Medikamentöse Therapie bei Demenzerkrankungen



Ähnliche Dokumente
normales Altern II. Demenz und Parkinson Mögliche psychische Änderungen bei Parkinson Parkinson Regionalgruppe Rheine Demenz & Parkinson

Multiple-Choice-Fragen zu Kapitel 6

Möglichkeiten und Grenzen der Pharmakotherapie bei Demenz

Verhaltenssymptome bei Demenz:

Parkinson und Demenz Sankt Andreas Apotheke Kirchheim

Demenz und Alzheimer. Praktische Hinweise zur Diagnostik. Remscheider Gespräche Dr. Bernd Heidrich

normales Altern Demenz - Depression Demenz Demenz

Kein Hinweis für eine andere Ursache der Demenz

Herausforderungen in der ärztlichen Behandlung demenzkranker Menschen

Menschen mit Demenz - Krankheitsbilder und Behandlungsoptionen

Kooperationstagung zum Thema Demenz Strategien für eine gemeinsame Versorgung

Frau Meier, diese Tabletten hat doch der Herr Doktor verschrieben!

Alzheimer Demenz - Was gibt es Neues? GSD-Seniorenwohnpark Vaterstetten

Demenz Formen, Diagnose, Therapien

Risikofaktor Alter Wenn das Gedächtnis nicht mehr so will

Möglichkeiten und Grenzen der stationären Behandlung bei Demenzerkrankten

Demenz - Krankheitsbild, Erleben und Hilfen für den Umgang

Therapiemöglichkeiten der Demenz

Demenzerkrankungen. Thomas Schulze. Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus

Brennpunkt Demenz. Prävention und Therapie der Demenz. 17. Oktober I. Reupke, GPZ Rodenkirchen

Demenz und Therapie. Dr. Barbara Schreiber Haus der Barmherzigkeit

Brennpunkt Demenz. Menschen mit Demenz im Frühstadium. 28. Oktober I. Reupke, GPZ Rodenkirchen

Psychopharmaka- therapeutische oder sedierende Wirkung? Christina Kirschner Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

Demenz. Diagnostik Therapie - Entscheidungsfindung. Technische Universität München. Bürgerforum Altenpflege. Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Eigene MC-Fragen Psychopharmaka. 1. Welche der folgenden Aussagen/Beispiele trifft auf atypische Neuroleptika zu?

Medikamentöse und andere biologische Behandlungsansätze

Psychopharmakotherapie griffbereit

2.1 Acetylcholinesterase-Inhibitoren Sonstige Wirkstoffe Nootropika 23

Demenz Strategien für eine gemeinsame Versorgung

Perspektiven der Versorgung demenzkranker Menschen

Demenz- eine Krankheit verstehen

1. Bitte. Alter: andere: Jahre. 2. Bitte. 5 bis. 5 bis

Menschen mit Demenz verstehen

Demenz Wie halte ich mich geistig fit? Vortrag Demenz Christian Koch 1

Rot morgen 1926 Mannheim Walter Scharlach. Apfel Birne Obst Eisenbahn WC. Buchteln Nusskuchen Frau Chef. Opa. halbes Hähnchen Hund Schlauchboot

Alzheimer früh erkennen und früh behandeln Tests können Aufschluss geben, die richtigen Medikamente bringen Besserung

Abgrenzung von anderen Störungen und Krankheiten

Was es zu sein scheint. der Demenz erfassen BMFSFJ

Demenz. Was bedeutet das, wie geht es weiter? Foto

Psychiatrische Erkrankungen im Alter - Vaskuläre Demenzen. Brennpunkt Demenz 06. November 2010

Absetzen von Psychopharmaka-Kombinationen. Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Jann E. Schlimme M.A.

1.1 WAS IST EINE DEMENZ?

Antidepressiva Risiko Suizidalität, Suizid

Was hilft bei Alzheimerkrankheit - Starke Medikamente, schwaches Milieu?

