Präoperative kardiologische Abklärungen vor nichtkardialen Operationen Was ist sinnvoll-was nicht? ESC-Guidelines 2009 Dr. med. Almut Redding HerzPraxis Illnau
Hintergrund Jährlich europaweit: 40 000 000 chirurgische Eingriffe davon ca. 7 000 000 grosse OPs in Pt mit cvrf 400 000 perioperative Myokardinfarkte (1%) 133 000 kardiovaskuläre Todesfälle (0.3%)
Fall 1 Herr S. 65J, St.n. MI und ACBP vor 5 Jahren, leichte Anstrengungsdyspnoe, stärkste Rückenschmerzen Eintritt Tag vor geplanter Spinalkanal-OP Assistenzarzt verordnet: - EKG, Ergometrie, Echo EKG: ST-Negativierungen Vorderwand Ergometrie: nicht aussagekräftig da nicht ausbelastet Echo: apikale Akinesie, leichte angrenzende Hypokinesie OP abgesagt -> Myokardszintigraphie -> apikale Narbe, kleine Ischämiezone anterior-apikal Koronarangiographie -> Stent im distalen RIVA nach Bypass, 2x DES 6 Monate duale Plättchenhemmung -> OP Rücken verschoben für 6 Monate Unnötig!!!
Fall 2 Frau M. 72 J., postoperativ nach Hüft-TP auf IPS, linksdekompensiert und low output, ansprechbar EKG: tiefe T-Negativierungen gesamte Vorderwand Trop T stark erhöht -> ACS Aktenstudium/Anamnese: kein Vor-EKG zum Vergleich Anamnestisch seit 6 Monaten progrediente Leistungsminderung und linksthorakale Beschwerden bei Belastung cvrf: Nikotin 30 py, art. Hypertonie, Hypercholesterinämie Medikamente: Lisinopril 10 mg Keine akute Koronar-Intervention möglich wegen hohem Blutungsrisiko -> medikamentöse Therapie
Welche Patientenpopulation ist gefährdet? Pt mit dokumentierter/(a)symptomatischer KHK Pt mit LV-Dysfunktion (systolisch und diastolisch!) Pt mit relevanter Klappenpathologie die Operationen mit prolongiertem hämodynamischen und kardialen Stress ausgesetzt sind
Pathophysiologie für perioperativen Myokardinfarkt 1. chronisches Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage des Blutflusse unter prolongiertem metabolischem Stress (wie bei stabiler KHK) 2. Erhöhtes Risiko für Koronare Plaqueruptur und Thrombusformation durch hämodynamischen Stress an den (in)signifikanten Plaque -> intravaskulär-inflammatorische Prozesse, Plättchenaktivierung, Hyperkoagulabilität, Vasospasmen (wie bei ACS)
Stufenweise Evaluation: Schritt 1: Dringlichkeit der Operation? Schritt 2: Akute oder instabile Herzkrankheit? Schritt 3: Risiko des chirurgischen Eingriffs? Schritt 4: Körperliche Leistungsfähigkeit des Patienten? Schritt 5: in Pt mit mittlerer oder geringer Leistungsfähigkeit Abwägung des Operationsrisikos und Schritt 6: Evaluation der kardiovaskulären Risikofaktoren Schritt 7: Evaluation von nichtinvasiven Tests
Schritt 1: Notfalloperation? nein Schritt 2 Ja Patientenspezifische oder chirurgische Faktoren diktieren die Strategie und erlauben keine weiteren kardialen Abklärungen. Chirurgischer Eingriff erfolgt
Schritt 2: Akute oder instabile Herzerkrankung nein Schritt 3 Instabile Angina pectoris, Angina pectoris CCS III IV Dekompensierte Herzinsuffizienz Hämodynamisch wirksame Rhythmusstörungen Symptomatische Herzklappenerkrankung ACS oder Myokardinfarkt < 30 Tage und residuelle Ischämie 0 0 Operation verschieben Ja Diskussion im multidisziplinären Team bzgl. Behandlungsoptionen erforderlich
Schritt 3: Operationsrisiko 30-Tages Ereignisrate für kardialer Tod und Herzinfarkt Geringes Risiko < 1% Mittleres Risiko 1 5% Hohes Risiko > 5% Mamma Zähne Endokrin Auge Gynäkologie Rekonstruktiv Orthopädie klein (z.b. Knie) Urologie - klein Abdominal,Laparatomien Carotis Periphere arterielle Angioplastie Endovaskuläre Aneurysma Reparation Kopf- und Hals Neurologisch Orthopädisch gross (z.b. Hüfte,Wirbelsäule) Lunge, Nieren- oder Lebertransplantation Urologie gross (z.b. Prostata) Aorta und grosse Gefässe Periphere Gefässe
Schritt 3: Operationsrisiko Niedriges Risiko Mittleres und hohes Risiko Operation Schritt 4: Körperliche Leistungsfähigkeit des Patienten? abschätzen entsprechend Tabelle Wenn unsicher: Ergometrie bzw. Treppensteigen in Praxis
