Ernährungsmedizin in der Onkologie und Wundtherapie Universitätsklinikum Münster Zentrum für Ernährungsmedizin und Diabetologie Prof. Dr. M. Masin
Epidemiologie Tumorkachexie 2. häufigste Todesursache nach Sepsis bei Tumorerkrankungen 550.000 Neuerkrankungen / Jahr Mehr als 25% der Krebspatienten versterben an den Folgen ihrer körperlichen Auszehrung Aktuel. Ernahrungsmed. 2014; 39(02): 127-131, DOI: 10.1055/s-0034-1369885 Modern Nutrition Therapy in Cancer Patients A Position Paper
Zitat des Patienten: Es gilt zu prüfen ob die Unterlassung einer notwendigen Ernährungstherapie nicht Totschlag durch Unterlassung gleichkommt? Was meinen Sie?
Häufige Argumente der NICHT-Ernährer 1. Fehlende Evidenz 2. Tumor wird ernährt 3. Patient profitiert nicht 4. Wellness auf Kosten der Solidargemeinschaft 5. Die Ernährer sind ja nur der verlängerte Arm der Pharmalobby.
Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials Smith GC, Pell JP. BMJ. 2003 Dec 20;327(7429):1459-61. Review. Es konnten keine RCT- Studien identifiziert werden 5
Einladung zur Teilnahme an einer randomisiert kontrollierten doppel-blind Studie 6 Würden Sie?
8 Prof. Masin I 04.06.2014
Einleitung Bedeutung der Mangelernährung für den funktionellen Status Tumor onkologische Behandlung metabolische Veränderungen Nahrungsaufnahme Kohlenhydrate: Insulinresistenz Glu-Turnover Lipide: Lipolyse Lipidoxidation Proteine: Protein-Turnover Muskelmasse Gewichtsverlust Lebensqualität Quelle: Biesalski, 2010
Einleitung es gibt keinen international anerkannten golden Standard zur Erfassung des Ernährungszustandes verschiedene Methoden erfassen verschiedene Aspekte des Ernährungszustandes
Erfassung des Ernährungsstatus Gewichtsverlauf Gewichtsverlust > 5% in den letzten 3 Monaten Gewichtsverlust > 10% in den letzten 6 Monaten schwere Mangelernährung
Wir nehmen durch die Brille unseres subjektiven Vorverständnisses wahr, d.h. im Akt der Wahrnehmung wird das Wahrgenommene konstruiert Deutschland muss noch lernen!
Tumorassoziierte Mangelernährung wesentlich für Morbidität und Mortalität bei Tumorpatienten Nährstoffdefizit mit messbar negativen Auswirkungen auf: 1. Gewebe- und Körperstruktur 2. Organfunktionen 3. Erkrankungsverlauf Gewichtsverlust bei Diagnosestellung organabhängig in 30-80 % untergeordnete Faktoren: Tumorgröße, Histologie, Stadium, DeWys WD et al. Am J Med 1980, 69:491 Alter, Therapiemodalität,-intensität
Epidemiologie: Inzidenz von Gewichtsverlust bei Diagnosestellung Inzidenz bei Hämatologischen Neoplasien dtl. geringer Inzidenz bei Kindern / hochaltrigen Pat. signifikant höher Laviano A et al. Nature Clin Practice Oncol 2,2005: 158 Inui A, CA Cancer J Clin 52, 2002: 72-91
Weight loss - Prognoserelevanz n=1555, Therapiezeitraum 6 Jahre, review prospektiv erhobener Daten Magen, Ösophagus, Pankreas, Kolorektum Ca. - St. III/IV Gewichtsverlust zum Diagnosezeitpunkt Kumulativ weniger Chemotherapie Häufiger und schwerer verlaufende Toxizität (stomatitis, plantarpalmar-syndrome) Schlechteres Therapieansprechen (p=0.006) Kürzeres erkrankungsfreies Intervall und Gesamtüberleben (p=0.0004) Schlechtere Lebensqualität (p < 0.0001) Andreyev HJN et al., Europ J Cancer 1998,34: 503-9
