Notfälle in der Geriatrie 19. Engadiner Fortbildungstage

Ähnliche Dokumente
Delir akuter Verwirrtheitszustand acute mental confusion

Delir. Dr. Josef Kirschner

GeFa Fachtag Gerontopsychiatrie. Delir im Alter oftmals unerkannt?

Delir Prävention. Wann starten und wer muss an Bord sein? Prof. Dr. med. Reto W. Kressig. 4. Alterstraumatologie Kongress 2018

Psychopharmaka- therapeutische oder sedierende Wirkung? Christina Kirschner Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

Ein Zentrum für Gesundes Altern-Relevanz für die Onkologie?!

Prim. Dr. Elmar Kainz Klinik für neurologisch psychiatrische Gerontologie Delir. Diagnose Ursachen Prävention

Akuter Beginn und Fluktuation

Medikamente im Alter. Benomed 20. Oktober Sündenbock für eine AZ Verschlechterung? Andreas Stuck, Prof. Dr. med.

Möglichkeiten und Grenzen der stationären Behandlung bei Demenzerkrankten

Der verwirrte Patient im Nachtdienst Das Delir. Prim. Dr. Christian Jagsch. Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie

Delir beim Palliativpatienten

Denke ans Delir P. Nydahl Pflegewissenschaft UKSH Aspekte des Delirs P. Nydahl Pflegewissenschaft UKSH

Vergessen hat viele Gesichter

Klassifikation. Hyperaktives Delir 5% Hypoaktives Delir 30% Mischform 65%

Neues zum Thema Delir

Assessment von Delirium

Update Demenz und Delir

Verwirrtheits-, Angst- und Unruhezustände im Alter

Historisches. Heute nicht: Obsolete Synonyme. Heute schon: Post-Op Delire. Nur kurz: Leitender Arzt SPD Goldau. K & L Psychiater Spital Schwyz

Fall. Fall. Fall. Als Notfall im Spital und plötzlich verwirrt. Das Delirium, ein häufiges Krankheitsbild im Alter.

Diagnostisch Therapeutisches Seminar Delir. Reicht die Akutbehandlung oder ergeben sich weiterführende Konsequenzen?

Der delirante Patient in der ZNA

Demenzerkrankungen und Delir: Was gibt es Neues?

Kasuistische Beiträge zur modernen Pharmakotherapie mit Quetiapin

Delir oder Demenz: Was liegt vor und wie wird behandelt?

Erkrankungen in Folge von Suchtmittelkonsum Einblicke in eine geriatrische Abteilung

Neurologische Komplikationen bei Nierenerkrankungen

Delir im hohen Lebensalter: kurative oder symptomlindernde Therapie?

help-ein Programm zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs

Ein plötzlich einsetzendes hirnorganisches Syndrom mit unspezifischer Ätiologie aber charakteristischer Symptomatik

14. Vorlesung: Hirnorganische Störungen I. Prof. László Tringer

Psychopharmakotherapie griffbereit

Kooperationstagung zum Thema Demenz Strategien für eine gemeinsame Versorgung

Einwilligung zur Teilnahme

Lewy-Körper-Demenz Symptome

Psychopharmakotherapie griffbereit

Der alte Mensch im OP

Altersfrakturen: Was macht sie speziell? Manuela Pretto, RN, MNS Prof. Dr. Norbert Suhm Kontakt:

Psychopharmakotherapie griffbereit

Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Schmerzund Transfusionsmedizin (Gilead) Prof. Dr. med. F. Mertzlufft. Postoperatives Delir

Sinnvolle Delirprävention im Krankenhaus und in der Praxis: Fakten und Mythen

Nichtmotorische Störungen bei Parkinsonkrankheit

Delirmanagement und post-op Betreuungskonzepte

Arzneimittel im Alkoholentzug AWMF-S3-Leitlinie Sucht (Entwurf)

WANN UND WIE ABSETZEN - ANTIDEMENTIVA, NEUROLEPTIKA UND ANTIDEPRESSIVA

Konzept Delir LUKS: Diagnostik Prophylaxe

Gerontopsychiatrie. Dr. medic. Ligia Comaniciu Leyendecker

Heimaufenthaltsgesetz Problemfeld medikamentöse Freiheitsbeschränkung

Osterode Dr. med. Gregor Herrendorf Klinik für Neurologie Asklepios-Kliniken Schildautal Seesen/Harz

Update Geriatrie Pharmakotherapie im Alter

Frau Nienhaus Dr. Mellies Teilnehmer, Einführung in den Ablauf des Basislehrgangs Klärung organisatorischer Fragen

Bedeutung des Delir im Krankenhaus

Palliativmedizin und Psychosomatik Das Delir eine psychosomatische Erkrankung in der Palliativmedizin?