Zwischen Bangen und Hoffen: Demenz und Alzheimer. demenz

Alzheimer-Krankheit: Antworten auf die häufigsten Fragen

Demenzerkrankungen früh erkennen Den Menschen individuell begleiten

Was ist Demenz? AHG Hameln-Pyrmont Dr. M. Gogol KH Lindenbrunn Klinik für Geriatrie 19. September 2005

Demenz Hintergrund und praktische Hilfen Dr. med. Christine Wichmann

Demenzsyndrom vom AlzheimerTyp, Differentialdiagnose, differentielle Therapie

Dr. Martin Conzelmann 1

Psychopharmaka - Definition

Jahre Alzheimer Gesellschaft Hannover

Minimal Cognitive Impairment leichte kognitive Störung. Claus-W. Wallesch BDH-Klinik Elzach

Wissen wächst Bedürfnisse bleiben: Wozu Demenz die Wissenschaft herausfordert

Psychopharmakotherapie griffbereit

Gliederung: Demenz (demens = abnehmender Geist): - Definition und Einteilung. Depression (deprimere = niederdrücken): - Definition und Einteilung

Alzheimer und andere Demenzformen

Nichtmotorische Störungen bei Parkinsonkrankheit

Indikationen - Nutzen - Risiken Dr. Gerhard Tiefenböck Zentrum für Akutgeriatrie und Frührehabilitation Klinikum Neuperlach

Lüner Infotag zur Demenz Demenz: nur Honig im Kopf? Wie entsteht/was ist eine Demenz? Kann ich vorbeugen? Wie kann ich helfen?

Medikamentöse Therapie von Verhaltensstörungen. R.Helscher

Menschen mit Demenz im Wandel der therapeutischen Möglichkeiten

Eigene MC-Fragen Affektive Störungen. 1. Das Lebenszeitrisiko der unipolaren Depression liegt bei.

LEBEN MIT DEMENZ. Horitschon, Mittwoch Volkshilfe Burgenland-Multiprofessionelles Demenzteam

Depressionen - Überblick

Heimaufenthaltsgesetz Problemfeld medikamentöse Freiheitsbeschränkung

Demenz und Alzheimer. Krankheit des Vergessens. 1 Demenz und Alzheimer

Was Ärzte sehen und worunter Betroffene leiden: welche Auswirkungen haben gestörte Wahrnehmung und Aggressivität auf das Verhalten

Depression entschlossen behandeln aber wie?

2. Was versteht man unter vegetativem Nervensystem? Welches sind berühmte Personen, die mit Depressionen gelebt haben? 26

Ethische Fragen der Versorgung psychisch Erkrankter in verschiedenen Lebensphasen

Tango oder Tee oder Teboninoder Tabletten? Was hilft wirklich? Angehörige in der Demenzpflege. Angeh.-gruppe Nov 16 Dr. med. N.

DGPPN Kongress , Berlin Presse Round Table

Demenzerkrankungen in der klinischen Versorgungsrealität

Nachmittagssymposium «Ich bin doch nicht verrückt Psychiatrie praxisnah»

Gerontopsychiatrische Aspekte

Demenz Gestern heute morgen? G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald Abteilung für Psychosoziale Rehabilitation

Pharmakologische Behandlung von psychotischen Symptomen und Delirien im Alter

Der demente Patientwas wir nicht wissen, aber wissen sollten

Zukunftsperspektiven und ethische Aspekte der frühen Therapie

Demenz Eine Erkrankung von Geist, Körper und Seele

Seroquel Prolong ermöglicht kontinuierliche Therapie über alle Phasen

Neues zum evidenzbasierten Einsatz von Antipsychotika in Psychiatrie und Neurologie

Leichte kognitive Beeinträchtigung (mild cognitive impairment) und Differentialdiagnosen

Diagnostische Möglichkeiten der Demenzerkrankung 5. Palliativtag am in Pfaffenhofen

Basiswissen, Epidemiologie und Schlussfolgerungen

Programm Demenz-Prävention

Demenz Medikamentöse Therapie. Zercur Hannover, 2013 K. Hager

Betreuungstag Mecklenburg - Vorpommern. Selbstbestimmung trotz Diagnose. Demenz und eingeschränkte Urteilsfähigkeit - Umgang mit Demenzerkrankung

Prof. Dr. H. G. Nehen, Geriatrie-Zentrum Haus Berge

Psychopharmakotherapie griffbereit

Gerontopsychiatrie. Dr. medic. Ligia Comaniciu Leyendecker

Medikation = Freiheitsbeschränkung?

Demenz vom Alzheimertyp

Demenz (Chronische Verwirrtheit)

Freiheitsbeschränkung durch Medikation. C. Miller

Alzheimertherapie Land in Sicht?

