BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG
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- Beate Hofmann
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1 BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG Nr vom 5. Juni 2008 Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, in der Debatte zur Kinderarmut und Stärkung von Familien vor dem Deutschen Bundestag am 5. Juni 2008 in Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte zeigt zunächst einmal: Kinderarmut treibt uns um. Diese Debatte zeigt Herr Spanier, Sie haben das gerade sehr schön dargelegt : Kinderarmut hat sehr viele Gesichter. Diese Debatte zeigt natürlich auch, dass die Kinderarmut nicht in einer einzigen Statistik zu erfassen ist. Dennoch müssen wir uns mit Statistiken beschäftigen. Ich möchte meinen Blick zunächst einmal auf den internationalen Vergleich richten. Denn es ist wichtig, immer auch zu überprüfen, wo wir im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stehen. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass es Deutschland ganz gut gelingt, die Kinderarmut zu bekämpfen. Wir liegen im oberen Drittel. Bedürftige Kinder werden in Deutschland finanziell besonders stark gefördert. Sie erhalten um ein Drittel höhere Leistungen als Kinder, die oberhalb der Armutsgrenze aufwachsen. Damit verfügt Deutschland von allen Mitgliedsländern der EU-15, also der alten Mitgliedstaaten, über die am stärksten an armen Kindern ausgerichteten Förderungen. Dennoch gibt es in Schweden, Dänemark und Finnland deutlich weniger Kinderarmut als in Deutschland. Unser Ziel ist, die Kinderarmut nachhaltig zu senken.
2 - 2 Warum sind andere Länder noch erfolgreicher als wir? Es gibt nicht nur ein einziges Erfolgsrezept, sondern es kommt auf einen klugen Mix von Maßnahmen an. Zusätzlich zur notwendigen finanziellen Unterstützung, die absolut unbestritten ist, investieren die erfolgreicheren Länder auch in Maßnahmen, die dazu beitragen, dass beide Elternteile erwerbstätig sein können. Wir dürfen beim Kampf gegen Kinderarmut also nicht nur die Kinder im Blick haben das wurde in der heutigen Debatte sehr deutlich, sondern wir müssen auch die Situation der Eltern berücksichtigen. Aus diesem Grunde möchte ich meinen Blick jetzt nach innen, auf die Situation in unserem Land, richten. Wenn wir die Frage stellen, wie sich Kinderarmut zusammensetzt und welche Grundmuster sie hat, stellen wir fest, dass alle statistischen Erhebungen dieselben Grundmuster aufweisen. Erstens leben Kinder dann in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Es ist also nicht etwa so, dass Kinder arm machen. Vielmehr leben Kinder dann in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Zweitens das ist ein sehr wichtiger und meiner Meinung nach besonders bedrückender Punkt leben Kinder dann in Armut, wenn sie in kinderreichen Familien aufwachsen, in denen die Eltern Mühe haben, für die vielen Köpfe genug Einkommen zu verdienen; in diesen Fällen sind staatliche Leistungen von existenzieller Bedeutung. Hinzu kommt: Kinder bleiben in Armut, nämlich in Teilhabearmut, wenn sie keine Chance auf Bildung und Entfaltung ihrer eigenen Fähigkeiten bekommen. Das wird auch an den vorliegenden Zahlen deutlich. Es gibt drei Hauptgruppen, die wir im Hinblick auf Kinderarmut zu berücksichtigen haben: erstens die Kinder von Alleinerziehenden, Kinder, zweitens die Kinder aus kinderreichen Familien, Kinder, und
3 - 3 drittens die Kinder mit Migrationshintergrund, rund Kinder. Auf diese drei Gruppen müssen wir unseren Fokus vor allen Dingen richten. Hier setzt das Konzept der Bundesregierung an. Eltern brauchen Arbeit. Das heißt, sie brauchen Arbeitsplätze. Eine gute Konjunktur schafft Arbeitsplätze. Wie wir sehen, ist die Zahl der unter 15-jährigen Kinder in den Bedarfsgemeinschaften der Grundsicherung für Arbeitsuchende seit Anfang 2007 rückläufig. Das ist zwar nur ein erster Teilerfolg, aber ein wichtiger Erfolg. Inzwischen sind 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Das wirkt sich unmittelbar auf die Situation in den Familien aus. Wir dürfen uns aber nicht nur auf die Konjunktur verlassen, sondern wir brauchen auch eine gezielte Familienpolitik. Wie Sie wissen, haben wir gemeinsam ein stimmiges Grundkonzept entwickelt. Dazu gehört erstens das Elterngeld. Es ist vor allem für Alleinerziehende ein wichtiger Baustein, der sicherstellt, dass sie mit der Geburt eines Kindes nicht in die Armut rutschen. Der zweite wichtige Aspekt ist der verbesserte Kinderzuschlag. Wir haben an der kritischen Grenze zur Armut, an der Empfänger von Transferleistungen leben, angesetzt. Diese staatliche Leistung, der Kinderzuschlag, ist genau das richtige Instrument, um Familien, in denen die Eltern ihr eigenes Einkommen verdienen, in denen das Geld aber nicht für alle Kinder ausreicht, zu unterstützen. Wegen der Kinder sollen diese Familien nicht in Hartz IV sein. Durch den Kinderzuschlag sollen sie in die Lage versetzt werden, auf eigenen Beinen zu stehen. Mit dem neuen Kinderzuschlag, den wir entwickelt haben, erreichen wir im Zusammenspiel mit der Wohngeldreform Kinder; vorher waren es nur Kinder. Insofern sind wir auch hier einen Schritt vorangekommen. Berechtigterweise wird immer wieder eine Wirkungsanalyse gefordert. Wir sind mitten dabei, die Wirkung der verschiedenen Leistungen zu analysieren. Das geht