Körperliche Leistungsfähigkeit Exzellent > 7 METs Moderat 4 7 METs Schlecht < 4 METs Schwere Gartenarbeit, Umzug Tennis Joggen, Skifahren Bergwanderung Leichte Gartenarbeit Mehrere Treppenetagen gehen Velofahren Kurze Strecke rennen Essen, Anziehen, Baden Schreiben Gehen in der Wohnung In der Ebene gehen MET= metabolisches Äquivalent
Schritt 4: Körperliche Leistungsfähigkeit > 4 METs Patienten mit bekannter KHK oder cvrf sollten Statin und eine niedrig dosierte β-blocker Therapie erhalten. 4 METs Operation Schritt 5
ESC-Empfehlungen zu perioperativem Betablocker Betablocker muss titriert werden, daher optimaler Beginn ca. 30 Tage präoperativ, mindestens aber 7 Tage präoperativ Beginn mit 2.5 mg Bisoprolol bzw. 50 mg Metoprolol/d, dann titrieren mit Ziel von HF zw. 60-70/min und BD > 100 mmhg systolisch Betablocker empfohlen für Patienten mit bekannter KHK, cvrf oder Myokardischämie im Stresstest Betablocker nicht empfohlen in Patienten ohne Risikofaktoren und niedrigem OP-Risiko
Schritt 5: Operationsrisiko MET 4 und Mittleres Risiko: Statin und niedrig dosiert β-blocker Therapie sind empfohlen (optimal Beginn 30 Tage präoperativ, mindestens aber 7 Tage). Patienten mit bekannt erniedrigter systolischer linksventrikulärer Funktion sollten einen ACE-Hemmer erhalten. Echokardiographie mit Frage LVEF nur wenn Pt symptomatisch Operation MET 4 und hohes Risiko: Schritt 6
Schritt 6: Klinische Risikofaktoren Symptomatische Ischämische Herzerkrankung, Ischämienachweis, Nitrattherapie früherer Herzinfarkt (q-welle im EKG) Herzinsuffizienz, unter Medikamenten «kompensiert» Schlaganfall, transistorisch-ischämische Attacke Diabetes mellitus, medikamentös behandelt Niereninsuffizienz, Dialyse
Schritt 6: Anzahl Risikofaktoren in Operationen mit hohem Risiko AP MI Herzinsuffizienz (kompensiert) Diabetes mellitus Anzahl RF 2 Statin und niedrig dosiert β-blocker Therapie sind empfohlen (optimal Beginn 30 Tage präoperativ, mindestens aber 7 Tage). Echokardiographie mit Frage nach EF Patienten mit erniedrigter systolischer linksventrikulärer Funktion sollten einen ACE- Hemmer erhalten. Niereninsuffizien z/dialyse Operation CVI/TIA Anzahl RF 3 Schritt 7
Schritt 7: nicht-invasiver Stresstest Keine/milde/moderate Ischämie Statin und niedrig dosiert β-blocker Therapie sind empfohlen (optimal Beginn 30 Tage präoperativ, mindestens aber 7 Tage). Echokardiographie mit Frage LVEF? Patienten mit erniedrigter systolischer linksventrikulärer Funktion sollten einen ACE- Hemmer erhalten. Ausgedehnte Ischämie Individuelles perioperatives Management erforderlich, z.b. Koronarangiographie, ACBP Operation
Individuelles perioperatives Management Ballonangioplastie: Operation 2 Wochen, ASS nicht absetzen Bare-metal Stents: Operation > 6 Wochen, duale Plättchenhemmung mindestens 6 Wochen, bevorzugt 3 Monate Drug-eluting Stents: Operation > 6 Monate, duale Plättchen- Hemmung ACBP
Take Home Message Beginn Abklärung zeitig! (> 1 Monat vor Operation) Integration von bekannten Vorerkrankungen, cv Risikofaktoren, körperlicher Leistungsfähigkeit und Operationsrisiko in Abklärungsprozess Einteilung der Patientin in Niedriges (<1%), mittleres (1-5%) und hohes (>5%) Risiko für perioperative kardiale Ereignisse Kardialer Stresstest nur empfohlen in Patienten mit 3 Risikofaktoren und hohem Operationsrisiko Medikamentöse Therapie zur Sekundärprävention soll initiiert werden idealerweise 30 Tage (mindestens 7 Tage) vor Operation, da Risikoreduktion (perioperativ und Langzeit) nachgewiesen Aspirin beibehalten ausser bei Operationen mit hohem Blutungsrisiko (z.b. grosse Gefässe)
Akute oder instabile Herzkrankheit Instabile Angina pectoris, Angina pectoris CCS III IV Dekompensierte Herzinsuffizienz Hämodynamisch wirksame Rhythmusstörungen Symptomatische Herzklappenerkrankung ACS oder Myokardinfarkt < 30 Tage und residuelle Ischämie