10. Organisationsformen der medizinischen Versorgung
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- Detlef Bäcker
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1 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-1 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 10. Organisationsformen der medizinischen Versorgung Wettbewerb der Krankenkassen (vgl. Breyer/Zweifel/Kifmann, Kap. 7) grundsätzliche Vorgaben für die Kassen der GKV: 1. Kontrahierungszwang: Verbot, hohe Risiken abzuweisen 2. Diskriminierungsverbot: Prämien dürfen nicht nach dem Risikotyp differenziert werden (im Gegensatz zur PKV) = Vorgaben führen zu Anreiz der Krankenkassen, niedrige Risiken anzuziehen und hohe Risiken abzuschrecken Direkte Risikoselektion und Risikostrukturausgleich beobachtbare Merkmale der Versicherten: Alter, Geschlecht s: Merkmal (Signal) mit Ausprägungen s = 0 und s = 1 (männlich vs. weiblich oder jung vs. alt) k s : durchschnittliche erwartete Ausgaben eines Versicherten mit Signal s, wobei k 1 > k 0 λ: Anteil der Versicherten mit Signal s = 1
2 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-2 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) erwartete Durchschnittsausgaben des Versicherers: k = λk 1 + (1 λ)k 0 (10.1) = Anreiz der Versicherung zur Abschreckung von s = 1 Lösung: Risikostrukturausgleich ist s allgemein beobachtbar kann für jeden Versicherten eine Transferzahlung z s festgelegt werden mit z s = k s k (10.2) für jeden Versicherten mit s = 0 ist z 0 = k 0 k < 0 und die Kasse muss einen Ausgleichsbetrag abführen für jeden Versicherten mit s = 1 ist z 1 = k 1 k > 0 und die Kasse erhält einen Ausgleichsbetrag Ergebnisse: 1. die erwarteten Kosten eines Versicherten sind für beide Typen identisch: k s z s = k s 2. der Saldo des Risikoausgleichspools ist ausgeglichen unter Verwendung von (10.1) ergibt sich (1 λ)z 0 + λz 1 = (1 λ)(k 0 k) + λ(k 1 k) = k k = 0 (10.3)
3 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-3 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Indirekte Risikoselektion unterschiedliche Risikotypen auch innerhalb einer Geschlechtsoder Altersgruppe = Krankenkassen im Wettbewerb können über Umfang und Struktur des Leistungsangebotes Risikoselektion (cream-skimming) betreiben 1. niedrige Risiken haben gegenüber hohen Risiken eine Präferenz für niedrigeren Leistungsumfang bei niedrigeren Prämien, da sie in dem KV-System Nettozahler sind (vgl. adverse Selektion, 8. Übung) 2. niedrige Risiken haben bei gleichem Leistungsumfang und gleichen Prämien Präferenz für anderes Leistungsbündel (akutmedizinische Leistungen, Vorsorge- und Fitnessbereich statt Leistungen für chronisch Kranke) Maßnahmen gegen Risikoselektion: 1. Ausweitung des RSA auf zusätzliche Kriterien (auch wenn diese schwerer messbar sind) 2. Umfang und Struktur des Leistungspaketes festlegen, um Risikoselektion zu verhindern = Vorteile des Kassenwettbewerbes durch Produktdiversifizierung gehen verloren
4 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-4 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Kassenwettbewerb in Deutschland Einführung des Kassenwettbewerbs 1996, verbunden mit der Einrichtung eines Risikostrukturausgleichs (RSA) (a) Leistungsangebot kaum Freiräume beim Leistungsangebot der Kassen, dennoch: Werbung (z.b. im Internet) kann auf gute Risiken (z.b. höhere Bildung) zielen Schließen von Geschäftsstellen kann neben Senkung der Verwaltungsausgaben auch Maßnahme zur Risikoselektion sein, wenn Präsenz einer Geschäftsstelle vor allem für hohe Risiken wichtig ist innovative Behandlungsformen für chronisch Kranke sind (noch) optional. Anreiz zur Aufnahme dieser Programme wird - selbst bei überlegener Kosteneffizienz - abgeschwächt, wenn dies zur Attrahierung hoher Risiken führt. = selbst ein fast vollständig harmonisiertes Leistungsspektrum kann Risikoselektion nicht völlig ausschalten