Verwirrt trotz oder wegen den Tabletten

Die Einschätzung des deliranten Patienten

Ist es die Depression? PD. Dr. med. Thomas Münzer Chefarzt Geriatrische Klinik St. Gallen AG Board Member European Academy for Medicine of Ageing

DELIR. Palliativsymposium Batschuns Tobias Steigleder Palliativmedizinische Abteilung des Universitätsklinikum Erlangen.

Interdisziplinärer Algorhythmus

Der desorientierte Patient. Das ICU-Delir auf der IMC und der IPS

Pharmakologische Behandlung von psychotischen Symptomen und Delirien im Alter

Psychologische Aspekte des Delirs

Arosa Ist meine Pharmakotherapie up to date?

Sicherheitsuntersuchungen Curriculum Entwicklungspsychopharmakologie im Kindes- und Jugendalter am

57. Bayerischer Internisten-Kongress München, Oktober 2018 Symptomorientierte Notfalltherapie: Delir

Neurologische/ Neurogeriatrische Erkrankungen des höheren Lebensalters

Welche Aufgaben übernimmt wer Die Sicht des Geriaters Dr. med. S. Beck, MHA, Universitäre Klinik für Akutgeriatrie, Stadtspital Waid

Notfallkoffer Palliativmedizin Akute Verwirrtheitszustände

Praktische Beispiele verbesserter AMTS auf einer neonatologischen Intensivstation

Die Rolle des Hausarztes bei der Aufnahme und Entlassung dementer Patienten

DEMENZ und SCHLAF. QZ Schlafmedizin , Laura Schenk, Münster

Der ältere Mensch im Rettungsdienst

Elemente der Delirprävention

Verwirrtheitszustände

Vaskuläre Demenz G. Lueg Klinik für Allgemeine Neurologie Department für Neurologie Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Delir aus geriatrischer / internistischer Sicht

Überlegungen zu einer individualisierten Therapie bei Demenzen

Von Demenz bis Delir: Up-to-Date therapeutische Optionen

Depression als Risikofaktor für Adipositas und Kachexie

Copyright: Dr. Sebastian Kirsch, Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen 1

go-go slow-go no-go. Ulrike Sommeregger. KH Hietzing, Abteilung f. Akutgeriatrie

Medikamente im Alter - Hilfe oder Problem?

Herzinsuffizienz und Depression was ist notwendig zu beachten

Absetzen von Psychopharmaka-Kombinationen. Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Jann E. Schlimme M.A.

Caeiro, Sheng, 2006

Der demente Patient im OP und im Krankenhaus. Susanne Johannes Teamleitung Blauer Punkt Pflegeexpertin für Menschen mit Demenz

GERIATRIE. ÜBERRASCHEND VIELFÄLTIG

Auswirkungen von Wahrnehmungsstörungen bei Delir

Delir bei Demenz. Cornelia Späth

Depression: aktuelle Diagnostik und Behandlung. Prof. Dr. med. Christoph Nissen Jahressymposium des Berner Bündnis gegen Depression 5.

Neurogeriatrie als Chance

Frühmobilisation als Delirprophylaxe

WAZ- Nachtforum Chirurgie im Alter

WAZ- Nachtforum Chirurgie im Alter

Atriale und ventrikuläre Arrhythmie Wann an Ablation denken?

Begriffe (1) Begriffe (2) Anforderungen: Assessments. Assessment: Bewertung f, Beurteilung f; Auswertung f; Befundung f

Folgen einer Bewusstseinstrübung nach Operationen unterschätzt: Experten fordern erhöhte Aufmerksam

Alpha adrenerge Agonisten Startdosis 0.05 mg, bis 3x0.1 mg; langsam! orthostatische Dysregulation, Sedierung, Schläfrigkeit, Kopf- und Bauchschmerz

Symptome und Diagnosestellung des Morbus Parkinson

Max-Planck-Institut für Psychiatrie München. Depression. Nebennierentag am 9. April Elisabeth Frieß

Transkript:

Notfälle in der Geriatrie 19. Engadiner Fortbildungstage 06.-08. September 2013 Dr. K. Singler, MME

