Wi ntersemester 2006/07 Zusammenfassung zur Vorlesung: "Soziales Handel n" PD Dr. habi l. Udo Thiedeke Soziales Handel n als soziologisches Programm 09. 1 1.06
1 Soziales Handel n als soziologisches Programm 09. 1 1.06 Programm: 1 ) Vorbemerkung 2) Max Webers Forschungsprogramm 3) Zusammenfassung - Max Webers Begriff des "sozialen Handel ns" steht stel lvertretend für ei n soziologisches Forschungsprogamm das auf ei nem subjektivistischen Menschenbi ld aufbaut und dieses sowohl theoretisch/analyisch, als auch methodisch/empi risch entfalten möchte. - Weber vermittelt sei nen Ansatz so zum Paradigma der Subjektivität. Warum tut er das aber mit ei ner Konzentration auf die I ntensionen der sozial handel nden Subjekte (d. h., i ntensional istisch)? - Die junge Soziologie hätte zu Begi nn des 20. Jhr. i hre Orientierung am Subjekt auch i n andere Leitorientierungen für ei n wissenschaftl iches Programm übersetzen können. [Zu alternativen Leitorientierungen siehe Fol ie 1 ] - Man kann drei Bedi ngungen vermuten, die dem Programm Webers zugrunde l iegen: 1) Biographische Bedingung: Karl Emi l Maxi mi l ian Weber wi rd 1 864 (gestorben 1 920) in ein Elternhaus hineingeboren, das von der Spannung zwischen dem politisch engagierten, grossbürgerl ichen Vater und der caritativ engagierten, bi ldungsbürgerlichen Mutter bestimmt ist. In Webers Werk spiegelt sich dies z. B. in der Spannung zwischen 'Tatmenschentum' und ' Kulturmenschentum' wider. 2) Forschungssystematische Bedingung: Weber stört sich an der beherrschenden Stel lung der Nationalökonomie, der hier vorherrschenden historistischen Deutungen sozialer Wi rkl ichkeit und der Vermischung wissenschaftl icher Fakten mit moral ischen Werturtei len bei ei nigen Nationalökonomen. Vermittelt durch Anregungen des sog. "Neukantianismus südwestdeutscher Schule" (vor al lem Hei nrich Rickert), wi l l er die Soziologie als empi rische Kulturwissenschaft vom Menschen zwischen der historisierenden Geisteswissenschaft und der natural istischen Naturwissenschaft etabl ieren. 3) Forschungspragmatische Bedingung: Um das leisten zu können, will Weber in historisch/empi rischen Studien, besonders aber i n der Entfaltung logisch/analytischer Grundbegriffe das Subjekt als kulturel l vernünftig handel nden Wi l lensmenschen i n sei ner gesel lschaftl ichen Geschichte zeigen. Vermittelt über den Neukantianismus schließt er so an Immanuel Kants (1 724-1 804) Vernunftphilosophie eines Subjekts an, das in seiner vernünftigen Urteilskraft nur sich selbst unterworfen ist (nur der Mensch ist "Ding an sich" und damit Subjekt). - Siehe zusammenfassend zu den wesentl ichen Aussagen der "drei Kriti ken" Kants: "Kriti k der rei nen Vernunft" (Erkenntnistheorie 1 781 ); "Kriti k der praktischen Vernunft" (Ethik 1 788); "Kritik der Urteilskraft" (Ästhetik 1 790) [Folie 2].