Pflege Demenzkranker

Transkript:

Medikamentöse Therapie bei Demenzerkrankungen 5. Symposium der Alzheimer Angehörigen-Initiative im Roten Rathaus am 18.10.03 Dr. med. Dipl.-Pharm. B. Hanke, EGZB/Charite Erstbeschreibung und wichtigster Risikofaktor der Alzheimer-Demenz 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% < 65 < 70 < 75 < 80 < 85 < 90 Auguste D., 1902 Risikofaktor Alter

Vom Demenz-Symptom zum Demenz-Syndrom: Den Verdacht äußern! Im Frühstadium berichten die Betroffenen selbst (Eigenanamnese) schleichende Gedächtnisstörungen, depressive Verstimmung Im fortgeschrittenen Stadium berichten die Angehörigen (Fremdanamnese) Interessenlosigkeit, Betroffener hört auf zu Lesen, ist mürrisch und niedergestimmt, Persönlichkeitsveränderungen, Termine werden nicht eingehalten, Verhaltensstörungen, Orientierungsstörungen, Hygiene Unterscheidung Depressions-Syndrom versus Demenz-Syndrom Demenz Was nun? Depression Objektivierbare Gedächtnisstörungen Nicht objektivierbare Gedächtnisstörungen Aphasie, Apraxie, Agnosie, gestörtes Urteilsvermögen, Wesensveränderungen Antriebsstörung, Energieverlust, Interessenverlust, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Somatisierung Vermindertes Selbstwertgefühl, Angst, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Verlust der Freude, Verlust der Schwingungsfähigkeit

Vom Demenz-Syndrom zur speziellen Demenz-Erkrankung Primäre Demenz- Erkrankungen (primär neurodegenerative Erkrankungen) Sekundäre Demenz- Erkrankungen (nicht primär neurodegenerative Erkrankungen) Alzheimer-Demenz Schilddrüsenfunktion gestört Lewy-Körperchen-Demenz Vitaminmangel Vaskuläre Demenz Schwere Leber- und Nierenfunktionsstörungen Frontotemporale Demenz Raumforderungen im Gehirn Parkinson-Demenz Infektionen Diagnosesicherung: Morbus Alzheimer Es gibt keinen medizinischen Test (z.b. aus dem Blut oder Hirnwasser), der die Diagnose Alzheimer-Demenz sichert Goldstandard bleibt die Eigen- und Fremdanamnese, die Psychometrie, der Verlauf und die medizinische Umgebungsdiagnostik sowie die klinische Erfahrung Die Diagnose Alzheimer-Demenz bestätigt sich aus pathologischer Sicht bei bis zu 90 % der Betroffenen

Makro-Pathologie der Alzheimer-Erkrankung gesund erkrankt Mikro-Pathologie der Alzheimer-Erkrankung Plaques Neurofibrillen Untergang von Neuronen, insbesondere in der Hirnrinde Folgen: - Nervenzellverlust - Ungleichgewichtung von Neurotransmittern

Verlauf einer Demenz vom Alzheimer-Typ beginnendes mittleres schweres Kognitive Defizite Stadium 24 MMSE - Score 20 15 10 Beeinträchtigung der Selbständigkeit Verhaltensauffälligkeiten Absolute Pflegebedürftigkeit 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Jahre Stand der medikamentösen Therapie? beginnendes es schweres Stadium MMSE - Score 24 Zukunft? 20 15 Heute 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Jahre

Woran messen sich Medikamentenwirkungen? In modernen Medikamenten-Studien zur Alzheimer- Therapie gibt es mehrere Zielkriterien: Sicherheit, Verträglichkeit Kognition ADL-Bereich (Selbständigkeit) Verhaltensstörungen (Wahn, Aggression, Wandern etc.) Angehörigenbelastung, Pflegebedürftigkeit, Zeit bis zur Heimeinweisung Ältere Medikamenten-Studien sind qualitativ weniger ausgereift. Die Acetylcholin- und die Glutamathypothese Beides sind Neurotransmitter, die bei der AD durch Nervenzelluntergang ins Ungleichgewicht geraten: I. Acetylcholin Abfall bei AD Konsequenz: Medikamentöser Ersatz II. Glutamat Anstieg bei AD Konsequenz: Medikamentöse Unterdrückung Beide Strategien haben sich in modernen Arzneimittelstudien bewährt!

