Konsequent einfach: Wie Sie organisationale Komplexität in den Griff bekommen

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Transkript:

Konsequent einfach: Wie Sie organisationale Komplexität in den Griff bekommen Bischof, Severin Friedrich & Rudolph, Thomas Eine noch nie dagewesene Komplexität erhöht den Druck auf Unternehmen, Manager und Mitarbeiter. In Zeiten von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Big Data verkompliziert der technologische Fortschritt die Arbeit in Organisationen. Regulatorische Neuerungen wie die Datenschutzgrundverordnung gefährden einen gesetzeskonformen Betrieb. Steigende Konsumentenerwartungen erhöhen den Druck, individualisierte und damit vielfältigere Produkte und Sortimente anzubieten. Im globalen Wettbewerb stürmen neuauftretende Marktakteure die letzten Bastionen hoher Margen. Komplexität kommt Unternehmen teuer zu stehen. Sie verursacht Ineffizienzen, erhöht dadurch die Kosten und führt somit zu Wettbewerbsnachteilen. Wie Yves Morieux und Peter Tollman von der Boston Consulting Group in ihrem Buch «Six Simple Rules» feststellen, hat sich die wahrgenommene Komplexität in den letzten 60 Jahren versechsfacht. 1 Dies rührt daher, dass sich im selben Zeitraum die Kompliziertheit, also die Anzahl der Systeme, Strukturen, Prozesse und Entscheidungsinstanzen um den Faktor 35 vervielfacht haben. Nichtsdestotrotz nutzen mit 17% nur wenige Unternehmen heute Möglichkeiten zur Komplexitätsreduktion, wie eine Befragung von Bain & Company im Jahre 2017 zeigte. 2 Damit ist die Komplexitätsreduktion das am zweitwenigsten genutzte Management Tool. Im Vergleich geben ca. 50% der befragten Unternehmen an, sich strukturiert mit der Strategieentwicklung oder dem Kundenbeziehungsmanagement auseinanderzusetzen. Doch nur diejenigen, die nicht aufgrund überbordender Komplexität der Betriebsblindheit verfallen sind, haben den Weitblick und die Musse, sich strategisch zu verändern, wie Prof. Dr. Thomas Rudolph und Markus Schweizer mit ihrem High-5 Ansatz zur erfolgreichen Selbstdisruption zeigen. 3 Es ist daher höchste Zeit, sich der organisatorischen Komplexität anzunehmen. Doch wie können Unternehmen in Zeiten höchster Komplexität erfolgreich fortbestehen und ihre Mitarbeiter vor einer verhängnisvollen Analyse-Paralyse bewahren? Eine Studie des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St.Gallen identifiziert die vier Hauptursachen von Komplexität und zeigt Wege auf, wie Manager dieser Herr werden können. 4 1 Vgl. Morieux, Y., & Tollman, P. (2014). Six simple rules: how to manage complexity without getting complicated. Harvard Business Review Press. 2 Vgl. Rigby, D. & Bilodeau, B. (2018). Management Tools & Trends. Bain Brief. Abgerufen von: http://www.bain.com/publications/articles/management-tools-and-trends-2017.aspx 3 Rudolph, Thomas & Schweizer, Markus : HIGH 5 - Erfolgreiche Geschäftsmodelltransformation in disruptiven Zeiten. St.Gallen : Forschungszentrum für Handelsmanagement, 2018. 4 Wir bedanken uns bei Herrn Benjamin Klink für die Unterstützung im Rahmen der Artikelaufbereitung. 1

