Frühlingszyklus 2011 Anämie : Symptom oder Krankheit

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Transkript:

Frühlingszyklus 2011 Anämie : Symptom oder Krankheit Michael Gregor Hämatologische Abteilung michael.gregor@ksl.ch ANEMIA is a common problem in primary care practice, occurring with an annual incidence of 18 cases per 1,000 patients. Because anemia is a sign of underlying disease and usually not a primary disease itself, the clinician must diligently search for a cause before considering therapy. The diagnostic evaluation of anemia is complicated by the wide range of possible causes and the large number of diagnostic tests and procedures available. Nonetheless, most patients presenting with anemia have a readily detectable illness and evaluations can be done without admitting them to hospital. McPhee SJ: The evaluation of anemia (Topics in Primary Care Medicine). West J Med 1982 Sep: 137:253-256 1

Produktion Baustoffmangel Produktion Blutbildung und Abbau Baustoffe Abbau Stimulation Verlust Anämie : Definition Eine Anämie liegt vor, wenn die Erythrozytenmasse beziehungsweise die Surrogatmarker Erythrozytenzahl, Hämoglobinkonzentration und/oder Hämatokrit unter die altersentsprechenden und geschlechtsspezifischen Referenzwerte vermindert sind. Die Hämoglobinkonzentration stellt dabei den sinnvollsten Parameter zur Feststellung einer Anämie dar. WHO-Grenzwerte für eine Anämie Hämoglobin (g/l) Männer < 130 Frauen < 120 Schwangere < 110 Referenzwerte (LUKS) : Männer Frauen Hämoglobin (g/l) 127 163 115 148 Hämatokrit 0.37 46 0.34 43 Erythrozyten (T/l) 4.1 5.4 3.7 5.0 2

Häufigkeit der Anämieursachen im Spital? = "Symptom" Beris P, Tobler A. Praxis 1997; 86: 1684 1686 Häufigkeit der Anämieursachen in der Praxis N =51 multifaktoriell (n=18) 2/3-3 /4 Merlo CM, Wuillemin WA: Prävalenz und Ursachen von Anämien in einer städtischen Hausarztpraxis. Praxis 2008; 97: 713 718 3

Anamnese bei Anämie Familienanamnese : Herkunft, Angehörige PA : Vorerkrankungen (Chemotherapie, GI, Alkohol, Niere) SA : Müdigkeit, Schwäche, Atemnot, Herzrasen Gewichtsabnahme, Fieber, Nachtschweiss Bauchschmerzen, Erbrechen (Farbe?) Teerstuhl oder Blut im Stuhl, Stuhlbeschaffenheit Farbe des Urins Gynäkologische Beschwerden, Periodenstärke und -länge Schwangerschaften Thoraxschmerzen, Skelettschmerzen, Schmerzattacken Einnahme von Medikamenten und Alkohol Vorbefunde (Hausarzt, Spital, Blutspende, Militär) Befunde bei Anämie Unspezifische Befunde bei Anämie : Blässe der Haut und Schleimhaut, Tachykardie, Hypotonie Befunde als Hinweis auf Ursache der Anämie : Blässe mit Ikterus: hämolytische Anämie, Anämie bei Hepatopathie Koilonychie (Hohl- oder Rillennägel): Eisenmangelanämie Glossitis: Vitamin-B12-Mangel Mundwinkelrhagaden: Eisenmangelanämie Splenomegalie: Hämolyse, Myeloproliferative Erkrankungen, Lymphome Neuropathie, Demenz: Vitamin B12-Mangel 4

Primäre Labordiagnostik bei Anämie Hämoglobin Erythrozytenzahl Hämatokrit Thrombozyten Leukozyten mit Diff. Retikulozyten gezielte Diagnostik Ec-Indices Blutausstrich : Hg2 Einteilung der Anämien MCV und MCHC MCV genügt Retikulozyten :Produktion Verbrauch Ursache : erst nach Diagnose möglich Didaktisch nach MCV und Retikulozyten hämolytisch - nicht-hämolytisch mikrozytär - normocytär - makrozytär Problem : Grenzbefunde, Dynamik, multifaktorielle Ursachen 5

andere makrozytäre Anämien ( MDS) Besserung sich nach Behandlung der Grundkrankheit / Substitution Diagnostik bei mikrozytärer Anämie Über 90 % sind ein Eisenmangel d.h. primäre Diagnostik kann sich danach richten Eisenmangel tiefes Ferritin beweisend normales Ferritin dennoch möglich (Entzündung, Hepatopathie) Weitere Hinweise für Eisenmangel Blutbildung ohne Fe: - Ret-y, CHr, - Zinkprotoporphyrin gesteigerter Eisenbedarf : stfr Eisenmangelanämie Substitution + Ursache Bessert sich nach Eisengabe vollständig! Sonst müssen zusätzliche Faktoren (Entzündung, Niereninsuffizienz) oder Non- Compliance / Malresorption / anhaltender Verlust / falsche Diagnose postuliert werden. 6

