Organisationsverschulden im Binnenschifffahrts- und Seerecht Dr. Eckehard Volz VHT-Seminar, 15. November 2016
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- Annegret Keller
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1 Organisationsverschulden im Binnenschifffahrts- und Seerecht Dr. Eckehard Volz VHT-Seminar, 15. November 2016
2 Gliederung I. Grundlagen des Organisationsverschuldens II. Binnenschifffahrtsrecht vs. Seerecht III. Fallbeispiele des Binnenschifffahrtsrechts IV. Fallbeispiele des Seerechts V. Bedeutung von Sicherheitsvorschriften VI. Lösungsansätze zur Verringerung des Haftungsrisikos
3 I. Grundlagen des Organisationsverschuldens (1) Legaldefinition der betrieblichen Organisationspflicht: Das allgemeine Gebot, die innerbetrieblichen Abläufe so zu organisieren, dass Schädigungen Dritter in dem gebotenen Umfang vermieden werden. (Münchner Kommentar BGB-Wagner, 823 Rn. 78) Pflicht zur hinreichenden Anweisung der Mitarbeiter und sonstiger Hilfspersonen; Sicherstellung von Schulung und Qualifikation der Mitarbeiter und sonstiger Hilfspersonen; sorgfältigen Überwachung von Mitarbeitern, Hilfspersonen und Einrichtungen. 3
4 I. Grundlagen des Organisationsverschuldens (2) Beweislast Problem bei Organisationsverschulden: Mangelnde Einsicht des Anspruchsstellers in die Organisationsstruktur des Anspruchsgegners Lösung des BGH: Sekundäre Beweislast bei Anspruchsgegner Anspruchssteller muss vorliegen kausaler Pflichtverletzung beweisen. Transportunternehmen müssen soweit nach Treu und Glauben ( 242 BGB) möglich und zumutbar aus dem eigenen Betriebsbereich vortragen, welche Maßnahmen sie zur Verhinderung von Schäden und Verlust von Transportgütern unternommen haben niedrige Beweisschwelle 4
5 I. Grundlagen des Organisationsverschuldens (3) Voraussetzungen der unbegrenzten Haftung ( qualifiziertes Verschulden ) 1. Leichtfertiger Verstoß gegen Organisationspflicht: Besonders schwerer Pflichtverstoß (gegen eine Organisationspflicht), bei dem sich der Frachtführer ( ) in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen. 2. Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts: Dem Handelnden aufdrängende Erkenntnis, es werde ein Schaden eintreten. (vgl. BGH TranspR 2004, 309) 5
6 II. Binnenschifffahrtsrecht vs. Seerecht Rechtslage VOR der Seerechtsreform Binnenschifffahrtsrecht Seerecht Vertragliche Haftung Frachtführer haftet nach 435 HGB und Art. 21 CMNI unbegrenzt Wegfall des Haftungsausschlusses für nautisches Verschulden und Feuer bei eigenem Verschulden ( 607 Abs. 2 HGB a.f.) Verfrachter haftet nach 660 Abs. 3 HGB a.f. unbegrenzt bei qualifiziertem Verschulden Deliktische Haftung Schiffseigner nach 5b Abs. 1 BinnschG unbegrenzt Reeder oder Charterer nach 487d HGB a.f i.v.m. Art. 4 HBÜ 6
7 II. Binnenschifffahrtsrecht vs. Seerecht Rechtslage NACH der Seerechtsreform Vertragliche Haftung Binnenschifffahrtsrecht Seerecht Frachtführer haftet nach 435 HGB und Art. 21 CMNI unbegrenzt bei qualifiziertem Verschulden Verfrachter haftet nach 507 Nr. 1 HGB unbegrenzt bei qualifiziertem Verschulden Deliktische Haftung Schiffseigner haftet nach 5b Abs. 1 BinnschG unbegrenzt bei qualifiziertem Verschulden Reeder oder Charterer nach 616 Abs. 1 S. 1 HGB i.v.m. Art. 4 HBÜ bei qualifiziertem Verschulden Besonderheiten der Organisationspflichten Verschiedene Vorschriften z.b. ADNR Weniger Beteiligte / höherer Anspruch an Kontrolle ISM Codes Qualifikationen des Schiffspersonals 7
8 III.Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts 8
9 III.Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts (1) EXCELSIOR vom Binnenschiff auf dem Rhein von Mannheim nach Rotterdam 103 Container in dritter und vierter Lage Bei Wendemanöver fielen 32 der 103 Container in den Rhein Keine Stabilitätsberechnung bei Antritt nur Schlängelfahrt Keine Anweisung oder Überwachung der Durchführung einer Stabilitätsberechnung Prüfung der Stabilität war dem Schiffsführer überlassen 9
10 III.Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts (1) Rheinschifffahrtsobergericht Köln vom U 133/09: Keine Berufung auf Haftungsbeschränkung durch die Ausrüsterin / ausführende Frachtführerin Verletzung der Pflicht durch Anweisungen und Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, dass der Schiffsführer ohne das Durchführen einer Stabilitätsberechnung mit positivem Ergebnis die Fahrt nicht antritt Krasse Missachtung der Sicherheitsinteressen der Ladungseigentümer Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts drängte sich auf 10
11 III.Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts (1) OLG Stuttgart vom U 60/10: Ladungsinteressent nimmt Frachtführerin in Anspruch, welche sich der Ausrüsterin als ausführende Frachtführerin bediente Kein Organisationsverschulden der Frachtführerin aufgrund mangelnder Überwachung der eingesetzten ausführenden Frachtführerin Ordnungsgemäßes Überwachen der korrekten Stauung der Ladung oblag allein der ausführenden Frachtführerin Vertrauen auf Einhaltung der Sicherheitsstandards durch eingesetzte Dritte grundsätzlich zulässig 11
