Vertiefung Leistungsstörungsrecht
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- Hansl Müller
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1 Vertiefung Leistungsstörungsrecht Leistungsmaßstab Subjektiv (str.): Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Unterschreitung einer objektiven Durchschnittsleistung ist keine Pflichtverletzung Abgrenzung zum Werkvertrag BAG AP Nr. 48 zu 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bei Unterschreitung des subjektiven Leistungsvermögens Partielle Nichterfüllung der Hauptpflicht ggf. Abmahnung und (verhaltensbedingte) Kündigung. Objektiv: Vertragliche Modifikation des Leistungsmaßstabs Bei dauerhafter, gravierender Unterschreitung einer (objektiven) Durchschnittsleistung kommt ggf. eine personenbedingte Kündigung in Betracht Praxisproblem: Der AG weiß oft gar nicht, aus welchen Gründen der AN eine übliche Normalleistung unterschreitet! Dr. Stefan Greiner, Universität zu Köln 1
2 Auf Pflichtverletzungen beruhende Minderleistungen des Arbeitnehmers können geeignet sein, eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen zu rechtfertigen. Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des AN. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen. Er muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Eine personenbedingte Kündigung wegen Minderleistungen setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmende Leistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleistung die berechtigte Erwartung des Arbeitgebers von der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Leistungen in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar wird. Die Vorstellung der Parteien von der annähernden Gleichwertigkeit (Äquivalenz) der beiderseitigen Leistungen ist bei gegenseitigen Verträgen regelmäßig Geschäftsgrundlage. Weichen die tatsächlichen Verhältnisse von den Erwartungen schwerwiegend ab, so kann der in ihrer Erwartung enttäuschten Partei ein Recht zur Anpassung oder zum Rücktritt zustehen ( vgl. 313 BGB). Im Arbeitsverhältnis stehen dem Arbeitgeber zur Reaktion auf derartige Störungen des Austauschverhältnisses, soweit sie aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, im wesentlichen die Vorschriften über die personenbedingte Beendigungskündigung oder Änderungskündigung zu Gebote. BAG v AP Nr. 48 zu 1 KSchG 1969 Verhaltensbed. Kündigung Nichtleistung Abgrenzung: Unmöglichkeit ( 275 I BGB) und Unzumutbarkeit ( 275 III BGB) Maßgeblich: Entscheidungsmöglichkeit des ANs 275 I BGB: naturgesetzliche Unmöglichkeit Der AN kann nicht arbeiten, auch wenn er will. Fälle der Leistungserschwerung werden 275 III BGB zugeordnet Abgrenzung zu 275 II, 313 BGB? Abgrenzung zu 273 BGB? Abgrenzung zu 315 BGB, 106 GewO? Dr. Stefan Greiner, Universität zu Köln 2
3 Fallgruppen Wegfall des Betriebssubstrats 275 I BGB Ideelle Leistungshinderung 275 III BGB Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen Fallgruppen: Gewissens- und Glaubenskonflikte (Art. 4 GG) Familiäre Leistungshindernisse (Art. 6 GG) Leistungsverweigerung aus Trauer oder Angst (Art. 1 I GG) Problem: Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Vor der SchRRef Einordnung als Unvermögen 275 I BGB (Canaris JZ 2001, 499, 501; Däubler NZA 2001, 1329, 1332; Joussen NZA 2001, 745, 747) 275 III BGB (BT-Drucks. 