Wie kaum eine zweite Branche zeichnen sich der Einzelhandel und die Konsumgüterindustrie durch eine hohe Komplexität aus und dienen als geeigneter Beobachtungsraum. Viele Händler sind heute beispielsweise zugleich auch Produzenten und umgekehrt. Daraus ergibt sich ein Potpourri von Aufgabenfeldern und Anspruchsgruppen. Erfolgreiche Unternehmen aus dem Umfeld des Handels haben gelernt, souverän mit diesen Elementarkräften umzugehen. Sie können anderen etablierten Unternehmen daher relevante Strategien aufzeigen, wie organisationale Komplexität kontrolliert werden kann. Zwei Arten von Komplexitätstreibern Komplexitätstreiber existieren in zwei Dimensionen: ausserhalb oder innerhalb von Unternehmen. Manager, die Komplexität reduzieren möchten, haben also grundsätzlich zwei Handlungsoptionen, nämlich auf externe Komplexitätstreiber zu reagieren, die sich ihrer Kontrolle entziehen, oder interne Komplexität zu bekämpfen. Aus der bisherigen Forschung sowie aus Expertengesprächen mit zehn Managern internationaler Handelsunternehmen identifizierten wir die acht wichtigsten externen und internen Komplexitätstreiber (siehe Abbildung 1). In einem zweiten Schritt befragten wir 100 Handelsmanager zur Komplexitätswahrnehmung in jeder dieser Dimensionen. Komplexität ist grösstenteils hausgemacht Unsere Studie identifiziert vier Haupttreiber von Komplexität, in denen sich Unternehmen mit geringer und hoher Komplexität deutlich unterscheiden (siehe Abbildung 2). Mit diesen vier Faktoren können rund 35% der wahrgenommenen Komplexität in Unternehmen erklärt werden. In der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit sind aufwendige Budgetierungsprozesse, unklare Organisationsstrukturen, hohe Aufgabendiversität sowie regulatorische Anforderungen für erhöhte Komplexität in Unternehmen verantwortlich. Da drei dieser vier Komplexitätstreiber dem unternehmensinternen Umfeld entstammen, wird klar, dass Komplexität grösstenteils hausgemacht ist und auch von Managern reduziert werden kann. Im Folgenden erläutern wir die vier Haupttreiber von Komplexität in Unternehmen und präsentieren anschliessend ein Stufenmodell der Komplexitätsreduktion inklusive Best Practices, wie Manager diese erfolgreich in den Griff bekommen können (siehe Abbildung 3). Unsere Ergebnisse sind für Unternehmen jeglicher Grösse relevant, da sich kein statistischer Unterschied zwischen Unternehmen hinsichtlich Umsatzhöhe oder Mitarbeiterzahl identifizieren lässt. Komplexitätstreiber 1: Prognoseverhalten und Budgetierungsprozesse Den grössten Einfluss auf die Komplexität haben das Prognoseverhalten und Budgetierungsprozesse; je engmaschiger das Forecasting und je sophistizierter die Abstimmungsprozesse, desto höher die Komplexität. Die insbesondere in grossen Unternehmen hochformalisierten und institutionalisierten Prozesse sind hauptverantwortlich für die von Managern wahrgenommene Komplexität. Gestalten Sie Ihre Forecasting- und Budgetierungsprozesse also so schlank und intelligent wie möglich. Hier gilt es das Optimum zwischen notwendiger Planung und bürokratischer Komplexität zu finden. Je nach Charakter und Art der Unternehmung sowie deren individuellen Eigenheiten kann dieses Optimum für verschiedene Unternehmen in grundverschiedenen Grössenordnungen liegen. Insbesondere schlagen wir vor, konsequent nach Automatisierungspotentialen Ausschau zu halten. 2

