Bahn aktuell. Foto: DB AG/Christian Bedeschinski
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1 Foto: DB AG/Christian Bedeschinski 6 Deine Bahn 7/2014
2 DB Regio AG Nahverkehr auf der Schiene: Wettbewerb im Wandel Dr. Manfred Rudhart, Vorstandsvorsitzender der DB Regio AG, Frankfurt am Main 20 Jahre nach der Bahnreform und 18 Jahre nach dem Beginn der Regionalisierung ist der Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) eine Selbstverständlichkeit. Gut, dass es so ist. Ohne diesen strukturellen Neubeginn hätte der Nahverkehr auf der Schiene kaum eine erfolgreiche Zukunft gehabt. Inzwischen steht der SPNV in Deutschland vor neuen Herausforderungen. Weil die Verkehrsunternehmen immer öfter zu reinen Personaldienstleistern werden, geraten zum Nachteil der Beschäftigten die Lohnkosten und Sozialstandards in den Fokus des Wettbewerbs. Damit sind, wie Umfragen zeigen, auch die Fahrgäste nicht einverstanden. Deine Bahn 7/2014 7
3 Quelle alle Grafiken: DB Regio AG In seinen behördlichen Strukturen vor 1994 war der Nahverkehr auf der Schiene gefangen in einem Teufelskreis aus Vernachlässigung und Verlustausgleich. Weil sich SPNV als Daseinsvorsorge wirtschaftlich nicht selbst tragen kann, vergrößerte jeder Zugkilometer und jeder Reisende das Defizit von Reichsbahn und Bundesbahn. Für Innovationen fehlte das Geld, für Investitionen der wirtschaftliche Anreiz. Bahnreform setzte Boom in Gang Bahnreform und Regionalisierung trennten die Funktion der öffentlichen Daseinsvorsorge von der unternehmerischen Aufgabe der Erstellung der Verkehrsleistung. Nach diesem Modell obliegt es den Ländern und den von ihnen bestimmten Aufgabenträgern, mit den vom Bund zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmitteln Verkehrsangebote zu bestellen. Auf die Schiene gebracht werden sie von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Sie stehen miteinander im Wettbewerb um Verkehrsleistungen, die von den Aufgabenträgern in der Regel europaweit ausgeschrieben werden (siehe Grafik Strukturschema des Wettbewerbs im SPNV ). Auf der Grundlage dieser Strukturen hat der SPNV in Deutschland eine beeindruckende Entwicklung genommen betrug das Angebotsvolumen rund 500 Millionen Zugkilometer waren es nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger im SPNV (BAG-SPNV) 653 Millionen Zugkilometer, ein Plus von 31 Prozent. Noch deutlich stärker, nämlich um 69 Prozent, fiel der Zuwachs der Verkehrsleistung aus. Laut BAG-SPNV legten die Fahrgäste 2012 rund 51 Milliarden Personenkilometer in Nahverkehrszügen zurück waren es 30,3 Milliarden. Vielfältige Bestellerlandschaft Insgesamt stellt sich SPNV in Deutschland ausgesprochen vielfältig dar. Das betrifft insbesondere die derzeit 27 Aufgabenträger. Die Besteller des Nahverkehrs unterscheiden sich nicht nur in ihren Organisationsformen (zum Beispiel Verkehrsverbünde, Zweckverbände, Kommunal- und Regionalverbände, Landesgesellschaften etc.), sondern vor allem in der konkreten Ausformung des Wettbewerbs. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie viel Wertschöpfung und wie viel unternehmerische Chancen und Risiken ein Aufgabenträger selber übernehmen und wie viel er dem Verkehrsunternehmen zugestehen will. Die wesentlichen Stellschrauben dafür (siehe Grafik Risiken und Wertschöpfung, Seite 10) werden von Besteller zu Besteller und mitunter auch von Vergabe zu Vergabe sehr unterschiedlich justiert. Internationale Verkehrskonzerne Im Unterschied zu den Aufgabenträgern hat sich das Feld der Verkehrsunternehmen inzwischen deutlich konzentriert. Zwar sind, über die Unternehmen der DB hinaus, derzeit noch mehr als 50 Eisenbahnverkehrsunternehmen im deutschen SPNV tätig. Doch viele der lokalen Bahnen und Newcomer der 8 Deine Bahn 7/2014
