, den jungen Teilnehmer/innen eine Subjektivitätsentwicklung anzubieten, in denen sie sich ein Wissen über die Kinderrechte und demokratieorientierter Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung des Wohngruppenalltags aneignen konnten. 7.2 Das Handlungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit Die hier zusammengefassten Erläuterungen beziehen sich auf die Beschreibung des Handlungsfeldes der aufklärenden Bildungsarbeit. Von April 2012 bis zum Ende des Projektzeitraums im Dezember 2012 haben insgesamt vier Modelleinrichtungen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die pädagogischen Angebote von gerecht in NRW in regelmäßigen Zeitabständen in Anspruch zu nehmen. Alle zwei Monate fand in insgesamt sechs Wohngruppen jeweils ein Treffen statt. Je nach Gruppengröße nahmen an den Treffen fünf bis zehn Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren sowie die anwesenden Fachkräfte der jeweiligen Wohngruppe teil. Die Treffen dauerten, je nach Interessenslage und Diskussionspunkte, zwischen 30 Minuten und 1,5 Stunden Ziele der aufklärenden Bildungsarbeit Ursprünglich war angedacht, eine Sprechstunde in den Einrichtungen vor Ort anzubieten. Es stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Treffen strukturiert sein sollten, um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Im Team und mit den beteiligten Projekteinrichtungen wurde vor diesem Hintergrund die Idee der aufklärenden Bildungsarbeit erörtert und konkretisiert. Es wurde angenommen, dass die 109

110 Kinder und Jugendlichen sowie die pädagogischen Fachkräfte präsente Ansprechpersonen in den Einrichtungen vor Ort brauchten, damit die Idee einer externen Beschwerdestelle innerhalb der Wohngruppen Fuß fassen konnte. Zum anderen müssen Kinder und Jugendliche wissen, dass sie im Alltagsleben Rechte haben, die sie einfordern können. Erst wenn sie darüber nachdenken, was Recht und was Unrecht ist, kann ein Bewusstsein über die sozialen und rechtlichen Verhältnisse im Wohngruppenalltag geschaffen sowie erweitert werden. Auf Grundlage dieser Perspektiven wurden die Ziele der aufklärenden Bildungsarbeit entwickelt: Handlungsfähigkeiten und -kompetenzen der Mädchen und Jungen stärken, Kinder und Jugendliche über die Kinderrechte informieren, Kinderrechte auf die Kontexte des Alltagslebens in der Wohngruppe beziehen, den Kindern und Jugendlichen Gelegenheiten anbieten, um eigene Bedürfnisse, Interessen und Positionen zu entwickeln oder zu äußern, eine angemessene Form der Durchsetzung von Rechten entwickeln und frühzeitig einführen, für die beteiligten Akteure Möglichkeiten und Räume zum reflexiven Diskurs herstellen und einen Beitrag zur Reproduktion und Fortentwicklung der bereits bestehenden Kultur der Beteiligung und Beschwerde in den Einrichtungen vor Ort leisten. Im Verlauf dieses Prozesses sollten Räume für Gespräche geschaffen werden, damit Jugendliche ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse ausdrücken konnten. In diesem Rahmen sollten Impulse für Reflexionsprozesse gesetzt werden. Dies setzte allerdings voraus, dass die Teilnehmer/innen sich in den Diskurs einbringen. Zugegebenermaßen ist es nicht immer gelungen, die hier verfassten Ziele zu erreichen. Insbesondere die ersten Treffen waren in einigen Wohngruppen von einem zähen Gesprächsfluss geprägt. Erst im Laufe der Zeit entwickelten sich ein Zutrauen und eine Kooperationsbereitschaft heraus, so dass lebendige Gespräche stattfanden und eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Themen möglich machten. 110

111 7.2.2 Das Selbstverständnis pädagogischer Angebote in den Einrichtungen vor Ort In der Entwicklungsphase der pädagogischen Bildungsarbeit konstituierte sich ein Selbstverständnis heraus, das grundlegend für die Angebote in den Einrichtungen vor Ort war. Hierbei lag der Fokus auf einem Diskurs über die Rechte, Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und Jungen in ihren Alltagsbezügen. Da sie natürlich gemeinsam mit anderen leben (wie bspw. Mitbewohner/innen, pädagogische Fachkräften, Eltern, Freunden etc.), bezogen sich die Gesprächsinhalte auf Themen, die sie selbst und insbesondere das Leben in der Wohngruppe betrafen. Die aufklärende Bildungsarbeit hatte hier zum Ziel, die Selbstverständlichkeiten des Alltäglichen mit den Jugendlichen und Fachkräften der Wohngruppe zu thematisieren, zu analysieren und zu diskutieren. Von zentraler Bedeutung waren insbesondere die als selbstverständlich wahrgenommenen Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen sowie das pädagogische Handeln der Fachkräfte im Wohngruppenalltag. Vor diesem Hintergrund wurden die pädagogischen Angebote nur insoweit strukturiert, dass sie zwar einen groben Rahmen vorgaben, dennoch aber viel Zeit und Raum für Diskussionen ließen. Die Teilnehmer/innen konnten eigene Bedürfnisse äußern, begründen, laut denken oder aber auch eigene Positionen entwickeln oder überdenken. Regeln und Bestimmungen, die im Alltag scheinbar selbstverständlich waren, wurden hinterfragt. Damit ergab sich auch die Gelegenheit, die Kinderrechte innerhalb des eigenen Alltags zu verorten und die auf die eigene Person bezogenen Rechte, Interessen und Bedürfnisse im Verhältnis zu den anderen Bewohner/innen und den pädagogischen Fachkräften zu betrachten Die Strukturierung der pädagogischen Angebote Die Fachkräfte vor Ort, die dort lebenden Mädchen und Jungen und die Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW entwickelten in facettenreichen Arbeitsprozessen Strukturen für die Planung, Durchführung und Nachbereitung der pädagogischen Angebote. Im ersten Treffen mit den beteiligten Wohngruppen wurde das Thema Kinderrechte ganz allgemein diskutiert. Für die weitere Planung standen die besonderen Interessen der Kinder und Jugendlichen und der Fachkräfte im Mittelpunkt. Sie wollten: 111

112 Einblicke in die Struktur der Kinderrechtskonvention erhalten Kinderrechte in Relation zur Alltagswirklichkeit setzen die eigenen Interessen in Beziehung zu den Interessen der Anderen sehen Kinderrechte an konkreten Fallbeispielen erläutern Umgang mit und Handlungsmöglichkeiten bei subjektiv erlebten Ungerechtigkeiten und Rechtsverletzungen erörtern. Auf der Basis der geäußerten Ideen und Anregungen wurden im Anschluss daran die Inhalte für das nächste Treffen geplant. Um eine größtmögliche Transparenz des Vorgehens zu gewährleisten, wurde die didaktisch-methodische Planung verschriftlicht und den Einrichtungen vorab per Mail geschickt. Hiermit war die Idee verbunden, dass die Fachkräfte vor Ort Anregungen einbringen konnten, die dann in der jeweiligen Vorbereitung der Treffen berücksichtigt wurden. Kurz vor den Treffen mit den Wohngruppen fand eine Vorbesprechung statt, in der die Inhalte mit den anwesenden Pädagoginnen und Pädagogen erörtert und diskutiert wurden, um einen differenzierten Einblick in das Vorgehen zu geben. Diese Gespräche dienten ebenso dem fachlichen Austausch über das Thema der Kinderrechte im Alltagsleben der Wohngruppe. Auch hiermit war die Idee verbunden, dass die Fachkräfte spontane Anregungen äußern konnten, die dann - so weit wie möglich - in der Durchführung berücksichtigt wurden. Ebenso wurden aktuelle Geschehnisse der jeweiligen Wohngruppe thematisiert, so dass gerecht in NRW einen Einblick in das Gruppengeschehen erhielt. Nach der Durchführung des pädagogischen Angebots fand ein Reflexionsgespräch statt, das die gemeinsame Nachbereitung des Angebots zum Ziel hatte. In diesem Rahmen wurden weitere Termine mit der Wohngruppe vereinbart. Des Weiteren wurden die Treffen durch die Dokumentation und durch Gespräche im Team nachbereitet Erfahrungsberichte aus Sicht von gerecht in NRW In der pädagogischen Arbeit mit den Mädchen und Jungen sowie in der Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften in den Einrichtungen konnten im Verlauf der Projektphasen vielfältige Erfahrungen zusammengetragen werden. An dieser Stelle werden diejenigen Erfahrungen reflektiert, die im Rahmen der aufklärenden 112

113 Bildungsarbeit innerhalb der Kooperationsverhältnisse gesammelt wurden. Hier stehen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt: Wie haben die beteiligten Akteure die pädagogischen Angebote - aus Sicht der Projektmitarbeiter/innen von gerecht in NRW - wahr- und angenommen? Welche Themen zum Bereich der Kinderrechte waren für die Beteiligten von Interesse? Die pädagogische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen Die Kinderrechte scheinen ein Thema zu sein, von dem sich viele Kinder und Jugendliche angesprochen fühlten. Auch wenn bei den ersten Treffen einerseits der Gesprächsverlauf etwas zäh war, so konnte man andererseits aber auch das Interesse an dem Thema wahrnehmen. Hier war es eine Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, das Thema der Kinderrechte lebendig zu gestalten mit Diskussionen, Fallbeispielen oder einem Film. Dadurch konnten die Mädchen und Jungen einen konkreten Bezug zum eigenen Wohngruppenalltag herstellen. Die pädagogische Arbeit war nahe am Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen angelehnt und mit vielen Herausforderungen verbunden. Sie bestand insbesondere darin, die abstrakt formulierten Kinderrechte im Wohngruppenalltag erfahrbar bzw. sichtbar zu machen. Die Mädchen und Jungen mussten ihr alltägliches Leben, das sie als selbstverständlich betrachten, vor dem Hintergrund der Kinderrechte hinterfragen. Das war nicht immer einfach. Deshalb hatte die methodische Planung der pädagogischen Angebote einen hohen Stellenwert, da diese gut durchdacht sein mussten, um Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren. In diesem Zusammenhang wurden die pädagogischen Angebote in den Tagesablauf integriert und fanden in der Regel im Rahmen von Gruppenabenden statt. Dies war eine durchaus vorteilhafte Situation und eine kluge Überlegung seitens der pädagogischen Fachkräfte, da diese informellen Gesprächsrunden feste Bestandteile im Tages- und Wochenablauf der jeweiligen Gruppen waren. Damit war der Vorteil verbunden, dass die meisten Kinder und Jugendlichen der Wohngruppe anwesend und auf Gespräche eingestellt waren, ihnen dadurch weniger Freizeit verloren ging und zumeist eine lockere Atmosphäre vorzufinden war. Des Weiteren konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Mädchen und Jungen auf die Bildungsangebote von 113

114 gerecht in NRW gewartet haben. Es musste immer wieder für die Bildungsangebote geworben werden, um das Interesse der Kinder und Jugendlichen zu wecken und aufrechtzuerhalten. Sie haben ihrerseits einen Alltag, in dem sie sich mit ihren eigenen Themen befassen, so dass man in Bezug auf die Angebotsstruktur darauf Rücksicht nehmen musste. Auch aus diesem Grund waren die pädagogischen Bemühungen darauf gerichtet, einen Bezug zum Alltagsleben herzustellen. Auch wenn es Kinder und Jugendliche gab, die für das Thema nicht begeistert werden konnten, waren die meisten sehr interessiert. Es war spannend zu beobachten, dass Mädchen und Jungen, die am Anfang sehr still waren, sich im Verlauf weiterer Treffen zum Thema äußerten und positionierten. Besonders beeindruckend waren die differenzierten Sichtweisen der Kinder und Jugendlichen, die in den Gesprächen die gesellschaftlichen Bedingungen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die eigene Lebenssituation analysierten. Eine Wohngruppe diskutierte im Rahmen der pädagogischen Angebote bspw. die Außenwahrnehmung von Heimkindern im gesellschaftlichen Raum. Sie erklärten, dass die eigenen Eltern sich in schwierigen Lebenslagen befanden oder auch noch befinden und sie selbst als Kinder in Verhältnisse hineingeboren worden sind, die sie selbst nicht wählen konnten. Die jungen Menschen wissen, dass die Bedingungen, in denen sie in ihrem familiären Kontext aufwuchsen, für ihre Entwicklung nicht förderlich waren und sie nicht ohne Grund in einer Wohngruppe leben. Hier empfinden sie das Leben in großen Teilen als normal und berichten davon, dass sie sich in ihrer Gruppe meistens wohl fühlen. Andererseits fühlen sie sich häufig von Freunden und Freundinnen, Mitschüler/innen oder bspw. Lehrer/innen bemitleidet, aber auch stigmatisiert. Einer der Jugendlichen äußerte etwa das Gefühl, dass man mit einem Stempel auf der Stirn rumläuft, mit der Aufschrift, Vorsicht Heimkind - ich bin gefährlich. In diesem Zusammenhang wurde der Wunsch nach Normalität im Kontext der Außenwahrnehmung geäußert. Sie formulierten aus diesem Gespräch heraus die Forderung nach einer Gleichbehandlung. Sie wollen nicht als Heimkind im gesellschaftlichen Raum diskriminiert oder bemitleidet werden. Diese beispielhafte Ausführung verdeutlicht, wie vielfältig die Themen sein konnten, die die Mädchen und Jungen im Rahmen der pädagogischen Angebote angesprochen haben. Außerdem befassten sie sich mit der Nutzung der Medien. Es ging um 114

115 Fragen wie: Wie lange darf ich Fernsehen gucken? Dürfen die Erzieher/innen einfach so mein Handy kontrollieren? Habe ich ein Recht ins Internet zu gehen? Zudem wurden Themen wie Einteilung des Taschengelds, Taschengeldabzug als Strafe, Kontakt zu den Eltern, Ausgehzeiten bei 16-jährigen, Privatsphäre, Beteiligung im Hilfeplangespräch etc. erörtert 45. Anhand des zuletzt genannten Beispiels soll verdeutlicht werden, wie innerhalb der pädagogischen Angebote auf die Fragen der Kinder und Jugendlichen reagiert wurde: Wenn ich nicht zum Hilfeplangespräch möchte, kann man mich dann zwingen dort hinzugehen? Zwingen kann man dich dazu nicht. Es ist aber wichtig, dass du daran teilnimmst, um über die Hilfe, die du bekommen sollst, mitbestimmen zu können. Du hast ein Recht auf die Beteiligung im Hilfeplangespräch und du kannst dieses Recht einfordern. Sprich vorher mit deinen Betreuer/innen oder eine für dich wichtige Ansprechperson, die dir dabei helfen kann, wie du dein Recht einfordern kannst. So bekommst du die Unterstützung, die du in der Situation brauchst. Von daher würde ich immer versuchen, dich dazu zu bewegen dort hinzugehen. Eine weitere Beobachtung, die mit den Projekteinrichtungen erörtert wurde, bezieht sich auf die Widersprüchlichkeit der Rechtsverletzung im familiären Umfeld in Gegensatz zum Bewusstsein über Rechte im Alltagsleben der Wohngruppe. In diesem Verhältnis berührt die Aufklärung über die Kinderrechte im Allgemeinen und die Rechte im Alltagsleben im Speziellen eine sensible Dimension in der Persönlichkeitsbildung. Bevor sie in die Wohngruppe kamen, lebten die Mädchen und Jungen häufig in belastenden Familiensituationen. Zum Teil haben sie erhebliche Gewaltund/oder sexuelle Missbrauchserfahrungen gemacht. Sie mussten erleben, dass ihre persönlichen Rechte ignoriert, missachtet oder verletzt wurden. In Anlehnung an die Qualitätsmerkmale einer guten Praxis der Heimerziehung werden Kinder und Jugendliche in der Regel über ihre Rechte im Wohngruppenalltag aufgeklärt 46. Die aufklärende Bildungsarbeit als zusätzliches Angebot unterstützte diesen Prozess in den Modelleinrichtungen. Von einer analytischen Perspektive her betrachtet erleben die 45 Hierzu muss man anmerken, dass solche Fragen durch die Struktur der pädagogischen Angebote konstruiert wurden und die Mädchen und Jungen herausgefordert waren, sich zu den angesprochenen Themen zu positionieren. 46 Siehe hierzu bspw. Quality4Children sowie für den Raum Essen das Projekt Wirkungsorientierte Heimerziehung. 115

116 Kinder und Jugendlichen im institutionellen Kontext eine faktische Achtung und Anerkennung ihrer Rechte, die sie - zum Teil über formal geregelte Wege - in ihrem Alltagsleben in der Wohngruppe durchsetzen dürfen und können. Die aufklärende Bildungsarbeit konkretisierte diesen Aspekt, indem die Frage danach gestellt wurde, welche Rechte sie in ihrem Wohngruppenalltag haben, wie sie damit umgehen und welche Handlungsmöglichkeiten sie nutzen können, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen oder sich ungerecht behandelt fühlen. Dies beinhaltete soziale Dynamiken, die eine sensible und emotionale Dimension berührte: Wenn Kinder und Jugendliche über Rechtsverletzungen im Wohngruppenalltag diskutieren, denken sie in der Regel auch über Rechtsverletzungen in ihrer Familie oder dem frühere sozialen Umfeld nach. Damit müssen sie emotional umgehen lernen 47. Dieser Gesichtspunkt wurde an einigen Stellen in den Bildungsangeboten, an anderen Stellen für die pädagogischen Fachkräfte im Wohngruppenalltag sichtbar und mit den Mädchen und Jungen - so weit wie es möglich war - aufgearbeitet 48. Ingesamt kann man resümieren, dass die Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen eine lebendige Gestalt hatten. Sie entwickelten Fragen, positionierten sich, stellten ihre Argumente zur Diskussion und forderten mit provozierenden Aussagen heraus Zusammenarbeit mit den Fachkräften Die Zusammenarbeit mit den Fachkräften der Einrichtungen war in den ersten Momenten der Begegnung von einer Skepsis geprägt, die es zu überwinden galt. Nur so konnten Kooperationsstrukturen auf der Basis gegenseitiger Akzeptanz geschaffen werden. Eine pädagogische Fachkraft schilderte ihre Skepsis so: Ich hatte den Eindruck, dass Sie jetzt in unsere Einrichtung kommen, um uns zu erzählen, wie pädagogisches Handeln funktioniert. Ebenso war den meisten Fachkräften nicht ganz klar, mit welchem Auftrag gerecht in NRW innerhalb der Einrichtungen vor Ort 47 Bspw. wurde mit einer Jugendlichengruppe diskutiert, dass sie das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben. In diesem Rahmen berichteten einige Jugendliche davon, dass sie in ihrem familiären Umfeld psychische und physische Gewalterfahrungen machen mussten. 48 Sicherlich war diese Art der Aufarbeitung für die Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW nur in Grenzen möglich. Insbesondere die pädagogischen Fachkräfte der Wohngruppe waren mit diesen Prozessen im Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen konfrontiert, so dass sie im Schwerpunkt mit dieser Aufgabe befasst waren und es gegenwärtig sind. 116

117 agierte. Die entgegengebrachte Skepsis war durchaus berechtigt, so dass vor diesem Hintergrund die pädagogische Arbeit transparent gemacht wurde, um bestehende Vorbehalte gegenüber den Tätigkeiten von gerecht in NRW zu reduzieren. Zudem kam die Frage auf, wie man als Mitarbeiter/in von gerecht in NRW den pädagogischen Fachkräften in den Einrichtungen vor Ort begegnen kann, ohne dabei belehrend, bestimmend oder bevormundend aufzutreten. Hier entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Selbstverständnis heraus, das als fachlicher Austausch auf Augenhöhe bezeichnet werden kann. Diese Fachdiskurse fanden in der Regel in den Vor- und Nachbereitungsgesprächen statt. Die gemeinsamen Bezugspunkte dieses Austauschs bezogen sich einerseits auf das professionelle Handeln im beruflichen Alltag und andererseits auf das Wohlergehen der jungen Menschen in ihren Alltagsbezügen. Thematisiert wurde ebenso das professionelle Handeln der Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW, so dass man sich hier selbst als eine lernende Person verstand. Auf der Grundlage einer reflexiven Basis wurden Schlussfolgerungen und Erkenntnisse für das eigene Handeln im institutionellen Kontext und für das Modellprojekt insgesamt gewonnen. Innerhalb dieser fachlichen Diskurse wurden Argumente ausgetauscht, kritische Positionen bezogen und ausgehandelt, die pädagogische Handlungspraxis reflektiert oder aber auch über die Jugendhilfepolitik diskutiert. Hier entwickelte sich eine Beziehungsebene heraus, die zunehmend von einer wechselseitigen Akzeptanz geprägt war. Innerhalb der fachlichen Diskurse sprachen die pädagogischen Fachkräfte aus ihrer Perspektive Themen an, die für ihren beruflichen Alltag wichtig waren. In diesem Rahmen wurden Gesichtspunkte erörtert, die sich etwa auf die Widersprüche und Aushandlungsmöglichkeiten zwischen dem Recht des Einzelnen und den Rechten der Anderen oder auf die Beziehung zwischen den Rechten und den Pflichten im Wohngruppenalltag bezogen. Weitere Diskurse wurden zu folgenden Themen geführt: Taschengeld, Achtung der Privatsphäre, Beteiligung an Entscheidungen, die die Wohngruppe betreffen, Unterstützung und Begleitung der jungen Menschen in Entscheidungssituationen, die ihr eigenes Leben betreffen etc. Insbesondere das Thema Rechte und Pflichten wurde häufig von den Fachkräften angesprochen. In diesem Rahmen wurde das Argument diskutiert, dass die Mädchen und Jungen auf der einen Seite Rechte, auf der anderen Seite aber auch Pflichten haben, die im Wohngruppenalltag zu erfüllen sind (wie z.b. Küchendienste, Zimmer 117

118 aufräumen etc.). Mit dieser Kategorisierung war auf Seiten der Fachkräfte jedoch auch ein Unbehagen verbunden und mündete in der Feststellung, dass der ausschließliche Bezug auf die Rechte und Pflichten als zu verengend empfunden wurde. In diesem Zusammenhang fanden gemeinsame Diskussionen statt, die auch Fragen des professionellen Selbstverständnisses berührten. Hier bildete sich ein fachlicher Austausch, der die Rechte im Verhältnis zur Anerkennung betrachtete. Damit war der Gedanke verbunden, dass das Zusammenleben Regeln benötigt, um im Alltagsleben der Wohngruppe auf ein friedliches und geordnetes Miteinander hinzuwirken. Das Recht des Einzelnen steht somit in der Relation zu den Rechten der anderen Wohngruppenmitglieder. Das Zusammenleben basiert auf einer wechselseitigen Anerkennung, mit der eine Verantwortung gegenüber den Rechten der Anderen verbunden ist 49. Dieser Diskurs ging über die Verpflichtungen im Wohngruppenalltag hinaus und fokussierte die wechselseitige Verantwortung aller Mitglieder für das soziale Leben in der Wohngruppe. Damit waren Fragen verbunden, wie das soziale Miteinander in der Wohngruppe im Kontext einer gegenseitigen Anerkennung gestaltet werden kann. Es ging auch darum, welche Verantwortung die jungen Menschen und die Fachkräfte im Wohngruppenalltag tragen 50. Diese Gesichtspunkte, so berichteten die Fachkräfte, sind immer wieder Themen, die innerhalb der Gruppenabende besprochen und ausgehandelt werden. Grundlegend für die Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften waren die transparente Gestaltung des eigenen Vorgehens sowie ein Selbstverständnis, in dem sich ein fachlicher Diskurs auf Augenhöhe entwickelte. Innerhalb der aufklärenden Bildungsarbeit hatte das Modellprojekt gerecht in NRW die Möglichkeit, die Fachkräfte in ihrem beruflichen Alltag wahrzunehmen. Die vielfältigen und fruchtbaren Fachgespräche trugen damit zur Weiterentwicklung des Modellprojekts bei. 49 Gegenteilig würde die Missachtung der Rechte der Anderen bedeuten, dass kaum ein friedliches und geordnetes Zusammenleben möglich sein kann. 50 Damit ist aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte die Auffassung verbunden, dass die jungen Menschen mit den Anforderungen und Aufgaben, die das Alltagsleben betreffen, nicht einfach alleine gelassen werden dürfen. Die Pädagog/innen sehen ihre Aufgabe und Verantwortung darin, die Mädchen und Jungen auf eine selbstständige Lebensführung außerhalb der Einrichtung vorzubereiten. Diese Zukunftsorientierung ist konstitutiv für das pädagogische Handeln. Hierbei balancieren die Fachkräfte tagtäglich die Frage, wie viel Freiheit brauchen die Kinder und Jugendlichen und wie viel Verantwortung muss ich als Pädagog/in übernehmen, um die von mir Betreuten an eine selbstständige Lebensführung heranzuführen? 118

119 7.4 Erfahrungsberichte aus Sicht der Jugendlichen und der pädagogischen Fachkräfte 51 Da sowohl die Mädchen und Jungen als auch die pädagogischen Fachkräfte als aktive Akteure an der Gestaltung der Bildungsangebote beteiligt waren, ist es nur konsequent, hier einen Raum zu schaffen, in dem sie ihre eigenen Eindrücke und Erlebnisse schildern können. Deshalb folgen nun zwei Erfahrungsberichte aus der Perspektive der jungen Menschen und der pädagogischen Fachkräfte Die Wahrnehmung der pädagogischen Arbeit aus Sicht eines Jugendlichen Ich habe beim diesjährigen Modellprojekt gerecht teilgenommen und möchte im Folgenden meine Erfahrungen, Eindrücke und meine persönliche Einschätzung dazu mitteilen. Beim ersten Treffen bei mir in der Wohngruppe klärte uns Herr Schröder über unsere Rechte als Jugendliche auf. Er gab uns danach einen Flyer, in dem noch mal die wesentlichen Rechte und die Ansprechpartner/innen des Projekts aufgezählt waren. Beim zweiten Treffen brachte uns Herr Schröder ein paar Fallbeispiele zum Thema Kinder- und Jugendrechte mit, zu denen wir unser Statement abgeben sollten. Dadurch konnten wir unsere Rechte als Jugendliche noch mal verinnerlichen. Mein Interesse daran war sehr groß, da ich ein Mensch bin, der auf seine Rechte besteht und sich diese nicht nehmen lassen möchte. Bei einem dritten Treffen schauten wir uns einen Dokumentarfilm über Jugendliche, die in Wohngruppen wohnen, an. Darin wurden der Alltag von ihnen und ihre Einstellung zu den Jugendrechten dargestellt. Wir unterhielten uns im Anschluss über unsere Einschätzung und tauschten eigene Erfahrung darüber aus. Nachher informierte Herr Schröder uns über ein Kunstprojekt, welches unter dem Titel >>"Und wer fragt uns?" - Kinderrechte, Partizipation und Beschwerden aus Sicht von Kindern und Jugendlichen<< bei der Abschlussveranstaltung von gerecht in NRW beim Landschaftsverband Rheinland in Köln vorgestellt werden soll und animierte uns, daran teilzunehmen. Ich stand dem anfangs sehr skeptisch gegenüber, weil ich es bezweifelte, dass dies eine Verbesserung der Situation von 51 Die folgenden Schilderungen beziehen sich auf die Bildungsarbeit in einer kooperierenden Einrichtung. 119

120 Kindern und Jugendlichen, die in Wohngruppen leben, bewirken würde. Jedoch wurde ich in einem darauffolgenden Gespräch mit Herrn Schröder überredet, daran teilzunehmen. Im Nachhinein bin ich froh, zugesagt zu haben, denn ich habe gesehen, dass ich als Jugendlicher mit diesem Projekt die Möglichkeit habe, den Erwachsenen die Interessen und die Vorstellungen zu den Kinder- und Jugendrechten aus der Sichtweise eines Jugendlichen zu zeigen. Wir standen im ziemlich engen Austausch mit Herrn Schröder und er versuchte, uns bei möglichst allen Fragen eine Antwort zu geben. Unsere Interessen und Ansichten wurden mit hoher Aufmerksamkeit erhört. Mit der Organisation und der Ausführung des Projekts bin ich sehr zufrieden. Es fanden regelmäßige Treffen statt. In diesen zeigte Herr Schröder ein Interesse an unseren Ideen und Äußerungen zum Thema Kinder- und Jugendrechte. Er gestaltete die Gespräche in einer für uns ansprechenden Weise. Besonders gut fand ich, dass wir als Jugendliche gefragt wurden, was unsere Meinung ist und wie wir die Regeln bei uns in der Wohngruppe sehen. Unsere Meinung war ihm wichtig. Aus den Treffen mit Herrn Schröder nehme ich für mich mit, dass meine Stimme eine Bedeutung hat. Jetzt liegt es nur noch daran, diese auch so gut wie möglich zu vertreten Die Wahrnehmung der Zusammenarbeit aus Sicht einer pädagogischen Fachkraft Dem Modellprojekt gerecht in NRW sind wir von vorne herein offen entgegen getreten. Das Thema Kinderrechte bzw. die Installation einer unabhängigen Beschwerdestelle in NRW ist ein wichtiger Schritt für die Lobby von fremdplatzierten Kindern. Die Tatsache, dass Kinder in der stationären Jugendhilfe häufig mit dem Erreichen der Volljährigkeit in die Selbstständigkeit verabschiedet werden müssen, weist deutlich darauf hin, dass Mündigkeit durch Partizipation ein Entwicklungsziel oberster Dringlichkeit darstellt. Im Vergleich zu Regelfamilien, in denen leibliche Kinder oft bis zu fünf Jahren länger zu Hause wohnen, ist die Lernzeit deutlich geringer. Erschwerend kommt hinzu, dass fremdplatzierte Kinder meist (sicherlich nicht immer) schwierigere Startbedingungen aufgrund ihrer Biografie in ihren Lebensrucksäcken tragen. Somit kann der angestoßene Demokratisierungs- und Bildungsprozess in unserer Familiengruppe eine wichtige Möglichkeit zur Mündigkeitsentwicklung darstellen. 120

121 Die Zusammenarbeit mit Herrn Schröder verlief konstruktiv und partnerschaftlich. Vor jedem Besuch wurden uns in schriftlicher Form Inhalte und Ziele des nächsten Treffens mit den Jugendlichen g t. Es bestand immer die Möglichkeit, die Planung zu modifizieren und ggfs. Änderungen vorzunehmen. An zwei von drei Treffen begann der Besuch von Herrn Schröder in unserer Familiengruppe bereits mit einem gemeinsamen Mittagessen. Da die Gruppentreffen erst am späten Nachmittag stattfanden, gab es viel Gelegenheit für die Kinder, Herrn Schröder kennenzulernen. Es ergaben sich lockere Kontakte über das gemeinsame Spiel (Kickern) oder über die Hausaufgabenzeit (Abhören von Vokabeln). Wir sind uns sicher, dass das Beziehungsangebot am Nachmittag eine gute Grundlage für das spätere Gruppenmeeting darstellte. Die Kinder konnten sich besser öffnen, weil Herr Schröder kein Fremder war. Im Anschluss der Besuche fand jeweils ein Reflexionsgespräch zwischen Herrn Schröder und den Wohngruppenmitarbeiter/innen statt. Hierbei konnten die unterschiedlichen Wahrnehmungen diskutiert und die nächste Schrittfolge angedacht werden. Die Grundgedanken und Erwartungen an das Projekt, Umsetzung der UN- Kinderrechtskonventionen für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe, waren unsererseits andere als erwartet. Wir gingen davon aus, dass der Schutz der Jugendlichen durch Aufklärung machtüberschreitender und missbräuchlicher Situationen zur Prävention vordergründig sei (siehe Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch ). In der Praxis wurden diese Themen nebensächlich behandelt. Vielmehr standen der Bildungsaspekt zur Aufklärung von Kinderrechten um Missstände in den Einrichtungen und das Greifbarmachen für die Kinder im Vordergrund (Internetzugang, Handynutzung, Ausgehzeiten, Taschengeldumgang). Es wäre interessant gewesen, eine Beschwerdesituation mit den Kids zu simulieren. Würden unsere Jugendlichen im Alter von 13 bis 16 wirklich Kontakt zur Beschwerdestelle aufnehmen können? Und was müsste am Telefon gesagt werden, um ein Gespräch in Gang zu bringen? Ist die Schwelle nicht zu hoch? Dazu gab es noch keinen Probelauf, der den Einstieg im Ernstfall hätte erleichtern können. Dass sich persönliche Rechte immer auch in der Dialektik mit den Rechten meines Nächsten verstehen und somit ein verantwortlicher Umgang notwendig wird, ist bei unseren Jugendlichen nur schwach angekommen. Vordergründig blieb das triumphale Denken und Wissen darüber, was man jetzt alles darf. Dieser Prozess wird sicher- 121

