Alles was Recht ist! Kirche und Staat in Partnerschaft Jesaja 1,1-17 Dialogpredigt am Buß- und Bettag
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- Ina Bayer
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1 DR. INGRID SPIECKERMANN Alles was Recht ist! Kirche und Staat in Partnerschaft Jesaja 1,1-17 Dialogpredigt am Buß- und Bettag Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (NL) Landessuperintendentin Dr. Ingrid Spieckermann (SP) Neustädter Hof- u. Stadtkirche St. Johannis, SP Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde! Alles was Recht ist! Kirche und Staat in Partnerschaft. So haben wir unseren heutigen Gottesdienst zum Buß- und Bettag überschrieben. Ihm liegt ein eigenartiger Text zugrunde. Wir haben ihn vorhin als Lesung gehört. Ich lese ihn noch einmal vor: Hört das Wort des Herrn, ihr Herrscher von Sodom! Vernimm die Weisung unseres Gottes, du Volk von Gomorra! Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern?, spricht der Herr. Die Widder, die ihr als Opfer verbrennt, und das Fett eurer Rinder habe ich satt; das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider. Wenn ihr kommt, um mein Angesicht zu schauen wer hat von euch verlangt, dass ihr meine Vorhöfe zertrampelt? Bringt mir nicht länger sinnlose Gaben, Rauchopfer, die mir ein Gräuel sind. Neumond und Sabbat und Festversammlung - Frevel und Feste - ertrage ich nicht. Eure Neumondfeste und Feiertage sind mir in der Seele verhasst, sie sind mir zur Last geworden, ich bin es müde, sie zu ertragen. Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut. Wascht euch, reinigt euch! Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen! NL Liebe Frau Dr. Spieckermann, alles was Recht ist, das ist doch ein heftiger Text. Er trieft ja nur so von Blut. Schlachtopfer: Stiere, Lämmer, Böcke. Opferblut, das von den Händen rinnt, und das Gott nicht haben will! Sind Opferriten für uns ein Thema? SP Na ja, zumindest Bauernopfer werden ja auch bei uns gebracht. In der Politik. In der Kirche. In den Medien schon mit einer gewissen Traditionsbildung... Aber, Sie haben Recht. Das ist ein heftiger Text. Er
2 versetzt uns mitten hinein in den alttestamentlichen Buß- und Bettag. Den Versöhnungstag. An dem Gott Opfer gebracht werden, für all das, was nicht gut gelaufen ist. Und damit symbolisch Sühne geleistet wird. NL Alles was Recht ist! Wenn ich das richtig verstehe, hat Gott das doch gerade selbst gefordert. Das ist doch Inhalt des Rechtes, das Mose von Gott empfangen hat. Mit den Zehn Geboten. Mit dem Grundgebot: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Nicht das Leben des Schuldigen zu fordern, wenn das Gebot gebrochen wurde, sondern ein Symbol, einen Ersatz: In meinen Augen war das eine große Kulturleistung. Das kann nicht falsch sein! Woher jetzt Gottes Abscheu, nachgerade sein Ekel vor seinem Volk? Die Menschen tun doch erkennbar alles, was Recht ist: Sie kommen in den Tempel, um Gott zu begegnen, sie halten den Feiertag ein, sie bringen Opfer, sie beten! Was ist eigentlich seine Kritik? SP Ja, und genau sie werden Volk von Gomorra und Herrscher von Sodom genannt. Und es ist ja auch nicht nur das Opferblut. Feste, Neumond, Sabbat und Festversammlung sie sind, so sagt Gott in diesem Prophetenwort, mir in der Seele verhasst, sie sind mir zur Last geworden, ich bin es müde, sie zu ertragen. Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Und dann noch einmal: Eure Hände sind voller Blut. Da stehen keine Dschihadisten vor Augen, die mit dem Blut ihrer Opfer grausam Politik machen. Nein, das geht viel weiter. Das sind Menschen wie du und ich. Die in ihrem Alltag und Sonntag die Regeln einhalten, die es nun einmal gibt. Den Sonntag achten. Vermutlich mehr beten, als wir das heute tun. Dieser Text ist auch im Alten Testament ein radikaler Text. Es steht die Frage im Raum: Was für Auswirkungen hat eure Gesinnung. Eure Einstellung. Euer Glaube. Ich könnte auch sagen: Was für einen Zusammenhang gibt es zwischen euren vorgetragenen Maximen und euren Handlungen? Was leitet euch bei dem, was ihr scheinbar so rechtlich tut. Was leitet euch, wenn ihr die Hände erhebt und betet. Als Christen, als Kirche. Was leitet euch, wenn ihr euch scheinbar ganz innerhalb der Gesetze bewegt, als Politiker. Als Gesellschaft. Wie viele Bürger fragen sich heute: Was treibt die Politiker eigentlich an? Wirklich die Sorge um das Gemeinwesen, um die Menschen, um ihre Würde und ihr Recht? Oder die Stimmen, die Macht, die Verunglimpfung des politischen Gegners? Die gleiche Frage kann man an die Kirche stellen, und sie wird ja auch gestellt. Was treibt sie? Der Erhalt ihrer Stellung in unserer Gesellschaft? Ihr Ansehen? Alles was Recht ist!