2 - Für Webers soziologisches Forschungsprogramm vom verstehenbaren subjektiv si nnhaften sozialen Handel n bedeutet dieser Bezug: 1 ) Die soziologische Dimension des Handelns liegt in der Sinnhaftigkeit des Subjekts. 2) Das Subjekt ist: a) als rationaler Akteur; b) als ethischer Akteur Maßstab der Sozial ität. 3) Si nnhafte Erkenntisfähigkeit und subjektive Wi l lensfrei heit ermögl ichen es dem Subjekt die kausalen Zwecke sei ner sozialen Handlungen zu entwerfen und mit frei gewählten Mittel n zu verfolgen. [Zu den Bezügen zu Kants Philosophie, siehe Folie 3] - Die verstehende Soziologie wi l l diese subjektive Si nnhaftigkeit nachvol lziehen, i ndem sie vordri ngl ich sog. "rei ne Handlungstypen" ("Idealtypen") des sozialen Handel ns untersucht. - Dabei sol len deren Sinnadäquanz (die Art, wie die Subjekte i hren Handlungssi nn rational isieren) und i hre Kausaladäquanz (das erwartbare Auftreten des sozialen Handel ns und sei ne kausalen Gesetzmäßigkeiten) verdeutl icht werden. - Wi r können Webers soziologisches Forschungsprogramm vom sozialen Handel n nun i n sei nen drei wesentl ichen Elementen: Subjektivität, Idealtypik und Rationalität zusammenfassen. [Siehe Fol ie 4] - 1) Subjektivität: Si nnhaft sozial handel n kann nur der Mensch als Subjekt. -> Die soziale Bezugnahme auf andere ist Ausdruck des vernüfigen Wi l lens, des handel nden Subjekts. -> Nur das Subjekt kann diesen Vernunftwillen entwickeln, weil es a priori (von vorn herein) dazu befähigt ist Kausalität zu erkennen und daraus Begriffe und Urteile abzuleiten. -> Wei l das Subjekt solche "regulativen Ideen" (Kant) sei nen Handlungen frei zugrunde legen kann, ist es als Subjekt ei n sittl iches Subjekt, also ei n Kulturwesen. -> Die verstehende Soziologie, die soziales Handel n i n sei ner kausalen und kulturellen Bedeutung deuten will, muss daher am Subjekt ansetzen. -> Alle kollektiven sozialen Phänomene sind aus subjektivem sozialen Handeln zu erklären. - 2) Idealtypik: Wei l der Mensch grundsätzl ich zur subjektiven und transzendentalen Erkenntnis fähig ist, muss die Soziologie die Gesetze sozialen Handel ns anhand von "Idealtypen" verständl ich machen. -> Idealtypen si nd wi rkl ichkeitsfremde Ideal isierungen sozialen Handel ns, wie es sei n sol lte. I n sei nem Aufsatz von 1 904 "Die ' Objektivität' sozialwissenschaftl icher und sozial pol itischer Erkenntnis" beschrei bt Weber, die Konzeption des Idealtypus:
3 "Er [der Idealtypus] wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde. " (S. 1 91 ). -> Idealtypen dienen i m soziologischen Forschungsprozess als Maßstab zum Vergleich mit dem empi rischen "Realtypus" (wie das Handel n tatsächl ich, real auftritt), um anhand der Abweichung des Real- vom Idealtypus, die kausale Konstitution der Handlungen und die daraus folgende soziologische Entwicklung zu demonstrieren. -> Die idealtypische Methode sol l so das Erfassen von Si nnadäquanz und Kausaladäquanz sozialen Handel ns erlauben. - 3) Rationalität: Nur der Mensch ist ei n "Subjectum rationale" und als solches "Ding an sich" (das ist er allerdings nicht, wenn er irrational handelt, dann ist er sei nen Trieben und Neigungen ausgel iefert). -> Die Si nnadäquanz des sozialen Handel ns ist idealtypisch daher am besten als kausale Rational ität zu erfassen. -> Weber versteht die Rational itätsorientierung nicht als Wertpräferenz, tendiert aufgrund sei ner idealtypischen Forschungsmethodi k aber besonders zur Untersuchung rationalen sozialen Handel ns. Er schrei bt i n "Wi rtschaft und Gesel lschaft": "(...) gesteigerte Eindeutigkeit ist durch ein möglichstes Optimum von Sinnadäquanz erreicht, wie es die soziologische Begriffsbildung erstrebt. Diese kann - und das ist hier vorwiegend berücksichtigt - bei rationalen (...) Begriffen und Regeln besonders vollständig erreicht werden. " (S. 1 0). -> Wei l das Subjekt zweckorientiert und