122 lich noch andauern. Die drei Treffen mit gerecht in NRW können nur der Anfang gewesen sein und sind von uns weiterzuführen. Auch das Spannungsfeld zwischen Rechten von Jugendlichen einerseits und der Einhaltung des Erziehungsauftrages (bspw. die Ausgangsregelung oder Handynutzung) andererseits, lässt sich, wenn überhaupt, nur im Einzelfall auflösen. In diesen Diskursen erlebten wir unsere Jugendlichen eher eingleisig denkend. Die Situation aus der Sicht einer erziehungsberechtigten Person zu beurteilen, fiel ihnen schwer. Im Nachhinein äußerten die Jugendlichen, dass die Ansprachen und Fallbesprechungen zu sehr in der Erwachsenensprache geführt wurden und man nach einer Diskussion genau so schlau war wie davor. Die Zusammenarbeit mit Herrn Schröder verlief partnerschaftlich und professionell. Beiden Seiten war es wichtig, über die Beziehungsebene auf die Kinder zuzugehen. Das erfordert mehr Zeit, ist aber viel effektiver. Die Treffen in der Einrichtung wurden gründlich vor- und nachbereitet. Ein funktionierender Informationsfluss sorgte für ein vertrautes Miteinander. Aus Sicht der Pädagogen der Einrichtung hätte stärker ein präventiver Dialog zum Thema Schutz vor Übergriffen oder Machtmissbrauch von Erwachsenen geführt werden können. 7.5 Das Spannungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit An dieser Stelle soll nun das Spannungsfeld der aufklärenden Bildungsarbeit erörtert werden. Mit Verweis auf die Arbeit der Beschwerdestelle einerseits und der aufklärenden Bildungsarbeit andererseits soll verdeutlicht werden, dass die Tätigkeiten unterschiedlichen Handlungslogiken folgten: Handlungslogik der Beschwerdeinstanz: Die Arbeit der Beschwerdestelle kennzeichnete sich in erster Linie als eine unabhängige Instanz zur Bearbeitung von Beschwerden, die von einer Komm-Struktur gekennzeichnet war. Die Kinder und Jugendlichen nahmen aus eigener Initiative Kontakt zu ge- RECHT in NRW auf, um ihr Anliegen oder subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten und Rechtsverletzungen im Rahmen eines unabhängigen Beratungsgesprächs - auf einer informellen Ebene - zu erörtern. Konnte das Anliegen des beschwerdeführenden Mädchens oder Jungens durch die beratenden Tätig- 122

123 keiten nicht geklärt werden, wird der formal festgelegte Weg der Beschwerdebearbeitung 52 genutzt, um das bestehende Anliegen zu klären 53. Handlungslogik der aufklärenden Bildungsarbeit: Die Tätigkeiten der aufklärenden Bildungsarbeit waren hingegen von einer Geh-Struktur gekennzeichnet, in denen auf die Wohngruppen der beteiligten Modelleinrichtungen zugegangen wurde, um dort die pädagogischen Angebote durchzuführen. Im Mittelpunkt der Arbeit stand der Diskurs über die Kinderrechte sowie die Aneignung von Wissensinhalten und Handlungsmöglichkeiten, die sich auf die Interessen und Bedürfnisse der Mädchen und Jungen im Alltag bezogen. Die inhaltlichen Sachverhalte konstruierten sich hier aus dem sozialen Geschehen heraus und wurden in den Gesprächen problematisiert, analysiert und reflektiert. Zum Aufgabenbereich der Bildungsarbeit zählte auch die informelle Beschwerdearbeit, bei der Fragen oder kritische Äußerungen zum Wohngruppenalltag im Gespräch aufgegriffen und in der Regel geklärt werden konnten. Grundsätzlich bleibt aber zu fragen, inwieweit die Bildungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen nicht eher originäre Aufgabe der Einrichtungen ist oder sein sollte und weniger die einer externen Beschwerdestelle. Vor diesem Hintergrund folgten die Beschwerde- und die Bildungsarbeit unterschiedlichen Handlungslogiken. Damit waren unterschiedliche Rollenerwartungen verbunden, die auf die Person der jeweils handelnden Fachkraft von gerecht in NRW übertragen wurde. Als Mitarbeiter/in der Beschwerdestelle war damit immer eine Doppelrolle verknüpft 54. Einerseits war mit der Bildungsarbeit das Ziel verbunden, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte zu informieren. Andererseits konnte das hier vermittelte Wissen Bewusstseinsbildungsprozesse beinhalten, die zu kritischen Nachfragen und Infragestellungen der Regeln im Alltagsleben der Wohngruppe und des pädagogischen Handelns der Fachkräfte führen konnten. Die Aufklärung über die Kinderrechte führte in dieser Hinsicht zu einem kritischen Potenzial, das in der Regel im Rahmen der informellen Beschwerdearbeit geklärt werden konnte. Wenn 52 Die informelle Beschwerdearbeit kennzeichnet sich als eine Bearbeitung von Beschwerden, die innerhalb von beratenden Tätigkeiten oder klärenden Gesprächen im Alltagleben der Wohngruppe bearbeitet werden. Die formelle Beschwerdearbeit kennzeichnet sich als eine Bearbeitung von Beschwerden, die im Rahmen eines formal festgelegten Beschwerdeverfahrens bearbeitet werden (z.b. durch Rückgriff auf ein externes oder internes Beschwerdesystem). 53 Dieser formale Weg der Beschwerdebearbeitung wurde gemeinsam mit den beteiligten Modelleinrichtungen erarbeitet. Siehe dazu ausführlich in Kapitel Auf die Doppelrolle wird noch einmal in Kapitel 10 verwiesen. 123

124 durch die Beratung oder durch die klärenden Gespräche die Zuspitzung einer Situation jedoch nicht verhindert werden konnte, hätte dies zu einer formellen Beschwerdebearbeitung führen können. Das machte einen Rollenwechsel erforderlich. Die Rolle des Informationsvermittlers konnte in Abhängigkeit zum Kontext der sozialen Situation in die Rolle des Beschwerde(mit)arbeiters 55 überwechseln. Hilfreich war hierbei immer wieder die Klärung, in welcher Rolle man in seiner Tätigkeit angesprochen wurde. Dies machte ein Rollenhandling notwendig, um auf Grundlage einer reflexiven Basis die eigenen Handlungen koordinieren, kontrollieren und steuern zu können. Ebenso half hierbei die Dokumentation der Arbeit und Reflexionsgespräche im Team, um einen Umgang mit dieser Doppelrolle zu finden sowie immer wieder auszubalancieren. Kommt es aber im Rahmen der Bildungsarbeit zu einer Beschwerde eines Kindes oder Jugendlichen, kann die (weitere) Bearbeitung nur im Team, das heißt zumindest nach dem Vier-Augen-Prinzip geschehen. Dies ist notwendig, damit eine unabhängige Person der Beschwerdestelle an dem Beschwerdeprozess teilnimmt. 7.6 Resümee Das Modellprojekt gerecht in NRW konnte im Rahmen seiner Tätigkeiten eine pädagogische Angebotsstruktur schaffen, die es so in der zukünftigen Arbeit einer Beschwerde- oder Ombudsstelle wahrscheinlich nicht mehr geben wird. Da gerecht in NRW Modellcharakter besaß, konnten Wege, Möglichkeiten und Nischen genutzt werden, die es eigentlich erst ermöglicht haben, die hier konzipierte und dargelegte Bildungsarbeit durchzuführen. Auch wenn die Zukunftsoptionen - bzgl. der Intensität und der Art der Tätigkeiten - im Kontext des Aufgabenbereichs einer unabhängigen Ombuds- und Beschwerdestelle eher gering ausfallen, konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die für das Modellprojekt von Bedeutung sind. Daher wird im Resümee die Frage thematisiert, welche Bedeutung die aufklärende Bildungsarbeit vor dem Hintergrund der hier dargestellten Ergebnisse für das Modellprojekt gerecht in NRW besitzt. Diesbezüglich sind insgesamt drei zentrale Ergebnisse wichtig: Die Bildungsarbeit als informelle Beschwerdearbeit 55 Hiermit ist nicht die informelle Beschwerdearbeit mit gemeint, die als ein Bestandteil der aufklärenden Bildungsarbeit gesehen wird, sondern die Rolle des Beschwerdemitarbeiters, der im Rahmen einer formellen Beschwerdearbeit seine Tätigkeit aufnimmt und auf Grundlage des Beschwerdeverfahrens aktiv wird. 124

125 Gruppengespräche als Gestaltungselement des Wohngruppenalltags Die aufklärende Bildungsarbeit als subsidiärer Verantwortungsbereich der Einrichtungen 1. Die Bildungsarbeit als informelle Beschwerdearbeit: Der Wechsel zwischen Informationsvermittler/in einerseits und die Positionierung als Beschwerdemitarbeiter/in andererseits machte immer ein Rollenhandling notwendig, ein Ausbalancieren der beiden Funktionen. Allerdings war damit immer auch die Möglichkeit verbunden, dass die Kinder und Jugendlichen eigene Interessen und Bedürfnisse sowie subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten zum Ausdruck bringen konnten. In der Regel konnten kritische Nachfragen und Äußerungen im Rahmen der informellen Beschwerdebearbeitung innerhalb der pädagogischen Angebote geklärt werden. So kann man hier resümieren, dass mit der aufklärenden Bildungsarbeit auch ein präventiver Charakter verbunden war und kritische Entwicklungen, die ggf. zu einer formalen Beschwerdebearbeitung hätten führen können, im Vorfeld geklärt werden konnten. Das heißt: Bildungsarbeit kann so auch als Türöffner für eine frühzeitige Wahrnehmung und Aufnahme von Gefahren für das Wohl des Kindes dienen. 2. Gruppengespräche als Gestaltungselement des Wohngruppenalltags: Eine pädagogische Fachkraft erläuterte aus ihrer Perspektive, welchen Nutzen sie in der aufklärenden Bildungsarbeit für das Zusammenleben in der Wohngruppe sah. Sie erklärte, dass in den pädagogischen Angeboten konsequent die Frage nach den als selbstverständlich wahrgenommenen Regelungen des sozialen Miteinanders in der Wohngruppe gestellt wurde. Sie konnte für sich feststellen, dass die Selbstverständlichkeiten nicht so selbstverständlich scheinen, wie man meinen mag. Die Treffen mit gerecht in NRW waren für sie ein zusätzliches Angebot, um gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen über den Sinn und Zweck bestehender Regeln zu diskutieren. Diese Aussagen decken sich mit den Kommentaren anderer Fachkräfte. Dieses Ergebnis verweist auf die Bedeutung der Gruppengespräche oder -abende, die einen Raum zur Verbalisierung von Bedürfnissen und Interessen innerhalb der Gestaltung des sozialen Miteinanders bieten. In diesem Rahmen besteht die Möglichkeit, Mädchen und Jungen über ihre Rechte zu informieren und sie über mögliche interne sowie externe Anlaufstellen im Falle einer Beschwerde aufzuklären. Des Weiteren können die Gruppengespräche dazu dienen, das Alltagsgeschehen zu reflek- 125

126 tieren, bestehende Regelungen des Zusammenlebens im Wohngruppenalltag zu hinterfragen und fortzuentwickeln und subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten im Alltagsleben anzusprechen. 3. Die aufklärende Bildungsarbeit als subsidiärer Verantwortungsbereich der Einrichtungen: Die subsidiäre Verantwortung über die aufklärende und alltagsbezogene Bildungsarbeit sollte bei den stationären Einrichtungen bleiben. Dies begründet sich insbesondere aus dem gesellschaftlichen und rechtlich kodifizierten Auftrag der öffentlichen Heimerziehung, Kindern und Jugendlichen einen emotional geschützten Lebensraum anzubieten, in denen sie sich zu gemeinschaftsfähigen, eigenverantwortlichen, mündigen und demokratischen Bürgern des Gemeinwesens bilden können 56. Dieser Aspekt wurde insbesondere im Diskurs mit den Projekteinrichtungen deutlich, die sich neben der rechtlichen Verankerungen auch moralisch für die aufklärende Bildungsarbeit verantwortlich fühlen. Diese Erziehungsaufgabe stellt aus ihrer Sicht einen Bestandteil der pädagogischen Arbeit in den Wohngruppen dar. Vor diesem Hintergrund beanspruchen die Einrichtungen für sich die subsidiäre Verantwortung über die auf den Alltag bezogene Bildungsarbeit. Für eine unabhängige Ombuds- und Beschwerdestelle ist es allerdings unabdingbar, im öffentlichen sowie institutionellen Raum präsent zu sein. Sie muss den Kindern und Jugendlichen im Beschwerdefall das Gefühl vermitteln, dass sie eine sichere und vertrauensvolle Anlaufstelle kontaktieren können, die ihnen im Bedarfsfall zur Seite steht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Angebot einer externen Beschwerdestelle bekannt sein muss. Des Weiteren deuten vielerlei Aussagen der Mädchen und Jungen aus den Modelleinrichtungen darauf hin, dass schon das Wissen um ein Angebot - hier die externe Beschwerdestelle -, das im Bedarfsfall in Anspruch genommen werden kann, einen Nutzen für die Kinder und Jugendlichen darstellt (vgl. Oelerich/ Schaarschuch 2005, S. 90). Diesbezüglich ist die Öffentlichkeitsarbeit, die im Projektzeitraum auch über die aufklärende Bildungsarbeit organisiert wurde, ein wichtiger Bestandteil gewesen und ist für eine zukünftige Ombudsstelle insofern unabdingbar. Bei den Kindern und Jugendlichen muss die Botschaft ankommen: Im Bedarfsfall kannst du uns als Beschwerdestelle anrufen, um dich über deine Rechte 56 Siehe hierzu insbesondere 1, 8, 8b, 36 SGB VIII sowie Adorno

127 sowie mögliche Handlungsalternativen bei etwaigen Rechtsverletzungen zu informieren. Um dies zu gewährleisten, bot sich innerhalb des komprimierten Zeitfensters des Modellprojekts eine gezielte sowie aufklärende Bildungsarbeit an. Dieses Vorgehen erschien für die Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW und für die meisten Projektteilnehmer/innen plausibel und nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang fand hier neben der Aufklärung über die Kinderrechte ebenso eine Aufklärungsarbeit darüber statt, was eine externe Beschwerdestelle ist und welcher Sinn und Zweck mit den Tätigkeiten verfolgt wurde. Des Weiteren wurden die Möglichkeiten der Erreichbarkeit der externen Beschwerdestelle mit den Kindern und Jugendlichen erörtert, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter/innen von gerecht in NRW im Bedarfsfall kontaktiert werden konnten. Für eine unabhängige Ideen- und Beschwerdestelle wäre zukünftig denkbar, dass zu den bestehenden infrastrukturellen Angeboten der Einrichtungen die Bildungsangebote ergänzend in Anspruch genommen werden können, wenn der Bedarf geäußert wird und wenn die personellen und zeitlichen Kapazitäten der Ombudsstelle vorhanden sind. Für das Modellprojekt gerecht in NRW war die aufklärende Bildungsarbeit eine sinnvolle Ergänzung zu den eigentlichen Tätigkeiten der unabhängigen Beschwerdestelle, die sich einerseits damit befasst hat, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte zu informieren und sie darin zu bestärken eigene Bedürfnisse und Interessen auszudrücken, um als handelnde Akteure auf das Alltagsgeschehen in der Wohngruppe Einfluss zu nehmen. Andererseits war der fachliche Diskurs auf Augenhöhe mit den Fachkräften der Einrichtungen sehr wichtig. Die Gespräche boten eine Reflexionsplattform für pädagogisches Handelns an, die die Fachkräfte zusätzlich darin unterstützen wollte, das eigene Handeln vor dem Hintergrund der Kinderrechte und den eigenen Erfahrungshorizonten in der Praxis zu analysieren. Dies galt in ähnlicher Weise für die Projektmitarbeiter/innen von gerecht in NRW, die sich selbst in der Rolle als lernende Personen verstehen mussten, um auf einer reflexiven Grundlage die praktischen Erfahrungen zu analysieren. Dadurch ergaben sich Erkenntnisse, die für das Modellprojekt bedeutsam waren. Letzten Endes boten die pädagogischen Angebote den Mädchen und Jungen eine auf das eigene Alltagsleben bezogene Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderrechte an, die eine emanzipatorische Zielsetzung verfolgte. In dieser Hinsicht kann gerecht in NRW und insbesondere die aufklärende Bildungsarbeit als ein Versuch gewertet werden, 127

128 einen Beitrag zur Demokratisierung der sozialen Dienste im Jugendhilfebereich zu leisten. 128

129 8. Kinderrechte auf der Leinwand: Kinder und Jugendliche drehen einen Film 8.1 Einleitung/Kontext Die Kinderrechte bekannt zu machen und zu fördern das ist eines der zentralen Anliegen des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW e.v.. Dazu gibt es viele unterschiedliche Projekte. Eines davon war das Filmprojekt Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe 57, ein eigenständiger Teil des Modellprojekts ge- RECHT in NRW. Über den Verlauf und die Ergebnisse des Filmprojekts informiert folgender Text. Die Hauptintention dabei war es, die Kinderrechte möglichst lebensnah an Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Sie sollten ihre Rechte kennenlernen, sich damit auseinandersetzen und die Umsetzung ihrer Rechte in ihrem Alltagsleben reflektieren lernen. Seine Rechte zu kennen ist die Voraussetzung dafür, zu wissen, ob die Handlungen von Erwachsenen der Situation angemessen sind oder ob hier ein Übergriff stattfindet. Sie ermöglichen es den Mädchen und Jungen einzuschätzen, wie sie sich selber schützen können und wo und wie sie Schutz und Hilfe einfordern können. Vor diesem Hintergrund entstand Idee, das Thema Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe auf die Leinwand zu bringen. Filme sind heute alltäglicher Bestandteil visueller Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen. Mädchen und Jungen machen Fotos und erstellen auch kleine Videos mit ihren Handys. Einen ganzen Film zu einer geschlossenen Thematik zu planen, umzusetzen und abschließend in einer Vorführung öffentlich zu machen, war für alle teilnehmenden Kinder und Jugendlichen eine Herausforderung und letztlich auch ein großer Spaß Projektziele Projektziel war die Realisierung eines 15- bis 20-minütigen Films, in dem sich die Kinder und Jugendlichen mit ihrem Leben im Heim auseinandersetzen. Besonderer 57 Siehe hierzu genauer: Der Antrag auf Förderung eines Filmprojekts vom sowie die Mittelbewilligung vom

130 Schwerpunkt lag auf den Kinderrechten. Dies sollte in einem gemeinsamen Prozess mehrerer Mädchen und Jungen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Einrichtungen aus Köln und Essen geschehen. Die Planung sah vor, dass etwa zehn Kinder und Jugendliche aus den Städten Essen und Köln in einem fünftägigen Workshop in Wuppertal in den Osterferien diesen Film realisieren sollten. Für die filmtechnische Umsetzung wurde das Medienprojekt Wuppertal 58 gewonnen. Vorab wurden alle teilnehmenden Kinder und Jugendlichen von den Mitarbeiter/innen des Projekts gerecht in NRW auf diesen Workshop vorbereitet. Zum Abschluss des Workshops bzw. nach Beendigung der Nachdrehtermine in den Einrichtungen sollte der Film in einer öffentlichen Aufführung in einem Videomagazin in einem Wuppertaler Kino gezeigt werden. Außerdem sollte der Film allen Einrichtungen und anderen Interessierten als Arbeitsmaterial zum Thema Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollte der Film auf der Homepage des Projekts gerecht in NRW 59 zu sehen sein. 8.3 Projektplanung und -durchführung Vorbereitungen Alle Kinder und Jugendlichen aus den kooperierenden Einrichtungen des Projekts gerecht in NRW in Köln und Essen wurden schriftlich über das Filmprojekt informiert, eingeladen und gebeten, sich mit einer kurzen Bewerbung ( Warum möchtest du an den Filmprojekt teilnehmen?) vorzustellen. Aus den eingesandten Bewerbungen haben die Mitarbeiter/innen des Projektteams zehn Mädchen und Jungen ausgesucht. Im Vorfeld waren Kriterien zur Teilnahme erarbeitet worden. 58 Das Medienprojekt Wuppertal unterstützt seit 1992 Jugendliche bei der Produktion von Videos im Sinne aktiver Medienerziehung als kreativer Ausdruck jugendlicher Ästhetiken, Meinungen und Lebensinhalte. Nach dem Motto, Jugendliche klären am besten Jugendliche auf werden viele Videos so auch einen Zielsetzung unseres Filmprojekts als Bildungs- und Aufklärungsmedium genutzt. Ziel ist es, Jugendlichen zur kreativen Artikulation ihrer Meinungen ein Medium zu geben. Die Jugendlichen sind die Hauptdarsteller/innen ihrer Filme, inhaltlich wie im Ergebnis (s. hierzu mehr: Diese Ausrichtung und Haltung bezüglich des methodischen Vorgehens hat uns überzeugt und passt mit unserem Anspruch überein, Kinder und Jugendliche mit ihren Meinungen ernst zu nehmen und sie zu motivieren, diese auch auszudrücken auch und im Besonderen, wenn ihre Meinung nicht unbedingt mit denen der Erwachsen übereinstimmt. 59 Siehe 130

131 Es sollten gerne aus möglichst allen Einrichtungen mit jüngeren und älteren Mädchen und Jungen der Workshop gestalten werden. Leider bedeutet eine solche Auswahl auch immer die Absage an einzelne Kinder und Jugendliche. Aber die Gruppengröße von maximal zehn Teilnehmer/innen war aus didaktisch-methodischen Gründen und in Absprache mit dem Filmteam notwendig. Ein weiterer wesentlicher Aspekt in der Vorarbeit waren erste vorbereitende Gespräche mit den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen zum Thema Kinderrechte. Wichtig war es zu erfahren, ob und welche (Vor-)Erfahrungen sie zum Thema haben und was ihre Motivation war, sich zu bewerben. Zur besseren Vorbereitung des Filmteams wurde mit den Mädchen und Jungen eine Vorauswahl an Themen erarbeitet, die im Workshop aufgenommen werden sollten: Welche Rechte sind dir besonders wichtig? Was brennt dir auf den Nägeln, was du unbedingt besprochen haben möchtest? Ergebnis dieser Vorgespräche war eine Auflistung möglicher Fragestellungen, die als Grundlage zur weiteren inhaltlichen Vorbereitung für die Mitarbeiter/innen von gerecht und das Filmteam dienten Film-Workshop in den Osterferien Der eigentliche Workshop mit allen Mädchen und Jungen fand in der Zeit vom 2. bis 4. April 2012 in Wuppertal statt. Für die inhaltliche Vorbereitung sowie die ersten Interviews der Kinder und Jugendlichen stand die Geschäftsstelle des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW e.v. zur Verfügung als auch die Räume des nahegelegenen Medienprojekts (technische Ausstattung). Diese örtliche Nähe hatte den Vorteil, dass abwechselnd beide Orte genutzt werden konnten. Der erste Vormittag diente in erster Linie dazu, dass sich die Teilnehmer/innen kennenlernten. Die gemischte Gruppe 60 sieben Mädchen und Jungen im Alter von 12 bis 17 Jahren erzählten von ihrem Leben in ihrer Einrichtung, von ihren Kenntnissen und Erfahrungen zum Thema Kinderrechte und ihren Wünschen und Ideen, was ein solcher Film beinhalten soll. Nachmittags wurden bereits die ersten Interviews 60 Aufgrund kurzfristiger Absagen von drei Kindern/Jugendlichen nahmen entgegen der ursprünglichen Planung von zehn Kindern und Jugendlichen sieben Jungen und Mädchen am Workshop teil. Grund für die Absage waren grundsätzliche Konflikte im Projekt, die nur am Rande mit dem Filmprojekt zutun hatten und sich leider vor dem Beginn des Workshops nicht mehr klären ließen. 131

132 aufgenommen und bevorstehende Drehtermine in den Einrichtungen koordiniert. Diese sollten die Mädchen und Jungen in ihrer Lebensumgebung zeigen und Fragen nach der Bedeutung von Kinderrechten in den Einrichtungen filmisch umsetzen. Jeder Drehtag begann mit einer Reflexions- und Informationsrunde, was am Tag zuvor passiert war und was für den aktuellen Tag vorgesehen war. So waren immer alle informiert, was die anderen taten und es gelang ein kontinuierlicher Austausch zwischen allen Teilnehmer/innen. Ziel war es ja, einen gemeinsamen Film zu drehen, mit dessen Ergebnissen (Aussagen wie Gestaltung) alle zufrieden sein sollten. Am zweiten und dritten Tag des Workshops wurden weitere Interviews mit den Mädchen und Jungen geführt, die sie zum Teil auch selber drehen konnten. Das heißt, sie hielten und führten die Kamera, führten selber Interviews bzw. interviewten sich gegenseitig (Perspektivenwechsel). Auf diese Weise lernten sie, wie man Fragen stellen muss, damit die Person vor der Kamera auch Raum und Platz für Antworten hat. Außerdem wurden an diesen Tagen Aufnahmen in den Einrichtungen gedreht: Alltagssituationen, Bilder der Zimmer der Kinder und Jugendlichen, deren Wohnräume und Freizeitangebote. Aufgrund einer Pressemitteilung zum Filmworkshop gab es am 3. April 2012 einen Beitrag in der regionalen Fernsehsendung Lokalzeit Bergisch Land des Westdeutschen Rundfunks. Der Film informierte über das Projekt und stellte einige der Teilnehmer/innen vor. Der Beitrag und das anschließende Studiogespräch (insgesamt rund fünf Minuten) berichteten über die Idee, Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe mittels eines selbstgedrehten Films durch die Kinder und Jugendlichen zu erarbeiteten und diesen später als Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen Außendrehtermine in den Einrichtungen in Köln und Essen Im Anschluss an den eigentlichen Workshop wurden in den kommenden Wochen weitere Drehtermine in den einzelnen Einrichtungen vereinbart bzw. vorbereitet. Diese Dreharbeiten erfolgten im Zeitraum April, Mai und Juni Ziel war es, auch Bilder des Lebensalltags der Mädchen und Jungen einzufangen, damit deutlich wird, wo und wie die Kinder und Jugendlichen leben. Das bedeutete auch, dass Alltagszenen gedreht wurden, die beispielsweise einen Dialog über die Auszahlung des Taschengeldes zwischen einem Erzieher und einem Jugendlichen zeigten. Abschlie- 132

133 ßend wurde der fertige Film von allen beteiligten Kindern und Jugendlichen sowie den Einrichtungen inhaltlich abgenommen Projektfeedback mit den Kindern und Jugendlichen und Filmaufführung Um das Filmprojekt gemeinsam mit allen Mädchen und Jungen nochmals reflektieren zu können, wurde allen Teilnehmer/innen im Vorfeld des Aufführungstermins ein Evaluationsfragebogen zugesendet. Dieser sollte den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Einschätzung und Bewertung anhand einiger leitender Fragen formulieren zu können. Evaluationsergebnisse aus dem Fragebogen zum Filmprojekt Die Ergebnisse beziehen sich auf ein Treffen vom 20. Juni 2012, zu dem das Team von gerecht in NRW die Teilnehmer/innen eingeladen hatte, um das Filmprojekt noch einmal Revue passieren zu lassen und auszuwerten. Die Teilnehmer/innen hatten den Evaluationsbogen in ihrer Wohngruppe ausgefüllt und zum vereinbarten Termin mitgebracht. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass die Teilnehmer/innen das Filmprojekt insgesamt sehr positiv und als vollen Erfolg bewerteten. Besonders hervorgehoben wurde die Möglichkeit, selbst Interviews führen zu dürfen, mit der Kamera umzugehen und Filmsequenzen mit der zur Verfügung stehenden Software selbst zu bearbeiten. Über den thematischen Fokus konnten die Teilnehmer/innen überwiegend neue Aspekte zum Themenfeld der Kinderrechte entdecken. Einige Jugendliche erklärten hierzu, dass sie einerseits Neues zu Thema Kinderrechte und Kinderschutz erfahren haben und es zum anderen als spannend empfanden, sich dem Thema über mediale Methodiken zu nähern. Ebenso zeigte sich die Zufriedenheit bei der Freizeitgestaltung, die als abwechselungsreich bewertet wurde, aber dennoch Räume für eigene Aktivitäten ließ. Es wurde gemeinsam ein Film angeschaut, der Wuppertaler Zoo und eine Bowlingbahn besucht. Zudem wurden alle Teilnehmer/innen des Filmprojekts am letzten Abend zum Essen eingeladen. Tagsüber waren die Teilnehmer/innen mit dem Filmprojekt beschäftigt. Nichtsdestotrotz blieb noch ausreichend Zeit, um sich die Stadt anzuschauen oder sich in der Jugendherberge von den Anstrengungen des Tages zu erholen. 133

134 Die Stimmung in der Gruppe wurde insgesamt als sehr positiv wahrgenommen. Die Teilnehmer/innen fühlten sich in der Gruppe wohl und konnten andere Kinder und Jugendliche in ähnlichen Lebenssituationen kennenlernen. Der Spaß stand für sie an erster Stelle. Auch wenn die Beschäftigung mit der Thematik viel von ihnen abverlangte, berichteten die Teilnehmer/innen, dass sie den Aufenthalt in Wuppertal auch als eine aktive Freizeitbeschäftigung wahrgenommen haben. Der gemeinsame Besuch der öffentlichen Vorführung einige Wochen später im Cinemaxx Wuppertal war anschließend für die Teilnehmer/innen der Höhepunkt des Projekts. Einige Mädchen und Jungen kamen alleine zur Vorführung, andere brachten ihre Eltern mit oder kamen mit ihren Mitbewohner/innen und Erzieher/innen aus den Wohngruppen. Nach Fertigstellung der DVDs mit einer Filmlänge von 16:45 Minuten bekamen alle Kinder und Jugendlichen ein erstes Exemplar des Filmes sowie ein Fotoalbum zur Erinnerung an den erfolgreichen Workshop Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Sie hatten sich übrigens gegen den etwas sperrigen Titel entschieden und nannten ihr Werk Kinderrechte im Heim Ein Film von Kindern und Jugendlichen, die in Wohngruppen leben Der Film als Arbeitsmaterial und Veröffentlichung einer DVD - Filmbroschüre Unmittelbar im Anschluss der Fertigstellung der DVD wurde der Film Kinderrechte im Heim Ende Juni erstmals in einem Workshop eingesetzt, der gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Fachkräften in einer großen Jugendhilfeeinrichtung durchgeführt wurde. Anhand des Films wurden die Mädchen und Jungen über Kinderrechte informiert. Weiterhin regte der Film zur weiteren Diskussion an. Die im Film angesprochenen Rechte und Rechtsverletzungen dienten der gemeinsamen Diskussion und Überprüfung der Umsetzung der Kinderrechte in der eigenen Einrichtung. Es ist vorgesehen, den Film in weiteren Workshops einzusetzen. Weiteres Ziel des Angebots war es, die DVD als Bildungsmaterial für interessierte Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht an folgenden Stellen: auf der Homepage des Deutschen Kinderschutzbundes Landesverband NRW e.v. ( auf der Homepage des Projekts gerecht in NRW ( und auf der facebookseite des Projekts 134

135 8. 5 Abschließende Bewertung Wieso ein Film über Kinderrechte? Die Beförderung von Kinderrechten als Teil eines aktiven Kinderschutzes ist ein zentrales Element in der Jugendhilfe. Bereits mit der Ratifizierung der UN- Kinderrechtskonvention (1992) wurden Kinderrechte internationales Recht und die unterzeichnenden Staaten verpflichteten sich, in ihren Ländern die nationalen Rechte der Kinder zu wahren, die Belange und Interessen von Kindern in politischen Entscheidungen vorrangig zu berücksichtigen bzw. die Bedingungen zur Einhaltung und Erlangung einer kindergerechten Welt für die Zukunft zu schaffen. In der gesellschaftlichen Praxis finden Kinderrechte an den unterschiedlichsten Stellen ihre Umsetzung, beispielsweise im Kindergarten, wenn im Stuhlkreis eine gemeinsame Entscheidung getroffen wird, in der Schule in den verschiedensten Mitwirkungsorganen oder bei der Spielplatzplanung als einem partizipativen Prozess im Stadtteil. In der Kinder- und Jugendhilfe haben Kinderrechte und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellenwert im Schutzprozess. Das trifft auch auf die Angebotsformen der Hilfen zur Erziehung, in ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen zu zumindest von den gesetzlichen Bestimmungen her. Doch in der Wirklichkeit gibt es hier eine erkennbare Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt gerecht in NRW weisen deutlich auf diese Diskrepanz hin und machen die Lücke erkennbar: Viele Mädchen und Jungen kennen ihre Rechte kaum, gar nicht oder nur unzureichend. Diese Diagnose gilt auch, so die unmittelbaren Erfahrungen aus den Gesprächen mit Einrichtungsleitungen und Mitarbeiter/innen der Einrichtungen im Rahmen des Modellprojekts, für eine hohe Anzahl pädagogischer Mitarbeiter/innen. Im Rahmen des Modellprojekts wurden bereits zahlreiche Info-Gespräche mit Kindern und Jugendlichen geführt und Fortbildungen für Mitarbeiter/innen aus Einrichtung durchgeführt. Will man den Schutz von Kindern verbessern, ist die Wahrung und Beförderung von Kinderrechten ein wichtiger Aspekt. Die Frage, die die Mitarbeiter/innen im Modellprojekt weiter beschäftigte war, welche anderen, ungewöhnlicheren Ansätze und Methoden möglich sind, um das Thema 135