Eine hohe Standardisierung und Routine eröffnen hier Möglichkeiten für softwarebasierte, automatisierte und innovative Lösungen, die Kapazitäten freisetzen. Somit kann mehr Zeit darauf verwendet werden, agil auf Marktveränderungen zu reagieren unabhängig von bereits gesetzten Plänen. Ein Erfolgsbeispiel in der Handelsbranche findet man beispielsweise im Schweizer Handelsunternehmen Migros mit seinen zehn Regionalgenossenschaften sowie weiteren angeschlossenen Tochterunternehmen. Die Aufteilung in zehn Genossenschaften schafft eine unabhängige Schnellboot-Organisation, in der jede Genossenschaft ihr Budget und ihre Aktivitäten selbst plant und am Ende des Jahres für den Erfolg ihres Plans geradesteht ohne sich während des laufenden Geschäftsjahres für etwaige Richtungsentscheidungen rechtfertigen zu müssen. Genauso verfährt Migros mit ihren Beteiligungen und Tochterunternehmen, wie dem Online- Lebensmittelhändler leshop.ch, dem Elektronikhändler Digitec Galaxus, oder dem Buchhandelsspezialist ExLibris. Diese planen und agieren weitgehend eigenverantwortlich und bleiben so agil. Die Tochtergesellschaften des Migros-Konzerns besitzen durch die dezentrale Organisation die Autonomie und Fähigkeit, schnell auf exogene Komplexität zu reagieren. Komplexitätstreiber 2: Unklare Organisationsstruktur Den zweitgrössten Einfluss auf die wahrgenommene Komplexität hat die Klarheit der Organisationsstruktur für Manager und Mitarbeiter. Konkret bestimmt diese, wie viele verschiedene interne Anspruchspersonen existieren, wie eindeutig die Verantwortlichkeiten sind, ob einzelne Geschäftsbereiche verschieden agieren und ob Prozesse durch unstandardisierte Herangehensweisen verkompliziert werden. Es geht im Kern also um die Frage, wie gut eine Organisation von ihren Mitgliedern verstanden wird. Ein Paradebeispiel aus der Handelsbranche findet man bei Aldi Süd. Bereits das Organigramm hat der Händler auf Effizienz getrimmt, was sich in sehr flachen Hierarchien äussert. Die Leitungstiefe liegt bei nur sieben Hierarchieebenen vom Stiftungsrat zu den Filialangestellten. Die Organisation teilt sich in Deutschland in 30 eigenständige Regionalgesellschaften mit insgesamt rund 1900 Filialen. In Mühlheim ist die Konzernleitung sowie eine Servicegesellschaft an die Regionalgesellschaft angegliedert. 5 Die Einfachheit steht bei Aldi Süd in der DNA die Konzentration aufs Wesentliche ist ein Leitsatz, der von jedem Mitarbeiter gelebt wird. 6 Mit dem aufgeräumten Schreibtisch lebt das Management die Komplexitätsreduktion bereits vor. Prozesse in den Filialen hat der Detailhandelsgigant dementsprechend hochgradig standardisiert. Jede Filiale funktioniert im Kern gleich, sodass das operative und das mittlere Management stets genau wissen, wer was wann wie zu tun hat. Die Balance zwischen Leitungsspanne und Leitungstiefe ist dabei gut austariert, sodass Kompetenzen und Verantwortlichkeiten exakt so gebündelt sind, dass der Abstimmungsbedarf minimal ist. 5 Vgl. Aldi Süd (2018). ALDI SÜD eine einzigartige Unternehmensgeschichte. Abgerufen von: https://unternehmen.aldi-sued.de/de/ueber-aldi-sued/unser-unternehmen/ 6 Vgl. Aldi Süd (2018). ALDI SÜD Gruppe Daten und Fakten. Abgerufen von: https://unternehmen.aldisued.de/fileadmin/fmdam/company_photos/us_ueber_aldi_sued/unser_unternehmen/aldi_sued FactSheet_D_2-2018.pdf 3

Komplexitätstreiber 3: Hohe Aufgabendiversität Der drittgrösste Komplexitätstreiber besteht in der Aufgabendiversität eines einzelnen Angestellten. Eine Fülle an unterschiedlichen Aufgaben, die jeweils ein hohes Mass an unterschiedlichen Kompetenzen verlangen, steigert die subjektiv wahrgenommene Komplexität. Komplexe Unternehmen betrauen Angestellten mit mehreren Aufgabenbereichen und erhöhen so dessen wahrgenommene Komplexität. Was auf den ersten Blick aus Kosten- und Effizienzgründen positiv erscheint, wirkt sich auf den zweiten Blick verheerend auf die Komplexitätswahrnehmung und damit Effektivität des einzelnen Mitarbeiters aus. Wie schädlich eine zu hohe Aufgabendiversität ist, musste auch Google feststellen. 7 2002 fragten sich Googles Gründer Larry Page und Sergey Brin, ob sie überhaupt Manager in ihrer Organisation benötigen. In einem Selbstversuch schufen sie kurzerhand eine komplett flache Hierarchie, mit dem Resultat, dass etliche Mitarbeiter häufig mit Detailangelegenheiten direkt zu Larry Page kamen und dieser seiner strategischen Verantwortung nicht mehr gerecht werden konnte. Die zu jenem Zeitpunkt fehlenden Manager waren wichtige Spezialisten, die es den Vorständen wie auch den Softwareingenieuren ermöglichten, sich ganz auf ihr Spezialgebiet und ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Die durch die Übernahme von sowohl strategischen als auch operativen Tätigkeiten erhöhte Aufgabendiversität lähmte die Produktivität ausserordentlich. Die Erkenntnisse aus diesem Experiment finden sich auch heute noch im Organigramm von Google wieder, speziell in der Aufteilung der Vertriebsorganisation. Kundennahe Funktionen sind in die Sales - und Services -Bereiche aufgeteilt, welche proaktiv auf Kunden zugehen oder passiv auf Anliegen von Kunden reagieren. Jene beiden Bereiche teilen sich demnach die strategische Beratung des Kunden und die Klärung von Kundenanfragen untereinander auf. Dies führt dazu, dass die einzelnen Vertriebsangestellten zu Experten in ihren jeweiligen Prozessen und Ablaufsmustern werden. Ferner nominiert Google für zentrale Themenbereiche einzelne Mitarbeiter zu sogenannten «Single Point of Contacts» (SPOCS) und schafft so Expertentum auch auf inhaltlicher Ebene. Dies führt zur Verringerung der Aufgabendiversität und zu einer konsequent besseren Betreuung der Kunden. Komplexitätstreiber 4: Regulatorische Anforderungen Auf die Anzahl regulatorischer Auflagen haben Organisationen in der Regel keinen direkten Einfluss. Dabei definierten wir regulatorische Anforderungen in unserer Studie dahingehend, ob sich ein Unternehmen verstärkt mit wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Compliance-Richtlinien auseinandersetzen muss. Sie stellen die einzige externe Variable in unserem Stufenmodell dar. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Auflagen wirkt sich negativ auf die subjektive Komplexität aus. Komplexität kann hierbei durch Unternehmenskooperationen reduziert werden, da kritisches Wissen so den direkten Weg in die Organisation findet. Ein Beispiel hierfür findet sich im Vorgehen von Amazon, das in der Schweiz über kein eigenes Logistikzentrum verfügt. 8 Trotzdem setzte das 7 Vgl. Garvin, D. A. (2013). How Google Sold Its Engineers on Management. Harvard Business Review. 12. 8 Vgl. SRF (2018). Die Post hilft Amazon auf den Schweizer Markt. Abgerufen von: https://www.srf.ch/ news/wirtschaft/purzeln-jetzt-die-preise-die-post-hilft-amazon-auf-den-schweizer-markt 4