Inhalte des Vortrags Atypische Symptomatik des betagten Notfallpatienten Infektionen im Alter Delir: Der oft verkannte Notfall

Wie viele Patienten im NA-Dienst sind über 80 Jahre alt? 5% 10% 15% 20% Erlanger Daten jeder 5. Heimbewohner 1x Notarzt/a

Mortalität älterer Notfallpatienten Schmidbauer W et al. AINS 2008 ;43:196-202

Multimorbidität, Funktionalität und Mortalität Marengoni A. et al. J of Intern Med 2009;265:288-295

Kennzeichen geriatrischer Notfall komplexe Situation - Komorbidität - Polypharmazie - nicht medizinische Faktoren Symptomatik: wenig eindrucksvoll dennoch vital gefährdend

Bis zu 20% der älteren Patienten haben im Notfall keine spezifischen Beschwerden Vanpee D, Swine C, et al. Eur J Emerg Med 2001;8:301-4 und 50% der Älteren mit unspezifischen Beschwerden haben ein akut behandlungsbedürftiges Problem Rutschmann OT et al.,swiss Med Wkly 2005;135:145-150

Was ist anders beim Betagten? Messwert oder Funktion? Behandlungsbedürftig? Erschwertes Erkennen von Notfällen

Wandel der klassischen Symptome Tachykardie im Schock ein unzuverlässiges Symptom Verminderte Symptomatik bei Unterkühlung (Kältezittern) Schmerzsymptomatik häufig verspätet frühere cerebrale Auffälligkeiten

Veränderungen des Flüssigkeitshaushaltes

Dehydratation des älteren Patienten Warren JL, Bacon W, Harris T et al. Am J Public Health 1994; 84: 1265 1269

Veränderungen des Nervensystems cerebrale Atrophie Dehnung Brückenvenen Subduralhämatom verschleierte Symptomatik durch primär fehlende Hirndruckzeichen Snyder D, AGS,2003:28

Sarkopenie und atypische Symptomatik Welche Symptomatik ist häufig nicht oder nur abgeschwächt vorhanden?

Temperaturmessung bei Älteren 1.0 0.8 Sensitivität 0.6 0.4 0.2 tympanal AUC 0.73 (95%CI: 0.66-0.81) rectal: AUC 0.72 (95%CI: 0.65-0.80) scanner: AUC 0.65 (95%CI: 0.57-0.73) Singler K et al. Age & Aging 2013 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1-Spezifität

Temperaturmessung Singler K et al. Age & Aging 2013

Atypische Symptomatik ACS ACS mit atypischer Symptomatik 30% 65 Jahre 35% 75 Jahre Then KL et al. Heart Lun 2001;30:285-293 Day JJ, Bayer AJ, Pathy MS. Age Aging 1987;16:239-43

Atypische Präsentation - ACS Verzögerung der Einweisung in eine NA um ca. 50 Minuten Day JJ et al. Age Aging 1987;16:239-43

Korrekte Bezeichnung des akuten Verwirrtheitszustandes akute organische Psychose HOPS Durchgangssyndrom Intensivpsychose DSM IV Delirantes Syndrom ICD 10

Delir als unabhängiger Risikofaktor Zunahme eines funktionellen Defizits (ADLs) deutlich erhöhte Institutionalisierungsrate dauerhafte kognitive Verschlechterung verlängerter Krankenhausaufenthalt Entwicklung von Behandlungskomplikationen Mortalität Ely EW, Shintani A, Truman B, et al. JAMA 2004, Mc Cusker J, Cole M, Abrahamowicz M, et al. Arch Intern Med 2002, Inouye SK, Viscoli CM, Horwitz RI, et al. Ann Intern Med 1993, Ely EW, Gautam S, Margolin R, et al. Intensive Care Med. 2001, Mc Cusker J, Cole MG, Dendukuri N, et al. J Am Geriatr Soc. 2003

Beispiele für Risikofaktoren Alter >65 Jahre Vorbestehende kognitive Einschränkungen Funktionalitätseinschränkungen (Mobilität, Seh- und Höreinschränkungen) Schwere der Erkrankung/ Verletzung Mangelernährung Medikation (anticholinerge Medikation) Vorbestehende Anämie Suchtmittelerkrankungen (Alkohol, Medikamente, Drogen)