Weight loss - Prognoserelevanz Buccheri/Ferrigno (2001): NSCLC Gewichtsabnahme korreliert mit schlechter Prognose Hess et al. (2007): Ovarialca. Mortalitätsrisiko steigt um 7% mit jedem 5%igem Gewichtsverlust Deans/Wigmore (2009): Gastroösophagealer Übergang OAS 30,2 mon. (Med.) vs. 7,5 mon. bei geringem/ Gewichtsverlust Bachmann (2008): resektables Pankreasca. Schwerer Gewichtsverlust assoziiert mit verkürztem OAS schwerem
Tumorkachexie Spezielle metabolische Form der tumorassoziierten Mangelernährung Fortgeschrittenes Tumorstadium oder Zeichen des Progresses Kriterien: Mangelernährung Inflammation (Nachweis systemischer Entzündungsmarker:, Albumin ) CRP
Tumorstroma LMF: Lipid-mobilisierender Faktor = Zink-alpha2-Glykopeptid-Fragment PIF: Proteolyse-induzierender Faktor
Was ist das? Appetitlosigkeit
Diagnostik Basisdiagnostik Zusatzuntersuchungen Labordiagnostik Körpergewicht (1-2/Woche) Gewichtsverlauf Appetit (VAS) Gesch. Nahrungsaufnahme (100-75-50-25%) BioImpedanzAnalyse (Gewebshydratation) Armmuskelfläche (Oberarmumfang/Trizepshaut faltendicke) Psychologische Situation Schmerzsituation u.a. CRP i. S. Albumin i. S.
Kachexiefolgen Ansprechen und Verträglichkeit der onkologischen Therapien Durchführbarkeit der onkologischen Therapien Körperliche Aktivität und Leistungsfähigkeit Komplikationsrate Lebensqualität Abwehrkräfte Prognose Mortalität Infektionen Dr. Markus Masin ULM-Münster
Der Mensch und seine Depots Fett Wasser Glukose Eiweiß Vitamine Spurenelemente 2 Monate 2 Tage 1 Tag kein Depot Tage (B1) bis Wochen (A) wenige Tage Dr. Markus Masin ULM-Münster
Wo steht man? und Was ist der Wunsch des Patienten?
Mangelernährung und die Bedeutung bei Wunden Folgen der Mangelernährung: Mortalitätsrate steigt um 22% bei einem Gewichtsverlust> 10% innerhalb 6-36 Monate Steigerung der Morbidität Längere Krankenhausaufenthalte (20-182% längerer Aufenthalt) Dekubitus (74% erhöhtes Risiko) Wundheilungsstörungen und Infektionen
Energiezufuhr und Anteil an Wundheilungsstörung (nach Koch, W. et al 1999) 100 80 60 40 20 0 500 750 900 1000 1200 1250 1300 1400 2000
Mangelernährung und die Bedeutung bei Wunden Folgen der Mangelernährung: -> Abbau körpereigenen Eiweißes zur Deckung des Basalbedarfs und zur Energiegewinnung -> Entstehung von Druckulzera, Dekubiti -> dadurch weitere Erhöhung des Eiweißbedarfes um das Doppelte!
Mangelernährung und die Bedeutung bei Wunden Folgen der Mangelernährung Verlängerte Entzündungsphase, Erniedrigung der Leukozythenphagozytose Verminderte Kollagensynthese, dadurch erschwerte Bildung von Binde- und Granulationsgewebe Reduzierte mechanische Stabilität der Wunde Gehäuftes Auftreten von: Wundödemen, Dehiszenzen, Wundinfektionen Durch Mangel an essentiellen Fettsäuren: erhöhte Permeabilität der Epidermis mit erhöhtem Wasserverlust
Diabetes Aktuell gibt es ca. 10 Millionen Diabetiker in Deutschland. Aufgrund der Neigung zu Gefäßerkrankungen und häufigem Auftreten von peripheren Neuropathien sind Diabetiker besonders gefährdet chronische Wunden zu entwickeln -> u. a. das Diabetische Fußsyndrom
Diabetes
Diabetes Warum sind hohe BZ-Werte so ungünstig für die Wundheilung?