Acetylcholinesterasehemmer Verfügbare Präparate: Aricept R, Exelon R, Reminyl R Aufgepasst bei: Bradykardien, Neigung zu Magenulcera, obstruktiven Lungenerkrankungen Schwere UAWS auf Placeboniveau Mit geringer Dosis beginnen, langsam steigern, aber unbedingt die Vollwirkdosis erreichen! Glutamatantagonisten Verfügbare Präparate: Axura R, Ebixa R Aufgepasst bei: Halluzinationen, Verwirrtheit sowie Unruhe, nicht zu spät am Tage geben UAWS auf Placeboniveau Mit geringer Dosis beginnen, langsam steigern, Vollwirkdosis anstreben (Achtung bei Niereninsuffizienz)!

Häufig: Der Morbus Alzheimer Die Alzheimer-Demenz ist in Europa/Nordamerika mit bis zu 70 % die häufigste Demenzform! Betroffene profitieren neben psychosozialen Therapieformen von einer kalkulierten medikamentösen Therapie Medikamenten-Studien aktuell Acetylcholinesterasehemmer (ACHE-Hemmer) und Glutamatantagonisten gelten als die wirksamsten Medikamente bei AD Sie sind nur derzeit noch sehr teuer Medikamentenstudien der 3 ACHE-Hemmer im Vergleich (Wirkungen und UAW) laufen aktuell Medikamentenstudien zum Vergleich der Wirksamkeit von Glutamatantagonisten und ACHE-Hemmern gibt es noch nicht

Verhaltensstörungen (BPSD: behavioral and psychological symptoms of Alzheimer`s dementia) Treten bei mind. 80 % der Erkrankten im Verlauf auf Häufig: Wandern, akustische Störungen, Aggressivität, Wahnvorstellungen, Tag-Nacht- Störungen Therapie der Wahl: Angehörigenschulung, angepasstes Verhalten der Betreuenden Können teilweise durch ACHE-Hemmer positiv beeinflusst werden Angewendete Medikamente: Neuroleptika, Antidepressiva, Antikonvulsiva Neuroleptika Wandern und Aggressivität sprechen häufig nicht gut an Neuroleptika kann man grob in 2 Gruppen mit spez. UAW einteilen: niederpotente: ausgesprochen sedierend (Melperon, Dipiperon), anticholinerg hochpotente: Parkinsonoid, Orthostase (Haloperidol) Relativ neu: Atypische Neuroleptika (teils wenig sedierend, weniger Parkinsonoide) (Risperidone, Olanzapin, Quetiapin) Achtung: niedrigste Dosis wählen, Auslassversuche unternehmen!

Antidepressiva Wandern und Aggressivität sprechen häufig nicht gut an Antidepressiva kann man grob in 2 Gruppen mit spez. UAW einteilen: anticholinerge: nicht empfohlen bei Demenz (Amitriptylin) nicht anticholinerge: gut verträgliche Substanzen mit weitem Spektrum zwischen sedierend und aktivierend (Citalopram, Paroxetin, Mirtazapin, Trazodon, Venlafaxin, Reboxetin) neuere Studien zeigen ein gutes Ansprechen bei BPSD, auch auf eine nicht depressive Symptomatik Achtung: Antidepressiva werden häufig unterdosiert und können deshalb nicht wirken! Antikonvulsiva Wandern und Aggressivität sprechen häufig nicht gut an Am häufigsten verwendet: Carbamazepin, Valproinsäure UAW: Sedierung, Änderung der Bioverfügbarkeit von anderen Medikamenten Achtung: Antikonvulsiva bei Demenz können gefährlich sein!

Was bringt die Zukunft? Impfung Ein sicherer und wirksamer Impfstoff (Anti-Amyloid) gegen die Alzheimer-Erkrankung würde die Neuerkrankungsrate minimieren Cholesterinsynthesehemmer Cholesterin ist notwendig bei der Entstehung von Amyloid- Plaques. CSE-Hemmer wirken auch in Nervenzellen Sekretasehemmer Zwei der drei bekannten Sekretasen führen zur Vermehrung von pathologischem Amyloid und damit zur Plaquebildung ß-Sheet-Breaker Diese Substanzen verhindern eine Aggregation von Amyloid zu pathologischen Plaques Fazit Wir sind schon weit entfernt von Begriffen wie schwachsinnige Verblödung und nichtrationalen Behandlungsformen Wir brauchen (immer noch!) eine intensive Forschung mit Verzahnung der Grundlagenforschung und Klinik sowie nichtmedikamentösen Therapieformen Wir sind jedoch noch weit entfernt von kurativen (heilenden) Medikamenten beim M. Alzheimer