136 Kinderrechte und Kinderschutz mit Kindern und Jugendlichen partizipativ zu bearbeiten und zu gestalten. Und wie ein Ergebnis produziert werden kann, dass einerseits einer kreativen, kind- und jugendgerechten Mitteilungsform entspricht und andererseits auch als Arbeitsmaterial (langfristig) in den Einrichtungen einsetzbar ist. Hier setzte die Idee an, einen Film mit und von Mädchen und Jungen und letztendlich auch für Kinder und Jugendliche (und auch für Erwachsene) zu produzieren. Bewertung: Die Beschäftigung mit Kinderrechten in ihrem Leben in den Heimen während der Filmdrehtage ermöglichte den beteiligten Kindern und Jugendlichen eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik. Sie lernten, ihre Standpunkte im Austausch mit gleichaltrigen Jungen und Mädchen aus anderen Einrichtungen zu belegen und abzuwägen. In den anschließenden Interviews in den gedrehten Alltagsszenen in ihren Einrichtungen (und im Beisein ihrer Mitbewohner/innen) hatten sie die Möglichkeit, ihre Meinungen vor der Kamera zu vertreten und zu verbalisieren. Darüber hinaus lernten sie auch mit der Kamera umzugehen, interviewten sich gegenseitig und schnitten anschließend unter Anleitung der Medienfachleute ihre Szenen zu einem Film zusammen. Die besondere Zusammensetzung der Gruppe von sieben Mädchen und Jungen aus vier verschiedenen Einrichtungen im Alter von 12 bis 17 Jahren ließ eine ganz eigene Dynamik entstehen. Drei Mädchen (15 bis 17 Jahre), zwei kleinere Jungen (12 Jahre) und zwei unbegleitete Flüchtlinge aus Afghanistan (seit sechs bzw. zwölf Monaten in Deutschland) brachten ihre ganz eigenen Interessen zum Thema zum Ausdruck. Während die Mädchen bereits reflektierter argumentierten, in ihrer Kritik bezüglich fehlender oder missachteter Rechte in ihren Einrichtungen oft auch schon die Gegenrede der Erzieher/innen berücksichtigten, waren die Kritik bzw. die Vorwürfe der beiden Zwölfjährigen meist klar und unmissverständlich formuliert. Sie beklagten sich ganz konkret über zurückbehaltenes Taschengeld, über zuviel Kontrolle und fehlenden Respekt ihnen gegenüber. Die älteren Mädchen hingegen begründeten ihre Kritik (z.b. keine eigene Verantwortlichkeit bei der Einteilung der Hausaufgabenzeit in ihren Zimmern) auch deutlich und erkennbar, schränkten aber oftmals ein, dass die Reaktionen der Erzieher/innen ja meist zu ihrem Besten getroffen werden ). Ein besonderes Verhältnis zur Frage nach der Verwirklichung von Kinderrechten in ihrer Einrichtung äußerten die beiden Jungen aus Afghanistan. Sie thematisier- 136

137 ten Beispiele, die eng an ihre Lebenssituation geknüpft sind, wie beispielsweise der fehlende bzw. sehr teure Zugang zum Internet, um den Kontakt mit ihren Familienangehörigen aufrechterhalten zu können. Die anderen Kinder und Jugendlichen können am Wochenende zu ihren Eltern, wir können das nicht. Deshalb brauchen wir das Internet. Trotz oder wegen dieser Vielfältigkeit in der Zusammensetzung der Gruppe entstand eine fruchtbringende Auseinandersetzung, die so auch ein Stück weit die Bandbreite der Kinder- und Jugendhilfe deutlich werden ließ. Mädchen und Jungen haben entsprechend ihrem individuellen Hintergrund, ihrer persönlichen Erfahrungen, ihres Alters und ihres Geschlechts ganz unterschiedliche Interessen am Thema Kinderrechte und deren Bedeutung für ihr Leben. Gemeinsam war allen, dass sie sich mehr Mitsprache von ihren Erzieher/innen bzw. ihren Einrichtungen wünschen: Sie wollen mehr gehört werden, mehr Respekt erfahren, so einer der beiden zwölfjährigen Jungen. Insgesamt war die Reflexionsfähigkeit bei allen Kindern und Jugendlichen sehr hoch bzw. entwickelte sich während des Workshops. Im Laufe der dreitägigen Veranstaltung waren hier deutliche Veränderungen erkennbar. Denn auch in dieser zufällig zusammengesetzten Gruppe mussten zunächst Prozesse der Abgrenzung und der Vertrauensbildung durchlaufen werden, bis alle Kinder und Jugendlichen erkannten, das sie hier als eigenständige Subjekte mit eigener Meinung wahrgenommen wurden, deren Aussagen ernst genommen und letztlich in einem Film publiziert wurden. Deutlich geworden ist weiter, dass Kinderrechte als Thema in den Einrichtungen der Jugendhilfe ein alltägliches, aber eben auch ein alltäglich kontroverses Thema ist. Kinderrechte können verletzt werden, wenn ein Kind geschlagen oder missbraucht wird. Meist aber geht es im Erziehungsprozess glücklicherweise um Alltägliches: die Frage von Ausgeh- und Zubettgehzeiten, der Eigenverantwortlichkeit, selber Entscheidungen treffen zu dürfen oder nicht. Es geht um Regeln, die in einer großen Gruppe notwendig sind, aber oftmals nicht von den Kindern und Jugendlichen miterstellt werden. Kinderrechte anzuerkennen und umzusetzen heißt für die Einrichtungen bzw. für die Erzieher/innen, dass sie ihre Rolle als alleinige Bestimmer/innen und ihre Entscheidungen immer wieder in Frage stellen müssen. Hier lässt sich die Lebenswirklichkeit mit der in Familien vergleichen: Auch in Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe herrscht ein Verhandlungshaushalt, wenn Mädchen und Jungen ihre Rechte einfordern. Rückblickend lässt sich die Idee, mittels eines selbstgedreh- 137

138 ten Films die Umsetzung der Kinderrechte in Einrichtungen der Erziehungshilfe abzubilden und zu hinterfragen sowie die beteiligten Kinder und Jugendlichen zu motivieren, ihr Leben zu schildern und ihre Rechte im Alltag zu erkennen und auch einzufordern - als Erfolg bewerten. Zahlreiche DVD-Bestellungen machen deutlich, dass der Film als Anschauungs- und Arbeitsmaterial seitens der Kinder- und Jugendhilfe auf großes Interesse stößt. Ein moderner Kinderschutz beteiligt die Kinder und Jugendlichen im Schutzprozess, ohne die eigene Verantwortung an sie abzugeben. 138

139 9. Voraussetzungen und Qualitätsmerkmale interner und externer struktureller Beschwerdeangebote in den Hilfen zur Erziehung Was sind überhaupt Beschwerden?, fragen manche Pädagog/innen, wenn sie mit einem internen Beschwerdemanagement arbeiten oder wenn ein Beschwerdeformular gemäß des (zertifizierten) Qualitätsmanagements aufzunehmen ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff Beschwerde unterschiedlich definiert. Von Strapaze über Behelf gegen eine Entscheidung bis hin zur Reklamation reichen die Umschreibungen. Auch in der alltäglichen praktischen Erziehungsarbeit gibt es Unklarheiten bezüglich des Beschwerdebegriffs. Fachkräfte haben in ihrem Einrichtungsalltag häufig mit Unzufriedenheiten, Maulereien, Gemotze und Konflikten zu tun. Zudem sind manche Kinder und Jugendlichen von ihrer Grundstimmung her unzufrieden und beschweren sich ständig (s. hierzu w. in Kapitel 2.2.2). Wird eine Äußerung als Beschwerde gewertet, so führt diese entsprechend des internen Beschwerdeverfahrens zu weiteren Handlungen und hat Konsequenzen. Diese können etwa Dokumentationen, Stellungnahmen oder gemeinsame Klärungsgespräche sein. Die Aufnahme, und folglich die Bearbeitung einer Beschwerde, bindet Ressourcen und davon haben Pädagog/innen im Alltag in der Regel zu wenig. In der Regel wird der Begriff der Beschwerde mit etwas Negativem oder Unangenehmen assoziiert. Kaum jemand freut sich über eine Beschwerde. Auch die Beförderung der Beschwerderechte von Mädchen und Jungen im Rahmen des Modellprojekts führte anfänglich zu mehr Widerständen als Entgegenkommen. Einerseits nahmen die kooperierenden Einrichtungen freiwillig am Modellprojekt teil, um die internen Beschwerdeangebote in der eigenen Einrichtung mit dem Angebot einer externen Beschwerdestelle zu ergänzen. Andererseits existierten diesbezüglich jedoch anfangs viele Bedenken und Widerstände, die sich während des Projekts verringerten. Um den negativ assoziierten Begriff der Beschwerde etwas aufzuweichen, wurden in diesem Zusammenhang zusätzlich die Begriffe `Ideen, Anregungen, Vorschläge, Fragen, Anliegen, Mitteilungen und Kritik genutzt. Allerdings ist beim Eingang von Beschwerden in der Tat zu prüfen, ob es sich um einen Vorschlag handelt, eine Kritik, um eine Beschwerde wegen subjektiv erlebter Ungerechtigkeit oder gar um eine Rechtsverletzung. 139

140 In den Diskussionen mit den Fachkräften wurden neben den Begriffsunsicherheiten auch Ängste im Umgang mit Beschwerden als Ursache für Widerstände erkennbar. Fehlendes Wissen und eigene Unsicherheiten machten es den Pädagog/innen schwer, Beschwerden souverän annehmen und bearbeiten zu können. Auch wenn die Verantwortlichen im Beschwerdemanagement immer wieder betonen, dass sie der Eingang von Beschwerden freut und ihre Klient/innen oder zu Betreuenden zu Beschwerden ermutigen, so lösen Beschwerden dennoch häufig Angst und Unsicherheit bei den Fachkräften aus. Im Erleben des Einzelnen wirken Beschwerden erst einmal bedrohlich und unangenehm, vielleicht auch ungerechtfertigt. Die Person, gegen die eine Beschwerde vorliegt, muss eine Stellungnahme abgeben, sich rechtfertigen. Die Konsequenzen einer Beschwerde können unangenehm sein. Fehler einzusehen, sich dafür zu entschuldigen und Wiedergutmachung zu leisten, braucht positive Stärke, Rückhalt und ein hohes Maß an Professionalität. Als ein weiterer Aspekt im Kontext der Beschwerde in den Erziehungshilfen ist das häufig vorhandene Kindheitsbild zu nennen, das Bild vom Kind als schutz-, hilfs- und erziehungsbedürftigem Wesen (vgl. Hornstein/Thole 2005). Insbesondere, wenn Kinder zu ihrem Schutz außerhalb der Herkunftsfamilie untergebracht werden und sie Schlimmes erlebt haben, sprechen Fachkräfte im Zusammenhang von Beteiligungsund Beschwerderechten auch schnell von der Überforderung der Kinder und Jugendlichen. Sie werden weniger als Rechtssubjekte und Akteure ihres eigenen Lebens wahrgenommen. Neben dem Schutz - wird mit dem Erziehungsauftrag argumentiert - auch dieser spricht aus Sicht vieler Pädagog/innen, gerade im Bereich der Intensivpädagogik 61, eher gegen die Thematisierung und Gewährung der Kinderrechte im Alltagsgeschehen. Der Erziehungsauftrag wird dahingehend verstanden, dass die Mädchen und Jungen zunächst Regeln und Strukturen sowie ihre Pflichten erlernen müssen, bevor Rechte (auch Beschwerderechte) eingefordert werden können. Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung bedürfen aufgrund ihrer Biografien und Entwicklungsverzögerungen häufig erst der Befähigung zur Beteiligung und Beschwerde. Einerseits müssen sie in der Wahrnehmung ihrer Rechte, in ihren Kommunikationsfähigkeiten und im Selbstvertrauen gestärkt werden, damit sie ihre Rechte einfordern bzw. sich bei Ungerechtigkeiten beschweren können, ggf. auch bei ex- 61 In den Gesprächen mit den Leitungskräften und Gruppenpädagog/innen wurde in diesem Kontext der Fokus meist auf die Intensivpädagogik gerichtet. Jedoch lässt sich die Argumentation auch auf die Regelgruppen übertragen. 140

141 ternen Stellen. Anderseits braucht es im Umgang mit Beschwerden auch souveräne Pädagog/innen, die die Kinder und Jugendlichen diesbezüglich fördern und gleichzeitig Beschwerden selbstbewusst entgegen nehmen, bearbeiten oder an eine andere Stelle weiterleiten. Als letzter Aspekt soll hier der Dienstleistungsgedanke (s. w. Pluto 2007; S. 37ff.; Schnurr 2005, S. 1330ff; Schaarschuch 1999) des SGB VIII aufgegriffen werden. Die Orientierung an den Klient/innen, den Nutzer/innen der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe als wichtigem Element in der Qualitätsentwicklung ist im SGB VIII an verschiedenen Stellen verankert. Festgeschrieben ist u. a. ein Recht auf Beratung, auf Beteiligung und Beschwerde sowie das Wunsch- und Wahlrecht. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz wurden die Verfahren zur Beteiligung und Beschwerde in Einrichtungen, in denen Mädchen und Jungen ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden oder Unterkunft erhalten, gesetzlich verankert. Der Gedanke, dass Klient/innen/ oder Nutzer/innen sich z.b. über Fachkräfte und ihre Entscheidungen beschweren können und die Beschwerde ernst genommen wird, ist noch nicht durchgehend realisiert. Professionswissen hat noch häufig Vorrang vor ernsthafter Beteiligung. Dies zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts. Darauf weisen verschiedene Untersuchungen und auch die Fallstatistik (2009) des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. hin. 62 Die bisherige Darstellung macht deutlich, dass Beschwerden im Kontext der Hilfen zur Erziehung nicht mit einer einfachen Beschreibung oder Definition auskommen, sondern verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Dabei steht fest, dass auch eine gesetzliche Verankerung von Beteiligung und Beschwerde nicht automatisch zu ihrer Realisierung führt. Das Recht auf Beschwerde in den Hilfen zur Erziehung ist weiterhin ein komplexes Thema, das zukünftig der intensiven Beförderung bedarf. Neben der Sensibilisierung für die Rechte des Kindes ist der Abbau von Ängsten und Unsicherheiten beim Thema Beschwerden bei den Mitarbeiter/innen und Leitungskräften sowie eine Stärkung von Rahmenbedingungen erforderlich (angemessene 62 Zur Partizipation, Adressatenorientierung und Dominanz des Jugendamtes im Hilfeplangespräch siehe Pluto (2007), S. 141ff. Die Untersuchungen des Deutschen Jugendinstituts (2003 und 2005) machen deutlich, dass bei der Auswahl der Hilfe scheinbar die Kosten einen erheblichen Einfluss haben. Neuere Daten liegen noch nicht vor, die Daten der Einrichtungsbefragung von 2009 werden derzeit ausgewertet. 141

142 Fehlerkultur). Ebenso ist eine weitere Förderung einer Kultur der Offenheit, Wertschätzung und Beschwerde erforderlich, damit die Akzeptanz von und der Umgang mit Beschwerden im täglichen Umgang mit den Klient/innen/ und Nutzer/innen zum Normalfall werden kann. 9.1 Grundlagen und Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden Teilweise entwickelten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bereits vor Jahren interne Beschwerdemöglichkeiten. Andere begannen mit ihrer Entwicklung aber erst mit der Vorlage eines Entwurfes bzw. mit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes. An dieser Stelle können die seit einigen Jahren erprobten und veröffentlichten Konzepte und Materialien des Diakonieverbundes Schweicheln e.v. und Hochdorf sowie die der Evangelischen Jugendhilfe im Kreis Ludwigsburg e.v. genannt werden. In den Broschüren werden der Prozess der Entwicklung und die erstellten Materialien präsentiert (s. hierzu a. Exkurs in Kapitel 3). Wissenschaftlich fundierte Aussagen über das Funktionieren solcher Konzepte existieren aktuell noch nicht 63. In der Phase der Situationsanalyse mit den kooperierenden Einrichtungen von ge- RECHT in NRW wurde u.a. nach den existierenden Beschwerdemöglichkeiten in den Einrichtungen und außerhalb gefragt. Die Einrichtungen befanden sich diesbezüglich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und verfügten über eine Vielzahl verschiedener Beschwerdemöglichkeiten. Dazu gehören: persönliche Beschwerde bei den Bezugspädagog/innen, bei den Vertrauenserzieher/innen, bei den Verantwortlichen der Beschwerdebearbeitung (z.b. Beschwerdeteam), bei Leitungskräften, schriftliche Beschwerde per vorgegebenes Formular, für Beschwerden den Kummer- bzw. Wunschkasten nutzen, Beschwerden in den regelmäßig stattfindenden Gruppensitzungen, Hausrunden, Reflexionsrunden der Gruppe, gruppenübergreifenden Gremien wie Heimparlament oder Gruppensprechertreffen einbringen. Beschwerden können auch in gemeinsamen Sitzungen der Jugendparlamente mit dem Beschwerdeteam besprochen werden, weitere Beschwerdemöglichkeiten gibt es in Familienkonferenzen, im Hilfeplangespräch und auch durch die Teilnahme an einer Teamsit- 63 Derzeit führt Ulrike Urban-Stahl (FU Berlin) eine Studie zu Bedingungen der Implementierung von Beschwerdestellen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe durch. 142

143 zung. Als Beschwerdemöglichkeiten extern wurden die Jugendämter und das Landesjugendamt sowie eine externe Beratungsstelle angegeben. Auffallend war eine häufig formulierte Unzufriedenheit durch die Leitungskräfte über die zu geringe Nutzung der internen Beschwerdemöglichkeiten. Zunächst soll jedoch geklärt werden, was mit dem Begriff des Beschwerdemanagements gemeint ist. Auch wenn der Begriff des Beschwerdemanagements in der Kinder- und Jugendhilfe gebräuchlich ist, so orientiert sich die Definition am Wirtschaftsbegriff 64. Der Deutsche Verein (2012) beschreibt in seiner Empfehlung zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen Beschwerdemanagement als den systematischen Prozess der Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die in den Einrichtungen im Zusammenhang mit Beschwerden ergriffen werden (Deutscher Verein 2012). Das Beschwerdemanagement beinhaltet all das, was eine Einrichtung im Zusammenhang mit Beschwerden unternehmen möchte und unternimmt. Das Beschwerdemanagement ist zudem in das Gesamtkonzept der Einrichtung eingebunden. Die verschiedenen Beschwerdemöglichkeiten, verfahren und - materialien sowie die Zielbestimmung, Beschwerdestimulation, Controlling u.a. einer Einrichtung sind Bestandteile des internen Beschwerdemanagements. Mit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes bekundeten Einrichtungen - auch Einrichtungen, die nicht in den Modellregionen waren - verstärktes Interesse und Beratungsbedarf bezüglich der Implementierung interner Beschwerdeangebote und insbesondere gut funktionierender Maßnahmen zur Planung, Durchführung und Kontrolle. Gleichzeitig wurden - wie zuvor berichtet - Unzufriedenheiten über die zu geringe Nutzung der bereits bestehenden internen Beschwerdemöglichkeiten geäußert. Obwohl in manchen Einrichtungen umfassende Konzepte für interne Beschwerdeangebote (teilweise im Rahmen eines Qualitätsentwicklungsmanagements mit Zertifizierung) vorliegen, scheinen auch diese Konzepte das Recht auf Beschwerde nicht wirklich zu befördern. Warum funktionieren die bereit gestellten Beschwerdemöglichkeiten nicht so wie gewünscht? Was hindert die Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern, diese Möglichkeiten zu nutzen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen? Was sind die Stolpersteine eines internen Beschwerdemanagements? Diese Hintergründe führten zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Frage, wie interne Maß- 64 Siehe 143

144 nahmen zur Etablierung und Förderung einer Beschwerdekultur gelingen können und was deren Qualitätsmerkmale sind. Auf der Basis der geführten Gespräche mit den Einrichtungen und der Literaturrecherche wurden Qualitätsmerkmale eines internen Beschwerdemanagements benannt und zu einem späteren Zeitpunkt mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen verglichen. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu Qualitätsmerkmalen interner Maßnahmen im Umgang mit Beschwerden und deren Planung, Durchführung und Kontrolle in Einrichtungen der Erziehungshilfe vorliegen. Die folgenden Kriterien sind vorrangig aus den Erfahrungen und Auswertungen des Modellprojekts sowie den Ergebnissen veröffentlichter Studien zur Partizipation in Erziehungshilfeeinrichtungen abgeleitet worden Qualitätsmerkmale interner struktureller Beschwerdesysteme Interne Beschwerdesysteme können in der Praxis sehr unterschiedlich gestaltet sein. Sie sind von den Angeboten, der Struktur und weiteren Kriterien abhängig. Jede Einrichtung muss hier ihren eigenen Weg gehen. Dabei können sich Einrichtungen an anderen orientieren und sich Anregungen und Erfahrungen einholen, aber eine Übertragung von Materialien und Verfahren anderer ist wenig erfolgreich, denn in der Entwicklung und Implementierung eines internen Beschwerdesystems ist auch der gemeinsame Weg ein Ziel. Das interne Beschwerdesystem ist eingebunden in ein Gesamtkonzept 65 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.v. veröffentlichte im Mai 2012 Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen. Ulrike Urban-Stahl präsentiert in ihrer Expertise Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland einen Exkurs bezüglich einrichtungsinterner Ombuds- und Beschwerdestellen (2011). Aktuell führt sie ein Forschungsprojekt zu Bedingungen der Implementierung von Beschwerdestellen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe durch, das Forschungsprojekt endet im November Zu nennen ist auch die Handreichung des Landesjugendhilfeausschusses Bayern: Handreichung für den Aufbau und die Verankerung institutioneller Partizipationsmöglichkeiten und formen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (Beschluss des Landesjugendhilfeausschuss vom ). 144

145 Das interne Beschwerdemanagement sollte Teil des Gesamtkonzepts einer Einrichtung sein. Es ist im Kontext der Kinderrechte sowohl in der Konzeptualisierung als auch in der praktischen Umsetzung zu sehen. Die wichtigen zu berücksichtigenden Aspekte eines Gesamtkonzepts sind zusammengefasst: Kultur, Strukturen, Methoden und professionelles Handeln. Institutionalisierung/Formalisierung des internen Beschwerdemanagements Die Institutionalisierung und Formalisierung von Beschwerdemöglichkeiten in persönlichen Angelegenheiten begründet sich einerseits in den 8b, 45 und 79a SGB VIII und andererseits in der Verbindlichkeit und Transparenz durch konkrete Leistungsangebote sowie qualitätssichernde Maßnahmen in einer Einrichtung für alle Beteiligten. Die Beschreibung der Beschwerdemöglichkeiten und der Verfahren sollten möglichst genau sein, um Willkür und individuelle Interpretationen zu reduzieren. Kontinuierliche Förderung durch Leitung und weitere Verantwortliche Die Leitung und weitere verantwortliche Personen müssen das interne Beschwerdemanagement kontinuierlich sichern. Nur so können Beschwerdeverfahren eingeführt und langfristig aufrecht erhalten werden. Neben der Klärung, wer die fördernden Personen sein sollen, sind auch entsprechende Strukturen (z.b. regelmäßiger Austausch und Reflexion, Workshops der Verantwortlichen) notwendig. Der Deutsche Verein (2012) schreibt in seinen Empfehlungen zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen bezüglich des Aufbaus eines beteiligungsorientierten Einrichtungsklimas: Dies ist eine Management- und Führungsaufgabe, die von Anfang an einer klaren Willenserklärung und aktiven Übernahme der Prozessverantwortlichkeit der Leitungskräfte bedarf (Deutscher Verein 2012, S. 8). Diese Aussage kann auch für die Implementierung eines Beschwerdemanagements übernommen werden. Regelmäßige Belebung des Themas Bestandteil des internen Beschwerdemanagements sind zusätzliche regelmäßige Belebungen des Themas. Dies kann beispielsweise durch Fortbildungen, Workshops oder Projekte praktiziert werden So sucht sich die Evangelische Jugendhilfe Godesheim jedes Jahr ein Kinderrecht aus, das für ein Jahr das Jahresmotto darstellt und zu dem Projekte durchgeführt werden ( 145

146 Kultur der Offenheit und Wertschätzung, Beschwerdekultur Die Entwicklung einer entsprechenden Kultur ist ein längerer Prozess, der einige Jahre dauern kann und im Kontext der Entwicklung und Umsetzung des Gesamtkonzepts eingebunden ist. Dazu gehören auch Offenheit und gegenseitige Wertschätzung, damit Beschwerden selbstverständlich, angstfrei und souverän angenommen und bearbeitet werden können. Eine Beschwerdekultur zeichnet sich u.a. durch offene und möglichst viele Beschwerdewege aus 67, daher sollte es keine Einschränkungen bei Beschwerden geben. Jede/r Mitarbeiter/in ist bei einer Beschwerde Ansprechperson, jede Beschwerde wird angenommen und dann ggf. an die zuständige Person des Verfahrens weitergegeben. Vorbildverhalten möglichst vieler Beteiligter leistet einen Beitrag zur Entwicklung einer Kultur. Gemeinsame Prozesse sind grundlegend Aus den bisherigen Erfahrungen verschiedener Jugendhilfeeinrichtungen mit der Implementierung von Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten kann abgeleitet werden, dass gemeinsame systematisch aufgebaute Prozesse notwendig sind, wenn eine nachhaltige Implementierung eines Beschwerdemanagements und die Entwicklung einer Beschwerdekultur die Ziele sind 68. Die Aufforderung, das Recht auf Beschwerde zu befördern und bestimmte Verfahren anzuwenden, reicht für die Verinnerlichung und Entwicklung einer angemessenen Haltung nicht aus. Zur kontinuierlichen Beförderung sind gemeinsame Prozesse z.b. durch Projekte in regelmäßigen Abständen notwendig. 67 Vgl. Entwickeln Sie eine Beschwerdekultur!; 68 Siehe dazu auch die Erfahrungsberichte und Materialien zu Kinderrechten, Partizipation, Beschwerde des Diakonieverbunds Schweicheln e.v. 146

147 Ein internes Beschwerdemanagement braucht Ressourcen, einen festen Platz und Ansprechpersonen Ein internes Beschwerdemanagement braucht Ressourcen (Geld, Zeit, Personal), um Materialien, Projekte und Fortbildungen finanzieren zu können. Mitarbeiter/innen brauchen Zeitressourcen, bspw. für die Bekanntmachung der internen Beschwerdemöglichkeiten und für die Bearbeitung von Beschwerden. Ein gutes Beschwerdemanagement zeichnet sich durch einen,ort aus, an dem entsprechende Informationen zusammenlaufen. Die Beteiligten müssen informiert sein Die Zielgruppen und alle Mitarbeiter/innen müssen ausreichend Informationen über die Beschwerdemöglichkeiten, Verfahren und Ansprechpersonen erhalten. Zu klärende Fragen sind: Welche Informationsmaterialien sind erforderlich? Wann und wie werden die Kinder, Jugendlichen und Eltern über ihre Beschwerdemöglichkeiten informiert? Kennen die Mitarbeiter/innen das interne Beschwerdemanagement mit all seinen Facetten? Empowerment der Kinder und Jugendlichen Kinder und Jugendliche in Erziehungshilfeeinrichtungen müssen häufig erst befähigt werden, ihre Rechte einzufordern. Dazu gehört auch, dass sie über ihre Rechte informiert werden und erfahren, was es heißt, Rechte im Gruppenalltag, in der Einrichtung und im Zusammenhang mit der Erziehungshilfe beim Jugendamt zu haben. Rechte zu haben und Rechte einzufordern kann im pädagogischen Alltag und in besonderen Situationen wie im Hilfeplangespräch und in der Gruppensitzung eingeübt und gelernt werden. Auch Projekte können einen Beitrag zur Befähigung der Mädchen und Jungen leisten. Empowerment der Mitarbeiter/innen Auch die Mitarbeiter/innen brauchen Förderung bezüglich der Realisierung der Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden. Dabei kann es sich um Wissensaneignung, Aneignung von Haltung und/oder von Methoden/Verfahren handeln. Wesentliche Aspekte im Zusammenhang mit Beschwerden sind die Bearbeitung von Widerständen, Bedenken und Ängsten von Fachkräften sowie die Förderung von selbstbewussten und kritikfähigen Mitarbeiter/innen (siehe auch Punkt 9.1). 147

148 Kooperationsbemühungen Im Sinne eines guten internen Beschwerdemanagements sind Kooperationsbemühungen und Werbung durch die Ansprechpersonen für Beschwerden unterstützend. Die Ansprechpersonen für Beschwerden können bspw. Mitglieder eines Beschwerdeteams, Vertrauenserzieher/innen oder interne Ombudspersonen sein. Sie sollten für die Kinder und Jugendlichen präsent, bekannt und ansprechbar sein. In der Praxis kann dies so gestaltet werden, dass sich die Ansprechpersonen in den jeweiligen Gruppen vorstellen. Gleichzeitig ist es wichtig, sich ebenso um die Kooperation mit den Mitarbeiter/innen der Einrichtung zu bemühen. Qualität der Methoden und Materialien Zu den Materialien können bspw. Informationsmaterialien, Beschwerdeformular, Beschwerdeablauf, Zufriedenheitsbogen gehören. An die Methoden/Materialien werden folgende Qualitätsanforderungen gestellt: Sie sollen entwicklungsstandgemäß (z.b. Infomaterial), attraktiv und ansprechend (z.b. Infomaterial, Plakat, Formular) sowie verständlich sein; alle müssen genügend Informationen erhalten. Informationen, Materialien, Verfahren müssen für alle zugänglich sein; alle müssen die Möglichkeit haben, diese zu nutzen. Sie sollen eine zeitnahe Bearbeitung der Beschwerden ermöglichen (Kinder erwarten sofortiges Handeln, vielleicht Notsituation). Vier-Augen-Prinzip bei der Beratung des Anliegens durch die zuständigen Personen (Beschwerdeteam, Ombudspersonen) Transparenz und Wirksamkeit Transparenter Umgang mit der Bearbeitung von Beschwerden unterstützt die Beförderung des Beschwerdemanagements in der Einrichtung. Mangelnde Transparenz führt dagegen eher zu Spekulationen und Verunsicherung bei den Beteiligten. Auch das Erleben von Wirksamkeit ist insbesondere für die Beschwerdeführer/innen und die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen von Bedeutung. Wenn Beschwerden ernst genommen, zeitnah bearbeitet werden und eine Konsequenz/ein Ergebnis haben, kann dies eine Ermutigung für andere Personen zur Folge haben, sich bei erlebten Ungerechtigkeiten zu beschweren. Folgenlose Beschwerden motivieren nicht zur Nutzung der Beschwerdemöglichkeiten. 148

149 Reflexion, Auswertung, Veröffentlichung Beschwerden, Beschwerdebearbeitung und Ergebnisse sollten regelmäßig reflektiert, ausgewertet und transparent (z.b. in einem Bericht) gemacht werden. Zudem ist im Zusammenhang mit der Auswertung auch das Verfahren selbst zu überprüfen: Ist es so noch geeignet? Gibt es Verbesserungsvorschläge oder Kritik? Wird es ausreichend genutzt? Muss es mehr beworben werden? In der Konzeptualisierung der Beschwerdeangebote ist festzulegen, wer für die Auswertung und Reflexion verantwortlich ist und an dieser teilnimmt. Auch, wer über das Ergebnis der Auswertung informiert wird. Eine Zielgruppenbefragung kann ein ergänzendes Instrument zur Überprüfung sein. Kontrolle als Bestandteil einer kontinuierlichen Förderung Auch Kontrolle als Bestandteil einer kontinuierlichen Förderung ist zu klären. Wer überprüft die Umsetzung von Beschwerdemöglichkeiten? Kontrolle ist notwendig, damit ein frühzeitiges Reagieren bei Mängeln möglich ist. In manchen Einrichtungen wird diese Aufgabe vom/von der/dem Beauftragten für Qualitätsmanagement übernommen. Auch hier kann eine regelmäßige Zielgruppenbefragung ein ergänzendes Instrument sein. Ergänzung durch eine externe unabhängige Beschwerdestelle Interne Beschwerdemöglichkeiten durch eine externe unabhängige Stelle zu ergänzen, stellt einen weiteren Beitrag zur Sicherstellung der Kinderrechte dar. Einrichtungen sollten prüfen, ob ihr internes Beschwerdemanagement ausreichend ist, ob sie eine zusätzliche externe Möglichkeit anbieten möchten oder ob eine externe Beschwerdestelle aufgrund ihres Angebotes und ihrer Struktur 69 erforderlich ist. 9.3 Voraussetzungen und Qualitätsmerkmale externer Maßnahmen im Umgang mit Beschwerden Die Ausführungen zu den externen Beschwerdemöglichkeiten beziehen sich in erster Linie auf die Erfahrungen des Modellprojekts gerecht in NRW, da bisher keine Erfahrungen weiterer externer unabhängiger Beschwerdestellen in Erziehungshilfeein- 69 Dies kann bei kleinen Einrichtungen, in familienanalogen Gruppen ohne Anbindung an eine größere Einrichtung, notwendig sein. 149