kulturorientiert handel n kann, gi lt es diese Rational ität i n Zweck- und Wertrational ität zu unterscheiden. -> I rrationales Handel n kann von der verstehenden Soziologie aber durchaus vom rationalen Handlungstyp als Abweichung unterschieden und so i n sei nen kausalen, evt. i mpl izit rationalen Motiven, gedeutet werden. Literatur: Max Weber, 1 951 : Die "Objektivität" sozialwissenschaftl icher und sozial pol itischer Erkenntnis, i n: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. J. Wi nckel mann. 2. Aufl. Tübingen. S. 1 46-21 4. (1 904) Max Weber, 1 972: Wi rtschaft und Gesel lschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, hrsg. v. Johannes Wi nckel mann. 5. Auflage. Tübi ngen. (1 920) Sekundärl iteratur: Wolfgang Schluchter, 2005: Handlung, Ordnung und Kultur. Studien zu ei nem Forschungsprogramm i m Anschluss an Max Weber. Tübi ngen
Soziales Handel n als soziologisches Programm Fol ie 1 Alternative Leitorientierungen i n der Soziologie zu Begi nn des 20. Jhr. : - Leitorientierung des Uti l itarismus -> Sozial ität wi rd als Kooperation egoistischer Akteure verstanden (Vertreter z. B. Herbert Spencer); - Leitorientierung der normativen I ntegration (auch: Kol lektivismus) -> Sozial ität wi rd als Sol idarität normorientierter Akteure verstanden (Vertreter z. B. Emi le Durkhei m); - Leitorientierung des historischen Material ismus -> Sozial ität als Ausdruck antagonistischer, ökonomischer Klassenlagen (Vertreter z. B. Karl Marx); - Leitorientierung synthetischer Formen der Vergesel lschaftung -> Sozialität erscheint als Form individueller Motive und Handlungen (Vertreter z. B. Georg Si mmel).
Soziales Handel n als soziologisches Programm Fol ie 2 Zentrale Perspektiven von I mmanuel Kants Phi losophie vom Menschen: 1 ) Die "Kritk der reinen Vernunft" (1 781 ) besagt: Die Erkenntnis kann nicht der Erfahrung mit den Di ngen entsprechen, sondern nur der apriorischen Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Diese rei ne Vernunft ist daher transzendental. 2) Die "Kritik der praktischen Vernuft" (1 788) besagt: Vernuft kann nur als regulative Idee praktisch werden, weil der Mensch die Freiheit hat sich in sei nem vernünftigen Handel n am Sittengesetzt zu orientieren. 3) Die "Kritik der Urteilskraft" (1 790) besagt: Der urteilende Mensch sieht die Natur so an, als ob sie Zwecken diene und ein Ziel erreichen solle.
Soziales Handel n als soziologisches Programm Fol ie 3 Verbi ndungen zu I mmanuel Kant i n Webers Forschungsprogramm: 1 ) Die soziologische Dimension des Handelns liegt in der Sinnhaftigkeit des Subjekts. [-> Kant: Erkenntnis entspri ngt nicht den Erfahrungen mit den Di ngen, sondern der si nnl ichen Erkenntnisfähigkeit des Menschen]; 2) Das Subjekt ist: a) als rationaler Akteur; b) als ethischer Akteur Maßstab der Sozial ität. [-> Kant: Der Mensch kann die Vernunft nur als regulative Idee denken, wei l er ein sittliches Subjekt ist]; 3) Si nnhafte Erkenntnisfähigkeit und subjektive Wi l lensfrei heit ermögl ichen es dem Subjekt die kausalen Zwecke sei ner sozialen Handlungen zu entwerfen und mit frei gewählten Mittel n zu verfolgen. [-> Kant: Der Mensch ist a priori i n der Lage Kausal ität zu erkennen sowie Gesetzesbegriffe zu bi lden und kann daher die Natur so ansehen, als ob sie zweckmäßig ei nem Ziel zustrebt (Teleologie).]
Soziales Handel n als soziologisches Programm Fol ie 4 Zusammenfassung Max Webers Forschungsprogramm des "sozialen Handel ns": Subjektivität: Si nnhaft sozial handel n kann nur der Mensch als a priori vernünftiges Subjekt. Idealtypi k: Deshal b ist der gemei nte Handlungssinn nur im reinen ' idealen' Handl ungstypus si nnadäquat zu erfassen und mit dem empirischen Realtypus zu vergleichen. Rational ität: Soziologisch si nnadäquat verstehen lässt sich die Kausalität des Handelns daher am besten am I dealtypus des zweck- oder wertrationalen sozialen Handel ns.