14/6857, S. 47; Löwisch NZA 2001, 465, 466) Differenzierung nach Art der Erkrankung (Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff.) Problem: Beschäftigungsverbote rechtliche Unmöglichkeit? Ideelle Leistungshindernisse ( 275 III BGB) Besondere Relevanz im Arbeitsverhältnis Der AN stellt Leistungsfähigkeit umfassend zur Disposition des AGs höchstpersönlicher Leistungspflicht ( 613 S. 1 BGB) Unzumutbarkeitsbegriff mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Interessenabwägung Unzumutbarkeit setzt eine echte Konfliktlage voraus Ggf. Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses? Grundrechtsdispositivität? Relevanz der Schrankensystematik Vertragstreue als Verfassungsgut? Vgl. Greiner, Ideelle Unzumutbarkeit, 2004 Dr. Stefan Greiner, Universität zu Köln 3
4 Fall 1: A arbeitet seit zwei Jahren als angestellte Rechtsanwältin in einer Großkanzlei. Sie ist privat krankenversichert und allein erziehende Mutter eines achtjährigen Kindes. Als sie gerade auf dem Weg zu einem Gerichtstermin ist, ruft der Klassenlehrer ihres Kindes sie an und teilt ihr mit, dass ihr Kind auf dem Schulhof einen schweren Unfall hatte und ins Krankenhaus gebracht worden sei. Daraufhin ruft sie ihren Vorgesetzten an und bittet um Freistellung, damit sie sich um ihr Kind kümmern könne. Dieser weist sie auf die Bedeutung des anstehenden Termins sowie ihr hohes Gehalt hin und fordert sie auf, sich umgehend zum Gericht zu begeben. Sie fährt trotzdem ins Krankenhaus. Der Gerichtstermin wird problemlos von einem Kollegen der A übernommen. Die Kanzlei kündigt ihr wegen Vertragsbruchs außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Zu Recht? Einredecharakter 275 III BGB Leistungsverweigerungsrecht als Einrede Die Einrede muss erhoben werden Problem: Rückwirkende Einredeerhebung möglich? Praktisches Bedürfnis Es ist unangemessen, die bloße Versäumung der Information als grundlose Arbeitsverweigerung zu sanktionieren. Eher eine Nebenpflichtverletzung: Pflicht zur rechtzeitigen Anzeige und Information. Dr. Stefan Greiner, Universität zu Köln 4
5 Entgeltanspruch und 275 I, III BGB Prinzip der Einzelbetrachtung Grundsatz: 326 I BGB Ausnahmen, insbes.: 3 I EFZG 616 BGB, (tarif)vertragliche Konkretisierungen 615 BGB Annahmeverzug des AGs 615 BGB regelt praktisch einen Fall des durch den AG zu vertretenden Unmöglichwerdens, Konkretisierung von 326 II 1 Diese systematische Einordnung gilt nur, wenn man nicht die Prämisse der h.m. zugrunde legt, Annahmeverzug und Unmöglichkeit schlössen sich aus! 615 BGB Schließen sich Unmöglichkeit und Annahmeverzug aus? Ja (h.m.) Nein (Teile der Lit.) Charakter der Arbeitsleistung als abs. Fixschuld >>> durch Nichtleistung tritt unabhängig von ihrer Ursache Unmöglichkeit ein Problem: 615 BGB hätte eigentlich keinen Anwendungsbereich 615 BGB ist dogmatisch eine (weitere) Ausnahme zu 326 I BGB Lösung der h.m.: Abstrahierungsformel War AG Annahme möglich, wollte er aber nicht annehmen? >> 615 S.1 War AN Leistung nicht möglich oder AG Annahme nicht möglich? >> 326 (I/II) Betriebsrisikolehre ( 615 S.3): Lösung einer MM: tatsächliche Nachholbarkeit entscheidet über Anwendung der Fixschuldthese Gegenargument: Rechtsunsicherheit, Zufallsergebnisse 615 regelt alle Fälle, in denen der AG die ihm angebotene Leistung des AN nicht annimmt, egal aus welchem Grund Auch alle Fälle der Annahmeunmöglichkeit werden schon von 615 S.1 erfasst ( 297 betrifft nur die Sphäre des AN) ( 615 S.3 ist nur Klarstellung) Fälle der beiderseits nicht zu vertretenden Annahmeunmöglichkeit Dr. Stefan Greiner, Universität zu Köln 5
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