4 Foto: DB AG/Uwe Miethe Anfangsphase konnten nur in Marktnischen bestehen, wurden verdrängt oder übernommen. Die wesentlichen Wettbewerber der DB Regio AG sind heute internationale Verkehrskonzerne, darunter die Tochterunternehmen großer europäischer Staatsbahnen (siehe Tabelle Wesentliche Wettbewerber ). Jüngst in den Markt eingetreten ist das britische Unternehmen National Express. Weitere Verkehrskonzerne, etwa MTR Hongkong, haben Interesse am deutschen Markt bekundet. Die Gründe für die Konzentration auf große und leistungsfähige Anbieter liegen, neben der Kapitalintensität des Eisenbahngeschäfts, vor allem im stetig steigenden Wettbewerbsdruck und den hohen Anforderungen der Aufgabenträger. Die Besteller schreiben heute in der Regel große Netze statt einzelner Strecken aus. Von den Verkehrsunternehmen verlangt das ein hohes Maß an Kompetenz, während die Preise massiv unter Druck geraten sind. Und schon allein die Teilnahme an einer Ausschreibung erfordert von den SPNV-Unternehmen umfassendes Knowhow, bindet bei ungewissem Ausgang über viele Monate hoch qualifiziertes Personal. Mittelständische Unternehmen können das längst nicht mehr leisten. Vergabewelle belastet Branche Bei einer Laufzeit der Verkehrsverträge von zumeist 12 bis 15 Jahren sind inzwischen viele Netze bereits zum zweiten Mal auf den Markt gebracht worden oder stehen kurz davor. Mit einem Marktanteil nach Zugkilometern von aktuell rund 74 Prozent haben sich die Nahverkehrsunternehmen der DB bislang insgesamt Deine Bahn 7/2014 9
5 Foto: DB AG/ Uwe Miethe erfolgreich im Wettbewerb behaupten können. Auf der Grundlage der Vergabeentscheidungen der Vergangenheit ist jedoch absehbar, dass der Marktanteil bis 2016 auf unter 70 Prozent sinken wird. Davon sind rund Arbeitsplätze betroffen. Die Wettbewerbsintensität wird weiterhin sehr hoch bleiben. Das Marktvolumen des deutschen SPNV beträgt rund 650 Millionen Zugkilometer. Nach Berechnungen der BAG-SPNV gingen allein 2012 und 2013 insgesamt 32 SPNV-Netze mit einem Angebotsumfang von rund 120 Millionen Zugkilometern nach einer Vergabe neu in Betrieb. Bis 2019 sollen weitere 340 Millionen Zugkilometer folgen. Innerhalb von 8 Jahren werden die SPNV-Besteller also mehr als 70 Prozent des deutschen SPNV in den Markt gebracht haben. Für alle Marktteilnehmer ist das eine Belastungsprobe. Das betrifft die Verkehrsunternehmen, die an den Ausschreibungen teilnehmen sollen, ebenso wie die Aufgabenträger, welche die Vergaben betreuen müssen, und die Eisenbahnindustrie, die für viele Netze neue Fahrzeuge liefern soll. Unternehmen wollen gestalten Jenseits der Konkurrenz um Verkehrsleistungen verläuft das Miteinander in der Branche inzwischen erfreulich konstruktiv. Konsens unter allen Marktteilnehmern ist es, dass die Erfolgsgeschichte des Nahverkehrswettbewerbs fortgeschrieben werden muss. Seit einigen Jahren setzen sich die Verkehrsunternehmen im Arbeitskreis Wettbewerb (AWE) des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gemeinsam für einen funktionierenden Wettbewerb ein. Dem AWE gehören nahezu alle großen SPNV-Unternehmen einschließlich DB Regio an. Unternehmerische Impulse zu setzen wird dabei immer wichtiger. Denn die aktuelle Marktentwicklung nimmt den 10 Deine Bahn 7/2014