12 III.Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts (2) 12
13 V. Fallbeispiel des Binnenschifffahrtsrechts (2) Sinkende Schute Schute im Hamburger Hafen Wachschiff-Gesellschaft beauftragt mit Überwachung im Abstand von mehreren Stunden Untergang zu spät entdeckt BGH vom II ZR 56/07 Grobes Organisationsverschulden aufgrund Vernachlässigung der Pflicht zur durchgehenden Bewachung 13
14 IV. Fallbeispiel des Seerechts (1) 14
15 IV. Fallbeispiel des Seerechts (1) PKW-Fall Multimodaler Transport durch Spediteur von Kelsterbach nach Luanda eines PKW vereinbart (Seetransport in Container) Einsetzen eines Verfrachters durch Spediteur für Seetransport ab Antwerpen Anweisung für Containertransport bis Dakar missachtet, ab Dakar Container ohne Sicherung Erhebliche Schäden am Auto während Seetransport 15
16 VI. Fallbeispiel des Seerechts (1) PKW-Fall BGH vom I ZR 140/06 Haftungsbegrenzung für Spediteur entfällt nicht gem. 660 Abs. 3 HGB a.f. ( 507 Nr. 1 HGB n.f.) kein grobes Organisationsverschulden Weisung an Verfrachter den PKW in Container zu transportieren nachgewiesen und hinreichend Keine Pflicht zur Überwachung der Einhaltung der Anweisungen durch den Verfrachter Vertrauen in die Vertragstreue ist zulässig 16
17 IV. Fallbeispiel des Seerechts (2) 17
18 IV. Fallbeispiel des Seerechts (2) Taronga -Entscheidung Gondel einer Windkraftanlage wird bei (Multimodal-)Transport durch Beklagte von Dänemark nach Australien an Land in Australien beschädigt Rücktransport zwecks Reparatur auf dem Seeweg durch Beklagte Bei Ankunft in Hamburg wird festgestellt, dass Gondel zusammen mit Transportgestell umgefallen war: Schadenersatz? Fehlerhafte Gewichtsangabe er Gondel im Stauplan (15 anstatt 56 Tonnen/ Konnossement der Klägerin lautete auf 49 Tonnen) Unzureichende Ladungssicherung 18
19 IV. Fallbeispiel des Seerechts (2) Taronga -Entscheidung BGH vom I ZR 212/06 Beklagte konnte nicht darlegen, in welcher Weise sie sicherstellt, dass sie Weisungen zur hinreichenden Ladungssicherung erteilte bzw. die Befolgung solcher garantierte Unzureichende Ladungssicherung begründet Vermutung für qualifiziertes Verschulden (sekundäre Beweislast bei Beklagten / Verfrachter) Die Beklagte hätte vortragen müssen, welche Weisungen sie hinsichtlich der Ladungssicherung erteilt und auf welche Art und Weise sie diese überwacht hatte. 19
20 IV. Fallbeispiel des Seerechts (3) Der schlafende Wachoffizier Schiff läuft vor Isle of Scilly auf Grund, weil wachhabender Offizier eingeschlafen ist und Watch Alarm ausgeschaltet war Entgegen der geltenden Merchant Shipping (Certification and Watchkeeping) Regulations 1982 (Umsetzung des STWC 1978*) befand sich keine zweite Wache auf der Brücke Es gab keine entsprechende Weisung an den Kapitän, eine zweite Wache zu stellen *Internationales Übereinkommen vom über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten 20
21 IV. Fallbeispiel des Seerechts (3) Der schlafende Wachoffizier BGH vom I ZR 20/04 Haftungsbegrenzung für Charterer und Reeder entfällt nicht gem. 660 Abs. 3 HGB a.f. ( 507 Nr. 1 HGB) kein grobes Organisationsverschulden Kenntnis der Anforderungen an den Brückenwachdienst gehört laut Anlage zum STWC 1978 zu den Mindestkenntnissen von Kapitänen und Ersten Offizieren auf Schiffen mit einer Bruttoraumzahl von 200 oder mehr Polnisches Kapitänspatent des Kapitän reicht für Vertrauen auf Einhaltung durch Reeder Keine zusätzliche Weisung erforderlich Vorinstanz: Bezugnahme auf mögliche Auswirkung ISM Code *Internationales Übereinkommen vom über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten 21
22 V. Bedeutung von Sicherheitsvorschriften Binnenschifffahrtsrecht Keine Geltung der ISM Codes für Binnenschifffahrt Seerecht ISM Codes Diverse Vorschriften; ähnliche Sicherheitsstandards Definition von Organisationspflichten im Zusammenhang mit der Schiffssicherheit Beachtung der Vorschriften, z.b. des Europäischen Übereinkommen vom 26. Mai 2000 über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstraßen (ADN 2013) als Teil der Organisationspflicht Missachtung aufgrund zwingender internationaler Anwendung begründet in den meisten Fällen Leichfertigkeit 22
23 VI. Fazit: Verringerung des Haftungsrisiko Generelle Maßnahmen: Überprüfung von Qualifikationen und Schulung der Mitarbeiter Anweisung und Überwachung der Mitarbeiter und Dritter Sekundäre Beweislast: Dokumentation der Abläufe Ggf. Bestätigungen von eingesetzten Hilfspersonen (z.b. über korrekte Verstauung und/oder Qualifikation der eingesetzten Personen etc.) Überprüfungen / Qualitätssicherung 23
24 Vielen Dank! Beijing Cologne Dubai Hamburg Hong Kong Le Havre London Monaco Paris Piraeus Shanghai Singapore
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