150 richtungen bekannt sind. Ombudsstellen und Initiativen in der Jugendhilfe sind schwerpunktmäßig im Bereich der Hilfegewährung aktiv, daher können deren Erfahrungen an dieser Stelle nur bedingt nützlich sein. Gemeinsam ist jedoch allen Ombuds- und Beschwerdestellen in der Jugendhilfe die fehlende rechtliche Verankerung und damit auch die fehlende Sicherstellung der Finanzierung. Eine gesetzliche Verankerung gilt als Voraussetzung für eine langfristige Sicherstellung der ombudsschaftlichen Arbeit in der Jugendhilfe 70. Das Bundeskinderschutzgesetz hat zwar die Verfahren für Beteiligung und Beschwerden in persönlichen Angelegenheiten in den 8b, 45, 79a SGB VIII verankert, die Ausgestaltung dieser Rechte sind dem Land und der kommunalen Jugendhilfe überlassen. Die explizite Aufnahme von externen Ombuds- und Beschwerdestellen im Gesetz blieb aus. Die Träger von Einrichtungen können entscheiden, die Verfahren für Beschwerden in persönlichen Angelegenheiten selbst zu entwickeln oder auch externe Beschwerdemöglichkeiten anzubieten sowie interne mit externen Möglichkeiten zu ergänzen, wie dies während der Modelllaufzeit realisiert wurde. Die sichere Finanzierung einer externen Beschwerde-/Ombudsstelle ist Grundlage für ihre langfristige Arbeit. Ein Teil der Initiativen des Netzwerks Ombudschaft Jugendhilfe begann ihre Tätigkeit ehrenamtlich. Wenige praktizieren ausschließlich ehrenamtlich, andere wurden bzw. werden über eine Projektförderung finanziert oder von Verbänden. Über eine dauerhafte Finanzierung verfügt derzeit keine aktive Beschwerde- und Ombudsstelle. Manche Initiativen mussten in Folge fehlender Finanzierung ihre Arbeit bereits einstellen (vgl. Urban-Stahl 2011). Auch die an die ombudschaftliche Arbeit gestellten fachlichen Anforderungen machen eine Finanzierung erforderlich. Die Beendigung einer Förderung oder eine reduzierte Finanzierung hat eine eingeschränkte Arbeit der Initiativen zur Konsequenz. Daraus folgt, dass nicht alle Anfragen angenommen werden können, so die Berichte einiger Ombudsstellen. Auch die Mittelakquise bindet Personal, das in der eigentlichen Arbeit fehlt. Es ist von der Höhe der Finanzierung abhängig, wie viele Anfragen bearbeitet werden können und ob über die Fallberatung hinaus (Urban-Stahl 2011, S. 31) weitere Aktivitäten wie z.b. Fortbildungsangebote oder Öffentlichkeitsarbeit realisiert werden können. Urban- 70 Siehe auch das Positionspapier und die Schreiben an die Fraktionen des Netzwerks Ombudschaft Jugendhilfe gemeinsam mit dem Berliner Rechtshilfefond Jugendhilfe e.v. ( sowie das Rechtsgutachten von Wiesner. 150

151 Stahl weist daraufhin, dass eine gesicherte Finanzierung neben einer zuverlässigen Anzahl von verbindlich Beteiligten (Personalressourcen) und ein unterstützendes fachliches Netzwerk wichtige Faktoren für die Stabilität einer Ombuds- und Beschwerdestelle darstellen (2011, S. 30). Aufgrund dessen lassen sich folgende acht Empfehlungen formulieren: Merkmal der Unabhängigkeit Externe Beschwerde- und Ombudsstellen haben den Anspruch, unabhängig zu sein. Dabei richtet sich ihr Fokus auf die Rechte des Kindes. Unabhängigkeit meint hier, sowohl Träger der externen Stelle als auch die Mitarbeiter/innen sind unabhängig von den Interessen freier und öffentlicher Träger der Einrichtungen der Erziehungshilfe. Alle Ombuds- und Beschwerdestellen in der Jugendhilfe haben den Anspruch, unabhängig zu sein; der Aspekt der Unabhängigkeit ist jedoch auch im Kontext der Finanzierung zu sehen. Wer finanziert die externe Stelle und welche Finanzierung erhält die Unabhängigkeit? Unabhängigkeit kann aber auch im Kontext der strukturellen Verortung betrachtet werden. Ist die externe Stelle bspw. ein selbständiger Verein, bei einem freien Träger oder bei einem oder mehreren Wohlfahrtsverbänden angesiedelt? (vgl. Urban-Stahl 2011). Die Frage der Unabhängigkeit wird ein Aspekt bleiben, der immer wieder diskutiert und überprüft werden muss, da die Unabhängigkeit einer externen Beschwerdestelle von mehreren Faktoren berührt wird Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationsbemühungen Damit eine externe Beschwerdestelle bekannt und akzeptiert wird und sich etablieren kann, muss sie beworben und entsprechende Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. Eine Homepage ist in der heutigen medialen Zeit ein angemessenes Instrument, denn Informationen werden häufig im Internet gesucht. Dies bestätigen die Anfragen und Beschwerden sowie die positiven Äußerungen, die das Modellprojekt von Institutionen außerhalb der Modellregionen erreichten. Zusätzlich sollte sich eine externe Stelle um Kooperationen bemühen, auch innerhalb von Einrichtungen, damit die Akzeptanz steigt und die Zielgruppen erreicht werden können. 151

152 9.3.3 Konstante Ansprechpersonen vor Ort Eine Ombuds-/Beschwerdestelle braucht Gesichter. Entsprechende Erfahrungen anderer Initiativen des Netzwerkes Ombudschaft Jugendhilfe bestätigen diese Aussage. Konstante Ansprechpersonen wurden auch aus Sicht der Einrichtungen als erforderlich erachtet. Bereits zu Beginn des Projekts fand im Projektteam eine personelle Zuordnung zu den Modellregionen statt. Während der Projektdurchführung zeigte sich, dass insbesondere für die Einrichtungsleitungen bzw. vertreter/innen in den Projektgruppen und bei weiteren Kontakten in den Einrichtungen der Vertrauensaufbau zu festen Ansprechpersonen von großer Bedeutung war. Die Vermutung, Kinder und Jugendliche als Beschwerdeführer/innen müssen die Ansprechpersonen persönlich kennen, kann bei Jugendlichen nicht grundsätzlich bestätigt werden. Das Angebot als solches muss bekannt sein. Im Kontext einer Beschwerdebearbeitung ist eine konstante Ansprechperson auf jeden Fall zu empfehlen Zielgruppenspezifische Kontaktmöglichkeiten Wichtig für die Entwicklung einer externen Beschwerdestelle sind die Fragen Wie kann die Beschwerdestelle insbesondere die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen über das Angebot und die Arbeit informieren und wie können die Kinder und Jugendlichen die Beschwerdestelle erreichen? Hier besteht die Anforderung darin, zielgruppenspezifische und auch verschiedene Informations- und Kontaktmöglichkeiten zu schaffen (siehe 5.3) Verfahren zur Bearbeitung von Beschwerden Eine externe Beschwerdestelle in Erziehungshilfeeinrichtungen braucht Verfahren zur Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden sowie ein Kinderschutzverfahren. Die Verfahren sind ein Beitrag zur Qualitätssicherung der Arbeit. Sie bieten den Fachkräften einen Leitfaden und Handlungssicherheit in der Beschwerdebearbeitung. Zudem fordern sie die Einhaltung entwickelter Schritte und Standards ein. Aufgrund der Transparenz der Arbeit sind die Verfahren und Arbeitsweisen bekannt, so dass auch die Beschwerdeführer/innen und involvierten Einrichtungen wissen bzw. erfahren, wie eine Beschwerdebearbeitung verlaufen kann. Gibt es zwischen der externen Beschwerdestelle und einer Einrichtung eine Einigung über eine Zusammenarbeit (ähnlich wie im Modellprojekt), so empfiehlt es sich, eine diesbezügliche Vereinbarung schriftlich zu fixieren. 152

153 9.3.6 Transparenz der Arbeit Ein hohes Maß an Transparenz unterstützt die Arbeit einer externen Beschwerdestelle und hilft, Ängste und Widerstände bei Fachkräften zu reduzieren. Ein transparentes Vorgehen ermöglicht Interessierten und Beteiligten, sich im Vorfeld zu informieren, z.b. über eine Homepage, Flyer und auch im persönlichen Gespräch Reflexion und Offenheit eine lernende Organisation sein Eine externe Beschwerdestelle muss ihre Arbeit regelmäßig reflektieren und überprüfen. Dazu gehören die Reflexion und Auswertung der Anfragen und Beschwerden sowie die Überprüfung der vorhandenen Verfahren. Gegebenenfalls sind diese zu modifizieren. Auch der Austausch mit anderen Beschwerde- und Ombudsstellen bietet neue Informationen und Reflexionsmöglichkeiten. Offenheit und Interesse für (neue) Entwicklungen in der Jugendhilfe und neue Themen sind ebenfalls wichtige Aspekte. Eine externe Beschwerdestelle ist ferner wie andere eine lernende Organisation und muss ihre Arbeit ggf. modifizieren und auf Entwicklungen reagieren (siehe auch Urban-Stahl 2011, S. 29ff) Fortbildung und Supervision Das Arbeitsfeld einer externen Beschwerdestelle ist sehr umfassend und komplex. Es ist durch ständige Veränderungen und Entwicklungen in der Praxis sowie in den Rechtsgrundlagen gekennzeichnet. Diese Anforderungen machen die Aneignung von neuem Wissen und somit auch die Teilnahme an Fortbildungen notwendig. Auch Supervision der Mitarbeiter/innen bietet eine Unterstützung in der Arbeit, die einerseits aufgrund der Themen (z.b. bei Gewalt) und der Schwierigkeit des Arbeitsfeldes emotional belastend sein kann. 153

154 9.4 Standards externer Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden Neben den allgemeinen Grundlagen und Qualitätskriterien einer externen Beschwerdestelle existieren Qualitätskriterien für die konkrete Beschwerdebearbeitung. Parteiliche Vertretung und partizipative Betroffenenbeteiligung Welche Rolle und Position nimmt eine externe Stelle in der Beschwerdebearbeitung ein? Zur Unterstützung der Kinder und Jugendlichen empfehlen wir eine parteiliche Vertretung im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention sowie eine partizipative Betroffenenbeteiligung. Mädchen und Jungen sind in der Regel die Beschwerdeführer/innen, sie werden über ihre Rechte und die Verfahren informiert und mit ihnen gemeinsam werden die Handlungsschritte entschieden. Freiwilligkeit und Transparenz Die Unterstützung durch die externe Beschwerdestelle erfolgt durch die Beauftragung eines Kindes bzw. einer/s Jugendlichen. Ausführliche Informationen und die Zustimmung der/s Betroffenen zu jedem weiteren Verfahrensschritt sind Elemente des Unterstützungsprozesses. Prinzip der konstruktiven Konflikthandhabung Bei der Unterstützung der Ratsuchenden und der Umsetzung der Kinderrechte haben Beratung, Vermittlung, Verhandlung im Sinne von konstruktiver Konflikthandhabung Vorrang vor juristischen Schritten. Kinderschutzauftrag wahrnehmen Für eine externe Beschwerdestelle im Bereich der Hilfen zur Erziehung sollte zur Wahrnehmung des Kinderschutzauftrages ein Verfahren zum Kinderschutz (angelehnt an 8a SGB VIII) entwickelt werden. Bei Verdacht auf eine akute Kindeswohlgefährdung ist für den wirksamen Schutz des Kindes oder Jugendlichen einzutreten. 154

155 Arbeit im Team und in einem Netzwerk Qualitätsmerkmal ist auch die Fallbearbeitung im Team und im Falle einer Kindeswohlgefährdung eine erforderliche Beratung entsprechend des Kinderschutzverfahrens. Die Fallbearbeitung braucht aufgrund ihrer Vielfalt und Komplexität ein Netzwerk von weiteren Fachkräften (z.b. Jurist/innen, Fachkräfte für sexualisierte Gewalt), Beratungsstellen und sonstige Stellen zur Unterstützung in der Bearbeitung von Beschwerden. Urban-Stahl (2011) nennt ein fachliches Netzwerk ein Stabilitätskriterium von Ombuds- und Beschwerdestellen. Dokumentation und Datenschutz Die Beschwerden werden dokumentiert, ausgewertet und anschließend anonymisiert archiviert. Hier sind die gesetzlichen Regeln zum Datenschutz zu berücksichtigen. 9.5 Zusammenwirken interner und externer Maßnahmen in der Erziehungshilfe (interinstitutionelles Beschwerdemanagement) Die Frage, wie interne und externe Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden gelingend zusammen wirken können, war eine der Kernfragen des Modellprojekts gerecht in NRW. Dass diese Frage einige fachliche Herausforderungen beinhaltet, machen die Ausführungen in Kapitel 10 deutlich. Aus den traditionellen Trägerstrukturen resultiert eine der Herausforderungen für das Zusammenwirken von Maßnahmen der Einrichtung/ Institution und der Ideen- und Beschwerdestelle. Hier ist insbesondere das Spannungsfeld der Leistungsgewährung (öffentliche Jugendhilfe), Leistungserbringung (freie Träger) sowie der Aufsicht und Kontrolle zu nennen. Speziell Kontrolle und Aufsicht, die Aufgabe der Jugendämter und Landesjugendämter bzw. behörden ist, werden durch die Arbeit von externen Beschwerde- und Ombudsstellen berührt. Die Frage nach der Schnittstelle von Landesjugendamt und externer Beschwerdestelle (Was kann die Schnittstelle konkret beinhalten? Zu welchen Konsequenzen kann dies führen?) ist noch offen und führte bei Einrichtungsträgern zu weiteren Fragen und teilweise zu Unsicherheiten im Kontext der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter/innen der öffentlichen Jugendhilfe, der beteiligten Einrichtungen und der externen Beschwerdestelle. 155

156 Bedenken, Ängste und Widerstände in der Entwicklung der Zusammenarbeit eines internen Beschwerdemanagements und einer externen Beschwerdestelle sowie im Zusammenhang mit Beschwerden 71 bei Leitungskräften und Mitarbeiter/innen stellten ebenfalls eine Anforderung dar, die es anhand von Gesprächen, in der Entwicklung der Verfahren und Vereinbarungen sowie von Fortbildungsangeboten zu reduzieren galt. Insbesondere im Kontext der Beschwerdebearbeitung traten als zusätzliche fachliche Herausforderungen die Spannungsverhältnisse von Nähe und Distanz sowie Recht und Pädagogik auf, die nur durch regelmäßige Diskussionen und Reflexionen auflösbar erscheinen. Aufgrund der Zusammenarbeit von gerecht in NRW und den kooperierenden Einrichtungen während der Projektlaufzeit (Projektgruppentreffen, Gespräche in den Einrichtungen), der gemeinsamen Vereinbarungen und teilweise auch aufgrund regelmäßiger (Bildungs-)Angebote in verschiedenen Gruppen/Einrichtungen, entwickelte sich ein gewisses Maß an Nähe. Die teilweise enge Zusammenarbeit führte dazu, dass die Mitarbeiter/innen der externen Beschwerdestelle sich im Kontext der Beschwerdebearbeitung im Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz bewegen. Das liegt darin begründet, dass sie Ziele verfolgen, wie die parteiliche Unterstützung der/des Beschwerdeführers/in und die Wahrung des Unabhängigkeitsanspruchs der externen Beschwerdestelle. Dieses Spannungsverhältnis von Recht und Pädagogik resultiert daraus, dass das Handeln im Rahmen einer Beschwerdebearbeitung einerseits die Interessen und subjektiven Rechte des Mädchens oder Jungens und andererseits Fragen des erzieherischen Handelns der pädagogischen Fachkräfte berührt. Das Spannungsverhältnis von Recht und Pädagogik war zudem durchgehendes Thema in den Workshops mit den Fachkräften, die sich in diesem Zusammenhang mehr Handlungssicherheiten wünschten. 72 Ferner wurde die Frage diskutiert: Ist es für eine externe, unabhängige Beschwerdestelle möglich, im Zusammenhang mit der Bearbeitung einer Beschwerde nicht in das pädagogische Handeln einer Wohngruppe oder Einrichtung einzugreifen? Die Frage nach der Einflussnahme einer externen Stelle in die pädagogische Arbeit einer Gruppe/Einrichtung im Rahmen einer Beschwerdebearbeitung kann Unsicherheiten 71 Siehe dazu Punkt Hier wurden verschiedene Situationen aus der Praxis analysiert und diskutiert, bspw. die Rechte auf Privatsphäre und Eigentum einerseits und Kontrolle andererseits (wenn die Kontrolle eines Zimmers oder von Handys als notwendig erscheint) oder die Rechte auf Freizeit und Beteiligung einerseits und stark reglementierte Freizeit und Ausgangszeiten andererseits. 156

157 auslösen und das Zusammenwirken interner und externer Beschwerdeangebote erschweren, da die Beteiligung einer weiteren Partei in einen Konfliktfall auch unvorhersehbare (vielleicht unerwünschte) Dynamiken auslösen kann. Auch wenn die Gestaltung der Zusammenarbeit von internen und externen Beschwerdemanagements Hürden aufweist, sollte die Zusammenarbeit im Sinne der Rechte des Kindes befördert werden. In der Kinder- und Jugendhilfe, in denen Mädchen und Jungen tagsüber betreut werden oder Unterkunft erhalten, sind Kindern und Jugendlichen Verfahren der Beteiligung und Beschwerde zur Verfügung stellen. Trotz der fehlenden expliziten gesetzlichen Verankerung von externen Beschwerde-/ Ombudsstellen bedeuten die Neuregelungen im SGB VIII durch das am 1. Januar 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz einen erheblichen Antrieb in der Beförderung der Beteiligungs- und Beschwerderechte für die pädagogische Praxis und auch für die Zusammenarbeit internen und externen Beschwerdemanagements, da Einrichtungen eine Zusammenarbeit wünschen oder auch im Kontext ihrer Konzepte auf diese angewiesen sind. Ausgehend von den gesetzlichen Vorgaben der 8b (2), 45 (2) und 49a SGB VIII und der daraus resultierenden fortschreitenden Implementierung von Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten in den Einrichtungen und im Erziehungshilfebereich insgesamt, ist zu erwarten, dass zukünftig immer mehr Kinder und Jugendliche sowie deren Personensorgeberechtigte sich nach ihren Rechten erkundigen und diese einfordern - auch bei externen Stellen. Diese Prognose kann zugleich von den Fallzahlen sowie der angestiegenen Zahl der bundesweiten Beschwerde- und Ombudsstellen in den letzten Jahren abgeleitet werden. 157

158 9.5.1 Regelung des Zusammenwirkens von internen und externen Maßnahmen im Umgang mit Ideen und Beschwerden in einer Kooperationsvereinbarung Wird eine Beschwerde aus einer Erziehungshilfeeinrichtung an eine externe Beschwerdestelle herangetragen, wird in der Regel eine Zusammenarbeit mit der Einrichtung und dem vorhandenen internen Beschwerdemanagement erforderlich sein. In diesem Kontext bestehen folgende Ausgangsmöglichkeiten: Die Einrichtung und die externe Beschwerdestelle verfügen über eine Kooperationsvereinbarung, wie dies im Modellprojekt in den Modellregionen praktiziert wurde oder es existiert keine Kooperationsvereinbarung. Die Einrichtung ist bereits vor der Beschwerde über die externe Stelle und ihre Tätigkeit informiert, Informationen über die Möglichkeit einer externen Stelle liegen nicht vor. Dass ein Ergebnis im Prozess der Zusammenarbeit der zentralen Steuerungsstelle und der Projektgruppen die Entwicklung einer Vereinbarung zwischen den kooperierenden Einrichtungen und gerecht in NRW war, die das Zusammenwirken konkretisiert, wird in Punkt 4 erläutert. Für die Zeit nach dem Modellprojekt, in neuen Kontexten, sind die Fragen erneut zu beantworten, ob und zu welchem Zeitpunkt der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen einer Einrichtung/einem Träger und einer externen Beschwerdestelle notwendig und für wen eine externe Beschwerdestelle sinnvoll ist - auch vor dem Hintergrund der 8b (2) und 45 (2) SGBVIII. Die bisherigen Erfahrungen und Fallzahlen der Beschwerde- und Ombudsstellen - insbesondere auch von gerecht in NRW - machen deutlich, dass selbstverständlich die Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen sowie ihre Eltern zur Beratung, Klärung von Situationen und zur Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Rechte eine zusätzliche Möglichkeit wie eine externe unabhängige Stelle zu den bereits bestehenden Beschwerdemöglichkeiten brauchen. Zudem sind kleine Einrichtungen wie selbstständige Eingrupper, sozialpädagogische Lebensgemeinschaften, Erziehungsstellen, individual-pädagogische Maßnahmen und auch Pflegefamilien auf externe Stellen angewiesen. Solche kleinen Systeme können keine angemessenen internen Beschwerdesysteme entwickeln, sie 158

159 müssen sich nach außen orientieren 73. Auch Träger/Einrichtungen haben teilweise den Wunsch, ihre internen Beschwerdemöglichkeiten mit einem externen Angebot zu ergänzen als qualitätssichernde Maßnahme. Besteht das Anliegen eines Trägers/einer Einrichtung, mit einer externen Beschwerdestelle zusammenzuarbeiten, so empfiehlt sich zur Konkretisierung dieser Zusammenarbeit eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: 1. Phase der Vorbereitung In der Vorbereitungsphase sind die Ziele und Vorstellungen beider Parteien auszuloten sowie ausreichende Informationen über ein internes und externes Beschwerdemanagement zu vermitteln. Es ist zu klären, ob und welche Konzepte eines Beschwerdemanagements eine gelingende Zusammenarbeit ermöglichen können. 2. Vereinbarung Einer Kooperationsvereinbarung kann eine längere Aushandlungs- oder auch Vorbereitungsphase beider Parteien vorausgehen. Eine weitere Ausgangssituation könnte die Vorgabe einer Vereinbarung durch die externe Beschwerdestelle sein. In der Vereinbarung sind die Aufgaben und Regeln der Zusammenarbeit beider Parteien verbindlich festzulegen 74. Damit solch eine Kooperationsvereinbarung nicht zur Leerformel wird, sollten beide Parteien auf die Einhaltung ihrer Qualitätskriterien achten, bspw. alle Beteiligten werden über die Zusammenarbeit informiert, die Arbeit der externen Beschwerdestelle wird transparent gemacht und ihre Ansprechpersonen werden den Zielgruppen bekannt gegeben. Die Frage nach der Unabhängigkeit der externen Beschwerdestelle im Zusammenhang mit einer Vereinbarung gehört mit zu den besonderen Herausforderungen und sollte als Thema in die Vereinbarung aufgenommen werden. Die Prüfung des Kriteriums der Unabhängigkeit empfiehlt sich, für jede Kooperationsvereinbarung neu durchzuführen. 73 Kleinsteinrichtungen, Pflegefamilien usw. können zudem, falls sie einem Verband oder zu einem größeren Träger gehören, prüfen, ob diese Beschwerdemöglichkeiten für die Kinder und Jugendlichen anbieten. 74 Siehe auch die entwickelte Vereinbarung des Modellprojekts im Anhang. 159

160 3. Gemeinsame Überprüfung und Reflexion Wichtiges Qualitätsmerkmal in der Zusammenarbeit des internen und externen Beschwerdemanagements ist die regelmäßige Reflexion und Überprüfung ihrer Arbeit. Es sollte vereinbart werden, wie häufig diese Maßnahme stattfindet, wer daran teilnimmt und welche Punkte zu reflektieren sind, wie bspw. die eingegangenen Beschwerden, deren Bearbeitung, aber auch die Informationspolitik und Verfahren Weitere Aspekte des Zusammenwirkens interner und externer Maßnahmen mit oder ohne Kooperationsvereinbarung Beschwerdemanagement und Lernen aus Fehlern Manche Beschwerden und Themen weisen auf pädagogische Probleme im Praxisalltag sowie auf eine mögliche Hilflosigkeit der Fachkräfte hin. Während des Modellprojekts kam etwa Taschengeldabzug als Strafe oder zur Kontrolle häufiger zur Sprache. An diese Stelle gehören auch die Themen freiheitseinschränkende Maßnahmen (Auszeiten, Zimmerarrest), gewaltfreie Erziehung (Festhalten, Niederdrücken) und Medien (Zugang, Schutz, Medienkompetenz). Diese Beispiele wurden im Zusammenhang mit Beschwerden während der Modelllaufzeit genannt und waren zudem in den Workshops mit den Mitarbeiter/innen der kooperierenden Einrichtungen des Modellprojekts Diskussionsthemen. Sie sind Beispiele dafür, wie Mitarbeiter/innen einer Einrichtung und einer Beschwerdestelle gemeinsam Fälle analysieren und aus diesen lernen können. Interne und externe Beschwerdeverfahren sollten im Zusammenhang mit einer Beschwerdebearbeitung oder auch im Kontext der Reflexion der gemeinsamen Arbeit die Chance nutzen, aus Fällen, ggf. aus Fehlern zu lernen. Diese gemeinsame Arbeit leistet einerseits einen Beitrag zum Kinderschutz und andererseits können Fachkräfte in diesem Prozess Handlungssicherheiten für ihre weitere Arbeit gewinnen sowie Ängste und Widerstände bezüglich des Themas `Beschwerdemöglichkeiten reduzieren. 160

161 (Weiter-) Bildung als förderndes Kriterium einer gelingenden Zusammenarbeit von internen und externen Maßnahmen im Umgang mit Beschwerden und Ideen Die Bildung der Kinder und Jugendlichen diese über ihre Rechte und Beschwerdemöglichkeiten aufzuklären und auch die Weiterbildung der Fachkräfte in diesem Bereich leisten einen fördernden Beitrag zu einer gelingenden Zusammenarbeit von internem und externem Beschwerdeverfahren. Auf die Ausführungen der verschiedenen Bildungsangebote wird an dieser jedoch Stelle verzichtet, da diese in den Kapiteln und 7 dargestellt wurden. Zu überlegen bleibt jedoch, welche Personen diese Bildungsangebote durchführen. Während des Projektzeitraums organisierten die Projektmitarbeiter/innen die Angebote mit den Kindern, Jugendlichen und Fachkräften in den kooperierenden Einrichtungen. Sie befanden sich bedingt durch die Doppelrolle unabhängige externe Beschwerdestelle und Fortbildner/in verstärkt im Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz. Daher ist zur Reduzierung dieses Spannungsverhältnisses jeweils zu klären, ob die Durchführung von Bildungsangeboten von der externen Beschwerdestelle, der Einrichtung, den Landesjugendämtern oder von einem weiteren Bildungsträger (z. B. Kooperationspartner der externen Beschwerdestelle) realisiert werden soll - mit Blick auf ein gelingendes Zusammenwirken aller Maßnahmen, die eine Einrichtung im Umgang mit Ideen und Beschwerden entwickelt hat. 161

162 10. Aus Erfahrungen lernen: Ergebnisse Eindrücke Spuren Projektanträge verlangen, im Vorfeld die geplanten Entwicklungsschritte und Projektebenen genau zu skizzieren. Wie in den vorangegangenen Kapiteln (insbesondere in den Kapiteln 4 und 5) geschildert, sah die Planung eine enge Zusammenarbeit mit den kooperierenden Einrichtungen der (teil-)stationären Einrichtungen in den Modellstädten Essen und Köln vor. Der organisatorische Verlauf sowie die inhaltlichen Schwerpunkte sind bereits beschrieben worden. Im Folgenden geht es nun darum, Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis zu ziehen Fachpolitische und strukturelle Voraussetzungen In einem thematisch so aktuellen Projekt müssen internationale und in Deutschland geführte Debatten zum Thema aufgenommen und fortgeführt werden. Die (Teil-) Ergebnisse des Runden Tisches Heimerziehung (konstituierende Sitzung am 17. Februar 2009, Vorlage des Abschlussberichtes am 10. Dezember 2010), des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich (Konstituierung am 23. April 2010) wie auch Veröffentlichungen beispielsweise über sexuelle Gewalt in der Odenwaldschule oder über eine Untersuchung zu sexuellen Übergriffen und körperlicher Gewalt durch Priester, Diakone und sonstige pastorale Mitarbeiter in der Zeit von 1945 bis 2009 im Erzbistum München-Freising (Gutachten von Westpfahl und Marion im Dezember 2010) konnten im Modellprojekt nicht unberücksichtigt bleiben. Hinzu kamen Veröffentlichungen von Vorkommnissen in Einrichtungen der öffentlichen wie freien Jugendhilfe (z.b. Corsten-Jugendhilfe, Kölner Stadt-Anzeiger, 29. Dezeber 2011, Kinderheim Walda e.v., MDR Reportage 01. Februar 2010, Vincenzhaus, Hofheim, RP Online 10. März 2010) die träger- bzw. einrichtungsbezogen auf massive Kinderrechtsverletzungen auch in neuster Zeit verwiesen. 162

163 Die stark medial geprägte Anteilnahme an Missständen in der Kinder- und Jugendhilfe erreichte die breite Öffentlichkeit, blieb aber natürlich auch den juristischen und sozialpädagogischen Fachkreisen nicht verborgen. Sozialpädagogische, sozialwissenschaftliche und parlamentarische Diskussionen führten letztendlich zu einer größeren Beachtung von Mädchen und Jungen in Einrichtungen und zu einer Stärkung ihrer Rechte im Bundeskinderschutzgesetz. Das am 1. Januar 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz BkiSchG) unterstreicht durch eine rechtliche Normierung nunmehr Ansätze, die die beteiligten Modelleinrichtungen und darüber hinaus weitere Einrichtungen ohne Modellstatus - bereits konzeptionell und in der Realität auf den Weg gebracht hatten (bspw. Aufbau einer Beschwerdekultur). Spätestens seit Verabschiedung des BKiSchG sind der überörtliche Träger der Jugendhilfe, die kommunale Jugendhilfe und die Träger von Einrichtungen der Jugendhilfe gefordert, insbesondere den 8b, 45 und 79a SGB VIII große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Heterogenität der beteiligten Kooperationspartner erwies sich als eine weitere Herausforderung: verschiedene konfessionelle und nicht-konfessionelle freie Träger, große wie kleine Einrichtungen, die zwar ein gemeinsames Arbeitsfeld haben, aber auch in einer wirtschaftlichen Konkurrenz zueinander stehen und sich in ihrer inhaltlichen Ausrichtung unterscheiden und darstellen. Dazu kommt abschließend noch das örtliche Jugendamt als öffentlicher Träger, der sowohl in der übergreifenden inhaltlichen Fachdebatte (Stichworte: Leistungsgewährung, Planungsverantwortung, Aufsicht/Kontrolle im Sinne des SGB VIII) als auch in der Projektbeteiligung eine besondere Rolle einnahm. An diese allgemeinen strukturellen Fragen und Bedingungen schließen sich örtliche Besonderheiten an. Welche strukturellen, inhaltlichen und planerischen Schwerpunkte setzen die beteiligten Kommunen in der Jugendhilfe vor Ort, insbesondere in den Hilfen zur Erziehung? Welche Entwicklungsplanungen sind vorgesehen? Welche sozio-strukturellen Bedingungen liegen in den Städten vor? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den freien Trägern untereinander und wie in der Zusammenarbeit mit dem örtlichen Träger? 163

164 Die sich hieraus ergebenden Erwartungen an ein Modellprojekt wurden zu einer Herausforderung für den DKSB Landesverband NRW e.v. als Projektträger. Die Vielschichtigkeit der Situation war offensichtlich: Heimträger mit ihren Einrichtungen sahen sich dem Generalverdacht einer systematischen Kinderrechtsverletzung ausgesetzt. Mit einer Beteiligung am Projekt wurde die Gefahr einer unzutreffenden Problemzuschreibung in der Öffentlichkeit gesehen. Zu entscheiden war hier zwischen heißes Eisen anpacken oder auf abkühlenden Regen warten. Der Gesetzgeber folgte einer (fach-)öffentlichen Debatte über skandalöse Missstände in Einrichtungen und normierte für die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe Zuständigkeiten und Handlungsschritte zur Sicherung der Rechte der Kinder in Einrichtungen der Jugendhilfe (vgl. hierzu 8b, 45, 79a SGB VIII). Praktische Erfahrungen mit der Implementierung und der Arbeit einer Ideen- und Beschwerdestelle lagen nur vereinzelt vor. Neuland galt es zu erschließen. Fachliche Überlegungen und Entscheidungen im Projekt standen nicht selten unter der Überlegung Vorschwimmen, mitschwimmen, abwarten? Das Wasser ist tief und kalt. Die Heimpädagogik steht mit ihren Möglichkeiten und Grenzen auf dem Prüfstand. Diskutiert wird über die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für jugendliche Straftäter/innen, über den Umgang mit schwierigen Kindern und Jugendlichen, über geschlossene (freiheitsentziehende), freiheitsbegrenzende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen. Hinzu kommt, dass die Arbeitssituation vieler Mitarbeiter/innen im Gruppendienst diesen schon jetzt viel abverlangt. Der Schichtdienst, eine dünne Personaldecke, Verhaltensweisen der ihnen anvertrauten Mädchen und Jungen bis hin zur körperlicher Gewalt - rückt nachvollziehbar, das noch Zumutbare an Veränderung und an Zugeständnissen von Rechten des Kindes bzw. Jugendlichen in das Zentrum der Projektarbeit. Zwischen Aufbruch und Resignation, zwischen Mut zur Lücke in Situationen pädagogischer Hilflosigkeit und Durchgreifen ohne wenn und aber galt es, der Machtasymmetrie in der Heimerziehung einen kritisch-konstruktiven Ausgleich entgegenzustellen. Die Konkurrenzsituation unter den Leistungsanbietern hat sich verschärft. Prozesse der Ökonomisierung der Kinder- und Jugendhilfe machen auch vor 164

