Motivation und Ziele in der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Essstörungen

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Transkript:

Motivation und Ziele in der Kognitiven Verhaltenstherapie bei Essstörungen Corinna Terpitz Leitende Psychologin und Psychotherapeutin Klinische Ernährung, Bereich Adipositas und Essstörungen

Einführung Herausforderung Motivation Angst vor der Gewichtszunahme Externale Gründe zur Therapie zu kommen Ambivalenz gegenüber Aufgabe der Kontrolle übers Essen Herausforderung Therapieziele Perfektionismus Funktionalität der Essstörung Patientin möchte Kontrolle und Autonomie behalten GESKES 2014 2

Wofür kann man motiviert sein? Therapiemotivation: Ich bekomme da etwas und muss keine Angst haben. Veränderungsmotivation: Ich möchte etwas für mich erreichen und glaube, dass es möglich ist, etwas an mir zu ändern. Veränderungsmotivation: Ich bin bereit, begrenzt negative Gefühle, z.b. Angst auszuhalten um langfristig meine Ziele zu erreichen. GESKES 2014 3

Verständnis der Essstörung Die Essstörung hat die Funktion soziale, familiäre und emotionale Probleme zu bewältigen. Es fehlt die Flexibilität, mit anderen Strategien Probleme zu bewältigen. Will man der Patientin die Essstörung wegnehmen, wird man bei ihr starke Ängste auslösen und deshalb auf Widerstand stossen. GESKES 2014 4

Funktion der Essstörung / Beispiele Das Gefühl in einem Bereich etwas zu Erreichen, Disziplin aufzubringen, die Dinge unter Kontrolle zu haben (Selbstwert) Autonomie, z.b. innerhalb der Familie Sich mit Essen, dem Körper, dem Gewicht beschäftigen um verletzende Gefühle oder Probleme nicht wahrzunehmen. Als Kommunikationsform: Mir geht es schlecht Um Anerkennung zu bekommen. GESKES 2014 5

GESKES 2014 6

Motivierend Bremsend Motivation fördern - bremsen Empathie für die Ängste vor Gewichtzunahme, vorm Verlust der Kontrolle Moralisieren, Gefahr in den Vordergrund stellen, Konsequenzen androhen Gefühl der Selbstbestimmung/ Kontrolle erzeugen Kleine Schritte Ziele vorgeben überfordernde (Gewichts-)ziele Transparenz Reframing: Funktion der Essstörung betonen. Gesunde Anteile der Patientin einbeziehen, Ressourcenaktivierung Verzerrtes Körperbild respektieren und benennen. Nur die Krankheit sehen Einseitige Gewichtsfokussierung Probleme in den Vordergrund stellen Kommentare zum Aussehen GESKES 2014 7

Methoden zur Motivierung und Zielsetzung Motivierende Gesprächsführung 4 Felder Schema Träumen lassen, gute Fee Imagination des freien Gefühls (künstlerisch, Symbol) Behandlungsvereinbarung (Selbstverpflichtung) Berner Inventar für Therapieziele* Goal Attainment Scale(positive, gestufte Ziele) Kleine Schritte: wöchentlich, monatlich *Grosse Holtforth M (2001) GESKES 2014 8

Motivierende Gesprächsführung Gesprächstechnik nach Miller und Rollnick (2004) 4 Grundprinzipien (Empathie zeigen, Diskrepanz entwickeln, Widerstand auflösen, Selbstwirksamkeit fördern) Offene Fragen, Aktives Zuhören (Reflektieren),Change Talk Nachteile des Status Quo benennen lassen Vorteile einer Veränderung benennen lassen Optimismus bezüglich Veränderung bewirken Absicht zur Veränderung fördern GESKES 2014 9

4-Felder Schema Negative Folgen der Essstörung Ständiges Frieren Kann keinen Sport mehr machen Konzentrationsprobleme Verliere meine Freunde durch ständige Absagen Unternehme nichts mehr, sitze nur allein zu Hause Positive Folgen der Essstörung Fühle mich attraktiver Fühle mich anderen überlegen Ich habe Kontrolle über mich Erbrechen reduziert Druck Wenn ich erbreche, kann ich alles essen, was ich will, ohne zuzunehmen Positive Folgen der Veränderung Körperlich belastbarer Konzentrierter Mehr Lebensfreude Kann mehr mit Freunden unternehmen, in Urlaub fahren Kann besser lernen und arbeiten Negative Folgen der Veränderung Kann meinen Körper schlecht akzeptieren Andere werden mich wegen meines Aussehens ablehnen Ich fühle mich unsicher Ich muss den inneren Druck aushalten Meermann & Borgart, 2006. Essstörungen, S. 81 GESKES 2014 10

