Fokus Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) Pädiatrie
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1 Fokus Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) Pädiatrie Thomas Völkl Kinder- und Jugendklinik Universitätsklinikum Erlangen
2 Fall: Mädchen 32 Tage alt: Schnarchendes Geräusch über die Nase Hebamme: Säuglingschnupfen, abschwellenden Nasentropfen (Xylometazolin 0,05%) In der Nacht der stationären Aufnahme: auffälliges Atemmuster, Apnoephasen, Erbrechen RR: 79/49mmHg, HF: 165/Min. 39 Atemzüge/Min. Temp. 37,3 C, apathisch: Blut-, Urin- und Liquorproben, 3 Antibiotika bei V. a. Sepsis Nach 26 Stunden erholte sich das Kind spontan Erweiterte Anamnese: Hebamme: 0,1 ml in jedes Nasenloch, 3x tgl. Xylometazolin, kumulative Dosis (ca. 1 Tag): 300 µg (max. empf. Tagesdosis µg)
3 Diagnose: Xylometazolin- Intoxikation Urin: stark erhöhte Ausscheidung von Xylometazolin und seiner Metabolite. Dr. B. Schwarze, Rechtsmedizin, FAU Erlangen Fachinformation: Dosieraerosol für Kinder unter 2 Jahren kontraindiziert Die kumulative Dosis von Xylometazolin betrug 300 µg Meyburg J et al. (2006) Dtsch Arztebl International 103:
4 AMTS 4
5 Arzneimittelsicherheit Gesamtheit der Maßnahmen zur laufenden und systematischen Überwachung der Sicherheit eines Arzneimittels mit dem Ziel, dessen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftretende unerwünschte Wirkungen zu entdecken, zu bewerten und zu verstehen, um entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen zu können. wesentlicher Beitrag zur ständigen Aktualisierung des Zulassungsstatus bei Arzneimitteln.
6 Medikationsprozess Alle Stufen der Arzneimitteltherapie: Arzneimittelanamnese Verordnung/Verschreiben Patienteninformation Selbstmedikation Verteilung/Abgabe Anwendung (Applikation/Einnahme) Dokumentation Therapie-Überwachung / AMTS-Prüfung Kommunikation/Abstimmung Ergebnisbewertung Gegenstand der AMTS!
7 Medikationsfehler Ein Medikationsfehler ist ein Abweichen von dem für den Patienten optimalen Medikationsprozess, das zu einer grundsätzlich vermeidbaren Schädigung des Patienten führt oder führen könnte. können jeden Schritt des Medikationsprozesses betreffen können von jedem am Medikationsprozess Beteiligten (Ärzte, Apotheker, Angehörige eines Gesundheitsberufes, Patienten, deren Angehörige oder Dritte) verursacht werden. Anwendung zu therapeutischen, diagnostischen oder prophylaktischen Zwecken
8 Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses mit dem Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare Risiken für den Patienten bei der Arzneimitteltherapie zu verringern.
9 Besonderheiten in der Pädiatrie In der Vergangenheit gravierende Schäden durch Arzneimittel Alter: 0 bis 17,99 Jahre; Gewicht: 500 g bis 100 kg Wenige Daten sind durch GCP-konforme Studien gesichert Häufig off-label Anwendung, häufiger Nebenwirkungen Häufig Probleme mit einer altersgerechten Darreichungsform Häufiger Medikationsfehler mit möglichen Folgen Hoher Bedarf und damit wahrscheinlich großer Erfolg einer verbesserten Arzneimitteltherapiesicherheit 9