165 den Toren von Einrichtungen der stationären Hilfen nicht halt. Bemühungen zur Verbesserung des Belegungsprozederes richten sich nicht nur auf fachlich-inhaltliche Gesichtspunkte (kann eine passgenaue Hilfe angeboten werden?), sondern greifen auch in das Verhältnis von Kosten, Leistung, Erfolg, Qualität, Auslastung und damit in den Bereich der Wirtschaftlichkeit und der Wettbewerbsfähigkeit einer Einrichtung ein. Der Projektverlauf stand im Spannungsverhältnis von in Gemeinschaft Verantwortung übernehmen - Profil schärfen, Kante zeigen auf der einen Seite und aussteigen eigene, trägerautonome Wege gehen auf der anderen. Die Förderung und Beteiligung sowie der Schutz von Mädchen und Jungen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe entfaltet sich als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die partnerschaftliches Zusammenwirken aller Beteiligten fordert. Die Gewährleistung von Rechten des Kindes liegt in den Händen des öffentlichen Trägers (Jugendamt, Landesjugendamt), des Leistungsanbieters, der Politik, der Eltern sowie bei den Kindern und Jugendlichen im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Kompetenzen. Das Verhältnis zwischen den Beteiligten Träger, Einrichtung, Eltern, Vormund, Kind/Jugendlicher, Jugendamt, Landesjugendamt, Staat, Gesellschaft und gemeinnütziger Wirtschaft muss vor diesem Hintergrund neu bestimmt werden. Vor diesen fachlichen und sozialpolitischen Herausforderungen stand die Arbeit im Modellprojekt. Projektinterne Gespräche führten zu Veränderungen in der konzeptionellen Projektausrichtung und zu Korrekturen in Haltungen gegenüber den Beteiligten. Neue Themen stießen vor, andere rückten in den Hintergrund Meilensteine im Projektverlauf Zusammenfassend lassen sich für den Projektverlauf folgende sechs Meilensteine formulieren: Meilenstein 1: Transparenz schafft Vertrauen und hilft Hürden zu meistern Die grundsätzliche Projektplanung und arbeit war federführende Aufgabe der Mitarbeiter/innen der Anlauf- und Steuerungsstelle. Doch um eine konstruktive Zusam- 165

166 menarbeit zu ermöglichen, war es von Beginn an das Ziel, die Arbeit möglichst transparent zu gestalten und die Einrichtungen möglichst an den einzelnen Entwicklungsschritten zu beteiligen (was mit der Zielsetzung des Antrages übereinstimmt). Das ist uns rückblickend gut gelungen. Natürlich birgt ein partizipativer Prozess der Zusammenarbeit immer sowohl die Chance als auch die Gefahr der (noch) fehlenden Strukturen. Alles soll, alles muss zunächst erarbeitet werden. Doch nach einer 2,5 jährigen Projektlaufzeit lässt sich rückblickend konstatieren, dass sich die Projektentwicklung als ein konstruktiver und offener Prozess gestaltete - auch und gerade weil es schwierige und kontroverse Fragen zu diskutieren und zu klären galt: Wie kann eine externe Beschwerdestelle mit und in Einrichtungen der Jugendhilfe (zusammen)arbeiten? Wann werden pädagogische Prozesse und interne Regeln der Einrichtungen tangiert? In welchen Situationen ist es ausreichend nur zu beraten und wann ist es notwendig, auch zu intervenieren? Und wo endet schließlich die pädagogische Einmischung von außen? Das heißt, es geht um wesentlich mehr als nur um Beratung und Aufklärung über Kinderrechte und Partizipation (siehe Punkt 7), da die Beschwerdearbeit in den Einrichtung sowohl das Selbstverständnis freier Träger als auch deren konzeptionelle und inhaltliche Ausrichtungen ( Kultur der Einrichtungen ) berührt. Meilenstein 2: Abgestimmte Verfahren bieten Orientierung Doch zunächst waren es die praktischen Fragen, die die Diskussionen in den Projektgruppen bestimmten: Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit Kinder und Jugendliche eine solche Beschwerdestelle erreichen und nutzen können? Braucht die Nutzung einer externen, unabhängigen Beschwerdestelle in der Zusammenarbeit mit den Einrichtungen eine (Arbeits-)Vereinbarung, die beiden Seiten die nötige Sicherheit gibt, den Beschwerdeprozess sowie die Anwendung zu kennen und nachvollziehen zu können? Was ist notwendig und welche Handlungsschritte sind abzuklären, wenn die Beschwerde ein erkennbarer Kinderschutzfall ist? Die beiden erarbeiteten Verfahren (Beschwerde- und Kinderschutzverfahren) konnten in beiden Städten verabschiedet werden. Dieser Annahme ging eine intensive Diskussion voraus, in der alle Einrichtungen aufgrund ihrer unterschiedlichen Aus- 166

167 richtung und Organisation (große und kleine, zentrale und dezentrale) auch unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Das Ergebnis war/ist ein Verfahren, das den Mädchen und Jungen einen größtmöglichen Zugriff als Beschwerdeführer/innen erlaubt und den Einrichtungen eine größtmögliche Transparenz der Verfahrenschritte. Die beschriebenen Grundsätze und Standards (siehe Kapitel 5) einer externen Beschwerdestelle sollten weitgehend auch in den Verfahren ihren Niederschlag finden. Unabhängigkeit, Parteilichkeit, Vertraulichkeit und Transparenz sind grundlegend und müssen für alle Beteiligten nachvollziehbar und sicher sein. Ein weiterer Standard war und ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der Verfahren, damit der angesprochenen Vielfalt der Trägerlandschaft Rechung getragen wird. Letztlich soll das Verfahren - im Sinne eines Modellprojekts denen als Folie dienen, die Projekte in ihrer Entwicklung vor Ort initiieren wollen. Denn trotz aller Standardisierungen von Verfahren und Absprachen ist es grundlegend, dass sich interessierte Einrichtungen in einem eigenen Prozess auf den Weg machen, ihre Beschwerdekultur in ihrer Einrichtung zu entwickeln 75. Meilenstein 3: Beschwerdeverfahren wer steuert das Boot? Dieser Entwicklungsprozess (Beschwerdeverfahren, Kinderschutzverfahren und Kooperationsvereinbarung) in den Projektgruppen war neben der Entwicklung eines Beschwerdeflyers für Kinder und Jugendliche eine wesentliche Arbeit in der ersten Projektphase. Hier wurden auch erstmals die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten sichtbar: die der Einrichtungen, die die Bearbeitung der Beschwerden von Mädchen und Jungen zunächst mal als ihre zuvörderste Aufgabe sehen und diese gerne in ihren Einrichtungen behalten wollen. Und die Sichtweise der externen Stelle, die die nach außen geäußerte Beschwerde eines Kindes zunächst mal als Aufforderung und Auftrag versteht, mit der sie die Federführung in der Bearbeitung der Beschwerde übergeben bekommen hat. Ziel war es nun, diesen Spagat im Sinne des Kindes und damit im Sinne des Kindeswohls zu lösen. Das heißt, es muss je im speziellen Fall geprüft werden, inwieweit die beste Lösung der Beschwerde in Absprache mit dem Kind/Jugendlichen zügig zur sinnvollen Bearbeitung in die Einrichtungen zurückgeht oder ob der Anlass beispielsweise die Angst des Kindes vor Repressalien oder das Ausbleiben einer internen Bearbeitung trotz vielfach wiederholter Bemühungen bedingt, dass die Beschwerde federführend bei der externen Stelle 75 Hierzu gibt es mittlerweile eine Reihe guter Beispiele, die veranschaulichen, wie ein partizipativer Prozess in Institutionen gelingen kann. 167

168 bleibt. Hier gab es in den Projektgruppen unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen auch zwischen den Einrichtungen. Wichtig war allen Einrichtungen, dass sie so schnell wie möglich von der Beschwerde unterrichtet werden wollten, um sie intern bearbeiten zu können. Deutlich wurde hier, dass die konkrete Zusammenarbeit in der Beschwerdebearbeitung beider Seiten trotz Absprachen im Verfahren immer im konkreten Dialog miteinander geschehen muss. Auch die praktische Anwendung des Beschwerdeverfahrens im Projektzeitraum hat gezeigt (siehe Kapitel 6), dass ein bekanntes und transparentes Verfahren für alle Beteiligten notwendig ist: für die Kinder und Jugendlichen, für die Fachkräfte und die Einrichtungsleitungen sowie für die Mitarbeiter/innen der Beschwerdestelle. Die Verfahrensschritte ermöglichen ein neutrales, nachvollziehbares und überprüfbares Vorgehen und verweisen auf die Einhaltung der einzelnen Schritte. So war es in der Anwendung notwendig, zur entsprechenden Bearbeitung auch auf den wichtigen befriedigenden Abschluss einer Beschwerdebearbeitung hinzuweisen. Hier liegt durchaus ein weiterer möglicher Stolperstein, wenn die Beschwerde - nach der unmittelbaren Aufnahme der Beschwerde durch die externe Stelle wieder in die Einrichtungen zurückgeht. Es war und ist wichtig darauf zu achten, dass die Beschwerde der Kinder und Jugendlichen im Einvernehmen und auch in Kenntnis der Beschwerdestelle geklärt und dokumentiert wird. Im Grundsatz erscheint es sinnvoll, dass der Beschwerdeverlauf letztlich in den Händen der externen Stelle bleibt, die den Verlauf, die Bearbeitung sowie die Klärung oder auch die Nichtklärung dokumentiert und weiterverfolgt. Hiermit verbunden ist die Verpflichtung, auf der Grundlage von Einzelfalldokumentationen einen Bericht über die Sicherung von Betroffenenrechten in festgelegten Intervallen vorzulegen und in kommunalen Arbeitsgruppen und Ausschüssen (Jugendhilfeausschuss, AG 78, AG Heime) zu besprechen. Meilenstein 4: gerecht in NRW zwischen den Stühlen von Aufsicht, Kontrolle und Aufklärung Ein Modellprojekt darf Fragen aufwerfen, die die Thematik im weiten wie engerem Sinne berühren. Das hat zum Vorteil, auch Aspekte anzusprechen, die über die praktische Umsetzung hinausgehen. Es birgt aber eben auch die Gefahr, dass man sich zu sehr von grundsätzlichen Überlegungen und Problemen leiten lässt. Diese inhaltliche Spannbreite bestimmte teilweise auch die Diskussionen in den Projektgruppen. 168

169 Trotz der Konzentration auf die Fragen der Einrichtung, Umsetzung und Anwendung der externen Beschwerdestelle sowie die Zusammenarbeit mit internen Beschwerdeangeboten, stießen die Projektmitarbeiter/innen auch immer wieder auf allgemeinere dem Projekt beiwohnende - Fragen der Entwicklungen in der Jugendhilfe: Sind die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Institutionen auch für uns eine Grundlage? Ersetzt eine externe Beschwerdestelle/Ombudschaft in der Jugendhilfe bestehende Organe der Aufsicht und Kontrolle? Ist die externe Beschwerdestelle eine Servicestelle für die freien Träger? Und wie positioniert sich der öffentliche Träger (in der Modellstadt) und grundsätzlich? Wichtig war beiden Projektgruppen, dass der öffentliche Träger (Jugendamt) an der Projektarbeit teilnahm. Das konnte in beiden Modellstädten erreicht werden, wobei die Vertreter/innen der öffentliche Jugendhilfe u.a. ob der noch ungeklärten Stellung der öffentlichen Hand zur Frage externer Beschwerdestellen wesentlich zurückhaltender agierten als ihre Kolleg/innen der freien Jugendhilfe. Im Sinne einer Weiterentwicklung des ombudschaftlichen Angebots sollte eine verbindliche Beteiligung der öffentlichen Jugendhilfe perspektivisch aufgegriffen und geklärt werden 76. Meilenstein 5: Projekte brauchen Öffentlichkeit Ein weiterer wichtiger Projektbaustein waren die öffentlichen Fachveranstaltungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten des Projekts die aktuelle Diskussion widerspiegeln und abschließend die Ergebnisse präsentieren sollten. Insbesondere das große Interesse seitens der Fachöffentlichkeit an der Abschlussveranstaltung im November 2012 machte deutlich, dass einerseits das Thema aktuell ist. Es zeigte sich andererseits aber auch, dass es Diskussionsbedarf sowie eine Vielzahl offener Fragen gibt. Die bereits erwähnten aktuellen Debatten um Strategien im Kinderschutz und die Auswirkungen der Bestimmungen des Bundeskinderschutzgesetzes machen das Thema besonders virulent und verweisen auf die Notwendigkeit der Klärung offener Fragen. So war die Abschlussveranstaltung des Projekts ein gemeinsamer Abschluss aller Projektbeteiligten aus den Modellstädten, mit deren Unterstützung ein breites und fachspezifisches Programm angeboten werden konnte. Die thematischen 76 Vgl. hierzu auch: 14. Kinder- und Jugendbericht, Bericht der Sachverständigenkommission an das BMFSFJ, Seite 546, August

170 Schwerpunkte der Arbeitsgruppen spiegeln einerseits die Debatten im Projekt wieder (Implementierung von Standards und Qualitätsmerkmale interner und externer Beschwerdestellen; Zusammenarbeit Jugendamt Landesjugendamt externe Beschwerdestellen) als auch die übergreifenden fachlichen Debatten in der Jugendhilfe (rechtliche Zuordnung und Kompetenzen einer externen Stelle in der Jugendhilfe; freiheitsbeschränkende Maßnahmen und Kinderrechte; Kinderrechte und Partizipation in Einrichtungen der Erziehungshilfe). Meilenstein 6: Auch das war möglich Kinder und Jugendliche als Projektbeteiligte Da das Projekt wie an vielen Stellen hingewiesen ein beteiligungsorientiertes Modellprojekt war, soll an dieser Stelle auch auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aus den Modelleinrichtungen an der Abschlussveranstaltung hingewiesen werden. Es war ein wesentlicher Bestandteil der Veranstaltung, Mädchen und Jungen in einer eigenen Arbeitsgruppe die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ihre Ergebnisse zu präsentieren (siehe hierzu weiter: Kapitel 7 und 8). Die Vorbereitungen dauerten zwei Tage, was bereits neben der Präsentation am Veranstaltungstag eine eigene Qualität der Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderrechte und Partizipation im Heimalltag bedeutete. Deutlich wurde, dass sich Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters sehr differenziert und reflektiert mit den Fragen auseinandersetzen können und dies auch hier im Dialog mit den Erwachsenen kommunizieren und kritisch diskutieren können. Gerade für viele pädagogische Fachkräfte war es sinnvoll, ihre Kinder und Jugendlichen außerhalb des üblichen alltäglichen Alltags erleben zu können und vielleicht auch außerhalb der üblichen Rollen. Auch wenn es eine Binsenweisheit ist, dass Partizipation nur gelingen kann, wenn Mädchen und Jungen direkt und unmittelbar am Prozess teilnehmen, ist es noch immer nicht alltäglich, dass ihnen ausreichend zugehört und mit ihnen gesprochen wird. Die Abschlussveranstaltung wie die begleitende Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen während des Projekts in den Einrichtungen haben deutlich gemacht (siehe hierzu insbesondere Kapitel 7), dass ein großes Interesse seitens der Mädchen und Jungen vorliegt, und dass sie sich auch auf längere Prozesse einlassen können. Deutlich geworden ist auch, dass es gemeinsame Prozesse mit Kindern, Jugendlichen und Pädagog/innen geben kann und geben muss, damit die Beschäftigung mit Kinderrechten und Beteiligungsmöglichkeiten 170

171 sowie der Umgang mit Beschwerden zur Alltäglichkeit wird. Ihre Kompetenz als Expert/innen in eigener Sache bewiesen beispielsweise Kinder und Jugendliche in Gesprächen über ihre aktuelle Situation und ihre Wahrnehmung, wie mit Beschwerden umgegangen wird. Ihre Beiträge waren wichtige Impulse für die inhaltliche Gestaltung des Beschwerdeverfahrens. Beschwerden sind Bestandteil von Kinderrechten und subjektiver Ausdruck von Interessen und Bedürfnissen. Diese müssen mit allen anderen Beteiligten in den Einrichtungen der Erziehungshilfe und im Umfeld ( Kultur der Beschwerde in Einrichtungen ) diskutiert werden. Das Projekt und alle Beteiligten haben hier, unseres Erachtens nach, einen Beitrag dazu leisten können - trotz und gerade wegen des schwierigen und kontroversen Themas - und haben erkennbare Eckpfeiler für weitere Entwicklungen setzen können Soziale Arbeit ist menschlich Erfahrungen, die wir brauchen Die Menschen, die verrückt genug sind zu denken, sie würden die Welt verändern, sind diejenigen, die es tun werden 77. Steve Jobs machte aus einer Garagenfirma eines der bekanntesten Weltunternehmen: Apple. Er war ein Rebell, Querdenker, liebevoller Familienvater, Bewahrer und Visionär. Und vor allem war er verwegen genug zu glauben, er könne allein und im Verbund mit anderen einen wichtigen Beitrag zur Veränderung der Welt leisten. (vgl. Isaacsons 2011). Große und kleine Eroberer gibt es zuhauf. Viele bleiben unbekannt, einige stehen im Licht der Öffentlichkeit. Wie auch immer sich die Beteiligten am Projekt gerecht in NRW sehen ob als Förderer, Kritiker, Bremser, Impulsgeber, Interessensvertreter oder Grenzensetzer eins ist klar: Sie alle waren verrückt genug, sich der Notwendigkeit eines Wandels hin zu größerer Beachtung der Kinderrechte im Alltag einer stationären Hilfe zu stellen gedanklich, strategisch, ganz konkret und alltagspraktisch. Als Motor zur Ausgestaltung von Prozessen zur Stärkung der Kinderrechte wurden sie aktiv. Während Politiker/innen sich eher in einer Denkhaltung dem Thema Unrecht in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nähern, folgten Mitarbeiter/-innen 77 Vgl. Apple Commercial: Think different spot 1997, www. youtube.com 171

172 in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe in Essen und Köln den Projektüberlegungen geradeaus gehen und doch um die Ecke gucken. Ein Projekt wie gerecht in NRW mit einer begrenzten Laufzeit zu einem sensiblen Thema (Aufbau einer unabhängigen Beschwerdeinstanz, Stärkung der Rechte des Kindes) kann keine Auskunft darüber geben, wie radikal neu und in Zukunft Heimerziehung in einem für die beteiligten Kinder recht starken und offenen System aussehen könnte. Wirkliche Neuerungen entstehen niemals im Mainstream, sondern immer am Rand - durch Menschen, die in ihren Eigenschaften oder in ihrem Handeln von der Norm abweichen und reflektierte Freiräume für neue Ideen hervorbringen. Es ist vor diesem Hintergrund den beteiligten Fachkräften in den Einrichtungen hoch anzurechnen, dass sie die Motorleistung des Projektes unterstützten und beispielsweise mit ihrer Bereitschaft Freiräume für Beratungsangebote für Kinder und Jugendliche sowie Workshops schafften. Die Auseinandersetzung mit der Konzeption und schließlich das Zulassen eines Prozesses zum Aufbau einer Ideen- und Beschwerdekultur war der Ausgangspunkt frühzeitiger und praxisnaher Reaktionen auf Anforderungen, die das Bundeskinderschutzgesetz in diversen Rechtsnormen zur Vorgabe macht. Nun ist Projektarbeit mit den ihr anhaftenden Veränderungen (z.b. Aufklärung über eigene Rechte von Kindern, die häufig als schwierig gelten und ggf. Hilfe bei der Durchsetzung dieser) bekanntermaßen ein ziemlich weites Feld, in dem sich auch Bremser, Skeptiker und Verweigerer tummeln. GeRECHT in NRW hat gezeigt, dass auch deren Meinungen und Argumente die Gestaltung des Neuen vorangetrieben und dazu beigetragen haben, dass Missverständnisse angesprochen, Unklarheiten benannt und Grenzen sichtbar wurden. Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die sehr strittig geführte Diskussion über die Zulässigkeit einer Einmischung von Außenstehenden (hier die Mitarbeiter/innen der Ideen- und Beschwerdestelle gerecht in NRW) in die pädagogische Arbeit einer Einrichtung (s. hierzu ausführlich w. unten i. Kapitel) Im Modellprojekt gerecht in NRW, unabhängige Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe wurde deutlich: Die Beteiligten waren verwegen genug zu glauben, sie könnten mit ihren jeweiligen Beiträgen Einfluss nehmen auf notwendige Innovationen in den stationären 172

173 Hilfen (hier: Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdeinstanz, Förderung von Maßnahmen zu Bekanntmachung der Kinderrechte). Sie waren kompetent genug, es tatsächlich zu tun. Entsprechend ihrer Funktion und ihren Aufgaben waren sie Beteiligte an organisationskulturellen Veränderungsprozessen (Einführung von Bildungsveranstaltungen zum Thema Kinderrechte, Einführung von Kontaktzeiten für Kinder- und Jugendliche zum Thema Ideen und Beschwerden zum Leben im Heim etc.). In Prozessen zur Stärkung der Strukturqualität (Einrichtung einer ständigen Projektbegleitgruppe, Aufbau einer Ombudsstelle NRW, Verankerung einer Ideenund Beschwerdekultur, Bewahrung von Macht und Zuständigkeiten) gab es Bremser, Förderer, Drängler und Vorreiter. Sie alle engagierten sich im Rahmen ihrer institutionellen Möglichkeiten. Für ihre fachliche Überzeugung kämpften sie. Das Thema Kinderrechte in stationären Einrichtungen ist nicht neu. Einrichtungen in Köln und Essen verfügen über vielfältige Erfahrungen in der Sicherung der Rechte des Kindes. Im Projekt wurden Mitarbeiter/innen dieser Einrichtung zu Förderern eines Wandels hin zu einer Einrichtungskultur, die sich auszeichnet durch die Pflege und Stärkung einer Ideen- und Beschwerdekultur. Sie engagierten sich für ein starkes, strukturell verankertes Beschwerdemanagement innerhalb der Einrichtung, ohne die Bedeutung einer externen Stelle aus dem Blick zu verlieren. Förderer eines Wandels stärkten mit ihrer Praxiserfahrung die Auseinandersetzung über das Für und Wider einer unabhängigen Ideen- und Beschwerdestelle. Mit ihrer Haltung, den Wandel zu wollen ohne das Neue stürmisch zu beklatschen, waren sie Querdenker und Rebell gleichermaßen. Das System der Kinder- und Jugendhilfe bringt auf unterschiedlichen Ebenen Zusammenschlüsse, Interessensvertretungen und Hierarchien hervor. Die öffentliche und die freie Jugendhilfe bewegen sich miteinander und gegeneinander. Parfumeure setzen ihre Duftmarken - fachlich, strategisch, machtvoll. Eine lange Projektvorlaufzeit braucht Pfleger/innen von bereits geknüpften Kontakten und Kooperationsbezügen zur Überbrückung der Zeit zwischen Vorberei- 173

174 tung und Start auch außerhalb einer Projektförderung. GeRECHT in NRW startet im Herbst 2009 mit der Formulierung erster Konzeptbausteine, einer vorsichtigen Einladung zur Mitarbeit und einem Antrag auf Förderung. Im Mai 2010 erfolgte die Bewilligung, im August 2010 startete dann ein Schwarm interessierter Frauen und Männer mit ersten Tauchgängen. Für ein partnerschaftliches Zusammenwirken von freien Trägern der stationären und teilstationären Kinder- und Jugendhilfe, dem Jugendamt und dem Projektträger ist Transparenz im Planungsprozess und Kontaktpflege auch in der nichtgeförderten Zeit von großer Wichtigkeit. Dies gilt insbesondere bei einem Projekt mit vielen an- und eingebundenen Kooperationspartnern. Die Bedeutung einer Mitwirkung des örtlichen und überörtlichen Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ergibt sich aus ihrer Sach- und Finanzverantwortung für die Jugendhilfe ihrer Zuständigkeit für Leistungen an Kindern, Jugendlichen und Eltern ihrer Gesamtverantwortung für ein gutes Zusammenwirken aller Institutionen. Als Schwarmpfleger bewähren sich Mitarbeiter/innen der öffentlichen Jugendhilfe, wenn es ihnen gelingt, den Schwarm von Einrichtungen und Trägern auf ein Schwimmen in die gleiche Richtung zu bewegen, sie zusammenzuhalten und die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu fördern. Das Jugendamt ist somit im Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe Mitgestalter eines Entwicklungsprozesses (Schwarmpfleger) und im Bereich der Leistungsgewährung konkreter Zielpunkt in einem Beschwerdeverfahren. Nicht alle Einrichtungen, die in 2010 am Start waren, standen 30 Monate später mit an der Ziellinie. Denen, die bis zuletzt dabei blieben, wurde das Ende zum Anfang. Weitere Prozesse zum Ausbau und zur Pflege einer Ideen- und Beschwerdekultur in ihren Einrichtungen stehen heute auf der Tagesordnung. Die aus dem Projekt entstandenen Innovationen haben die nötige Sprengkraft, um den Mädchen und Jungen in ihren Einrichtungen zu mehr Rechtssicherheit zu verhelfen. Darüber hinaus zeigen die vielen Anfragen an den DKSB Landesverband NRW e.v., dass von diesen Einrichtungen ein Signal ausgeht: geradeaus gehen und um die Ecke gucken. 174

175 Kinder haben ein Recht, sich bei subjektiv wahrgenommenen Rechtsverletzungen an eine unabhängige Beschwerdestelle zu wenden. Erfahrungen und Ergebnisse des Projektes gerecht in NRW wurden beeinflusst und geprägt von bereits gemachten Erfahrungen mit dem Thema Kinderrechte, von starken und schwachen Einzelpersonen und zeitweise ganzen Gruppen. Das Pochen auf Altbewährtes (Entzug von Taschengeld als Strafe) führte zu einer intensiven Auseinandersetzung über eine diesbezügliche Richtlinie des Landesjugendamtes Rheinland, die Taschengeldentzug als Strafe untersagt. Die, die ihr Augenmerk nun auf die Betonung einer uneingeschränkten Handynutzung als Ausdruck eines nicht einschränkbaren Persönlichkeitsrechts des Kindes richten, wurden mit den Problemen einer ständigen Störung des Hier und Jetzt konfrontiert. Die Chancen, die im Gegenwärtigen stecken (Heimgruppe mit eigenen Regeln), wurden am Beispiel möglicher Beeinträchtigungen durch uneingeschränkte Handynutzung und damit häufiger Kontakte zum Elternhaus beleuchtet. Das Drängen nach Erneuerung, nach einem Erziehungsverständnis, dass das offensive Aufgreifen von Ideen und Beschwerden von Kindern und Jugendlichen zu einem selbstverständlichen pädagogischen Auftrag einer modernen Heimerziehung werden lässt, führte bestärkt durch sozialpädagogische und sozialpolitische Diskussionen - zu einer konstruktiven Bekräftigung einer Pädagogik, die Mädchen und Jungen als Subjekte und nicht als Objekte sieht. Der Erfolg dieses Projektes liegt letztendlich im Zusammenspiel und der Entfesselung unterschiedlicher Potenziale auf der Makro- (Vertretungsebene der Wohlfahrtsverbände), Meso- (Träger- und Einrichtungsvertreter/-innen) und Mikroebene (Mitarbeiter/-innen im Gruppendienst der Einrichtung). Die letzte Phase des Projektes zeigt, was uns die Natur ständig belegt: Sie wächst explosionsartig, wenn das Saatkorn und die Voraussetzungen zum Gedeihen stimmen. Wachstum in Richtung Sicherung von Kinderrechten durch Pflege einer Ideen- und Beschwerdekultur ist hier nicht mehr zu stoppen. 175

176 10.4 Vereinbartes und Gedrucktes stabile Plattformen auf unwegsamem Gelände GeRECHT in NRW konnte in seiner Projektarbeit nicht auf eine etablierte und erprobte Praxis einer unabhängigen Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe zurückgreifen. Eine Geschäftsordnung zum Umgang der beteiligten Institutionen Jugendamt, Landesjugendamt, Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle, eine Kooperationsvereinbarung oder gar eine detaillierte Verfahrensbeschreibung von der Initialisierung über die Bearbeitung bis zum Abschluss konnte nicht aus anderen Praxisfeldern hinzugezogen werden. Diese Arbeitsgrundlagen mussten mit den beteiligten Einrichtungen erarbeitet, abgestimmt und beschlossen werden. Das Muster eines Beschwerdeverfahrens sowie eines Kinderschutzverfahrens wurde bereits in Kapitel 5 vorgestellt. Im Folgenden sollen weitere Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit mit den Modellstädten Köln und Essen vorgestellt werden. Alle Beschwerden wurden bearbeitet und jede war wichtig Die Qualität eines Beschwerdeverfahrens misst sich a.) am Ausmaß einer gelebten Ideen- und Beschwerdekultur (s. hierzu Kulturpyramide) und b.) an der Ernsthaftigkeit des Umgangs mit eingebrachten Ideen und Beschwerden. Mit anderen Worten: Der Erfolg des Modellprojektes gerecht in NRW drückt sich nicht allein in der (Viel- )Zahl der eingegangen Beschwerden aus je mehr, desto erfolgreicher sondern vielmehr in der gelebten und damit sichtbaren Ganzheitlichkeit von präventiver emanzipatorischer und intervenierender Ideen- und Beschwerdearbeit. Einrichtungen, die ihre Zielgruppen ermutigen, sich zu Wort zu melden (emanzipatorische Ideen- und Beschwerdearbeit), die den Kinderrechten durch Heimräte und/oder Gruppenabende Aufmerksamkeit schenken (präventive Ideen- und Beschwerdearbeit) fangen Beschwerden, die eine Schlichtung von hochexplosiven Rechtsverletzungen fordern, häufig frühzeitig im Interesse aller auf. Die Erfahrung zeigt: Eine unabhängige Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe braucht den Dreiklang: die Sensibilität für die Rechte der Kinder auf Seiten der Erwachsenen, eine gelebte Beteiligung in den Einrichtungen und ein funktionierendes strukturell verankertes internes Beschwerdemanagement. Dem Dreiklang tritt im Gewand der unabhängigen Beschwerdeinstanz ein neuer Ton hinzu. Dieser Septakkord spielt wie 176

177 in der Jazzharmonik in all seinen Formen eine zentrale Rolle und löst den Dreiklang als harmonisches Basismaterial ab. Kultur ist mehr als ein Stück. Eine Ideen- und Beschwerdekultur braucht eine Beteiligung aller. Bereits das unter 1. beschriebene Ergebnis verweist auf die Bedeutung einer Ideen- und Beschwerdekultur. Es geht hier um die Bearbeitung und Pflege von Angeboten, aber auch von Haltungen, von Techniken und letztendlich von Rechten, die Kinder und Jugendliche als Subjekt mit den ihnen zustehenden Schutz-, Förder- und Beteiligungsverpflichtungen in den Blick nehmen (vergleiche auch hierzu Kapitel 3). Die Bauleistung einer Kulturpyramide liegt somit in der Vollendung des gesamten und nicht in der Herstellung einzelner Stücke. Eine Ideen-und Beschwerdekultur braucht eine Beteiligung aller Mitarbeiter/innen Vormund Kinder / Jugendl. Unabhängige ngige Beschwerdestelle Internes Beschwerdemanagement Gelebte Beteiligung Leitung JA / LJA Politik Eltern Sensibilität t für f r die Rechte des Kindes Architekten dieses Bauwerks erbringen ihre Leistungen dabei nicht machtzentriert und in starren Strukturen. Sie führen Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Solche, die querdenken, bewahren oder erneuern wollen und auch solche, die nach Gold schürfen. Der Aufbau, die Pflege einer Kulturpyramide zur 177