Unternehmen in 2017 gut 600 Millionen Schweizer Franken um. 9 Eine Schwierigkeit, die für den US- Konzern dabei bis Anfang 2018 bestand, war die Zollabfertigung der Warensendungen an der Grenze. 10 Dadurch verzögerte sich nicht nur die Lieferung, auch der bürokratische Aufwand dürfte für Amazon nicht unerheblich gewesen sein. Eine vertragliche Vereinbarung mit der Schweizerischen Post, welche die Verzollung der Waren an der Schweizer Grenze innerhalb von drei Stunden versprach, sorgte schliesslich für einen einfacheren Prozess und ermöglichte so Lieferungen innerhalb von 24 Stunden. Zusätzlich verringert sich der administrative Aufwand für Amazon erheblich. Der zweitbeliebteste ausländische Onlinehändler der Schweiz, Zalando 11, agiert schon länger auf diese Weise und hat mit Unternehmenskooperationen gute Erfahrungen gemacht. Fünf der sechs gravierendsten Barrieren im grenzübergreifenden Onlineversandhandel in die Schweiz betreffen laut einer aktuellen Studie des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St.Gallen die Versandlogistik. 12 Das Problemfeld Zollabwicklung steht dabei auf dem ersten Platz. Diese Barrieren vermag Amazon nun mit einer Kooperation zur Bewältigung regulatorischer Komplexität aus dem Weg zu räumen und somit mehr Spielraum für Wachstum zu schaffen. Fazit Komplexität lässt sich reduzieren, wenn Manager an den richtigen Hebeln ansetzen. Unser Stufenmodell hilft, Prioritäten besser zu setzen. Die vier bedeutendsten Komplexitätstreiber entstammen zu einem Grossteil der internen Organisation und können somit auch von Managern angegangen werden. Es gilt demnach, Budgetierungsprozesse effizient zu gestalten, Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten eindeutig zu kommunizieren, die Aufgabenvielfalt einzelner Mitarbeiter zu reduzieren sowie regulatorischen Anforderungen durch Kooperationen zu begegnen. 9 Vgl. Speiser, M. (2018). Amazon macht ernst in der Schweiz. Handelszeitung. Abgerufen von: https://www.handelszeitung.ch/unternehmen/amazon-macht-ernst-der-schweiz 10 Vgl. Schmutz, C.G. (2018). Amazon verzollt seine Pakete mit der Post nur digital. NZZ. Abgerufen von: https://www.nzz.ch/wirtschaft/amazon-verzollt-seine-pakete-mit-der-post-nun-digital-ld.1369928 11 Vgl. Rudolph, T., Nagengast, L. & Nitsch, F. (2018). Einkaufstourismus Schweiz 2017 / 2018. Forschungszentrum für Handelsmanagement (IRM-HSG), S. 23. 12 Vgl. Rudolph, T., Nagengast, L. & Nitsch, F. (2018). Einkaufstourismus Schweiz 2017 / 2018. Forschungszentrum für Handelsmanagement (IRM-HSG). 5