Diabetes Hohe Blutzuckerwerte sind ein Hinweis auf Insulinmangel. Kann der Körper aufgrund eines Insulinmangels Glukose nicht zur Energiegewinnung nutzen, werden Proteine zur Energiegewinnung abgebaut Insulin ist jedoch nicht nur für die Aufnahme von Glukose in die Zelle erforderlich, sondern auch für die Aufnahme von Aminosäuren zur Proteinsynthese. Hohe BZ Werte hemmen zudem die Produktion von bestimmten Wachstumsfaktoren, die für die Bildung von neuem Gewebe erforderlich sind
Ziele der Ernährungstherapie Stabilisierung der Abwehrkräfte und des Immunsystems Steigerung der Therapietoleranz Wundheilung überhaupt möglich machen Vorbeugen einer Malnutrition Verbesserung der Lebensqualität
Stufenplan der Ernährungstherapie Patient parenterale Ernährung Enterale Ernährung Formulardiäten/Astronautenkost Orale Ernährung vollwertig, abwechslungsreich,individuell
Orale Ernährung so lange wie möglich aufrecht erhalten Wunschkost nach Bedarf des Patienten bei Gewichtsverlust sofort reagieren Ernährungsempfehlungen / Ernährungsberatung Trinkzusatzernährung
Trinkzusatznahrung Fertigdrink Pulverbasis süß pikant Milchbasis Fruchtbasis eiweißreich spezielle Stoffwechselsituationen Standarddrinks 1 ml = 1 kcal energiereiche Drinks 1 ml = 1,5 kcal
Proteine und Bedeutung bei Wunden Eine ausreichende Proteinzufuhr ist der wichtigste Punkt in einer Ernährungstherapie bei Wunden generell und Wundheilungsstörungen Mind. 1,3-1,5 g/kgkg, ggf. sogar bis zu 2 g/kgkg (s. auch Kcal/Proteinbedarf je nach Dekubitusgrad). Je nach Ausprägungsgrad der Wunde können bis zu 50 g Eiweiß/Tag über das Wundexsudat verloren gehen.
Proteine und Bedeutung bei Wunden Proliferationsvorgänge Bildung von Binde- und Granulationsgewebe Bildung von Elastin zum Aufbau von Haaren, Haut, Nägeln und Bindegewebe Produktion von Enzymen, Hormonen, Immunglobulinen Transporteiweiße
Proteine und Bedeutung bei Wunden Studie an 48 bettlägerigen Patienten über 8 Wochen (Breslow, 1993) Gruppe A: erhielt 14 % Eiweiß (bei 2000 Kcal: ca. 68 g/die) Gruppe B: erhielt 21 % Eiweiß (bei 2000 Kcal.: ca. 102 g/die) Ergebnis: Die Dekubiti der Gruppe B heilten doppelt so schnell!!
Orale Supplementierung Eiweißreiches Pulver: Resource Instant Protein 88 Enthält 88 g Eiweiß/100g, d.h. ca. 5 g /EL Ist geschmacksneutral, kann in Flüssigkeiten und weiche Speisen eingerührt werden
Orale Supplementierung Hochkalorische proteinreiche Trinknahrung Resource Protein (18,8 g/200 ml, 250 Kcal.) Resource 2.0 fibre (18 g/200ml, 400 Kcal.) Fresubin Protein Energy (20 g/ 200 ml, 300 Kcal.)
Enterale Ernährung Es gibt keine spezielle Sondenkost für Patienten mit Wunden und Wundheilungsstörungen Zu bedenken ist aber immer: Eine ausreichende Kalorienzufuhr Erst ab 3 x 500 ml Sondenkost/Tag ist die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Vitamin-, Mineralstoff-, und Spurenelementdosis erreicht!!