178 Förderung einer Ideen- und Beschwerdepraxis in Einrichtungen der Erziehungshilfe gleicht der Arbeit in konzentrischen Kreisen. Den Mittelpunkt bildet eine Person oder eine Gruppe von Menschen mit einem Auftrag (zum Beispiel Umsetzung gesetzlicher Vorgaben, Realisierung einer neuen Einrichtungsform) und definierten Aufgaben und Kompetenzen. Diesen Mittelpunkt gilt es nun zu öffnen, auszubauen mit dem Ziel, dass die Arbeit an der Umsetzung des Auftrags, der Idee, weitere Kreise zieht. Den Akteur/innen im Zentrum muss es quasi gelingen, Systeme in Bewegung zu bringen und die, in diesen agierenden Personen, von ihren Vorhaben zu überzeugen. Wirklich gelingt diese Arbeit in sozialen Kontexten nur dann, wenn es dem Zentrum gelingt, weitere Kreise zu berühren. Hier geht es dann nicht mehr nur um Wissensvermittlung (Wortlaut der UN-Konvention über die Rechte des Kindes) sondern auch um eine Arbeit an Haltungen und Einstellungen (Was traue ich Kindern zu? Wie begegne ich ihnen im Kognitiven, Affektiven und im Verhalten?). Mit anderen Worten: Eine Ideen- und Beschwerdekultur etabliert sich in der stationären Kinder- und Jugendhilfe vertikal im Bild einer Kulturpyramide und horizontal im Bild konzentrischer Kreise. Gefordert sind hier Mitarbeiter/innen im Gruppendienst, Leitungskräfte, Vormünder, Jugendamtsmitarbeiter/innen, Eltern, Kinder und Jugendliche gleichermaßen. Auch die Politik ist zur Mitwirkung aufgefordert. Die tatsächliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in Einrichtungen und die Etablierung eines Beschwerdeverfahrens in persönlichen Angelegenheiten sind nicht ohne entsprechende Rahmenbedingungen (ausreichende Kostenerstattung, angemessene Personalschlüssel etc.) zu realisieren. Die Entstehungsgeschichte großer Bauwerke in der Kinder- und Jugendhilfe - wie zum Beispiel die Einführung differenzierter Unterbringungskonzepte (Außenwohngruppen, Wohngemeinschaft, Clearingstellen, sozialtherapeutisches Wohnen) oder der Wandel in der Heimerziehung von der Armenfürsorge über die Fürsorgeerzie- 178

179 hung zur Hilfe zur Erziehung - verweisen auf die Bedeutung und Wirksamkeit von Einzelpersonen (z.b. Johann Hinrich Wichern) und ganzer Gruppen (Studentenbewegung in den 1960er Jahren - Heimkampagne). Mit Kraft, Überzeugung, Offenheit und Mut schlugen sie ein neues Kapitel in der Entwicklung der Heimerziehung in Deutschland auf. Die Erfahrung an den Modellstandorten Essen und Köln zeigt, dass die Einführung einer Ideen- und Beschwerdeinstanz für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe mehr ist als die Einrichtung einer Stelle. Erforderlich ist ein Programm, das statisch stabil, inhaltlich und konzeptionell gemeinsam durchdacht und von Menschen gelebt wird. Solche, die ihre Macht bewahren wollen, Bedenken tragen oder das Gewohnte behalten möchten, müssen überzeugt werden. Gemeinsam entwickelte Ideen- und Beschwerdeverfahren (intern wie extern) geben Orientierung und Sicherheit. Sie machen das Leben im Heim zu einer gemeinsamen Sache von Kindern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften Jugendliche stellen sich nicht die Frage, ob es Beteiligung geben soll. Für sie ist sehr klar, dass Heimerziehung nur gelingen kann, wenn sie sich umfassend beteiligen können. Sie erleben dabei positive Ansätze, aber auch in vielen der Einrichtungen und Gruppen, in denen sie leben, noch einen erheblichen Handlungsbedarf (Sierwald/Wolff 2007, S. 174) Dieses Fazit aus zwei Forschungs- und Entwicklungsprojekten (Hochschule Landshut in Auftrag gegeben von SOS-Kinderdorf e.v. und Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.v.) hat nach vorliegenden Erfahrungen aus Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen noch heute Gültigkeit, auch im Kontext einer Beteiligung an der Entwicklung eines Ideen- und Beschwerdeverfahrens. Kinder und Jugendliche zeigten sich dann verstärkt gegenüber Regeln offen, wenn sie an der Aufstellung beteiligt, gut über ihre Bedeutung informiert und sie Sanktionen bei Regelverstößen nachvollziehen können. Gleiches gilt, wenn es um die Entwicklung und Festlegung eines Ideen- und Beschwerdeverfahrens geht. Wird dieser Prozess zu einem gemeinsamen Vorhaben, ist die Bereitschaft hoch, auch hier Regeln einzuhalten, etwa angemessene Ton- und Wortwahl, keine persönlichen Beleidigungen etc.. Da, wo es in den beteiligten Einrichtungen gelang, Kinder und Jugendliche 179

180 als Subjekte mit Recht auf Würde und Anerkennung ihrer Persönlichkeit, als Mitgestalter/innen eines Alltags in gegenseitiger Achtung, als Mitglieder einer Gemeinschaft, die von Erwachsenen klare Werthaltungen und Grenzen und selber Achtung ihrer eigenen Werte, Kompetenzen, Bedürfnisse und Interessen erwarten kann zu erreichen, wurde klar, dass schwierige Kinder und Jugendliche nicht nur als individuelle Problemträger/innen oder gar als Täter/innen, sondern auch Persönlichkeiten mit eindrucksvollen emotionalen, kognitiven und sozialen Kompetenzen sind. Schwierige Kinder sind nicht allein in ihrer Individualität problematisch, sondern auch auf Grund der ihren Lebensalltag im Heim berührenden Rahmenbedingungen (gesellschaftliches Ansehen von Heimkindern, unzureichende Personalsituation, fehlende pädagogische Antworten auf alltägliche Herausforderungen, unzureichender gesellschaftlicher Schutzauftrag für die Entwicklung von Jugendlichen 78, Hypothek aus dem Elternhaus). Das Leben im Heim wird stark von der Gruppe der Mitbewohner/innen beeinflusst. In der Gemeinschaft werden Sichtweisen anderer Kinder und Jugendlicher übernommen, gemeinsam lernen sie Konflikte zu lösen. Der Einfluss der Gleichaltrigen wurde schon in den Reformmodellen von Janusz Korczak oder auch von Anton Semjonowitsch Makarenko hervorgehoben. Günther Opp unterstreicht in mehreren Publikationen die Bedeutung verlässlicher Beziehungen zu anderen Menschen und die Zugehörigkeit zu stützenden Gemeinschaften. Auf dieser Plattform, so Opp, können sie Kompetenzen für ein eigenständiges Leben entwickeln: Vertrauen auf eigene Fähigkeiten, Wirksamkeit von Solidarität, Hilfe und Unterstützung. Berührt sein und berührt werden ist verknüpft mit der Erfahrung Prozesse, Situationen, Entscheidungen beeinflussen zu können, Wertschätzung zu erfahren und Verantwortung übernehmen zu können und zu müssen. Der Widerstand gegenüber einer selbsterlebten Ungerechtigkeit, das solidarische Eintreten gegenüber subjektiv wahrgenommenen Verletzungen der Rechte eines 78 Siehe hierzu auch: Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW (Hrsg.): Gesellschaftlicher Schutzauftrag für die Entwicklung von Jugendlichen ein Plädoyer zur Wahrnehmung von Risiken im Hilfesystem, Wuppertal, Dezember

181 Gruppenmitglieds, das konstruktive Einbringen von Ideen zur Stärkung des Wohlbefindens gehören zu den bedeutsamen Schlüsseln einer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Im diesen Sinne gehören Beschwerden nicht unter den Teppich, sondern auf den Tisch. Eine offensiv beförderte Ideen- und Beschwerdekultur führt so die Erfahrung einiger Mitarbeiter/innen der beteiligten Einrichtungen - zu einer größeren Akzeptanz ihres Lebens im Heim, was wiederum in engem Zusammenhang mit einem guten Gruppenklima steht. Beteiligung und eine positive Atmosphäre sind eng verbunden mit einer Unterbringung, in der sich die Jugendlichen wohlfühlen, auf die sie sich einlassen können. Zweifelsfrei: Der Weg hin zu einer lebendigen Ideen- und Beschwerdekultur ist steinig und an viele Voraussetzungen gebunden. Prozesse verlangen, dass Trägervertreter/innen, Einrichtungsmitarbeiter/innen, Kinder und Jugendliche sich als Akteure in einer lernenden Organisation begreifen. Hiermit verbunden ist die Bereitschaft, sich auf (weitgehende) Veränderungen von Strukturen, Prozessen und Selbstverständnissen einzulassen. Damit diese Bereitschaft Platz greifen kann, sind gemeinsam entwickelte und abgesprochene Orientierungslinien mit klaren Ankerpunkten vonnöten. (Wer kann/muss wann angesprochen werden? Wer kümmert sich um eine Lösung? Wer verantwortet, dass eine Idee, eine Beschwerde nicht im Sand versickert?) Die Förderung eines offensiven Umgangs mit Ideen und Beschwerden stellt nicht eine Bedrohung der pädagogischen Praxis dar, sondern ist wichtiger Bestandteil einer Heimpädagogik. Das Streiten über nichtbeachtete Interessen oder Wünsche, über Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, berührt die Beziehungsebene. In einer kritisch-konstruktiven Ausformung kann es zu einem Ort des Austausches über Nähe und Distanz, über Subjekt- und Objektstellung, über Miteinander und Gegeneinander werden. Miteinander Handeln und miteinander Kommunizieren braucht Zeit und Raum. 181

182 Die mit dem Wissen über meine Rechte einhergehenden Konflikte im Alltag der Heimerziehung verbauen nicht den pädagogischen Erfolg, sie fördern ihn. An Konfliktlagen von Mädchen und Jungen wurde deutlich, in welchen Formen sich Situationen zuspitzen können. Das Einbehalten des Taschengeldes, die starke Einschränkung der Handynutzung, das Mithören von Telefongesprächen, die Verweigerung einer verbaler Kommunikation und vieles mehr führten dazu, dass junge Menschen die Einrichtung fluchtartig verließen, aus Ohnmacht gewalttätig wurden, sich zurückzogen oder durch fortlaufendes Nörgeln über das schlechte Essen Erzieher/innen zu handgreiflichen Machtdemonstrationen provozierten. Einer Praxis, die die Rechte des Kindes deutlich in den Blick nimmt, kann es gelingen, durch eine neue Sichtweise von Außenstehenden auf Konfliktlagen, diese zu entspannen. Da, wo erzieherisches Handeln ins Leere läuft (z.b. Verweigerung des Jungen, miteinander ins Gespräch zu kommen), die Handlungsunfähigkeit von Mitarbeiter/innen in Einrichtungen durch Verletzung der Rechte des Kindes ersetzt wird, wird die offene und fordernde Auseinandersetzung über die Bedeutung und die Kraft der eigenen Rechte im Verhältnis zu den Rechten Dritter zum Ausgangspunkt wichtiger Auseinandersetzungen. Die dann zum Ausdruck kommende Machtasymmetrie wird sichtbar. Es kann gelingen, so die Rückmeldungen aus einzelnen Einrichtungen, Konflikte und Krisen im Zusammenhang mit dem Wissen um meine Rechte nicht als Versagen der pädagogischen Mitarbeiter/innen, als Entgleisung, als Störung eines Familienlebens im Heim anzusehen, sondern als Chance zu betrachten, neue Lösungswege zu erschließen. Diese Sichtweise setzt die Stellung des Kindes und Jugendlichen als Subjekt mit eigenen Rechten nicht einer Kultur der Einrichtung, ihrem Leitbild und dem pädagogischen Handeln der Beschäftigten gegenüber, sondern ist Teil dieser Kultur. Heiße und kalte Konflikte (vgl. Glasl 2004) im Alltag - so die Erfahrung - bieten wichtige Anlässe zur Kommunikation. Sich streiten ist (auch) Ausdruck einer Beziehung, die die persönliche Wichtigkeit des Gegenübers hervorhebt. In seiner konstruktiven Form stehen die Durchsetzung eigener Rechte und die Wahrnehmung der Rechte anderer für eine Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen 182

183 Persönlichkeit im Mittelpunkt. Der Streit über subjektiv wahrgenommene Rechtsverletzungen kann auch das Gefühl vermitteln, ernst genommen zu werden, gerecht behandelt zu werden. Die Wissensvermittlung über und die Auseinandersetzung über die Rechte des Kindes können den Erfolg einer stationären Hilfe nachhaltig stärken. Präventive Konfliktbehandlung kann durch frühzeitige Maßnahmen (z.b. rechtzeitige Informationsvermittlung) von vorneherein ein Ausbrechen oder die Eskalation eines Konfliktes verhindern. Ziel hierbei ist es, Kinder oder Jugendliche mit ihren Anteilen am Konflikt anzusprechen und sie frei zu machen von der Hoffnung, dass eine angemessene Durchsetzung ihrer Rechte nur von außen her erfolgen kann. Auch hier gilt, sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Selbstverständlich kann die Entfaltung der eigenen Kräfte nur im Rahmen körperlich und emotional angemessener Formen erfolgen. 183

184 11. Wegweiser und Perspektiven Der präventive Kinderschutz und die Sicherung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Erziehungshilfe (intervenierender und emanzipatorischer Kinderschutz) sind zentrale Schwerpunkte des Bundeskinderschutzgesetzes. Gesetzliche Vorgaben zur Sicherung der Rechte von Mädchen und Jungen in Einrichtung und ihrem Schutz vor Gewalt spiegeln Ergebnisse der Runden Tische zur Heimerziehung der 1950 bis 1970er Jahre und des Sexuellen Missbrauchs wieder. Diese wiesen unter anderem auf die Bedeutung folgender Aspekte hin: interne Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten in Einrichtungen, flankierende externe und unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen (Ombudschaft), kontinuierliche Qualitätsentwicklungsentwicklungsprozesse und verbindliche Standards sowie Ausschluss einschlägig Vorbestrafter von Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe. Der 14. Kinder- und Jugendbericht 2013 greift diese Forderungen auf und verweist in seinen Ausführungen darauf, wie wichtig unabhängige, ombudschaftliche Beratungsund Beschwerdestellen für jungen Menschen und ihre Familien sind. Diese könnten organisatorisch vorzugsweise bei den jeweiligen Jugendhilfeausschüssen etabliert sein. Sollte sich dies aufgrund rechtlicher Grundlagen als problematisch herausstellen, könnte eine Rechtsverordnung auch im Landesrecht erfolgen. In jedem Fall würden solche Ombudsstellen zu einer neuen Ausbalancierung bei der Wahrnehmung von öffentlicher Verantwortung, von Verantwortung im öffentlichen Raum und von privater Verantwortung führen (Bundesministerium für Familie u.a. 2013, S. 546). In diesem fachpolitischen Zusammenhang ist auch das Modellprojekt gerecht in NRW zu verorten. Sollen die positiven Erfahrungen für die beteiligten Kinder, Jugendlichen und Einrichtungen und die Ergebnisse der Entwicklungsprozesse der beteiligten Einrichtungen nicht verloren gehen, muss die Arbeit weitergehen. Dazu gehört es etwa, dass bereits eingeleitete einrichtungsinterne Qualitäts- und Organisati- 184

185 onsprozesse gepflegt und weiterentwickelt werden. Außerdem sollte eine landesweite Beschwerde- und Ombudschaft in der nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendhilfe angeboten werden. Hierzu folgende Empfehlungen zur Ausgestaltung: 11.1 Ausbau von Organisations- und Qualitätsentwicklungsprozessen in teilstationären und stationären Einrichtungen der Jugendhilfe Externe Beratungs- und Beschwerdestellen benötigen gut entwickelte interne Beschwerdesysteme in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Sie sollten in einem gemeinsamen Prozess mit allen Beteiligten (Leitungskräfte, Mitarbeiter/innen, Kinder und Jugendliche) erarbeitet worden sein. Beispiele gelungener Organisationsprozesse (z.b. Ev. Jugendhilfe Schweicheln) bestätigen die Voraussetzung und Bedeutung gemeinsamer Entwicklungsprozesse, damit Beschwerden aller Mitglieder der Einrichtung für organisatorische Lernprozesse genutzt werden können (s. Exkurs in Kapitel. 3). Diese Prozesse haben zu erkennbaren Veränderungen in Haltung und Atmosphäre in den Einrichtungen geführt Qualitativer und quantitativer Ausbau der Beratungsleistung des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe (gem. 8b Abs. 2 SGB VIII) Zur Unterstützung dieser Veränderungsprozesse steht allen Einrichtungen der Erziehungshilfe bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien Beratung seitens des überörtlichen Trägers nach 8b Abs. 2 SGB VIII zu. Dieser Anspruch leitet sich aus den Anforderungen des 45 SGB VIII (Betriebserlaubnis) ab und ist somit Aufgabe des überörtlichen Trägers. Ziel ist es, strukturelle Rahmenbedingungen, Verfahren und Angebote in den Einrichtungen zu fördern und einzufordern. Es geht auch darum, die Kinder vor Gewalt zu schützen sowie die Sicherung des Kindeswohls, die Beteiligung an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung 185

186 sowie Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten zu garantieren. Weiterhin soll die Sicherstellung von Beratungs- und Fortbildungsangeboten zwecks Qualifizierung im Bereich des Kinderschutzes für die Träger von Einrichtungen gegeben sein Initiierung zielgerichteter Konzeptdiskussionen zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe ( 79a SGB VIII) Im Sinne einer präventionsorientierten Diskussion zur Qualitätsentwicklung soll der überörtliche Träger im Vorfeld beratend tätig werden und nicht erst, wenn eine Kindeswohlgefährdung durch die Einrichtung gemeldet wird. Die bereits im 79 SGB VIII verankerte Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers erfährt durch die Formulierungen des 79a (Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe) eine weitere Konkretisierung. Dort wird u.a. klar formuliert, dass die Formulierung von Qualitätsmerkmale(n) für die Sicherung der Rechte für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen und ihren Schutz vor Gewalt ( 72a SGB VIII) zu den Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe zählt. Hierzu gehören in Anlehnung an 45 Abs. 2 SGB VIII auch geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Um an dieser Stelle auf einrichtungsspezifische Besonderheiten (handlungsfeldspezifisch) eingehen zu können, empfiehlt es sich, die anerkannten Träger in Form von Arbeitsgemeinschaften ( 78 SGB VIII) zu beteiligen, um gemeinsam Konzepte zur Qualitätsentwicklung zu erarbeiten (Kooperation auf Augenhöhe). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit sollten auch Möglichkeiten der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Personensorgeberechtigten entwickelt und praktiziert werden. Erfahrungen und Verfahren in anderen Zusammenhängen wie Kinder- und Jugendparlamente oder Kinder- und Jugendbeauftragte könnten hier bei der Erarbeitung von Qualitätsstandards genutzt werden. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen werden in den Jugendhilfeausschuss eingebracht, der die Qualitätskriterien und Qualitätsbewertungsverfahren beschließt (Deutscher Verein v ). 186

187 11.4 Implementierung einer starken Ombudschaft in der Kinderund Jugendhilfe in NRW Aufbau einer Ombudschaft als Zentralstelle und ortsnahe Angebote mit leichter, niederschwelliger Erreichbarkeit Sollen die Beratungs- und Beschwerdestellen ihren Zweck erfüllen, so müssen sie für Eltern, Kinder und Jugendliche leicht erreichbar sein. Angesichts der zunehmenden Nutzung des Internets, erscheint auch die Einrichtung einer virtuellen Beratungsstelle geeignet. Hierzu müssen Modelle erprobt und ausgewertet werden. Erste Erfahrungen des Modellprojekts zeigen eine deutliche Akzeptanz seitens der Kinder, Jugendlichen und Fachkräfte. Da diese Stelle aber auch in Kontakt mit den kommunalen Jugendämtern bzw. dessen sozialen Diensten sowie zu Einrichtungen und Diensten freier Träger treten muss und schließlich zwischen den unterschiedlichen Auffassungen vermitteln und bei Streitigkeiten schlichten soll, bedarf es ortsnaher Einrichtungen. Oft braucht es kurzfristige Entscheidungen und persönliche Begegnungen. Je besser die handelnden Personen vor Ort bekannt sind, umso eher wird ihnen Vertrauen und Akzeptanz entgegengebracht werden. Erprobung von Möglichkeiten und Grenzen des Ehrenamts Besonders in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen muss geklärt werden, wie alle potentiellen Nutzer/innen eine Beratungs- und Beschwerdestelle erreichen können. Eine Möglichkeit ist der Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter/innen in enger Zusammenarbeit mit einer zentralen Anlaufstelle. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen müssen in einem nächsten Schritt (Projekt Ombudschaft Jugendhilfe NRW e. V.) erprobt und ausgewertet werden. Bestehende Ombudsstellen haben gute Erfahrungen mit ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen in der Beratung und Beschwerdebearbeitung in Fragen der Leistungsgewährung gemacht. Dem gegenüber steht allerdings häufig die Skepsis der freien Träger (Einrichtungsleitungen). Hier wird auf die Notwendigkeit vertraulicher Kontakte und Beziehungen verwiesen, damit Kinder und 187

188 Jugendliche ein solches Angebot wahrnehmen. Die Erfahrungen des Modellprojekts zeigen, dass vertrauliche Beziehungen die Nutzung für Mädchen und Jungen erleichtern, aber nicht für alle unbedingt voraussetzend sind. Klärung des Verhältnisses Landesjugendamt örtliches Jugendamt Beratungs- und Beschwerdestelle Aufgrund fehlender gesetzlicher Verankerungen ist es notwendig, das Verhältnis zwischen Landesjugendamt, örtlichem Jugendamt und der Beratungs- und Beschwerdestelle mit gemeinsam erarbeiteten Vereinbarungen und Verfahren zu regeln und abzusichern. Diese Handlungssicherheit ist sowohl für die Beschwerdestelle als auch für die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie für alle anderen Nutzer/innen notwendig. Für alle muss deutlich sein, auf welcher Grundlage die Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen beruht. Gerade vor dem Hintergrund konflikthafter Klärungen müssen die Zuständigkeiten und Kompetenzen geregelt sein. Hierzu wird das Projekt Ombudschaft Jugendhilfe NRW in seiner Arbeit mit kooperierenden kommunalen Jugendämtern abschließend Aussagen machen können. Es ist an dieser Stelle aber grundsätzlich notwendig, die rechtliche und strukturelle Zuordnung einer externen Beratungs- und Beschwerdestelle im Kinder- und Jugendhilfesystem zu klären. Wiesner (2012) hat in seiner Expertise mit seinem Vorschlag der Zuordnung an die kommunalen Jugendhilfeausschüsse hierzu einen Vorschlag gemacht, den es auch vor dem Hintergrund einer gewachsenen und in der Sache begründeten Aufgabenverteilung zwischen öffentlicher, freier und gewerblich ausgerichteter Kinder- und Jugendhilfe zu prüfen gilt Landesgesetzliche Absicherung des präventiven Kinderschutzes in NRW Damit junge Menschen im Flächenland Nordrhein-Westfalen eine für sie ortsnahe Ombudsperson als persönliche/n Ansprechpartner/in finden können, ist das Zusammenwirken einer professionell besetzten Zentrale und dezentral tätigen, qualifizierten Ombudsfrauen und männern zu organisieren. 188

189 Deshalb ist eine unabhängige Ombudschaft in NRW landesgesetzlich zu verankern. Zur öffentlichen Finanzierung einer nicht von Eigeninteressen geleiteten unabhängigen Ombudschaft Jugendhilfe NRW sind Landesmittel erforderlich. Eine kommunale Finanzierung widerspricht allerdings der Interessenslage der kommunalen Spitzenverbände, so die Erklärung verschiedner Akteure der kommunalen Spitzenverbände. Einführung eines Länderberichts Ombudschaft in NRW Ein Länderbericht Ombudschaft in NRW nimmt den aktuellen Stand ombudschaftlicher Aktivitäten und Entwicklungen in der nordrhein-westfälischen Kinder- und Jugendhilfe auf (Überblick), bewertet die Entwicklungen und nimmt Stellung zu pädagogischen und politischen Erfordernissen. Des Weiteren sollten gelungene Beispiele einrichtungsinterner Entwicklungen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als auch die Erfahrungen internen Beschwerdemanagements gebündelt und ausgewertet werden. Es wird empfohlen, diesen Bericht als Teilbericht des oder als Expertise zum Kinderund Jugendbericht NRW zu veröffentlichen. 189

190 12. Literatur Abschlussbericht des Runden Tisches 2010: Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren. Berlin. Adorno, T. W. 1971: Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt a. M. Albus, S./ Greschke, H./ Klingler, B. u.a. 2010: Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Abschlussbericht der Evaluation des Bundesmodellprogramms Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung durch wirkungsorientierte Ausgestaltung der Leistungs-, Entgeltund Qualitätsvereinbarungen nach 78a ff SGB VIII, hrsg. von ISA Planung und Entwicklung GmbH. Hamm. Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe 1994: Wie kommen Kinder zu Recht? Bonn. Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. 2007: 5 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe. Berlin. Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. 2009: Fallstatistik Stand Berlin Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. 2012: 10 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe. Berlin. Bernhard, A. 2008: Pädagogisches Denken. Einführung in allgemeine Grundlagen der Erziehungs- und Bildungswissenschaften. 3. Auflage. Baltmannsweiler. Bertram, H. (Hrsg.) 2008: Mittelmaß für Kinder. Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Verlag C.H. Beck. München. Bourdieu, P. 1982: Die feinen Unterschiede. Frankfurt a. M. Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter 2009: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Betriebserlaubniserteilung für Einrichtungen der Erziehungshilfe, Manuskript, Hamburg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) 2013: 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) 2010: Compasito. Handbuch zur Menschenrechtsbildung für Kinder. Berlin. Deinet, U./ Reutlinger, C. 2004: Einführung, in: Deinet, U./ Reutlinger, C. (Hrsg.): Aneignung als Bildungskonzept der Sozialpädagogik. Wiesbaden, S Diakonieverbund Schweicheln e.v. (Hrsg.) 2006: Erziehung braucht eine Kultur der Partizipation. Umsetzung und Ergebnisse eines Modellprojekts in der Erziehungshilfe. Hiddenhausen. 190

191 Die Bundesregierung (Hrsg.) 2011: Runder Tisch Sexueller Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich. Abschlussbericht. Berlin. Deutsches Jugendinstitut e.v. (DJI) 2003: Kinder- und Jugendhilfe in Bewegung Aktion oder Reaktion? Eine empirische Analyse. München Deutsches Jugendinstitut e.v. (DJI) 2005: Entwicklungen (teil)stationärer Hilfen zur Erziehung. Ergebnisse und Analysen der Einrichtungsbefragung München Deutscher Kinderschutzbund Landesverband e.v. (Hrsg.) 2010: Antrag an den Landschaftsverband Rheinland auf Förderung aus der Position Modellprojekt. Unabhängige Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe. Wuppertal Deutscher Kinderschutzbund Landesverband e.v. (Hrsg.) 2012: Sexualisierte Gewalt durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an Mädchen und Jungen in Organisationen Eine Arbeitshilfe. Wuppertal. Elefanten - Kinderschuhe (Hrsg.) 2012: Die Elefanten-Kinderstudie 2011/2012. Zur Situation der Kindergesundheit in Deutschland. Recklinghausen. Finke, B./ Punge, D./ Averbeck, B. 2012: Theorie-Praxis-Verzahnung in Bereich der öffentlichen Jugendhilfe, in: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 4/2012, Weinheim, S Grgic, M./ Holzmayer, M. 2012: Zwischen Fußball und Facebook. Jugendliche sind vielseitig interessiert. Über die Aktivitäten der Generation 2.0, in: DJI Impulse 3/2012, München, S Goffmann, E. 1972: Asyle Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt a. M. Glasl, F. 2004: Konfliktmanagement. Bern und Stuttgart und Wien. Helming, E./ Kindler, H./ u.a. 2011: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen. Rohdatenbericht. Deutsches Jungendinstitut. München. Heydorn, H. J. 1972: Zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs. Frankfurt a. M. Hornstein, W. / Thole, W. 2005: Kindheit, in: Kreft, D./ Mielenz, I. (Hrsg): Wörterbuch Soziale Arbeit. Weinheim, S Informationszentrum Kindesmisshandlung/Kindesvernachlässigung (IzKK) (2009). UN-Kinderrechtskonvention. Impulse für den Kinderschutz. Hrsg.: Deutsches Jugendinstitut, Heft 1/2009. München. Isaacsons, W. 2011: Steve Jobs: die autorisierte Biographie des Apple Gründers. München. 191

192 Keune-Sekula, L. 2011: Der Kummerkönig. Bilderbuch mit Ratgeber. Köln. Kotthaus, J. 2007: Die Partizipation des Kindes. Ergebnis einer Studie mit Jugendamtsmitarbeiterinnen und mitarbeitern zur Teilhabe von Kindern an Entscheidungen über langfristige Jugendhilfemaßnahmen, in: Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe. 5/2007, S Kriener, M. 2006: Auf dem Weg zur Partizipationskultur: Arbeitshilfen zur Instrumentenentwicklung, in: Diakonieverbund Schweicheln e.v. (Hrsg.) 2006: Erziehung braucht eine Kultur der Partizipation, Landesjugendhilfeausschuss Bayern (Hrsg.) 2012: Handreichung für den Aufbau und die Verankerung institutioneller Partizipationsmöglichkeiten und formen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Beschluss vom , Landschaftsverband Rheinland / Landesjugendamt (Hrsg.) 2008: Arbeitshilfen zur Aufsicht über stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe, Landschaftsverband Rheinland / Landesjugendamt (Hrsg.) 2009: Rundschreiben Nr. 43/11/2009, Modellförderung 2010, Förderung von Modellprojekten in der Kinderund Jugendhilfe aus Mitteln des Landschaftsverbandes Rheinland gem. 85 Abs. 2 Ziff. 4 SGB VIII. Köln. Landschaftsverband Rheinland/ Landesjugendamt (Hrsg.) 2012: Handbuch Jugendhilferecht. Vorschriftensammlung für die Kinder- und Jugendhilfe in Nordrhein- Westfalen. Köln. Liebel, M. 2009: Nicht über unsere Köpfe hinweg oder: Partizipation ist der beste Kinderschutz, in: Informationszentrum Kindeswohlgefährdung/Kindesmisshandlung (IzKK): UN-Kinderrechtskonvention. Heft 1/2009, S Liebel, M: 2012: Kinder und Gerechtigkeit. Über Kinderrechte neu nachdenken. Weinheim. Lutz, R./ Hammer, V. (Hrsg.) 2010: Wege aus der Kinderarmut. Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und sozialpädagogische Handlungsansätze. Weinheim. Marshall, T. 1992: Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates. Frankfurt a. M. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2011: JIM Studie Jugend, Information, (Multi-)Media. Stuttgart. 192

193 Messmer, H./ Hitzler, S. 2011: Interaktion und Kommunikation in der Sozialen Arbeit. Fallstudien zum Hilfeplangespräch, in: Oelerich/Otto (Hrsg.) 2011, S Mörsberger, T. 2011: Kinderschutz per Betriebserlaubnis. Zur Novellierung der 45 und 47 SGB VIII durch das Bundeskinderschutzgesetz, in: Jugendamt. Zeitschrift für Jugendhilfe und Familienrecht, Heft 11/2011. Heidelberg, S Mund, P. 2011: Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe, in: Nachrichten Dienst (NDV) des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.v. 14/2011, Berlin, S Müller, M. 2009, Partizipation in der Heimerziehung. E-Dissertation. Universität Wuppertal, MTV Networks Germany GbmH/ Volkswagen AG (Hrsg.) 2010: MePublic. A global study on social media youth, Berlin und Wolfsburg, Oelerich, G./ Schaarschuch, A. (2005): Der Nutzen Sozialer Arbeit. In: Oelerich/ Schaarschuch (Hrsg.): Soziale Dienstleistung aus Nutzersicht. Zum Gebrauchswert Sozialer Arbeit. München/ Basel. S Oelerich, G./ Otto, H.-U. (Hrsg.) 2011: Empirische Forschung und Soziale Arbeit. Ein Studienbuch. Wiesbaden. Rätz-Heinisch, R./ Schroer, W./ Wolff, M. 2009: Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe: Grundlagen, Strukturen, Handlungsfelder und Perspektiven. Weinheim und München. Schaarschuch, A. 1996: Soziale Arbeit in guter Gesellschaft? Gesellschaftliche Modernisierungen und Normalisierungen der Sozialpädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik. Heft 6/1999, S Schaarschuch, A. 1999: Theoretische Grundelemente Sozialer Arbeit als Dienstleistung, in: neue praxis Heft 6/1999, S Schaarschuch, A. 2008: Vom Adressaten zum Nutzer von Dienstleistungen. In: Bielefelder Arbeitsgruppe 8 (Hrsg.): Soziale Arbeit in Gesellschaft. 1. Auflage. Wiesbaden, S Schnurr, S. 2005: Partizipation, in: Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik, S Schnitzlein, D. 2013: Wenig Chancengleichheit in Deutschland: Familienhintergrund prägt eigenen ökonomischen Erfolg, in Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DWI), Wochenbericht 4/2013. Berlin, S Schröder, R. 1995: Kinder reden mit. Weinheim und Basel. 193