5 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-5 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) (b) Risikostrukturausgleich (RSA) wichtig: RSA orientiert sich bei seinen Ausgleichszahlungen an den durchschnittlichen Kosten aller Krankenkassen für einen bestimmten, beobachtbaren Risikotyp Anreiz jeder Kasse, die eigenen Ist-Ausgaben zu senken, bleibt erhalten ursprüngliche Ausgleichsvariablen des deutschen RSA sind Alter und Geschlecht auf der Ausgabenseite Einkommen der Versicherten (Einkommensabhängigkeit der Beiträge) auf der Einnahmenseite Erweiterung des RSA um diagnostische Informationen ist geplant (Versuch, messbare Indikatoren für Gesundheitszustand der Versicherten zu entwickeln) = auch hier: anreizkompatible Regulierung führt zu immer komplexerem System zusätzliche Berücksichtigung der Zahl chronisch Kranker: seit 2002 werden 60% der Aufwendungen für einen Versicherten, die Schwellenwert von /Jahr übersteigen, aus Risikopool erstattet = hier verringerter Anreiz der Kasse, auf Kosteneffizienz bei Leistungsanbietern zu achten (vgl. Kap. 9) Verteilungswirkung: Gegenüberstellung von Beitragsbedarf und Finanzkraft (analog steuerlichem Finanzaus-
6 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-6 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) gleich) führt zu Transfer von West- zu Ostkrankenkassen = komplizierte Mehrfach-Umverteilung durch einkommensabhängige KV-Prämien nicht nur auf individueller, sondern auch auf regionaler/institutioneller Ebene ökonomische Bewertung (+) Kassenwettbewerb mobiliert Effizienzreserven im Bereich der Verwaltungskosten bei den Kassen und trägt zu stärkerem Kostendruck auf Leistungsanbieter bei (-) hohe Kosten (Komplexität des RSA, einheitliches Leistungspaket), um Risikoselektion zu vermeiden und Wettbewerb der Krankenkassen in volkswirtschaftliche effiziente Bahnen zu lenken (c) Gesundheitsfonds seit 2009 kassenunabhängiger Beitragssatz, der ex ante festgelegt wird (für 2009 zunächst 15,5%, dann im Konjunkturpaket II auf 14,9% reduziert) aber: am Jahresende können Kassen mit Überschüssen diese an Versicherte ausschütten, Kassen mit Defiziten müssen (nach oben begrenzte) Zusatzprämien erheben = ähnliche (Netto-) Wirkung wie bei kassenabhängigen KV-Prämien
7 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-7 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) 10.2 Health Maintenance Organizations (HMOs) und Hausarztmodelle (vgl. Breyer/Zweifel/Kifmann, Kap. 11.4) Alternative Modelle nationaler Gesundheitsdienst: Staat nimmt Ärzte und Krankenhäuser direkt unter Vertrag (Großbritannien, Italien, Osteuropa) nationale Krankenversicherung: Monopol-Krankenkasse schließt Verträge mit Leistungsanbietern ab (Kanada) mehrere Krankenversicherungen, die zueinander in (begrenztem) Wettbewerb stehen (Deutschland, Holland, Schweiz) Krankenversicherung über den Arbeitgeber und vom Staat subventionerte KV für Arme (Medicaid) und Rentner (Medicare), die in HMOs organisiert ist (USA) Health Maintenance Organizations (HMOs) Gründung der ersten HMO um 1930 in den USA durch Bauunternehmer Henry Kaiser heute ca. 500 HMOs mit 80 Mio. Versicherten in USA (Marktanteil: 28%)
8 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-8 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Versicherter zahlt Kopfprämie pro Monat oder Jahr, die merklich günstiger ist als eine Prämie bei konventioneller Versicherung (Abschlag 20-30%) dafür erwirbt er eine vom HMO-Arzt (oder Ärztegruppe) garantierte und festgelegte Behandlung im Krankheitsfall (i.d.r. keine Selbstbeteiligung) die freie Wahl von Fachärzten und Krankenhäusern durch den Versicherten entfällt unterschiedliche Formen von HMOs 1. Unternehmenstyp: HMO ist Träger einer Gruppenpraxis und beschäftigt Ärzte im Angestelltenverhältnis (mit Erfolgsbeteiligung) 2. Vertragsnetztyp: Ärzte sind Eigentümer einer Gruppenpraxis und schließen mit HMO Behandlungsverträge ab 3. Hausarztmodell: Vertragspartner der HMO sind in einem (lokalen) Verbund zusammengeschlossene unabhängige Ärzte. Aus dem Verbund wird ein Hausarzt ausgewählt, der medizinische Grundversorgung übernimmt und für Überweisung an Spezialisten und KKH zuständig ist (gatekeeper)