10 Medikationsfehler Pädiatrie Ursachen % Falsche Dosis 28* Kaushal et al, JAMA, 2001; 285:2114 Pädiatrie Erwachsene n: n: MF 616 (5,7%) 530 (5,3%) UAE 25 (0,24%) 24 (0,25%) Potentiell UAE 115 (1,1%) 35 (0,35%) Falsches Dosierungsintervall Falsche Applikationsform Fehler in der Dokumentation 9, Fehlerquelle % Ärztliche Verordnung 74 Übertragung 10 Kinder/Erwachsene 3:1 Applikation durch Pflegepersonal Apotheke 1 13 *oft 10 fache Dosis, Ausmaß unklar Ghaleb et al, Ann Pharmacother,
11 Arzneimittel (Nebenwirkungen) 11
12 Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) Metaanalyse prospektiver Studien: UAW bei stationären Patienten Inzidenz schwerer UAWs 6,7 % Inzidenz fatale UAWs 0,3 % Lazarou et al. JAMA 279:1200, 1998 Systematische Untersuchung ambulanter Patienten Inzidenz 27 % Inzidenz schwerer UAWs 13 % Inzidenz fatale UAWs 0 % Ghandi et al. NEJM 348: 1556,
13 % Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) nach Impiccatore et al. Br J Clin Pharmacol (2001) 52:77-82 aus Neubert A, Rascher W: Monatsschrift Kinderheilkd. (2007) 155: Pädiatrische Bevölkerungsgruppe 10.0 Kinder- und Jugendklinik Erlangen 5000 Stat. Aufnahmen/Jahr 500 UAWs/Jahr 50 Aufnahmen/Jahr wg. UAWs UAW während stationärem Aufenthalt (alle/schwer) Krankenhausaufnahme wegen UAW (alle/schwer) Ambulante UAW
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16 Wer verordnet? (Indikation, Auswahl, Dosis) 16
17 Rückgang der Fehlanwendung von Erkältungsmitteln bei Kindern <6 Jahre nach freiwilligem Rücknahme des OTC Angebots (USA) Klein-Schwartz et al, Pharmacoepidemiol. Drug Safety 2010, 19:
18 Rückgang von Nebenwirkungen durch Erkältungsmittel (CCM) bei Kindern <2 bzw. <4 Jahre nach Rücknahme des OTC Angebots (USA) <2 Jahre <4 Jahre OTC: over the counter (freiverkäuflich) CCM: cough and cold medication Hampton et al, Pediatrics 2013;132:
19 6 Monate altes Mädchen Obstipation 3 Wochen nach Anal-OP Der Kinderchirurg verordnet ein Klistier (Fa. Fresenius Kabi), dieses wird am Vormittag ambulant 130 ml rektal verabreicht. Gegen Uhr verfällt das Kind und wird somnolent und mit Kussmaul scher Atmung in eine Kinderklinik eingeliefert. ph: 6,74, pco2: 50,7 mmhg, Bicarbonat 6,7 mmol/l, BE 29 Na: 163 mmol/l, K: 5,9 mmol/l, Ca: 0,59 mmol/l Phosphat: 26,6 mmol/l, Ursache? Phosphatintoxikation durch phosphathaltiges Klysma Verlauf Tod nach 8 Std. im Herz-Kreislaufversagen
20 2. Fall: 6 Monate alter Junge, seit 1 Woche keine Stuhlgang, V. a. M. Hirschsprung, noch keine Abklärung, Klysma 200 ml in externer Klinik. Verschlechterung des AZs mit V. a. Sepsis/ Perforation Na 153 mmol/l, Cl 92 mmol/l, Ca 1,12 mmol/l, Phosphat 19,8 mmol/l
21 Wo erhalten Sie Informationen über die richtige Anwendung von Medikamentenbei Kindern? Lesen der Fachinformation ( Lesen der Packungsbeilage