194 Schruth, P. 2008: Zukunft der Jugendhilfe braucht Stärkung der Betroffenenrechte zu den Entwicklungsbedingungen partizipativer Ombudschaft. Vortragsmanuskript. IGFH - Jahrestagung, Magdeburg, September Sierwald, W. / Wolff, M. 2007: Beteiligung in der Heimerziehung Sichtweisen von Jugendlichen und Perspektiven für die Praxis, S. 174., in: SOS Kinderdorf, Sozialpädagogisches Institut: Kinderschutz, Kinderrechte, Beteiligung. Dokumentation zur Fachtagung 15. bis in Berlin Stadt Essen, Jugendamt (Hrsg.) 2009: Hilfeplanverfahren des Jugendamtes Soziale Dienste gem. 36 SGB VIII. Essen. Stadt Essen, Jugendamt/ Jugendhilfeplanung (Hrsg.) 2012: Heimentwicklungsplanung des Jugendamtes Essen, Teil 1. Essen. Stange, W. (o.j.): Was ist Partizipation?, Sünker, H. 1991: Das Kind als Subjekt?, in: Widersprüche 11, H 38 (1991). Offenbach. Sünker, H. 1999: Kritische Bildungstheorie und Gesellschaftsanalyse: Bildung, Arbeit und Emanzipation, in: Krüger, H.-H./ Sünker, H. (Hrsg.): Kritische Erziehungswissenschaft am Neubeginn?! Frankfurt a. M., S Swiderek, T. 2003: Kinderpolitik und Partizipation von Kindern. Im Spannungsfeld von Vergesellschaftung und der Möglichkeit größerer Selbstbestimmtheit, Mündigkeit und dem Erlernen von Demokratie. Frankfurt a. M. Tabel, A./ Fendrich, S./ Pothmann, J. 2011: Warum steigen die Hilfen zur Erziehung? Ein Blick auf die Entwicklung der Inanspruchnahme, in: Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe (KomDat) 3/2011. Dortmund, S Urban, U. 2004: Professionelles Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle. Sozialpädagogische Entscheidungsfindung in der Hilfeplanung. Weinheim und München. Urban- Stahl, U. 2011: Ombuds- und Beschwerdestellen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (Expertise). Hrsg.: Nationales Zentrum Frühe Hilfen. Beiträge zur Entwicklung im Kinderschutz. Köln. Urban-Stahl, u. 2012: Beschwerde- und Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe, in: Forum Jugendhilfe 1 / 2012, Berlin, S Wabnitz, R. 2007: Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit. Weinheim. Wabnitz, R. 2011: Für den Fortbestand des Rechtsanspruchs auf Hilfe zur Erziehung im SGB VIII, in: neue praxis 5/2011, Neuwied, S

195 Wagner, T. 2009: Citizenship, Soziale Arbeit und Soziale Klassen. Von der politischen Produktivität des Bürgers in der Sozialen Arbeit, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Jg. 29, H. 112, S Wiesner, R. 2012: Implementierung von ombudschaftlichen Ansätzen der Jugendhilfe im SGB VIII. Rechtsgutachten. Hrsg.: Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.v. Berlin. Winkler, M. 2006: Kleine Skizze einer revidierten Theorie der Sozialpädagogik, in: Badawika, T./ Luckus, H./ Müller, H. (Hrsg.): Das Soziale gestalten. Über Mögliches und Unmögliches der Sozialpädagogik. Wiesbaden, S Word Vision Deutschland e.v. 2010: Kinder in Deutschland. 2. World Vision Kinderstudie. Frankfurt a. M. Internetquellen: www. deutscher-verein.de/05-empfehlungen www. ombudschaft-jugendhilfe.de www. unternehmertipps.de www. ejh-schweicheln.de 195

196 13. Anhang 13.1 Grundsätze und Standards 13.2 Beschwerdeverfahren, Kinderschutzverfahren, Vereinbarungen, Flyer für Kinder und Fachkräfte/Eltern 13.3 Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis (Methodenkoffer) 196

197 Standards Grundsätze (Modellprojekt gerecht in NRW) Zielsetzung GeRECHT versteht sich als parteiliche Vertretung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, indem sie ihre Umsetzung befördert und Kindern und Jugendlichen so zu ihrem Recht verhilft. Ausgehend von den Kindern und Jugendlichen als Träger eigener Rechte arbeitet gerecht nach den Prinzipien einer partizipativen Betroffenenbeteiligung, in dem es Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit eines eigenständigen Beschwerdeverfahrens ermöglicht. Zielgruppe GeRECHT bietet Kindern und Jugendlichen, die in stationären Erziehungshilfeeinrichtungen in den Modellregionen Köln und Essen leben, die Möglichkeit zur Beschwerde, Kritik und Anregung. Beschwerdeführer sind die Kinder und Jugendlichen selbst. Darüber hinaus berät gerecht Personensorgeberechtigte, Vertrauenspersonen der Betroffenen und Fachkräfte der Jugendhilfe. Arbeitsweise Bei der Unterstützung der Ratsuchenden und der Umsetzung der Kinderrechte haben Beratung, Vermittlung, Verhandlung im Sinne von konstruktiver Konflikthandhabung Vorrang vor juristischen Schritten. Freiwilligkeit und Transparenz: Die Unterstützung durch die Beschwerdestelle gerecht erfolgt durch die Beauftragung durch ein Kind oder einen Jugendlichen. Das Kind wird mit seinem Anliegen ernst genommen und bleibt Subjekt des durch Transparenz gekennzeichneten Beratungsverfahrens. Aktives Zuhören, Nachfragen, ausführliches Informieren sowie die Zustimmung der Betroffenen zu jedem weiteren Verfahrensschritt sind Elemente des Unterstützungsprozesses. Die Beratung und Begleitung durch gerecht ist für die Ratsuchenden unentgeltlich. GeRECHT ist eine unabhängige Beschwerdestelle, die den Blick auf die Rechte der Kinder und Jugendlichen betont. 197

198 Bei Verdacht auf eine akute Kindeswohlgefährdung werden die Mitarbeiter/innen der Beschwerdestelle für den wirksamen Schutz des Kindes oder Jugendlichen eintreten und ein eigenes Verfahren zum Kinderschutz (angelehnt an 8a SGB VIII) entwickeln. Qualitätssichernde Maßnahme: Das Team der zentralen Anlauf- und Steuerungsstelle verpflichtet sich, alle Beschwerden in regelmäßigen Teamsitzungen gemeinsam zu beraten und Handlungsstrategien zu entwickeln. Bei Bedarf können weitere Fachkräfte des Kinderschutzbundes Landesverband NRW sowie juristische Unterstützung hinzugezogen werden. Mitarbeiter/innen Fachlichkeit: Die Mitarbeiter/innen der zentralen Anlauf- und Steuerungsstelle stellen aufgrund ihrer praktischen Berufserfahrungen in der freien und öffentlichen Jugendhilfe sowie durch ihre theoretischen/wissenschaftlichen Kenntnisse sicher, dass sie Beschwerdefälle kompetent und diesen Grundsätzen entsprechend bearbeiten können. Bei den ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen in den regionalen Beratungsteams handelt es sich um Fachkräfte aus der Jugendhilfe oder angrenzenden Arbeitsbereichen, die durch eine Fortbildung auf ihre Tätigkeit vorbereitet wurden/werden. Dokumentation und Datenschutz Dokumentation: Die Beschwerden werden dokumentiert, ausgewertet und anschließend anonymisiert archiviert. Evaluation: Die Einzelfallerfahrungen sollen im Hinblick auf systematische Schwachstellen der Rechtslage und ihrer Umsetzung in der Jugendhilfe analysiert werden. Wahrnehmung des Datenschutzes: Informationen der Betroffenen dürfen nur mit deren Einwilligung und in gesetzlich geregelten Ausnahmen preisgegeben werden. 198

199 Beschwerdeverfahren (Stand 20. September 2011) 1. Das Angebot der Beschwerdestelle gerecht in NRW richtet sich an Mädchen und Jungen, die in (teil-)stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe in den Modellregionen Essen und Köln leben. Wird eine Beschwerde durch Eltern, Fachkräfte oder Dritte herangetragen, so wird zunächst das Gespräch mit dem betroffenen Mädchen/Jungen gesucht. Dies verdeutlicht die Subjektstellung des Kindes/Jugendlichen zu Beginn und über das gesamte Beschwerdeverfahren hinweg und will deutlich machen, dass das Kind bzw. der/die Jugendliche mit seinem/ihrem Anliegen ernst genommen und an allen Entscheidungen/Handlungsschritten beteiligt wird. So wird das Mädchen/der Junge umfänglich, seinem Alter entsprechend in einem transparenten Verfahren beteiligt, parteilich beraten und im Rahmen eines fachlichen Prozesses unterstützt. Hierbei wird das Mädchen/der Junge bereits zu Beginn des Verfahrens über den Kinderschutzauftrag der Beschwerdestelle altersentsprechend und unabhängig vom Auftreten gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung informiert, um sicherzustellen, dass dem Kind/Jugendlichen die Rahmenbedingungen eines Tätigwerdens der Beschwerdestelle eingangs bekannt sind. Dies schließt anonyme Beschwerden im Sinne des hier vorgeschlagenen Beschwerdeverfahrens aus. Bei anonymen Meldungen informiert gerecht entsprechend geeignete Stellen (Einrichtung, örtliches Jugendamt, Landesjugendamt etc.). 2. Der Beschwerdefall wird im Team der zentralen Steuerungsstelle von ge- RECHT mit mindestens zwei Fachkräften vorgestellt und im Rahmen eines fachlichen Prozesses miteinander beraten. Hierbei wird insbesondere in den Blick genommen: Wird eine erlebte Verletzung eines Kinderrechtes im Sinne der UN-KRK geschildert? Ist eine Kooperation mit einem internen Beschwerdeverfahren in der entsprechenden Einrichtung vom Mädchen oder Jungen gewollt, sinnvoll oder möglich? Kann ein Beschwerdefall nicht durch gerecht bearbeitet werden, so informiert gerecht das Kind bzw. den Jugendlichen/die Jugendliche über mögliche geeignete Stellen und alternative Beschwerdewege. 199

200 3. Das persönliche Gespräch mit dem Mädchen/Jungen dient dem eingehenden Fallverständnis und will das Kind/den bzw. die Jugendliche(n) mit seinem Anliegen und seinen individuellen Lebensumständen kennenlernen. Die Gesprächsinhalte sind vertraulich. Das Mädchen/der Junge wird über seine Rechte und mögliche Rechtsverletzungen durch Dritte aufgeklärt. Gemeinsam werden Handlungsoptionen, die das Kind bzw. der/die Jugendliche alleine umsetzen kann sowie Handlungswege, die gemeinsam mit gerecht realisiert werden können, erörtert. Hierbei sind dem Mädchen/Jungen die Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen der Bearbeitung einer Beschwerde durch gerecht transparent und verständlich zu erläutern. 4. Der Beschwerdefall und mögliche Handlungsoptionen werden im Team beraten. Die fallführende Fachkraft berichtet regelmäßig im Team über den Fortgang des Beschwerdefalles und erörtert gemeinsam mögliche Handlungsoptionen nach dem Vier-Augen-Prinzip (eine fallführende Fachkraft im Kontakt mit dem Kind/Jugendlichen und mindestens eine Fachkraft zur Reflexion und Beratung im Hintergrund). 5. Die Fachkraft bearbeitet die Beschwerde in enger Abstimmung mit dem Mädchen/Jungen und berücksichtigt hierbei die Besonderheiten des Einzelfalles (Alter des Kindes/Jugendlichen, seine Lebensumstände, Konzept und Leitbild der Einrichtung etc.). Das Mädchen/der Junge wird umfänglich, seinem Alter entsprechend, an allen Entscheidungen in einem transparenten Verfahren beteiligt, parteilich beraten und im Rahmen eines fachlichen Prozesses unterstützt. Die Kontaktaufnahme mit Dritten (Fachkräften/Leitung der Einrichtung, anderer beteiligter Stellen, Eltern etc.) erfordert die Zustimmung des Mädchens/Jungens, sofern dies nicht seinem Schutz widerspricht (s. Verfahren zum Kinderschutz). GeRECHT versteht sich als weisungsunabhängig gegenüber öffentlichen, freien und privaten Jugendhilfeträgern. Die Zusammenarbeit mit den beteiligten HzE-Einrichtungen in den Modellregionen ist von einer Haltung der Wertschätzung im Bemühen um eine konstruktive, einvernehmliche Lösung im Sinne einer Vermittlung/Verhandlung zwischen dem Mädchen/Jungen und den Fachkräften der Einrichtung geprägt. Gemeinsam im Gespräch mit dem Kind/Jugendlichen wird geklärt, ob und ggf. welche Person (geeignete Vertrauensperson der Einrichtung, der Beschwerdestelle etc.) die Themen des Beschwerdefalles in den Hilfeplan einbringt. Ein Beschwerdefall wird im Einvernehmen mit dem Mädchen/Jungen abgeschlossen. Die Ergebnisse der Vermittlung sollen für alle Beteiligten schriftlich festgehalten werden und im Rahmen eines lösungsorientierten Beratungsprozesses in Zusammenarbeit mit der Einrichtung erforderliche interne sowie externe Veränderungsprozesse anregen. 200

201 6. Jeder Beschwerdeauftrag und Beschwerdefall wird (anonymisiert) dokumentiert. Ein jährliches Berichtswesen informiert die beteiligten Einrichtungen, die örtlichen Jugendämter in den Modellregionen und das Landesjugendamt Rheinland über die Anzahl der Beschwerdefälle, Beschwerdethemen, Bearbeitungswege etc. 201

202 Verfahren zum Kinderschutz (Stand 20. September 2011) Ausgehend von der Tätigkeit gerechts auf dem Gebiet des SGB VIII und aus seinem Selbstverständnis heraus, erfordert die Arbeit mit subjektiven Beschwerdefällen von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Erziehungshilfe ein entsprechend strukturell verankertes Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Das hier vorgeschlagene Verfahren orientiert sich an den Leitlinien des 8a SGB VIII und nimmt insbesondere Kinder und Jugendliche in der Altersspanne von Jahren in den Blick, da davon ausgegangen wird, dass vorrangig ältere Kinder und Jugendliche über die notwendigen Ressourcen verfügen, die Möglichkeit der externen Beschwerde für sich zu nutzen. Die Verfahrensschritte im Überblick: 1. Nehmen die Fachkräfte (der zentralen Steuerungsstelle) gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes/Jugendlichen wahr, so ist unter Einbeziehung der Leitung zeitnah eine Risikoabschätzung mit mindestens zwei Fachkräften durchzuführen. Eine im Kinderschutz erfahrene Fachkraft ist hinzuzuziehen. 2. Das Kind/der Jugendliche ist in die Problemkonstruktion einzubeziehen. 3. Ist das Wohl eines Kindes/Jugendlichen gefährdet, so ist die Einrichtung, in der das Kind/der Jugendliche lebt, über das Ergebnis der Risikoabschätzung zu informieren. 4. Bleibt das Kind/der Jugendliche nach Hinzuziehung der Einrichtung, in der es/er lebt, weiterhin schutzlos, so ist das örtliche Jugendamt zu informieren. 5. Die einzelnen Verfahrensschritte sind entsprechend zu dokumentieren. 202

203 Die fünf Verfahrensschritte werden im Folgenden erläutert: 1. Nehmen die Fachkräfte (der zentralen Steuerungsstelle) gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes/Jugendlichen wahr, so ist unter Einbeziehung der Leitung zeitnah eine Risikoabschätzung mit mindestens zwei Fachkräften durchzuführen. Eine im Kinderschutz erfahrene Fachkraft ist hinzuzuziehen. Unter Kindeswohlgefährdung wird die andauernde oder wiederholte Unterlassung der notwendigen psychischen und/oder physischen Versorgung des Kindes bzw. Jugendlichen verstanden. Eine Gefährdung liegt vor, wenn die missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge und/oder das Verhalten Dritter (z.b. Fachkräfte der Einrichtung) die psychische und/oder physische Unversehrtheit des Kindes/Jugendlichen bedrohen. Der Begriff der Kindeswohlgefährdung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Zusammenwirken der Fachkräfte im Rahmen der Risikoabschätzung näher bestimmt werden muss, indem die wahrgenommenen Anhaltspunkte nach Art, Schwere, Dauer und Häufigkeit geprüft und bewertet werden. Eine Gefährdung für das Wohl eines Jugendlichen kann, anders als zumeist bei jüngeren Kindern, auch im Verhalten des Jugendlichen selbst liegen und muss nicht zwingend von seinem Umfeld (Einrichtung, Eltern, Dritten) ausgehen. Indikatoren für eine Gefährdung des Wohls eines Jugendlichen/älteren Kindes sind u.a. (bezogen auf Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfe): Verhalten des Jugendlichen Drogen/übermäßiger Alkoholkonsum Glücks- oder Videospielsucht Probleme in/vernachlässigung oder Verweigerung von Schule bzw. Ausbildung Psychische Probleme (z.b. suizidale Tendenzen, Essstörungen) Vernachlässigung der eigenen Person (z.b. Ernährung, Körperpflege, Gesundheitsfürsorge) Soziale Isolation Delinquentes oder kriminelles Verhalten Sexuelle/partnerschaftliche Beziehungen zu wesentlich älteren Personen 203

204 Gewalttätiges Verhalten oder Zugehörigkeit zu Problemgruppen (Sekten, politische Extremisten, Kriminelle) Verhalten des sozialen Umfeldes (Einrichtung, Eltern, Dritte) Fehlende oder missbräuchliche Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung Physische, psychische und sexuelle Gewalt Emotionale Vernachlässigung Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes/Jugendlichen sind Anzeichen, die auf eine Gefährdung schließen lassen, von denen die Fachkräfte im Gespräch mit dem beschwerdeführenden Kind/Jugendlichen erfahren. Dies können eigene Beobachtungen, Hinweise und Informationen über Handlungen oder Lebensumstände sein, die das leibliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes/Jugendlichen gefährden. Die Fachkräfte (der zentralen Steuerungsstelle) sind weder verpflichtet noch befugt, Informationen zu den Lebensumständen des Jugendlichen bei Dritten (Schule etc.) einzuholen. Das Risiko für die Gefährdung des Kindeswohls/Wohl des Jugendlichen ist im Team (mind. zwei Fachkräfte der zentralen Steuerungsstelle) gemeinsam mit der Leitung und einer im Kinderschutz erfahrenen Fachkraft im Rahmen der Kollegialen Beratung abzuschätzen. Die Gefährdungseinschätzung kann unterstützend durch Risikoeinschätzungsbögen ergänzt werden, um die eigene Wahrnehmung zu strukturieren, verschiedene Gefährdungsbereiche in den Blick zu bringen und die Risikoabschätzung im Team vorzubereiten. Für die o.g. Altersgruppe erscheint der Risikoeinschätzbogen des Internationalen Bundes für Jugendliche (12-18 Jahre) bzw. der Risikoeinschätzungsbogen für Kinder (0-12 Jahre) hilfreich, allerdings bezieht er sich auf Kinder und Jugendliche, die bei ihren Eltern leben. Die Perspektive gefährdeter Kinder in Einrichtungen der Erziehungshilfe wird wie bei allen Instrumenten zur Risikoabschätzung nicht ausreichend berücksichtigt. Bei Anzeichen für eine akute Kindeswohlgefährdung/Gefährdung eines Jugendlichen, ist eine Sicherheitseinschätzung mit mindestens zwei Fachkräften (der zentra- 204

205 len Steuerungsstelle) durchzuführen. Ist unverzügliches Handeln zum Schutz des Kindes notwendig, so sind geeignete Maßnahmen zu treffen. Die Einrichtung, in der das Kind/der Jugendliche lebt, ist in jedem Fall zu informieren. 2. Das Kind/der Jugendliche ist in die Problemkonstruktion einzubeziehen. Das Verfahren zum Kinderschutz berücksichtigt einen hohen Grad der Beteiligung des beschwerdeführenden Kindes bzw. Jugendlichen. Dies heißt, der Kinderschutzauftrag wird dem Kind/Jugendlichen in angemessener transparenter Weise zu Beginn des Beschwerdeverfahrens unabhängig vom Verdacht der Gefährdung erläutert. Im Falle einer vermuteten Gefährdung wird das Kind/der Jugendliche frühzeitig in die Risikoabschätzung im Sinne einer gemeinsamen Problemkonstruktion einbezogen, soweit sein Schutz hierdurch nicht in Frage gestellt wird. Die Hinzuziehung Dritter (etwa der Einrichtung, Eltern, Jugendamt) erfordert in der Regel die Zustimmung des Jugendlichen, solange dies seinem Schutz nicht zuwiderläuft (Abwägungsprozess nach 34 StGB, welches Rechtsgut vorrangig ist). 3. Ist das Wohl eines Kindes/Jugendlichen gefährdet, so ist die Einrichtung, in der das Kind/der Jugendliche lebt, über das Ergebnis der Risikoabschätzung zu informieren. In Kooperation mit den Fachkräften/der Leitung der Einrichtung ist die Gefährdungseinschätzung zu erläutern und im Rahmen einer gemeinsamen Einschätzung abzusichern. Zur Abwendung der Gefährdung des Kindes/Jugendlichen erstellt die Einrichtung einen Schutzplan gemäß ihrem Kinderschutzauftrag nach 8a SGB VIII und informiert hierüber gerecht. Soweit dies eine Abweichung von den im Hilfeplan festgeschriebenen Zielen und Inhalten bedeutet, ist das örtliche Jugendamt durch die Einrichtung hinzuzuziehen. 205

206 4. Bleibt das Kind/der Jugendliche nach Hinzuziehung der Einrichtung, in der es/er lebt, weiterhin schutzlos, so ist das örtliche Jugendamt zu informieren. Ergreifen die Fachkräfte der Einrichtung keine Schutzmaßnahmen zur Abwendung der Gefährdung oder bleiben diese Schutzmaßnahmen auch nach einer erneuten Risikoabschätzung wirkungslos, so ist im Gespräch mit der Einrichtung auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Jugendamtes hinzuwirken. Ist die Einrichtung nicht bereit, dass Jugendamt hinzuzuziehen, so ist das Jugendamt möglichst unter Beteiligung des beschwerdeführenden Kindes/Jugendlichen zu informieren. 5. Die einzelnen Verfahrensschritte sind entsprechend zu dokumentieren. 206

207 Absprache zwischen gerecht in NRW und den kooperierenden Einrichtungen Das Projekt gerecht in NRW eine unabhängige Beschwerdeinstanz in Einrichtungen der Erziehungshilfe bietet Kindern und Jugendlichen, die in stationären und teilstationären Erziehungshilfeeinrichtungen ( 32, 34 SGB VIII) in den Modellregionen Köln und Essen leben, eine zusätzliche Möglichkeit zur Beschwerde und Kritik. GeRECHT versteht sich als parteiliche Vertretung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Sinne der UN Kinderrechtskonvention, indem sie ihre Umsetzung befördert und Kindern und Jugendlichen so zu ihrem Recht verhilft. Beschwerdeführer sind und bleiben in der Regel die Kinder und Jugendlichen selbst. Darüber hinaus berät gerecht bei Bedarf Personensorgeberechtigte, Vertrauenspersonen der Betroffenen und Fachkräfte der Jugendhilfe. Zur Konkretisierung der Arbeit von gerecht in den kooperierenden Einrichtungen in der Modellregion Köln wird folgende Absprache zwischen gerecht in NRW und den Vertreter/Innen der Projektgruppe Köln (Vertreter/Innen der Einrichtungen und des Jugendamtes) getroffen: Die kooperierenden Einrichtungen unterstützen die Förderung von Kinderrechten in ihren Einrichtungen und informieren die Kinder, Jugendlichen, jungen Volljährigen in ihren Einrichtungen, wenn möglich auch die Eltern sowie ihre MitarbeiterInnen über die Beschwerdestelle gerecht in NRW, d. h. insbesondere über Zugänge, Möglichkeiten sowie Wege der Beschwerdebearbeitung (Beschwerde- und Kinderschutzverfahren). Erreichbarkeit/ telefonische Sprechstunde: Die MitarbeiterInnen von gerecht sind von montags bis donnerstags erreichbar. 207

208 Sie können telefonisch und per Mail erreicht werden, sollten sie nicht direkt ansprechbar sein, so wird schnellstmöglich eine Rückmeldung erfolgen. Die Kontaktdaten lauten: Telefon: Mailadressen: Beschwerdeformular unter: Eine telefonische Sprechstunde findet montags und mittwochs von 15:00 17:00 Uhr statt. GeRECHT bietet bei Bedarf und nach Absprache mit den kooperierenden Einrichtungen Sprechstunden in den Einrichtungen an. Eingehende Beschwerden werden angenommen, gemäß des Entwurfs eines Beschwerdeverfahrens wird der weitere Verfahrensweg geprüft. Kann die Beschwerde intern in der Gruppe oder vom internen Beschwerdemanagement der Einrichtung - bearbeitet werden, so wird diese/s mit Einwilligung der/des Betroffenen informiert. Waren bisherige Versuche der internen Klärung aus Sicht des/r Beschwerdeführers/in erfolglos und/oder ist die externe Beschwerdebearbeitung ausdrücklicher Wunsch, dann übernimmt gerecht die Anfrage. Anonym eingehende Beschwerden können nicht im Sinne des Entwurfs eines Beschwerdeverfahrens von gerecht bearbeitet werden, ggf. informiert gerecht die entsprechend geeigneten Stellen (Einrichtung, örtliches Jugendamt, Landesjugendamt). 208

209 Transparenz und Partizipation sind im gesamten Beratungsverfahren handlungsleitend. Der/die Beschwerdeführer/in wird mit seinem/ihrem Anliegen ernst genommen, aktives Zuhören, Nachfragen, ausführliches Informieren sowie die Zustimmung der Betroffenen zu jedem weiteren Verfahrensschritt sind Elemente des Unterstützungsprozesses. Bei einem Verdacht der Kindeswohlgefährdung können auch Schritte ohne die Zustimmung des/der Beschwerdeführers/in eingeleitet werden. Allerdings wird der/die Beschwerdeführer/in immer über die zu unternehmenden Schritte informiert (siehe dazu auch Verfahren zum Kinderschutz für gerecht). Findet ein persönliches Gespräch (gemäß des Entwurfs des Beschwerdeverfahrens) zwischen einem/er Minderjährigen/r aus einer Einrichtung mit einem/r Projektmitarbeiter/in statt, das in der Einrichtung erfolgen kann, so sollte das Treffen von Seiten der Projektmitarbeiter/Innen (schnelle Terminierung) und der Einrichtung (Räumlichkeit zur Verfügung stellen, Treffen in der Gruppe) schnellstmöglich realisierbar sein. Sollte ein persönliches Gespräch zwischen einem/er Minderjährigen/r aus einer Einrichtung mit einem/r Projektmitarbeiter/in auf neutralem Boden außerhalb der Einrichtung gewünscht bzw. notwendig sein, wird dieses Treffen an einem sicheren Ort im Sozialraum des Kindes/Jugendlichen stattfinden. Der sichere Ort wird gemeinsam mit dem Kind/Jugendlichen ausgewählt. Die Einrichtungen unterstützen offensiv die Kontaktaufnahme zu gerecht, dazu gehört, dass sie die telefonische Kontaktaufnahme ermöglichen. Das fachliche Handeln der Projektmitarbeiter/Innen wird durch die kollegiale Fallberatung, Hinzuziehung von Fachberatung des DKSB LV NRW und Mitgliedern der Steuerungsgruppe ergänzt. Zur Sicherung des Kinder- und Jugendschutzes im Kontext der Beschwerdebearbeitung durch gerecht liegt ein Verfahren zum Kinderschutz vor. Wahrnehmung des Datenschutzes: Informationen der Betroffenen dürfen nur mit deren Einwilligung und in gesetzlich geregelten Ausnahmen preisgegeben werden. 209

210 Die betroffenen Einrichtungen erhalten Rückmeldung über die eingegangenen Beschwerden. - schnellstmöglich, wenn es die Situation erforderlich macht (z.b. bei einer Gefährdungssituation), - zeitnah, wenn die Beschwerde in den Bereich der internen Bearbeitung (Gruppe, internes Beschwerdemanagement) fällt, - wenn ein Gespräch innerhalb der Gruppe/Einrichtung als Handlungsschritt im Verfahren folgt, - anonymisiert, wenn dies der ausdrückliche Wunsch des/der Beschwerdeführers/in ist und keine Gefährdungssituation vorliegt oder aus Sicht von ge- RECHT keine Notwendigkeit für eine Namensnennung gegeben ist. Die betroffenen Einrichtungen bemühen sich im Zusammenhang mit einer Beschwerde lösungsorientierte Veränderungen vorzunehmen. GeRECHT erhält Rückmeldung von den Einrichtungen über die Ergebnisse der Beschwerdebearbeitung. Und zwar über die Beschwerden, die bei gerecht gemeldet und anschließend zur internen Bearbeitung an die Einrichtungen geleitet wurden. Die hier vorliegende Absprache wird entsprechend der Praxiserfahrungen fortgeschrieben. Wird die Tätigkeit von gerecht um die ehrenamtlichen Beratungsteams ergänzt, erfolgt eine Anpassung der Absprache zwischen gerecht und kooperierenden Einrichtungen, sowie eine entsprechende Fortschreibung des Beschwerdeund Kinderschutzverfahrens. ORT, DATUM (Einrichtung) (gerecht in NRW) 210

211 211

212 212

Gliederung. 1. Einleitung 12

Gliederung. 1. Einleitung 12 Gliederung 1. Einleitung 12 2. Rechtsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe zwischen objektivrechtlichen Verpflichtungen und individuellen Rechtsansprüchen 18 2.1 Rechtsverhältnisse in der Kinder-

Mehr

Ombudschaft Jugendhilfe NRW Krötenschlucken, Frösche küssen: Beschwerdebearbeitung in den Hilfen zur Erziehung leicht(er) gemacht

Ombudschaft Jugendhilfe NRW Krötenschlucken, Frösche küssen: Beschwerdebearbeitung in den Hilfen zur Erziehung leicht(er) gemacht Ombudschaft Jugendhilfe NRW Krötenschlucken, Frösche küssen: Beschwerdebearbeitung in den Hilfen zur Erziehung leicht(er) gemacht 07.12.2017 1 Was ist das für ein Wort Ombudschaft? Definition (nach U.

Mehr

Verein zur Förderung des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe e.v.

Verein zur Förderung des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe e.v. Verein zur Förderung des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe e.v. Stellungnahme des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe zur Evaluierung des Bundeskinderschutzgesetzes

Mehr

Ergebnisse des Forschungsprojekts

Ergebnisse des Forschungsprojekts BIBEK- Bedingungen der Implementierung von Beschwerdestellen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Ergebnisse des Forschungsprojekts Projektleitung: Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl Projektmitarbeiterinnen:

Mehr

Beteiligung, Beschwerde, Ombudschaften

Beteiligung, Beschwerde, Ombudschaften Prof.Dr.Dr.h.c Reinhard Wiesner Beteiligung, Beschwerde, Ombudschaften Symposium Gewaltfreie Erziehung- Grenzen und Möglichkeiten VPK Brandenburg Wolzig 11.6.2014 Wiesner VPK BB 1 Diskursebenen Beteiligung

Mehr

Heimerziehung heute Beteiligungs-und Beschwerdemöglichkeiten in den Einrichtungen der Erziehungshilfe

Heimerziehung heute Beteiligungs-und Beschwerdemöglichkeiten in den Einrichtungen der Erziehungshilfe Heimerziehung heute Beteiligungs-und Beschwerdemöglichkeiten in den Einrichtungen der Erziehungshilfe Arbeitsgruppe Prävention Information Intervention Mitglieder der Arbeitsgruppe umfassende Auseinandersetzung

Mehr

Ombudschaften. auch nützlich für. Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter

Ombudschaften. auch nützlich für. Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter Ombudschaften auch nützlich für Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter Bernd Hemker 01.10.2014 Aktuelle Anfragen: Darf mein Taschengeld vom Wohngruppenleiter gekürzt werden, bloß weil ich Mist gebaut habe?

Mehr

Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität

Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität 4. Berufskongress des DBSH und der KHSB, 09.09.2016 Stefan Anacker, DRK-Kreisverband Berlin-Nordost e.v.