9 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik 10-9 Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Kostenvorteile von HMOs empirisch signifikant niedrigere Kosten von Versicherten, die in HMO-Programmen eingeschrieben sind (z.b. Schweiz: 20-30%) Mögliche Gründe: 1. echte Kosteneinsparung im HMO-Modell durch Vermeidung von Mehrfachbehandlungen und unnötigen Krankenhausaufenthalten (gatekeeper-funktion des Haus- bzw. Vertragsarztes) und durch größeren Kostendruck bzw. Erfolgsbeteiligung für Leistungsanbieter 2. Selbstselektion: in HMOs sind typischerweise relativ gesunde Versicherte mittleren Alters versichert (Nettozahler in konventionellem KV-System) 3. Kostenverschiebung: sofern HMO-Ärzte auch andere Patienten behandeln, haben sie einen Anreiz, Kosten auf den konventionellen KV-Bereich umzuschichten, da dort der Kostendruck bzw. die Erfolgsbeteiligung geringer ist = nur Effekte unter 1. sind volkswirtschaftliche Effizienzgewinne aus HMOs müssen in empirischen Studien von den anderen Effekten getrennt werden
10 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Tabelle Verwendung der Beitragseinnahmen einer typischen HMO vom Vertragsnetztyp Administration, Marketing Rückversicherung, Gewinn 14% Dienste des Allgemeinpraktiker 24% Überweisung an Krankenhäuser 28% Überweisung an Spezialisten 21% externe Labors, Röntgen 7% Verordnungen 6% Prämie des Versicherten 100% Quelle: Moore (1979) Hauptgrund für Kostenersparnis sind geringere Einweisungszahlen ins Krankenhaus. Dieser Effekt ist nicht in erster Linie auf Risikoselektion zurückzuführen, sondern wird durch Eintritt in HMO induziert (Rand Health Insurance Experiment; vgl. Manning et. al., 1984, 1987) Studien im Rahmen des Rand Health Insurance Experiments zeigen, dass gesundheitliche Versorgung in HMOs für die meisten Patienten nicht schlechter ist als bei konventioneller KV; Ausnahme bilden wirtschaftlich Schwache mit schlechtem Gesundheitszustand Studie zur Kostenverschiebung von KKH in Illinois zeigt, dass ca. 50% der Kostenreduktionen für HMO-Patienten
11 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) (Medicare, Medicaid) durch Kostenerhöhungen für konventionell Versicherte kompensiert werden = volkswirtschaftliche Kosteneinsparungen durch Bildung von HMOs sind positiv und signifikant, aber deutlich geringer als bei einfachem Kostenvergleich von HMO- Versicherten und konventionell Versicherten HMOs in der Schweiz HMO-Tarife als Sondertarife einiger Krankenversicherer; ca. 8% der Bevölkerung in HMO-Programmen versichert Wachstum in den 1990er Jahren; inzwischen Stagnation Hausarztvariante des HMO-Modells bevorzugt, aber fließender Übergang zu Vertragsnetztyp gesetzlich begrenzter Prämienrabatt für HMO-Versicherte (20%) behindert möglicherweise stärkere Ausbreitung (HMO-Tarife in USA oft 30% unter Normaltarifen)
12 Ausgewählte Bereiche der Wirtschaftspolitik Prof. Andreas Haufler (WS 2009/10) Potenzial für HMOs in Deutschland Möglichkeit zur Einrichtung von HMOs und Hausarztmodellen besteht seit 2001; Pflicht seit 2007 Einschätzung des Marktanteilspotenzials ist generell nicht sehr optimistisch (z.b. Breyer, Zweifel und Kifmann) ein wichtiger Grund dafür ist Subventionierung von KKH durch das duale Finanzierungssystem (seit 1972): Bauinvestitionen trägt der Bund (Steuerzahler); nur laufender Betrieb wird von den Kassen finanziert da Großteil der Ersparnisse im KKH-Bereich liegen ist Potenzial für Prämienrabatte in Dtld. erheblich geringer als in USA und auch in der Schweiz
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