Thalassämien als Ursache einer mikrozytären Anämie Thalassämie : Anomalie im Bereich des Globingens, Produktion einer Globinkette, zu wenig Hb/Zelle MCV Häufigste Ursache einer Mikrozytose nach Ausschluss Eisenmangel In Praxis nur Thalassaemia minor (heterozygot) bedeutend : Mikrozytose, hohe Ec-Zahl, tiefes MCV, normale bis verminderte RDW, MCV/Ec <13, typisches Blutbild (Targetzellen), leichte stabile chronische Anämie "gesund" Diagnose mittels HPLC und/oder Hb-Elektrophorese Sinn einer Diagnose einer Thalassaemia minor : Junge Patienten Beratung bei Kinderwunsch Alle Patienten Verhinderung wiederholter Eisenmangeldiagnostik (genetische Diagnostik ) Diagnostik erst nach Ausschluss Eisenmangel Anämie bei chronisch entzündlicher Erkrankung Chronische entzündliche Erkrankung (CEE) - Tumor - Infektion (Tbc) - Immunologische Entzündung (RA) nicht degenerative Erkrankungen nicht Alter (erhöht aber Risiko für CEE) Eisenaufnahme Eisenverwertungsstörung Erythropoietinproduktion und -wirkung Erythropoiese Anämie mikro/normozyt. Besserung bei erfolgreicher Behandlung der Grundkrankheit Symptomatische Therapie : Transfusion, rhuepo ( Krankenkasse!) Weiss G et al. N Engl J Med 2005;352:1011-23 7

Anämie bei Knochenmarkinfiltration Hämatologische Neoplasien Solide Tumoren Isolierte Anämie selten (Bizytopenie, Panzytopenie), Vermehrung der Leukozyten möglich Abnorme Zellen : Blasten, lymphatische Zellen Leukoerythroblastäres Blutbild : Erythroblasten, myeloische Vorstufen Automatische Blutbild : "Warnung", "Vorstufen" Mikroskopische Untersuchung des Blutbildes wegweisend! Oft Knochenmarkuntersuchung für Diagnose notwendig Makrozytäre Anämie Falls kein Vitaminmangel, Alkohol, Infektion oder Medikamente Myelodysplastisches Syndrom in Betracht ziehen ("refraktäre Anämie" in FAB-Einteilung) Anämie meist im Vordergrund (80% der Patienten), Anämie oft makrozytär (aber auch normozytär, mikrozytär) Thrombozytopenie und Neutropenie unterschiedlichen Ausmasses bei je etwa 50% der Patienten Ausschluss anderer Ursachen vor aufwändiger Diagnostik sinnvoll Unklare (makrozytäre) Anämie sollte bezüglich MDS weiter abgeklärt werden, sofern die Diagnosestellung eines MDS für die Betreuung eines Patienten von Bedeutung ist. 8

Siegenthaler et al. Differentialdiagnose innerer Krankheiten 18. Auflage Hämolytische Anämien Kürzere Erythrozytenüberlebenszeit weniger Ec in Zirkulation Produktionssteigerung Retikulozytose DD : Regeneration (Blutung, substituierter Eisenmangel oder B12-Mangel, Chemotherapie) Cave : Chemotherapie, Infekte, Substratmangel, (Labor) Diagnostik : Blutbild, Retikulozyten, Coombs-Test, Hämolyseparameter (Haptoglobin > LDH > Bilirubin) Mikroskopische Differenzierung : Sichelzellanämie Kälteaggluttination 9

Fallvorstellung 45 J,, kaufmännischer Angestellter, bisher gesund Infekt der Luftwege vor 3 Wochen von 7 Tagen Dauer Seit 1 Woche sehr schwach, 1 x Aspégic 500mg, gelbe Augen Status : leicht reduzierter AZ, normaler EZ, P 110/', BD 140/75mm Hg, 2/6 Systolikum, Blässe, Sklereninkerus DAT positiv +++ IgG Autoimmunhämolytische Anämie vom Wärmetyp Zusammenfassung Anämie ist meist keine Krankheit und erst recht keine Diagnose sondern ein Symptom Suche nach Ursache/Grundkrankheit. Mehrzahl der Anämien hat eine häufige Ursache (Eisenmangel, Entzündung, Blutung, Niere, Hepatopathie). Behandlung der Ursache (+ ggf. Substratgabe) sollten zu Besserung der Anämie ("des Symptoms") führen. Falls zusätzliche Aspekte (Anamnese, Status, Labor, Verlauf) vorhanden sind oder die Anämie sich unter Therapie nicht bessert, muss sie weiter hämatologisch abgeklärt werden. 10

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