Mehr

Öffentliche und freie Träger auf dem Weg zu praktikablen Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Frankfurt,

Öffentliche und freie Träger auf dem Weg zu praktikablen Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Frankfurt, Öffentliche und freie Träger auf dem Weg zu praktikablen Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Frankfurt, 03.09.2013 Dr. Margareta Müller 1 Inhalt I. Zur Entstehung und Konzeption der Ombudschaft

Mehr

S T E L L U N G N A H M E

S T E L L U N G N A H M E S T E L L U N G N A H M E des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) Landesverband NRW e.v. zur Anhörung im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des Landtags NRW Anhörung zum Thema Kinderrechte wirklich

Mehr

Implementierung von Ombudschaft in der Jugendhilfe

Implementierung von Ombudschaft in der Jugendhilfe Implementierung von Ombudschaft in der Jugendhilfe Strukturelle Hintergründe von Grenz- und Rechtsverletzungen Asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Helfer/innen und Klient/innen Nähe-Distanz-Verhältnis

Mehr

Gila Schindler, Fachanwältin für Sozialrecht, Heidelberg

Gila Schindler, Fachanwältin für Sozialrecht, Heidelberg Vortrag für die gemeinsame Tagung der Erziehungshilfeverbände Inklusion wohin? Schritte auf dem Weg zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe?! am 31. Mai 2017 in Frankfurt Gila Schindler, Fachanwältin

Mehr

Partizipation von Kindern und Jugendlichen: Rechtliche, fachliche und soziale Dimension Rechtliche Dimension: VN-Kinderrechtskonvention Grundgesetz

Partizipation von Kindern und Jugendlichen: Rechtliche, fachliche und soziale Dimension Rechtliche Dimension: VN-Kinderrechtskonvention Grundgesetz Partizipation von Kindern und Jugendlichen: Rechtliche, fachliche und soziale Dimension Rechtliche Dimension: VN-Kinderrechtskonvention Grundgesetz Fachliche Dimension: Ohne Partizipation keine Identifizierung

Mehr

Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe

Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Ombudsstellen und Beschwerdeverfahren in der Kinder- und Jugendhilfe Eine aktuelle Debatte Runde Tische - Kinder- und Jugendhilfe trägt Verantwortung für die Sicherung der Rechte junger Menschen auch in

Mehr

Kinderrechte und Beteiligung in der Jugendhilfe

Kinderrechte und Beteiligung in der Jugendhilfe Kinderrechte und Beteiligung in der Jugendhilfe Grundlagen, aktuelle Fachdiskussion und Anforderungen des KVJS-Landesjugendamtes 1 Grundlagen u.a.: 1. Gesetzliche Vorgaben (Grundgesetz, UN- Kinderrechtskonvention,

Mehr

Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema-

Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema- Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema- Praxistag am 10.04.2013 in Herrenberg Gültstein Warum Beteiligung wichtig ist: Beteiligung ist

Mehr

Beteiligung und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten

Beteiligung und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten Der Gesetzgeber hat mit dem Bundeskinderschutzgesetz den Schutz und die

Mehr

Kinderschutz als gemeinsame Aufgabe von Jugendhilfe und Gesundheit Zur Rolle der Jugendhilfe im Fallmanagement und gesetzliche Mindeststandards

Kinderschutz als gemeinsame Aufgabe von Jugendhilfe und Gesundheit Zur Rolle der Jugendhilfe im Fallmanagement und gesetzliche Mindeststandards Kinderschutz als gemeinsame Aufgabe von Jugendhilfe und Gesundheit Zur Rolle der Jugendhilfe im Fallmanagement und gesetzliche Mindeststandards Hans Leitner Geschäftsführer Start ggmbh Leiter der Fachstelle

Mehr

Die Wiesbadener Vereinbarung

Die Wiesbadener Vereinbarung Melanie Junk Die Wiesbadener Vereinbarung Zur Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung nach 8a SGB VIII Inhalt Organisatorischer Rahmen Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung im Spiegel der

Mehr

Elterninformation Über die Zusammenarbeit, Mitwirkung, Rechte und Beschwerdemöglichkeiten

Elterninformation Über die Zusammenarbeit, Mitwirkung, Rechte und Beschwerdemöglichkeiten Elterninformation Über die Zusammenarbeit, Mitwirkung, Rechte und Beschwerdemöglichkeiten Information für alle Eltern, deren Kinder von der down-up! ggmbh betreut werden Inhalt Einleitung 5 KoordinatorInnen

Mehr

Pflichten, Rechte und Grenzen der Heimaufsicht. Pflichten, Rechte und Grenzen der Heimaufsicht. Inhalt: 1.

Pflichten, Rechte und Grenzen der Heimaufsicht. Pflichten, Rechte und Grenzen der Heimaufsicht. Inhalt: 1. Inhalt: 1. Begriffsklärung 2. Woraus leiten sich die Pflichten und Rechte ab? 3. Rechtliche Grundlagen 4. Rechte und Pflichten 6. Chancen 7. Kurzes Fazit 1. Begriffsklärung Der Begriff Heimaufsicht wird

Mehr

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption LWL-Landesjugendamt Westfalen LVR-Landesjugendamt Rheinland Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption für Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen Orientierungshilfe zur Umsetzung

Mehr

FORUM 1 FRIEDHELM GÜTHOFF

FORUM 1 FRIEDHELM GÜTHOFF FORUM 1 BESCHWEREN ERLAUBT BETEILIGUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR KINDER ALS FACHLICHE ANFORDERUNG AN DEN KINDERSCHUTZ FRIEDHELM GÜTHOFF MEIN FOKUS Aspekte Fazit ASPEKT DER GEDANKE Sich beteiligen und beschweren

Mehr

Systematik des SGB VIII

Systematik des SGB VIII Skriptergänzung1 SoSe 2009 Prof. Dr. Benner Systematik des SGB VIII Allgemeine Regelungen 1 10 Aufgaben d. Jugendhilfe 11 60 Datenschutz 61 68 Träger Zus.arbeit Gesamtverantwortung 69 81 Zentrale Aufgaben

Mehr

Vereinbarung. zwischen

Vereinbarung. zwischen Vereinbarung über die Kooperation im Bereich des Kinderschutzes analog den 8a und 72a SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie 42 Abs. 6 Schulgesetz NRW zwischen dem Kreisjugendamt Düren (im Folgendem

Mehr

Partizipation: Ein Recht und eine Haltung

Partizipation: Ein Recht und eine Haltung Partizipation: Ein Recht und eine Haltung Rechtliche Grundlagen der Partizipation in der Jugendhilfe - Dr. Detlev Lauhöfer - Dr. Detlev Lauhöfer Oldenburg, d. 02.12.2013 Überblick über das BKiSchG (Gesetz

Mehr

Ideen- und Beschwerdemanagement

Ideen- und Beschwerdemanagement Ideen- und Beschwerdemanagement Diakonisches Werk Husum ggmbh Geschäftsbereich Sozialraumorientierte Kinder- und Jugendhilfen Sozialräume Husum und Mitte teilstationärer Arbeitsbereich Hilfen über Tag

Mehr

Schützen und stärken pädagogische Momente einer Beteiligungs- und Beschwerdekultur in der stationären Kinder- und Jungendhilfe

Schützen und stärken pädagogische Momente einer Beteiligungs- und Beschwerdekultur in der stationären Kinder- und Jungendhilfe AG 3 Schützen und stärken pädagogische Momente einer Beteiligungs- und Beschwerdekultur in der stationären Kinder- und Jungendhilfe Friedhelm Güthoff DKSB Landesverband NRW e.v. Gliederung Ankerpunkte

Mehr

Regeln des fachlichen Könnens für die Arbeit der Familienberatungsstellen in NRW

Regeln des fachlichen Könnens für die Arbeit der Familienberatungsstellen in NRW Regeln des fachlichen Könnens für die Arbeit der Familienberatungsstellen in NRW Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Familienberatungsstellen (Runderlass des MFKJKS vom 17.02.2014-5MB!.

Mehr

Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung)

Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung) Gesetzestext (Vorschlag für die Verankerung eines Artikels in der Bundesverfassung) Recht auf Bildung Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Bildung soll auf die volle Entfaltung der Persönlichkeit, der

Mehr

Aufbau und Implementierung eines unabhängigen Ombudssystems in der Jugendhilfe in Baden-Württemberg

Aufbau und Implementierung eines unabhängigen Ombudssystems in der Jugendhilfe in Baden-Württemberg Aufbau und Implementierung eines unabhängigen Ombudssystems in der Jugendhilfe in Baden-Württemberg Das Projekt Träger: Gefördert durch: Verantwortlich für die Umsetzung: Liga Ausschuss KJF Geschäftsführung

Mehr

Fachtagung Ombudsstellen für junge Menschen und ihre Familien in Bayern" , Bayerischer Landtag

Fachtagung Ombudsstellen für junge Menschen und ihre Familien in Bayern , Bayerischer Landtag Fachtagung Ombudsstellen für junge Menschen und ihre Familien in Bayern" 03.11.2014, Bayerischer Landtag Die Rahmenbedingungen Ein Kooperationsprojekt der Caritas-Diakonie-Konferenz in Hessen Gefördert

Mehr

REGIONALKONFERENZ IN SCHLESWIG-HOLSTEIN SICHERE ORTE SCHAFFEN PRÄVENTION VON SEXUELLEM KINDESMISSBRAUCH

REGIONALKONFERENZ IN SCHLESWIG-HOLSTEIN SICHERE ORTE SCHAFFEN PRÄVENTION VON SEXUELLEM KINDESMISSBRAUCH REGIONALKONFERENZ IN SCHLESWIG-HOLSTEIN SICHERE ORTE SCHAFFEN PRÄVENTION VON SEXUELLEM KINDESMISSBRAUCH Workshop 4 Handlungspläne und Leitlinien Kerstin Hubert, Fachberatung für Kitas, Ev.-Luth. Kirchenkreis

Mehr

Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang

Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Landesjugendamt Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang Handreichung Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses

Mehr

Kinderschutz im Gesundheitswesen Fachveranstaltung Ärztekammer Schleswig-Holstein Bad Segeberg, 10. September 2014

Kinderschutz im Gesundheitswesen Fachveranstaltung Ärztekammer Schleswig-Holstein Bad Segeberg, 10. September 2014 Kinderschutz im Gesundheitswesen Fachveranstaltung Ärztekammer Schleswig-Holstein Bad Segeberg, 10. September 2014 Workshop 2: Das Jugendamt: Handeln ohne Not oder mal wieder nichts unternommen Möglichkeiten

Mehr

Jugendhilfe in suchtbelasteten Familien Spagat zwischen Elternrecht und Kinderschutz

Jugendhilfe in suchtbelasteten Familien Spagat zwischen Elternrecht und Kinderschutz Jugendhilfe in suchtbelasteten Familien Spagat zwischen Elternrecht und Kinderschutz 1 Rechtliche Grundlagen Grundgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Strafgesetzbuch Schulgesetz Sozialgesetzbuch VIII Bundeskinderschutzgesetz

Mehr

Schutzauftrag und Betriebserlaubnis

Schutzauftrag und Betriebserlaubnis Ein Beitrag zur Fachveranstaltung Steuerung und Verantwortlichkeiten öffentlicher und freier Träger im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes am 13. Juni 2011 in Frankfurt am Main Sybille Nonninger, Landesjugendamt

Mehr

Vorstellung des Forschungsvorhabens in Gültstein Februar Marion Moos, Heinz Müller, Rebecca Schmolke

Vorstellung des Forschungsvorhabens in Gültstein Februar Marion Moos, Heinz Müller, Rebecca Schmolke Beteiligung leben! Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen in Baden-Württemberg Vorstellung des Forschungsvorhabens

Mehr

Gemeinsamer Fachtag LJA/Diakonische Jugendhilfe Bremen am 28. August Partizipation in der Hilfeplanung. Grußwort

Gemeinsamer Fachtag LJA/Diakonische Jugendhilfe Bremen am 28. August Partizipation in der Hilfeplanung. Grußwort 1 Gemeinsamer Fachtag LJA/Diakonische Jugendhilfe Bremen am 28. August 2013 Partizipation in der Hilfeplanung Grußwort Liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen aus den Jugendämtern und aus dem Kreis Freier

Mehr

Ombudschaften, Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe

Ombudschaften, Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe Ombudschaften, Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe AGJ Die Sicherung

Mehr

Vereinbarung zum Schutzauftrag der Jugendhilfe gem. 8a Abs. 4 SGB VIII und 72a Abs. 2, 4 SGB VIII

Vereinbarung zum Schutzauftrag der Jugendhilfe gem. 8a Abs. 4 SGB VIII und 72a Abs. 2, 4 SGB VIII Vereinbarung zum Schutzauftrag der Jugendhilfe gem. 8a Abs. 4 SGB VIII und 72a Abs. 2, 4 SGB VIII Zwischen dem Jugendamt der Landeshauptstadt Stuttgart (im Folgenden Jugendamt ) genannt und (im Folgenden

Mehr

Kooperation und Vernetzung im Kinderschutz

Kooperation und Vernetzung im Kinderschutz Kooperation und Vernetzung im Kinderschutz Kurzfassung des Projektes: Im Rahmen von Beratungs- und Vereinbarungsprozessen sollen unter Beteiligung des öffentlichen Trägers sowie frei-gemeinnütziger und

Mehr

Interkulturelle Öffnung im Kinderschutz

Interkulturelle Öffnung im Kinderschutz Interkulturelle Öffnung im Kinderschutz Wie viele Anforderungen / wie viel Komplexität und Differenzierung verträgt ein? - Notwendige Rahmenbedingungen und Herausforderungen für die Umsetzung im - 03.12.2014

Mehr

Selbstverständnis Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe

Selbstverständnis Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe Selbstverständnis Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe Vorbemerkung Das Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe wurde 2008 durch die ersten unabhängigen Ombudsstellen

Mehr

Vom Kind aus denken?!

Vom Kind aus denken?! Vom Kind aus denken?! Was die Kinderrechte ändern (könnten) Luise Pfütze, Sprecherin National Coalition Deutschland Vortrag zum Fachtag Vom Kind aus denken?! Inklusives SGB VIII Frankfurt am Main, 14.

Mehr

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption

Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption LWL-Landesjugendamt Westfalen LVR-Landesjugendamt Rheinland Arbeitshilfe zur Erstellung einer pädagogischen Konzeption für Kindertageseinrichtungen in Orientierungshilfe zur Umsetzung der Regelungen in

Mehr

BEGRÜNDUNG [Ausschnitt] zur Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, 23.8.

BEGRÜNDUNG [Ausschnitt] zur Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, 23.8. BEGRÜNDUNG [Ausschnitt] zur Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, 23.8.2016 zur DIJuF-Synopse 1 1 3 10 11 Allgemeiner Teil I. Zielsetzung

Mehr

Bundeskinderschutzgesetz Entwicklungsperspektiven für die Frühen Hilfen

Bundeskinderschutzgesetz Entwicklungsperspektiven für die Frühen Hilfen Bundeskinderschutzgesetz Entwicklungsperspektiven für die Frühen Hilfen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz 5. Treffen der lokalen Netzwerkkoordinatoren/-innen

Mehr

für Kinder nach S 8a SGB Vlll

für Kinder nach S 8a SGB Vlll Vereinbaru ng zur Umsetzung des Schutzauftrages für Kinder nach S 8a SGB Vlll zwischen dem Kreis Paderborn als Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt) und dem lnternat Gut Böddeken - Erziehungshilfe

Mehr

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sehr geehrte Damen und Herren, Ombudschaft für junge Menschen Kinderrechte in der Jugendhilfe Fachtagung am 21. April 2009 in Köln Grußwort: Lorenz Bahr Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, Sie als Vertreterinnen und Vertreter

Mehr

Herzlich Willkommen in Bielefeld

Herzlich Willkommen in Bielefeld Herzlich Willkommen in Bielefeld Informationsveranstaltung zu rechtlichen Grundlagen und zur Umsetzung des Kinderschutzes in der Schule Gefördert vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration

Mehr

Forschungsprojekt BIBEK 2011/2012 Bedingungen der Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Forschungsprojekt BIBEK 2011/2012 Bedingungen der Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Forschungsprojekt BIBEK 2011/2012 Bedingungen der Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe - bundesweite Studie im Auftrag des BMFSFJ - Projektleitung: Prof.

Mehr

zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Ausschnitt) 1. Entwurfsfassung,

zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Ausschnitt) 1. Entwurfsfassung, DIJuF Interaktiv www.kijup-sgbviii-reform.de SYNOPSE zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Ausschnitt) 1. Entwurfsfassung, 7.6.2016 Inklusives SGB VIII Sozialgesetzbuch

Mehr

LVR-Landesjugendamt Rheinland. Köln. 16 November 2011

LVR-Landesjugendamt Rheinland. Köln. 16 November 2011 LVR-Landesjugendamt Rheinland Köln 16 November 2011 1 Forum 3 Evaluation und Dokumentation des Umgangs mit den Vereinbarungen 2 Teil I Verfahrensstandards des Jugendamtes - Soziale Dienste im Umgang mit

Mehr

Gemeinsam geht es besser!

Gemeinsam geht es besser! Gemeinsam geht es besser! Schule und Jugendhilfe zwischen Kooperation und Problemverlagerung: Grundlagen und Bedingungen der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule Workshop zur Fachtagung Soziale

Mehr

Kinderschutz Aktuelles zum gesetzlichen Rahmen

Kinderschutz Aktuelles zum gesetzlichen Rahmen Kinderschutz Aktuelles zum gesetzlichen Rahmen Fachkonferenz: Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Schule und Jugendhilfe Dr. Sigrid A. Bathke 09.11.2009 in Münster Veranstalter der Konferenz

Mehr

GRUNDLAGEN EINES EFFEKTIVEN BETEILIGUNGS- UND BESCHWERDEWESENS

GRUNDLAGEN EINES EFFEKTIVEN BETEILIGUNGS- UND BESCHWERDEWESENS Praxistag Partizipation und Beschwerdeverfahren 10. April 2013 GRUNDLAGEN EINES EFFEKTIVEN BETEILIGUNGS- UND BESCHWERDEWESENS Sabine Triska Referentin für Erziehungshilfe Diözesancaritasverband Freiburg

Mehr

Ombudsstellen notwendige Ergänzung jedes trägerspezifischen Bemühens um Beteiligung. München 3. November 2014

Ombudsstellen notwendige Ergänzung jedes trägerspezifischen Bemühens um Beteiligung. München 3. November 2014 Ombudsstellen notwendige Ergänzung jedes trägerspezifischen Bemühens um Beteiligung München 3. November 2014 Impulse für die Entwicklung o Runde Tische Kinder- und Jugendhilfe trägt Verantwortung für die

Mehr

Evangelisches Kinderheim - Jugendhilfe Herne & Wanne-Eickel ggmbh

Evangelisches Kinderheim - Jugendhilfe Herne & Wanne-Eickel ggmbh Evangelisches Kinderheim - Jugendhilfe Herne & Wanne-Eickel ggmbh ISOLATION ÜBERWINDEN GEMEINSCHAFT ERÖFFNEN PERSPEKTIVEN ENTWICKELN Konzeption Trainingswohnungen für UMA Schulstraße, Herne 1. Kurzkonzept

Mehr

Gute Jugendhilfeplanung als Steuerungsinstrument in der kommunalen Kinder- und Jugendpolitik: ein Steuerungsinstrument auch für Qualitätsentwicklung?

Gute Jugendhilfeplanung als Steuerungsinstrument in der kommunalen Kinder- und Jugendpolitik: ein Steuerungsinstrument auch für Qualitätsentwicklung? Gute Jugendhilfeplanung als Steuerungsinstrument in der kommunalen Kinder- und Jugendpolitik: ein Steuerungsinstrument auch für Qualitätsentwicklung? (Fachtagung Kreis Borken 15.09.2014) Prof. Dr. Joachim

Mehr

Allgemeiner Sozialer Dienst Hamburg-Nord. Leitbild

Allgemeiner Sozialer Dienst Hamburg-Nord. Leitbild Allgemeiner Sozialer Dienst Hamburg-Nord Leitbild Präambel Die verfassungsgemäß garantierten Grundrechte verpflichten unsere Gesellschaft, Menschen bei der Verbesserung ihrer Lebenssituation zu unterstützen.

Mehr

Jugendhilfe für junge Volljährige: Rechte gewährleisten und zuständig bleiben! Referentin: Dr. Nicole Rosenbauer

Jugendhilfe für junge Volljährige: Rechte gewährleisten und zuständig bleiben! Referentin: Dr. Nicole Rosenbauer Jugendhilfe für junge Volljährige: Rechte gewährleisten und zuständig bleiben! Referentin: Dr. Nicole Rosenbauer Fachforum Care Leaver haben Rechte! Beteiligung und Selbstorganisation junger Menschen in

Mehr

Inhalt. Einleitung 11. Teil I Grundlagen 15

Inhalt. Einleitung 11. Teil I Grundlagen 15 http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-3689-3 Inhalt Einleitung 11 Teil I Grundlagen 15 1. Zur Definition des Begriffs Kindeswohlgefährdung 16 Reinhold Schone

Mehr

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in vielerlei rechtlichen Grundlagen eindeutig geregelt.

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in vielerlei rechtlichen Grundlagen eindeutig geregelt. 1 Beteiligungsrechte und möglichkeiten sowie Beschwerdemanagement für die Bewohner in den stationären Jugendhilfeeinrichtungen der JSW Jugend- und Sozialwerk Region Rostock gemeinnützige ggmbh Die Beteiligung

Mehr

Landesjugendamt Brandenburg Referat Hilfen zur Erziehung

Landesjugendamt Brandenburg Referat Hilfen zur Erziehung Orientierungshilfe zur Entwicklung und Anwendung von Handlungsleitlinien zur Beteiligung und zur Beschwerde von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen

Mehr

Rahmenleistungsvereinbarung für teilstationäre Einrichtungen

Rahmenleistungsvereinbarung für teilstationäre Einrichtungen Rahmenleistungsvereinbarung für teilstationäre Einrichtungen Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfe ( 4 Abs.1 des Rahmenvertrages zu 78f SGB VIII) Präambel Die Rahmenleistungsvereinbarung enthält

Mehr

NORDRHEIN-WESTFALEN 16 . WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/2959 A04

NORDRHEIN-WESTFALEN 16 . WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/2959 A04 Freie Wohlfahrtspflege NRW Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen LAG FW NRW 0 Sperlichstraße 25048151 Münster Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen

Mehr

Bremer Erklärung zur Bedeutung von Kinder- und Jugendarbeit

Bremer Erklärung zur Bedeutung von Kinder- und Jugendarbeit 1 Bremer Erklärung zur Bedeutung von Kinder- und Jugendarbeit Am 16. September 2009 fand zum Thema Kinder- und Jugendarbeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung an der Hochschule Bremen der 1. Bremer

Mehr

Vorbemerkung Selbstverständnis

Vorbemerkung Selbstverständnis Selbstverständnis Vorbemerkung Das Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe wurde 2008 durch die ersten unabhängigen Ombudsstellen in diesem Arbeitsfeld als Ort des Erfahrungsaustauschs

Mehr

Herzlich Willkommen. zum Zertifikatslehrgang für insoweit erfahrene Fachkräfte. am beim SFBB

Herzlich Willkommen. zum Zertifikatslehrgang für insoweit erfahrene Fachkräfte. am beim SFBB Herzlich Willkommen zum Zertifikatslehrgang für insoweit erfahrene Fachkräfte am 10.06.2016 beim SFBB Qualitätsentwicklung im Kinderschutz: Die Fachberatung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft (i.e.f.)

Mehr

J Gö/Mr STELLUNGNAHME

J Gö/Mr STELLUNGNAHME 28.02.2014 J 1.320-4 Gö/Mr STELLUNGNAHME vom 28. Februar 2014 zur Anfrage des StJA Oldenburg vom 1. Juli 2013 Zur Frage der Bindungswirkung von Vereinbarungen nach 72a SGB VIII zwischen dem öffentlichen

Mehr

I. Präambel. Die Vereinbarung ist analog auf privat-gewerbliche Träger anzuwenden. II. Vereinbarung

I. Präambel. Die Vereinbarung ist analog auf privat-gewerbliche Träger anzuwenden. II. Vereinbarung Vereinbarung nach 8a Abs. 4 und 72a Abs. 2 und 4 SGB VIII in Anlehnung an die Mustervereinbarung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen I. Präambel Das SGB VIII wurde durch

Mehr

GeRECHTigkeit im Einzelfall 12 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe

GeRECHTigkeit im Einzelfall 12 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe GeRECHTigkeit im Einzelfall 12 Jahre Ombudschaft in der Berliner Jugendhilfe Berufskongress Soziale Arbeit (WS 4) Raum 124 / Freitag, 21.03.14-14:30-16:00 Referent_innen: Silvana Kathmann / Martin Kositza

Mehr

Gelingende Kooperation im Kinderschutz. - Aus Fehlern lernen -

Gelingende Kooperation im Kinderschutz. - Aus Fehlern lernen - Gelingende Kooperation im Kinderschutz - Aus Fehlern lernen - Christine Gerber, Jugend- & Sozialamt Frankfurt NZFH/DJI 15. Oktober 2014 Kooperation & Vernetzung als zentrale Strategie zur Qualitätsentwicklung

Mehr

Kapitel 1 Entwicklungen und Veränderungen der Heimerziehung

Kapitel 1 Entwicklungen und Veränderungen der Heimerziehung Einleitung... Kapitel 1 Entwicklungen und Veränderungen der Heimerziehung Das Negativimage der Heimerziehung... Die Entwicklung der Heimerziehung in ihrem historischen Kontext... Reformen und ihre Auswirkungen...

Mehr

BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG

BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE DES PROJEKTS PRÄVENTION UND ZUKUNFTSGESTALTUNG IN DER HEIMERZIEHUNG IN RHEINLAND-PFALZ OMBUDSCHAFTEN 6. RUNDER TISCH HEIMERZIEHUNG

Mehr

Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe

Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe Regina Rätz-Heinisch, Wolfgang Schröer, Mechthild Wolff Lehrbuch Kinder- und Jugendhilfe Grundlagen, Handlungsfelder, Strukturen und Perspektiven Juventa Verlag Weinheim und München 2009 Inhalt I. Grundlagen

Mehr

Vereinbarung. Sicherstellung des Schutzauftrages nach 72a SGB VIII

Vereinbarung. Sicherstellung des Schutzauftrages nach 72a SGB VIII Vereinbarung Die Stadt Neuss -vertreten durch das Jugendamt der Stadt Neuss (nachfolgend Jugendamt genannt) Michaelstraße 50 41460 Neuss schließt mit dem

Mehr

Das Bundeskinderschutzgesetz unter Berücksichtigung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien

Das Bundeskinderschutzgesetz unter Berücksichtigung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien Das Bundeskinderschutzgesetz unter Berücksichtigung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien Einleitung Eine Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn Kinder oder Jugendliche in ihrer körperlichen,

Mehr

ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS

ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS Perspektiven Fazit: Herausforderung für die Vormundschaft PERSPEKTIVE Beteiligung Anhörung

Mehr

Vorname: Nachname: geb.:

Vorname: Nachname: geb.: Magistrat der Stadt Wien Amt für Jugend und Familie Arbeitsvereinbarung UdE RS: Datum: Vorname: Nachname: geb.: wh.: Obsorgeberechtigte/r: Weiters anwesend: Frau Name SozialarbeiterIn hat mit mir am ausführlich

Mehr

DIJuF Interaktiv Stand: Entwurfsfassung für 2017

DIJuF Interaktiv  Stand: Entwurfsfassung für 2017 DIJuF Interaktiv www.kijup-sgbviii-reform.de Stand: 31.8.2016 SYNOPSE zur Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Ausschnitt), 23.8.2016

Mehr

Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dr. Hans-Jürgen Schimke

Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dr. Hans-Jürgen Schimke Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe 1. Komplex: Allgemeine Fragen des Beteiligungsrechts von Kindern und Jugendlichen Grundprobleme der Beteiligung von Kindern

Mehr

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung In Mutter-Kind-Einrichtungen leben heute Frauen, die vielfach belastet sind. Es gibt keinen typischen Personenkreis,

Mehr

Vereinbarung gemäß 8a Abs. 2 SGB VIII

Vereinbarung gemäß 8a Abs. 2 SGB VIII Vereinbarung gemäß 8a Abs. 2 SGB VIII Vereinbarung zwischen dem Träger, im weiteren Träger genannt, und dem Jugendamt der Stadt Dortmund gemäß 8a Abs. 2 und 72a Satz 2 SGB VIII In diese Vereinbarung sind

Mehr

LANDTAG NORD RHEIN-WESTFALEN 16. WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/2848 A04, A16

LANDTAG NORD RHEIN-WESTFALEN 16. WAHLPERIODE STELLUNGNAHME 16/2848 A04, A16 LVR~ I Qualität für Menschen Die Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland per E-Mail an anhoerung@landtag.nrw.de Köln, 10. August 2015 Die Präsidentin des Landtags Nordrhein Westfalen Platz des Landtags

Mehr

Was ist was? erzieherischer und gesetzlicher Kinder- und Jugendschutz

Was ist was? erzieherischer und gesetzlicher Kinder- und Jugendschutz Was ist was? erzieherischer und gesetzlicher Kinder- und Jugendschutz 7. Dezember 2015, Münster Verfassungsrechtliche Grundlagen Art. 1 Abs. 1 ivm Art. 2 Abs. 1 GG: Recht auf Persönlichkeitsentwicklung.

Mehr

Diskussionspapiere. Nr Peter-Christian Kunkel: Inwieweit kann ein freier Träger die Aufgabe der Inobhutnahme nach 42 SGB VIII wahrnehmen?

Diskussionspapiere. Nr Peter-Christian Kunkel: Inwieweit kann ein freier Träger die Aufgabe der Inobhutnahme nach 42 SGB VIII wahrnehmen? Diskussionspapiere Nr. 2006-20 Peter-Christian Kunkel: Inwieweit kann ein freier Träger die Aufgabe der Inobhutnahme nach 42 SGB VIII wahrnehmen? 1 Diskussionspapiere Nr. 2006-20 Peter-Christian Kunkel:

Mehr

Wir machen Sie fit für die Zukunft Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach. Einführung ins KJHG

Wir machen Sie fit für die Zukunft Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach. Einführung ins KJHG Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach Einführung ins KJHG 1. Ziele des KJHG: Richtziel... 2. Aufgaben des KJHG: Leistungen Definition: Andere Aufgaben Definition: 3. Leistungsberechtigte des KJHG: 4.

Mehr

Handlungsempfehlungen bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Berlin und deren praktische Umsetzung

Handlungsempfehlungen bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Berlin und deren praktische Umsetzung Handlungsempfehlungen bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Berlin und deren praktische Umsetzung 1 Auf welcher rechtlichen Grundlage arbeitet Wildwasser e.v.? Wildwasser e.v. ist Träger der

Mehr

BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG

BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG BESCHWERDE UND BETEILIGUNG IN DER HEIMERZIEHUNG AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE DES PROJEKTS PRÄVENTION UND ZUKUNFTSGESTALTUNG IN DER HEIMERZIEHUNG IN RHEINLAND-PFALZ OMBUDSCHAFTEN FORSCHUNGSKOLLOQUIUM 04. MÄRZ

Mehr

Das Bundeskinderschutzgesetz

Das Bundeskinderschutzgesetz Das Gesetzgebungsverfahren läuft noch, der Vortrag enthält nicht den abschließenden Stand! Das Bundeskinderschutzgesetz Ein Überblick zum Gesetzgebungsverfahren Andreas Hopmann, LVR-Landesjugendamt Landesjugendamt

Mehr

Grundsätzliches und Herausforderungen in der Umsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes. Cloppenburg, den

Grundsätzliches und Herausforderungen in der Umsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes. Cloppenburg, den Grundsätzliches und Herausforderungen in der Umsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes Cloppenburg, den 23.10.13 Stichworte einer neuen Konzeption des Kinderschutzes Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung

Mehr

Elternmitwirkung in Kindertageseinrichtungen

Elternmitwirkung in Kindertageseinrichtungen Elternmitwirkung in Kindertageseinrichtungen Werden Sie aktiv für Kinder in Kindertageseinrichtungen! Erziehungspartnerschaften Gemeinsam für Kinder Dem Gesetzgeber ist es ernst mit der Erziehungspartnerschaft

Mehr

Beteiligung, aber wie?! Über Standards, Inikatoren und Prüfverfahren,

Beteiligung, aber wie?! Über Standards, Inikatoren und Prüfverfahren, Beteiligung, aber wie?! Über Standards, Inikatoren und Prüfverfahren, Präsentation im Rahmen der BAG Landesjugendämter - Arbeitstagung Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Betriebserlaubniserteilung

Mehr

Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen 72 a SGB VIII

Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen 72 a SGB VIII Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen 72 a SGB VIII Vorlage erweiteter Führungszeugnisse für Neben- und Ehrenamtliche Vereinbarungen mit freien Trägern Rechtspolitische Hintergründe und

Mehr

Bundeskinderschutzgesetz

Bundeskinderschutzgesetz LVR Landesjugendamt Bundeskinderschutzgesetz Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen Übersicht über die zentralen Änderungen LVR Landesjugendamt Bundeskinderschutzgesetz

Mehr

Rechte von Kindern und Jugendlichen in NRW stärken

Rechte von Kindern und Jugendlichen in NRW stärken Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention Stellungnahme Rechte von Kindern und Jugendlichen in NRW stärken Anhörung von Sachverständigen des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend des Landtags NRW

Mehr

Praxis und Methoden der Heimerziehung. Entwicklungen, Veränderungen und Perspektiven der stationären Erziehungshilfe

Praxis und Methoden der Heimerziehung. Entwicklungen, Veränderungen und Perspektiven der stationären Erziehungshilfe Richard Günder Praxis und Methoden der Heimerziehung Entwicklungen, Veränderungen und Perspektiven der stationären Erziehungshilfe Lambertus Inhalt EINLEITUNG 11 KAPITEL I ENTWICKLUNGEN UND VERÄNDERUNGEN

Mehr