4 - 4 aber nicht über Nacht. Wenn die Wirkungsanalysen vorliegen, werden wir davon müssen wir ausgehen neue Erkenntnisse haben. Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir um mit Familien, die in der Mitte der Gesellschaft sind, die kleine Einkommen haben, die keine Steuern zahlen und damit von einer Erhöhung der Freibeträge nicht profitieren, die keine staatlichen Transferleistungen beziehen? Wie helfen wir diesen Familien, wenn ein weiteres Kind geboren wird? Für diese Familien ist das Kindergeld entscheidend. Wir haben das Kindergeld lange vernachlässigt, wir haben die Bedeutung dieser Leistung unterschätzt. Das Kindergeld hat das zeigt sich insbesondere im internationalen Vergleich einen hohen armutspräventiven Charakter. Wir dürfen das Kindergeld nicht kleinreden. Wenn es im Herbst zu einem höheren Existenzminimum für Kinder kommt und die Freibeträge erhöht werden, werden wir auch über eine Erhöhung des Kindergeldes sprechen müssen. Ich werbe dafür, den Blick dann darauf zu richten, wer diese Erhöhung vor allem braucht. Das sind die kinderreichen Familien, und das sind die Alleinerziehenden mit mehreren Kindern, insbesondere wenn das dritte Kind kommt. Seit 1995 ist das Kindergeld für das dritte Kind nicht mehr erhöht worden. Wir haben das dritte Kind in der öffentlichen Debatte fast vergessen. Deshalb werbe ich nachdrücklich dafür, das Kindergeld zu staffeln, auch im Lichte der Erkenntnisse der Wissenschaftler, die uns gesagt haben, dass wir hier nicht lockerlassen dürfen. Wir wollen mit der Kaskade Elterngeld, Kinderzuschlag, Kindergeld die Familien in der Mitte der Gesellschaft halten, wollen verhindern, dass Familien in Armut abrutschen. Natürlich sind auch Bildung und Förderung entscheidende Bausteine. Den vierten Baustein haben wir letzte Woche mit dem Kinderfördergesetz beraten. Ich bin stolz darauf und danke von Herzen, dass es gelungen ist, in außergewöhnlich kurzer Zeit Februar 2007 Beginn der Diskussion über den Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen, April 2008 Gesetzentwurf im Kabinett, Mai 2008 Gesetzentwurf im Parlament einen Konsens von Bund, Ländern, Kommunen und Parteien herzustellen. Wir diskutieren jetzt nicht mehr darüber, ob wir einen Ausbau
5 - 5 der Betreuung brauchen, wir diskutieren nur noch darüber, wie wir es am besten machen. Es ist Konsens, konsequent nachzuholen, besser zu werden, die Infrastruktur auszubauen. Entscheidend ist für Eltern, dass sie arbeiten können, dass sie ein Einkommen haben. Für Kinder, gerade für Kinder aus benachteiligten Familien, ist der Zugang zu Förderung, zu Bildung von Anfang an die beste Prävention gegen Armut. Danke an das Parlament, danke an alle, die daran mitgearbeitet haben! Kinderarmut hat viele Gesichter. Es gibt nicht das Rezept, die Leistung, um Kinderarmut zu bekämpfen. Noch einmal: Wir sind im internationalen Vergleich nicht schlecht; uns darf aber nicht ruhen lassen, dass wir innerhalb des Landes im Vergleich dazu, wie wir anderen Gruppen helfen, bei der Bekämpfung der Kinderarmut besser werden können. In den letzten 30, 40 Jahren ist viel versäumt worden; die Kinderarmut ist schließlich nicht über Nacht entstanden. Ich nenne als Stichworte nur die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Vergessen der kinderreichen Familie, also des dritten Kindes. Lange wurde nicht wahrgenommen, dass frühe Bildung für Kinder mit Migrationshintergrund, für Kinder aus Familien, in denen Bildung wenig zählt, die Chance ist, aus der Armut herauszukommen. Wir haben Jahre gebraucht, um hier auf den internationalen Standard zu kommen. Jetzt haben wir gemeinsam die Chance, zu handeln. Die Fakten in den Berichten rütteln uns wach; in den Berichten werden uns aber auch Möglichkeiten aufgezeigt, zu handeln. Deshalb noch einmal meine Bitte: Bleiben wir bei diesem Thema bei der guten Tradition, die sich in unserem Ausschuss, aber auch hier im Parlament entwickelt hat, nämlich gemeinsam konsequent für dieses Thema zu streiten. * * * * *
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