Klinische Ernährung, Bereich Adipositas und Essstörungen Zielimagination: Freiheit GESKES 2014 11

Behandlungsvereinbarung (Anfang) Frau A B xx.xx.1988 Eine ambulante Behandlung ist nur möglich, wenn meine körperliche Gesundheit genügend gut ist und ich regelmässig und motiviert an der Behandlung teilnehme. In der Behandlung am Inselspital und in der Einzeltherapie stehen mir regelmässige Termine zu, ich kann mich an die Therapeutin und Ernährungsberaterin wenden, wenn ich Fragen oder Probleme habe. Ich habe Anspruch auf eine fachlich und wissenschaftlich fundierte Behandlung sowie ein regelmässiges und verbindliches Therapieangebot, bei dem ich an meinen persönlichen Zielen arbeiten kann. 1. Ich werde mich darum bemühen: Drei Mahlzeiten am Tag einzunehmen, davon eine warme und nicht mehr als 5-6 Stunden zwischen den Mahlzeiten vergehen zu lassen. Zunehmend strukturierte Esstage und Zwischenmahlzeiten einzubauen. Nach den Mahlzeiten keine Gegenmassnahmen durchzuführen. 2. Aktuelles Zielgewicht beträgt bis Ende Oktober 2014: 44,5 kg. Längerfristig Normalgewicht 53-55 kg. Aktuelles Körpergewicht in normaler Kleidung 43,0 kg (BMI=15,3) GESKES 2014 12

Behandlungsvereinbarung (Fortsetzung) 3. Ich nehme: mindestens 2x monatlich an Einzelpsychotherapie und Gewichtskontrolle bei xxxxx teil. (Fallführung in Bezug auf die Essstörung). Rhythmus der Ernährungsberatung bei Frau xxxxxx zunächst mindestens 1x im Monat, dann gemäss Empfehlung der Ernährungsberaterin Ab August wöchentlich an der Gruppentherapie für Frauen mit Essstörungen teil. 4. Ich verpflichte mich die vereinbarten individuellen Konsultationen einzuhalten. 5. Ich gehe bis zum nächsten Termin zu einer Informationsveranstaltung in der Klinik Wysshölzli. Sollte das Gewicht stagnieren oder das Gewichtsziel nicht erreicht werden, melde ich mich in der Klinik Wysshölzli zu einer stationären Behandlung an. 6. Der Abschluss der Behandlung erfolgt nur nach gemeinsamer Absprache mit allen Beteiligten. GESKES 2014 13

Therapieziele bei Essstörungen (allgemein) Aufbau von strukturiertem, regelmässigem Essverhalten (Gewichtszunahme) Abbau von Vermeidungsverhalten z.b. negativen Emotionen, verbotenen Nahrungsmitteln, heimlich essen Aufbau von Selbstwert unabhängig von Körper und Gewicht Verbesserung der Emotionsregulation Veränderung von dysfunktionalen Überzeugung Verbesserung der Körperzufriedenheit und des Körperselbstbilds Verbesserung der familiären und sozialen Beziehungen, z.b. Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, Selbstbehauptung GESKES 2014 14

Therapieziele aus Funktion abgeleitet (individuell) Das Gefühl in einem Bereich etwas zu Erreichen, Disziplin aufzubringen, die Dinge unter Kontrolle zu haben: Selbstwert Autonomie, z.b. innerhalb der Familie: Selbstbestimmung, Ablösung Sich mit Essen, dem Körper, dem Gewicht beschäftigen um verletzende Gefühle oder Probleme nicht wahrzunehmen: Emotions- und Bedürfniswahrnehmung Als Kommunikationsform: Mir geht es schlecht : Bedürfnisausserung Um Anerkennung zu bekommen. GESKES 2014 15

Klinische Ernährung, Bereich Adipositas und Essstörungen GESKES 2014 16

Motivation und Ziele in allen Therapiephasen: Prozess Zu Beginn: Therapiemotivation, für Therapie gewinnen Ziele: Gewichtsstabilisierung, Essverhalten Im Verlauf: Änderungsmotivation: Patientin möchte, dass es ihr besser geht, ist bereit Neues auszuprobieren Ziele: Emotionsregulation, soziale Kompetenz, Kommunikation, Körperbild Schliesslich: Motivation: Patientin stellt sich Ängsten um weitreichende Ziele zu verfolgen Ziele: Zunehmend individuell, nach Funktionalität GESKES 2014 17