Illustrationen & Anhang Abbildung 1: Komplexitätsdimensionen und ausgewählte Treiber (eigene Darstellung) 6

7 6 5 4 4.3 5.9 3.3 5.1 4.1 5.4 5.3 3.6 3 2 1 Komplexität durch Budgetierung und Forecasting Komplexität durch unklare Organisationstruktur Firmen mit geringer Komplexität Komplexität durch Aufgabendiversität Komplexität durch Regularien Firmen mit hoher Komplexität Abbildung 2: Firmen mit geringer vs. hoher Komplexität hinsichtlich der vier Haupttreiber von Komplexität in Unternehmen (eigene Darstellung) 7

Abbildung 3: Stufenmodell zur Komplexitätsreduktion (eigene Darstellung) 8

Erhebungsdesign Wissenschaftliches Fundament Unsere Forschungsstudie betrachtet das Thema Komplexität aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive und fokussiert sich auf die von Mitarbeitern wahrgenommene Komplexität im Arbeitsalltag. In dieser Studie beschrieben wir Komplexität als ein Gegenteil von Einfachheit, Determinierbarkeit und Überschaubarkeit. Im Zuge einer Literaturrecherche innerhalb der bisherigen Forschung und qualitativen Interviews mit sieben Vorstandsmitgliedern internationaler Unternehmen aus der Handels-, Konsumgüter- und Zuliefererbranche definierten wir ein holistisches Modell mit den wichtigsten acht Komplexitätsdimensionen. Anschliessend befragten wir ungefähr 3'500 Manager aus der europäischen handels- oder handelsnahen Branche zur jeweiligen in ihren Unternehmen vorherrschenden Komplexität. Für unsere Analyse verwendeten wir 100 vollständig ausgefüllte Managementfragebögen, die eine grosse Vielfalt an Firmen repräsentieren. Bei der Messung der Komplexität wurden für die einzelnen Treiber etablierte Skalen wissenschaftlicher Veröffentlichungen herangezogen. Die Antworten wurden auf einer 7-stufigen Likert-Skala abgefragt. Stichprobe Die Demografie der Studienteilnehmer zeigt eine hochwertige Stichprobe, die aus erfahrenen Managern verschiedener Handelsbranchen besteht. 5% 5% 6% 17% 7% 7% 10% 25% 18% Zusammensetzung Managementpanel Head of Department Chief Executive Officer Marketing Manager Sales Manager HR Manager Chief Marketing Officer Category Manager No answer Other Ergebnisse: Einführung In einem ersten Schnitt beurteilten die Teilnehmer die in ihrem Unternehmen vorherrschende Komplexität. Es kristallisierten sich drei Gruppen mit unterschiedlichen Komplexitätswerten heraus: 13 Firmen mit geringer, 71 mit durchschnittlicher und 16 mit hoher Komplexität. Auf der Komplexitätsskala von 1 bis 7, welche den Grad der Kompliziertheit der Arbeit innerhalb des Unternehmens abfragte, betrug der durchschnittliche Komplexitätswert aller Firmen 5.6. 9

IRM Universität St.Gallen Erschienen in: Absatzwirtschaft 2019 Über die Autoren Severin Friedrich Bischof Prof. Dr. Thomas Rudolph Severin Friedrich Bischof ist Doktorand am Forschungszentrum für Handelsmanagement der Universität St.Gallen und derzeit SNSF Fellow an der Columbia Business School in New York. Zuvor studierte er Betriebswirtschaftslehre u.a. an der Universität St.Gallen, der Harvard University, und der London School of Economics. Vorherige berufliche Stationen führten ihn zuletzt zu Google und Procter&Gamble. Prof. Dr. Thomas Rudolph ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Marketing sowie Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. Er leitet als Inhaber des Gottlieb Duttweiler Lehrstuhls für Internationales Handelsmanagement das St.Galler Retail Lab, einen Think Tank zur Zukunft des Handels. 10