Enteral oder Parenteral Universitätsklinikum Münster Dr. M. Masin
JA Funktionierender Gastrointestinaltrakt? NEIN Enterale Ernährung Langzeitig Kurzzeitig Gastrostomie/PEG Nasogastral Jejunostomie /FKJ Nasoduodenal Nasojejunal Gastrointestinale Funktion? parenterale Ernährung kurzzeitig langzeitig/höherosmolar periphervenös zentralvenös normal Standarddiät eingeschränkt Bilanzierte Diät Erholung des Gastrointestinums adäquat Toleranz? inadäquat adäquat oraler Kostaufbau oraler Kostaufbau enterale Ernährung parenterale Ernährung Universitätsklinikum Münster Dr. M. Masin
Parenterale Ernährung Indikation Patient kann, darf oder will nicht essen eine enterale Zufuhr ist nicht möglich fehlender Zugang (Port ist vorhanden) akutes Abdomen: Ileus; GI-Blutungen; akute Pankreatitis operative Eingriffe (vor allem am GI) größere Traumen: Polytrauma, schwere Verbrennungen Sepsis Intensivtherapie (Chemotherapie) entzündliche Darmerkrankungen Kurzdarmsyndrom schwere Malnutrition Maldigestion/ Malabsorbtion Universitätsklinikum Münster Dr. M. Masin
Formen der parenteralen Ernährung 1. Partielle, nicht bedarfsdeckende Parenterale Ernährung (PPN) zur Unterstützung der enterale Ernährung zum Ausgleich der verminderten Nährstoffresorption zur Vermeidung einer Malnutrition 2. Totale parenterale Ernährung (TPN) bedarfsdeckende Ernährung
Dreikammerbeutel AIO-Lösung Aminosäuren + Elektrolyte Kohlenhydrate + Calcium Fettemulsion einfache Handhabung geringe Kontaminationsgefahr adäquat für Supportivernährung adäquat für Kurzzeiternährung keine individuelle Anpassung an die SW-Situation des Patienten
individuelle Infusionslösungen zur bedarfsgerechten, der Stoffwechsellage Angepassten Ernährung Universitätsklinikum Münster Dr. M. Masin
Parenterale Ernährung bei onkologischen Patienten Drissi M et al. 2014 Clin Nutr 2,46% Prof. Masin 24.09.2014
Parenterale Ernährung bei onkologischen Patienten ABER! 30 80% der Tumorpatienten leiden bereits bei Diagnosestellung an einer Tumorkachexie Prof. Masin 24.09.2014
Trotz Empfehlungen von Fachgesellschaften hinsichtlich einer Etablierung von exekutiven Ernährungsteams Prof. Masin 24.09.2014
Berechnung individueller Infusionsregime in Abhängigkeit von: Diagnose Ernährungszustand Mobilität Körpergewicht Körpergröße Energiebedarf pro Tag orale Nahrungsaufnahme/Tag Trinkmenge/Tag bisherige Infusionstherapie Laborwerte
Die Mythen Sie haben kein Schluckproblem, also essen Sie! Ein Gewichtsverlust ist normal und gehört zur Krankheit Mehr brauchen SIE nicht Bitte nicht füttern! Den Krebs aushungern? Mit Ernährung wird das leben künstlich verlängert Parenteral ist schlecht für den Darm Prof. Dr. M. Masin UKM-Münster
GMV Leitlinie in der Medizin 2015 Dringend einzusetzen Gesunder-Menschen-Verstand 53 Prof. Dr. M. Masin
Ernährungsmedizin heute Mit Ernährung kann man sicher keine onkologische Erkrankung heilen Ohne Ernährung GANZ SICHER nicht!! Ignorieren ernährungsmedizinischer Optionen ist ein Kunstfehler Ernährung ist Therapie
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!