3 NL Nun, was den Einzelnen antreibt, darüber kann man nur spekulieren. Sicher ist Machterhalt bei der Regierung und Machtgewinn für die Opposition ein auf der Hand liegender und, wie ich meine, legitimer Antrieb. Die Frage ist wahrscheinlich eher: wofür die Macht einsetzen oder anstreben! Wenn der Appell lautet: Lernt Gutes zu tun!, geht es ja offensichtlich nicht um Aktivismus, sondern um Selbstklärung, um Erkenntnis und innere Neuausrichtung. SP Unser Abschnitt beginnt ja herausfordernd: Hört das Wort des Herrn! Hier wird Gott ins Spiel gebracht. Obwohl sie Gott opfern, sollen sie erst einmal hören. Das heißt doch: Ich habe Gott nicht in der Tasche. Weder als Kirchenfrau, die zu wissen meint, was es mit Gott auf sich hat. Noch als religiös anders Virtuoser oder Unmusikalischer, der anderes zur obersten Maxime macht: Den Dienst an der Gesellschaft. Das eigene Fortkommen. Den Erfolg. Die Regierungsverantwortung. Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott, sagt Martin Luther. Und hier nun der Aufruf: Hört! Ich bin euch nicht einfach immanent. Ich trete euch gegenüber. Du kannst mich nicht einfach verrechnen: Ich muss nur so und so handeln, dann ist es schon gut. Ja, selbst, und das sage ich als Kirchenfrau: Eure vielen Debatten um den Bedeutungsverlust der Religion in eurer Gesellschaft - wisst ihr was? Das ist mir eigentlich egal. Oder besser gesagt: Wenn ihr dann dasteht und euch entweder darüber freut oder darüber mutlos werdet, dann sage ich: Wendet euch doch einmal um! Dreht euch um, kehrt um und hört! Ich habe euch etwas zu sagen! NL Ich höre da vor allen Dingen ein völlig eindeutiges: Ihr macht etwas ganz grundsätzlich falsch. Abgrundtief falsch. So harsch wie die Tonlage, die Jesaja hier anstimmt, klingen Kommentare von vielen Nichtwählern, die pauschal alles, was Politik macht, für eigennützig, abgehoben und rücksichtslos gegenüber der jungen Generation verdammen. Die wenden sich allerdings ab. Gott wendet sich uns zu und fordert Umkehr. Es ist schon erstaunlich, wie unmittelbar mich dieser Text anspricht. Er ist immerhin etwa 2600 Jahre alt. Und das trotz der drastischen, blutigen Bilder, die uns fremd sind. Da wird angesprochen, dass es von der Form her ganz korrekt zugehen kann, aber in der Sache falsch und ungerecht. Sonntagsreden, bei denen der Zuhörer merkt, das ist nicht echt, morgen werden wir in der Realität etwas anderes erleben. Beschwörung der Willkommenskultur, aber das Flüchtlingsheim um die Ecke entspricht leider nicht dem Bebauungsplan. Nicht das Beten, das Opfern wird gegeißelt, sondern die Heuchelei, die Routine. Die innere Einstellung. Der Text spricht zu uns über die Jahrtausende, weil das die zentrale Frage ist, bei allem, was wir tun, bei Regierungsentscheidungen wie bei Debatten im Landtag.