Pathophysiologie des Delirs Serotonin Acetylcholin Dopamin Dysbalance GABA Neurotransmitter Noradrenalin IL-6 IL-1 IL-10 IL-8 Inflammation TNF-α S100-B Singler K., Hafner M., Pathophysiologie des Delirs, Therapeutische Umschau, 2009

Psychomotorische Subtypen des Delirs - Hypoaktives Delir Hyperaktives Delir + 25-43% 1-15% 21 29 % % Mischform (55%) Peterson JF, Pun BT, Dittus RS. et al. J Am Geriatr Soc 2006; 54: 479-484

Klinik des hyperaktiven Delirs - Psychomotorische Unruhe (z.b. Nesteln, Aufstehen, Ausziehen) Hyperaktives Delir + - Manipulation an Kathetern/ Drainagen - Erhöhte Irritierbarkeit - Halluzinationen (optisch) - Vegetative Entgleisungen - Ungeduld, aggressive Reaktionen

Klinik des hypoaktiven Delirs Hypoaktives Delir - - ruhiges, apathisches Erscheinungsbild - kaum Kontaktaufnahme - vermindertes, langsames Sprechen - motorische Verlangsamung - Halluzinationen Depression (Demenz)

Das Delir als Notfall myokardiale Ischämie UAW Infekt Schmerzen cerebrovaskuläres Ereignis

Inouye et al. Ann Intern Med 1990; 113:941-949 Confusion Assessment Method (CAM) 1 Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf Fremdanamnese! Geisteszustand akut verändert? Fluktuation im Tagesverlauf? 2 Aufmerksamkeitsstörung Problem Gesprochenem zu folgen? leicht ablenkbar? 3 Desorganisiertes Denken Gedanken unverständlich, unlogisch? Hin- und Herspringen zwischen Themen? 4 Vigilanzstörung abweichend von normal hyperaktiv? stuporös? komatös? 1 + 2 und 3 oder 4 = Delir

Diagnostik Jedes neu aufgetretene Delir mit Fokalneurologie, nach Trauma oder unter OAK verlangt eine CCT!

Delirogene Medikamente Analgetika (bes. Opioide, NSAR) Antiarhythmika (Atenolol, Amiodaron, Atropin, Digitalisglykoside, Lidocain) Antibiotika (bes. Gyrasehemmer, Penicillin, Cephalosporine) Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin) Antiepileptika (Phenytoin, Phenobarbital, Valproinsäure, Carbamazepin) Antihypertensiva (Nifedipin, ISDN, Captopril) Antihistaminika Antiparkinsonmittel (Amantadin, L-Dopa, Selegilin, Pergolid) Diuretika (Thiazide, Furosemid) Hypnotika (Lorazepam, Midazolam, Diazepam, Thiopental) Neuroleptika (Levopromazin, Promethazin, Clozapin) Verschiedene Med.: Theophyllinpräparate, Tuberkulostatika, Glukokortikoide, Laxantien

Delirprävention/ nicht medikamentöse Therapie Förderung der Wahrnehmung der Kommunikation der Ernährung der Stressreduktion der Schmerzbehandlung des Schlaf- Wach- Rhythmus der Mobilisation Inouye SK et al. N Engl J Med 1999;340:669-76

Medikamentöse Delir-Therapie Initiale Dosis Intervall Applikation Haloperidol Tropfen = 2mg/ml (10Tr = 1mg), 1 Amp. = 5mg/ml max. Wirkung p.o.: ab 4-6h; Sedierung u. EPS ab ca. 3 mg/d leichte Agitiertheit 0,5 mg 2-3x/d p.o. mittelschwere Agitiertheit 1 mg alle 4-6h p.o., s.c., i.m., i.v. schwere Agitiertheit 2 mg alle 4-6h p.o., s.c., i.m., i.v. Risperidon Quetiapin Lorazepam antipsychotischer, weniger sedierend, mehr EPS als Quetiapin 0,5-1 mg bis 3x/d p.o. 1. Wahl bei M.Parkinson, Lewy Body Demenz Max. 400 mg/d, große therap. Breite, sedierend 25 mg 1(abends) - 3x/d p.o. 1. Wahl bei Benzodiazepin- u. Alkoholentzug Zusätzl. Sedierung b. ungenüg. Ansprechen d. Neuroleptika 1-2,5 mg alle 4h p.o. modif. Nach Geriatrische Klinik, St. Gallen 2008

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Katrin Singler Klinikum Nürnberg Medizinische Klinik 2 E-Mail: katrin.singler@klinikum-nuernberg.de