6 Verkehrsunternehmen mehr und mehr Gestaltungsmöglichkeiten. War es das Anliegen der Bahnreform, das Potenzial der SPNV- Unternehmen im Wettbewerb für Produktivitätssteigerungen und intelligente und kostengünstige Verkehrsangebote zu nutzen, so zeichnen sich heute zunehmend gegenläufige Tendenzen der Re-Verstaatlichung unternehmerischer Aufgaben ab. Wertschöpfungsstufen entfallen Immer häufiger fließen mit so genannten Brutto-Verträgen die Fahrgeldeinnahmen nicht mehr an die Verkehrsunternehmen, sondern an die SPNV-Besteller. So geht den Unternehmen der Anreiz verloren, über attraktive Angebote mehr Fahrgäste für die Schiene zu gewinnen. Zugleich werden den Verkehrsunternehmen weitere wichtige Handlungsfelder, vor allem im Bereich der Fahrzeugfinanzierung, -beschaffung und -instandhaltung entzogen. Die Folgen: Für das Know-how und die Ressourcen, die nun bei den Verkehrsunternehmen nicht mehr gefordert sind, müssen in der Administration der Aufgabenträger neue Funktionen aufgebaut werden. Neue Schnittstellen entstehen etwa, wenn Betrieb und Instandhaltung nicht mehr aus einer Hand erbracht werden. Im komplexen Eisenbahnbetrieb bringt das problematische Haftungs- und Zuständigkeitsfragen mit sich. Die Tendenz ist unverkennbar: Den Verkehrsunternehmen bleibt nur noch die Aufgabe der Personalgestellung, während die öffentliche Hand mehr und mehr Wertschöpfungsstufen und Risiken des SPNV-Markts an sich und so dem Wettbewerb entzieht. Gleichzeitig steht der SPNV angesichts anspruchsvoller Fahrgäste und knapper öffentlicher Mittel vor großen Herausforderungen. 7,2 Milliarden Euro stellt der Bund im Jahr 2014 den Ländern für den SPNV zur Verfügung. Die Aufgabenträger beklagen, dass die jährlichen Steigerungen längst nicht ausreichen, um das bisherige Angebot qualitativ und quantitativ zu gewährleisten. Die künftige Dotierung des SPNV ist derzeit offen. Die gegenwärtigen Finanzierungsmodalitäten nach dem Regionalisierungsgesetz laufen 2015 aus. Wettbewerbsfaktor Personalkosten Zunehmend problematisch stellen sich die sozialen Folgen des Wettbewerbs für die Beschäftigten dar. Zwar hat der 2011 in Kraft getretene Branchentarifvertrag SPNV die Entgelte und Arbeitszeiten bei den DB-Unternehmen und ihren Wettbewerber einander angenähert. Allerdings räumt der Branchentarif erhebliche Spielräume ein, so dass noch immer eine Personalkostendifferenz von rund 10 Prozent besteht. DB Regio kann diesen Wettbewerbsnachteil in einem Umfeld kompensieren, das Möglichkeiten für unternehmerische Initiative bereithält und die gesamthafte Steuerung der kompletten Wertschöpfungskette durch das Verkehrsunternehmen zulässt. Angesichts der zunehmenden Tendenz zum Personalkostenwettbewerb schwinden dafür jedoch inzwischen die Möglichkeiten. Foto: DB AG/Wolfgang Klee leiden die Beschäftigten. Den Fahrgästen ist ein Wettbewerb über die Lohnkosten und Sozialstandards ebenfalls nicht zu vermitteln. So sprechen sich nach einer aktuellen Umfrage des Instituts forsa im Auftrag der Deutschen Bahn 84 Prozent der Befragten dafür aus, dass für die Beschäftigten aller Eisenbahnunternehmen in einer Region dieselben Lohn- und Sozialstandards gelten sollen. 74 Prozent befürworten, dass die Beschäftigten zu gleichen Bedingungen übernommen werden, wenn ein Vergabenetz zu einem neuen Betreiber wechselt. Beschäftigtenübergang sichern Die Zeit ist reif für mehr soziale Verantwortung. Deshalb tritt DB Regio dafür ein, den Übergang der Beschäftigten beim Wechsel des Betreibers sowie verbindliche soziale Standards in den Ausschreibungsbedingungen zu verankern. In anderen liberalisierten SPNV-Märkten, etwa in Schweden und Großbritannien, ist der Beschäftigtenübergang bei gleichen Tarif- und Sozialstandards seit langem selbstverständlich. Die EU-Verordnung 1370, die den Wettbewerbsrahmen europaweit definiert, und die Tariftreuegesetze einiger Bundesländer geben auch den Aufgabenträgern in Deutschland ausdrücklich die Möglichkeit dazu. n Verkehrsunternehmen werden immer öfter zu reinen Personaldienstleistern. Häufig entscheiden wenige Cent pro Zugkilometer über den Erhalt oder Verlust hunderter Arbeitsplätze. Zudem drängen neue Wettbewerber ohne direkte Bindung an den Branchentarifvertrag und ohne Betriebsrat in den Markt. Darunter Deine Bahn 7/
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