4 Aber dann das im Verhältnis zur Verdammung kurze eindeutige Gebot: Lernt Gutes zu tun! SP Mir ist ein Wort aufgefallen: Lernt. Lernt Gutes zu tun. Das ist etwas anderes als der Aufruf: Tut - endlich mal - Gutes. Wie Sie schon gesagt haben: In ihrer Weise haben das die Leute damals auch gemacht. Sie haben die Regeln eingehalten. Jedenfalls so ziemlich. Wie wir das ja auch tun. So mehr oder weniger ziemlich. Manchmal wünschte ich mir als Staatsbürgerin in diesem Bundesland durchaus etwas mehr politische und weniger Hintertreppen-Kontroverse. Und wenn ich auf die großen Krisenfelder schaue: Haben nicht die meisten, bei uns genauso wie in anderen Regionen der Welt, das Gefühl, sie täten das Richtige? Zumindest den richtigen nächsten Schritt? Und dann kann gerade der sich katastrophal auswirken. Ist das nicht oft so? Wir meinen es gut, und schlittern immer weiter zu auf den Klimakollaps, auf die Rüstungs- und kalte-kriegs-spirale, auf den ökonomischen Kollaps. Lernt Gutes zu tun! Das hat für den Propheten etwas damit zu tun, was unser Handeln lenkt. NL Wenn ich einen Begriff für den Text finden sollte, dann würde ich sagen: streng. Das Wort ist aus der Mode gekommen. Wenn der Prophet Bezug nimmt auf Sodom und Gomorra, dann droht das Ende. Jesaja predigt hochbesorgt. Frau Dr. Spieckermann, Sie haben die aktuellen Bedrohungen angesprochen. Der Prophet fordert für Gott Gehorsam auf neue Art. Nicht mehr Opfer, Opferprotz könnte man auch sagen. Ich verstehe seine Strenge nicht als Härte und Kälte, sondern als Konsequenz. Als klare Ansage. Strenge fordert Anstrengung und ist in Staat, Kirche, Politik gerne bei anderen, aber nicht als Forderung an sich selbst populär. Wenn es im Text heißt: Sorgt für das Recht! könnte man ein Zitat von Rosa Luxemburg abwandeln: Recht ist immer - auch - das Recht der anderen. Nicht das alte Recht: Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern ein neues Recht: Gerechtigkeit für die Bedürftigen und Leidenden! Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben den Ruf gehört: Sozialstaats- und Rechtsstaatsgebot! Die Achtung der Würde des Menschen aus Art greifen dem Appell von Jesaja deutlich auf! SP Das heißt ja auch: Der Bußtag ist nicht etwas Fremdes, Fernes in unserer Welt. Er gehört mitten hinein. Er ist die Erinnerung: Wir sind angesprochen. Da ruft einer in mein Leben: Höre! Im Hören erlebst Du Dich nicht als Allesmacher und Alleskönner und Egomanen, sondern als Du. Du wirst etwas demütiger. Nicht du wirst die Welt retten. Du bist Gottes Du. Und damit das Du jedes anderen. Natürlich müsst ihr streiten darüber, was das Gute ist. Wie ihr denen helft, die schwach sind. Wie ihr die schützt, die sich selbst nicht schüt-
5 zen können. Aber dieser Streit ist immer etwas Vorletztes. Etwas, das in der Klammer des Willens Gottes für alle Menschen steht. Wenn Streit etwas Letztes wird - nur, um Recht zu haben, nur, um andere klein zu machen und euch selber groß -, dann sind, in den drastischen Worten dieses Textes, eure Hände...voll Blut. Der Text ist, so finde ich, zugleich ein wunderbares Angebot: Selbstbegrenzung führt zur Freiheit. Das Gebet mitten hinein ins Handeln. Unser Christsein, schreibt Dietrich Bonhoeffer in seiner Haft, wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Oder wie Luther einmal sagt: Ich habe heute viel zu arbeiten, also muss ich umso mehr beten. Alles was Recht ist! Kirche und Staat in Partnerschaft das heißt ja nicht: Hier der Glaube, da die Werke. Hier das Beten, da das Tun. Nein, es heißt: Wir sind zusammen aufgerufen, uns umzudrehen, umzukehren, uns von unserer Allmacht entlasten zu lassen. Uns befreien zu lassen zu einem Tun, das sich immer wieder zu Gott, immer wieder vor Gott begibt, um zu lernen, Gutes zu tun. Und damit das Du, wer es auch sei, nicht aus dem Blick zu verlieren. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
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