22 Anklage: Fahrlässige Tötung?
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24 Dosis Propofol: 1 mg/kg: bei Frühgeborenen arterielle Hypotension 3 mg/kg: +Remifentanil! im Alter 5-10 Jahre gut verträglich (Kaufmann J, 2012; Welzing L, 2010; Batra YK, 2004) Gewicht: 2% werden in der Notaufnahme gewogen (Greig A, 1997) Schätzformeln ungenau (Krieser D, 2007) oft nur geschätzte Relation zum Erwachsenen (Kaufmann J, 2012) Die Festlegung der richtigen Dosis hat die höchsten Fehlerquoten (Hicks RW, 2004; Neuspiel DR, 2011; Kozer E, 2002)
25 Die richtige Dosis? 16 Monate alte Junge Erbrechen 16 Monate alter Junge (11,4 kg) erkrankt mit Fieber (39 C) Therapie durch die Mutter: 2 x 250 mg Paracetamol Am nächsten Morgen Erbrechen Therapie durch die Mutter: Dimenhydrinat-Sirup (Vomex ) Am Abend (21.00 Uhr) blau und leblos aufgefunden, Reanimation durch Notarzt erfolglos Paracetamol 11,36 mg/l (n 10-20) Diphenylhydramin 0,83 mg/l (n 0,03-0,1) (Dimenhydrinat: Diphenhydramin + Chlortheophyllin)
26 Uhlig U, Pfeil N, Gelbrich G, et al. Dimenhydrinate in children with infectious gastro-enteritis: a prospective RCT. Pediatrics. 2009; 124: ww.pediatrics.org/cgi/content/full/124/4/e622 0,5-6 Jahre; Erbrechen bei Gastroenteritis, Gewichtszunahme? n: 122 Dimenhydrinat (1 mg/kg, max. 50 mg) n: 115 Placebo Wirkung: Dimenhydrinat: 0,64 Episoden (69,6 % ohne Erbrechen) Placebogruppe: 1,36 Episoden (47,4 % ohne Erbrechen) Stationäre Aufnahme gleich häufig Gouin S: Oral dimenhydrinate versus placebo in children with gastroenteritis: A randomized controlled trial. Pediatrics. 2012; 129: Jahre; 5 x Erbrechen bei Gastroenteritis n:74 Dimenhydrinat (1 mg/kg, max. 50 mg) n: 70 Placebo Keine Wirkung: 31 % Dimenhydrinat - 29 % Placebo, Keine Unterschiede im Verlauf
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30 Wer bereitet zu? (Verdünnung, Kennzeichnung) 30
31 15 Monate alter Junge
32 Geplante Verordnung: Naphazolin Nasentropfen: 0,025 % = 0,025 g/100 ml also = 0,0025 g/10 ml also = 2,5 mg/10 ml Tatsächliche Verordnung: Naphazolin Nasentropfen: 0,0025 % = 2,5 mg/100 ml = 0,25 mg/10 ml Apotheke bereitete zu: 0,25 g/10 ml (statt 0,25 mg/10 ml) =1000-fache Menge von Naphazolin Gemessene Naphazolin-Konzentration in der Pipettierflasche: = 0,24 g/10 ml Damit wurde die 100-fache Dosis intranasal verabreicht
33 In total, 6 of 20 batches (30%) missed the acceptance criteria for precision of mass and/or content of the European Pharmacopeia Additional, 2 batches failed due to an HC concentration of less than 85% of nominal concentration.
34 ISO-Norm 26825
35 Wer verabreicht? (Übermittlung, Zielpatient, Dauer) 35
36 Informationsübermittlung und Verabreichung Verordnung: mg absolut, mg/kg, mg/ml, Verdünnung: in 17% (Kindernotaufnahme) nicht vollständig! (Kozer E, 2004) Esmeron versus Esmolol (Basco, WT, 2010) Bereitung: 7% aller Spritzen enthalten eine Konzentration, die um mehr als 50% von der Anordnung abweicht (Kozer E, 2004) Umfeld: zeitliche Dringlichkeit Anzahl der Verordnungen (Kaushal, 2001) Intensivstation Notaufnahme Präklinik (Zink W, 2004) Uhrzeit (Kozer E, 2002, etc.) Personaldichte Ausbildungstand
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40 CIRS in der Pädiatrie In 12 Norddeutschen Kinderkliniken über 24 Monate 1299 Berichte 1829 Risikokonstellationen Fehlerhäufigkeit: Dokumentationsfehler 15% Verfehlung der Standards 24% Medikationsfehler 35% Verordnung 215 Ausgabe 29 Zubereitung/Gabe 388 Summe 638 Hart D, Claßen M, Wille H, Becker-Schwarze. Monatsschr Kinderheilkd 2008; 156:
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42 CPOE: Computerized Physician Order Entry
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45 Zusammenfassung Fehlerquelle Besondere Pharmakologie des Altersstufen Falsches Gewicht (Bezugspunkt) Falsche Dosisberechnung Fehler in der Übermittlung Fehler der Kennzeichnung Fehlerkette vermeiden Anwendungsfehler Lösungsansatz Klinische Pharmakologie lehren, Dosierungstabellen, Datenbank Kind wiegen, längenbezogene Schätzung Elektronische Arzneimittelsicherheitsprüfung Schriftliche Anordnung Elektronische Anordnung Barcode-Etikette Elektronisches Verordnungssystem Schulung, Überprüfung wie bei Transfusion, 4-Augenprinzip 45
46 Fragen und Diskussion Kontakt: Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Völkl Prof. Dr. med. Dr. h.c. Wolfgang Rascher Kinder- und Jugendklinik Universitätsklinikum Erlangen
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