Prof. Dr.-Ing. Jörg Raisch Dipl.-Ing. Stephanie Geist Fachgebiet Regelungssysteme Fakultät IV Elektrotechnik und Informatik Technische Universität Berlin Integrierte Lehrveranstaltung Grundlagen der Regelungstechnik 1. Laborpraktikum 1 Einleitung In diesem Versuch soll die Stabilität eines Gleichstrommotors für verschiedene Regler untersucht werden. Die Regelstrecke besteht aus einem Gleichstrommotor ohne Getriebe (Direktantrieb) und einem Leistungsstellglied (Verstärker). Der Leistungsverstärker hat die Dynamik eines PT1-Gliedes und liefert eine maximale Spannung von 15V. Die Motorwelle trägt als Last eine Scheibe mit Masse M l = 68g und Radius r l = 2, 5cm. Die Motordrehgeschwindigkeit ω m steht direkt als Messgröße zur Verfügung. Abbildung 1: Gleichstrommotor Quanser QET 2 Modellgleichungen Die Abbildung 2 zeigt den Aufbau des Gleichstrommotors (ohne Leistungsverstärker). Die Größe u v bezeichnet hier den Ausgang des Leistungsverstärkers. Für den elektrischen Kreis ergibt sich nach dem 2. Kirchhoff schen Gesetz: 1
Abbildung 2: Schaltbild des Gleichstrommotors u v (t) = i m (t)r m + L m d dt i m(t) + u m (t). (1) Die induzierte Spannung u m ist das Produkt aus Motorkonstante und Winkelgeschwindigkeit u m (t) = ω m (t). (2) Bei Vernachlässigung der Reibung ergibt sich für das Motormoment M m (t): (J m + J l ) ω m (t) = M m (t), (3) wobei J m das Trägheitsmoment des Motorankers und J l das der Lastscheibe bezeichnet. Das Motormoment berechnet sich aus M m (t) = i m (t) und das Trägheitsmoment der Lastscheibe aus J l = 1 2 M lr 2 l. Durch Einsetzen von M m in Gleichung (3) bekommt man: bzw. ω m (t) = (J m + J l ) i m(t) (4) i m (t) = (J m + J l ) ω m (t) (5) i m (t) = (J m + J l ) ω m (t). (6) Die Gleichungen (5) und (6) werden in (1) eingesetzt. Man erhält: bzw.: u v (t) = R m (J m + J l ) ω m (t) + L m (J m + J l ) ω m (t) + ω m (t). (7) ω m (t) + R m km 2 ω m (t) + L m L m (J m + J l ) ω m(t) = L m (J m + J l ) u v(t). (8) Den Ausgang u v des Leistungsverstärkers erhält man aus der Differentialgleichung: u v (t) + 1 T s u v (t) = V T s u e (t). (9) 2
3 Modellparameter Die Parameter des Gleichstrommotors sind: Ankerwiderstand R m = 10, 6 Ω Ankerinduktivität L m = 0, 82 mh Motorkonstante = 0, 0502 Nm/A Ankerträgheitsmoment J m = 1, 16 10 6 kgm 2 Die Verstärkerparameter lauten: Zeitkonstante T s = 0, 05 s Verstärkung V = 3 4 Vorbereitungsaufgaben Aufgabe 1.1 (Zustandsraumdarstellung und Übertragungsfunktion) Das aus Gleichstrommotor und Leistungsverstärker bestehende System wird durch die Gleichungen (8) und (9) vollständig beschrieben. Die Eingangsgröße u ist hier u e (Eingangsspannung des Leistungsverstärkers), die Ausgangsgröße y ist ω m (Motordrehgeschwindigkeit). Wählen Sie als Zustände des Systems x 1 = ω m, x 2 = ω m und x 3 = u v und bestimmen Sie die resultierende Zustandsraumdarstellung für das System in der Form ẋ(t) = Ax(t) + Bu(t), (10) y(t) = Cx(t) + Du(t). (11) Definieren Sie mithilfe der Scilab-Anweisung syslin ein lineares System mit den Matrizen A,B,C und D. Berechnen Sie die Übertragungsfunktion des modellierten Systems mithilfe des Scilab-Befehls ss2tf. Aufgabe 1.2 (Analyse des Streckenmodells) Untersuchen Sie die dynamischen Eigenschaften der Strecke (10),(11) bzw. (8),(9). Stellen Sie hierfür die Sprungantwort, sowie das Bodediagramm und die Ortskurve des Frequenzgangs der Strecke dar. Entscheiden Sie, ob die Strecke stabil ist. Hinweis: Scilab-Befehle: Sprungantwort: csim Bodediagramm: bode; Es ist zu beachten, dass durch den Befehl bode das Diagramm mit der Frequenzachse in Hz dargestellt wird. Es ist auch möglich, die Frequenzachse in rad darzustellen, indem man die Befehle repfreq und dbphi benutzt (siehe Scilabeinführung). s Ortskurve: nyquist 3
5 Praktikumsaufgaben Um die Drehzahl des Motors in gewünschter Weise einzustellen, ist eine Regelung notwendig. Im Folgenden wird der P-Regler untersucht. Aufgabe 1.3 (P-Regler: Praktischer Versuch) Der P-Regler besteht ausschließlich aus einem proportionalen Anteil mit der Verstärkung k p. Das Ausgangssignal des Reglers u(t) ist proportional zum Eingangssignal (Regelfehler) e(t); d.h. u(t) = k p e(t), wobei der Regelfehler die Differenz zwischen dem Referenzsignal und der Ausgangsgröße ist e(t) = r(t) y(t). Durch Laplace-Transformation ergibt sich U(s) = k p E(s). Wie aus der Abbildung 3 zu erkennen ist, ist für die Messung der Ausgangsgröße als Messfilter 1 ein PT1-Glied mit der Zeitkonstante T f und der Übertragungsfunktion T f verwendet worden. s+1 Abbildung 3: Der geschlossene Regelkreis mit P-Regler Wählen Sie in dem Fenster der QICii-Software das Modul Speed control. Nehmen Sie als Referenz ein Rechtecksignal mit der Amplitude 10 rad (Für größere Amplituden muss man beachten, dass die Stellgröße nicht in die Begrenzung kommt). Es ist sinnvoll einen Offset mit s 35 rad zu nehmen, damit sich das Vorzeichen der Winkelgeschwindigkeit nicht ändert. So kann s man den Effekt der Coulomb schen Reibung vermeiden. Setzen Sie die Verstärkung des integralen Regleranteils (k i ) auf Null und die Verstärkung des Proportionalanteils auf zunächst 0,02 Vs. b rad sp muss auf Eins, aw auf Null und T f auf 0,01 s gesetzt werden. Stellen Sie sicher, dass die Werte aus der folgenden Tabelle alle richtig gesetzt worden sind. Signal Type Amplitude Frequency Offset k i k p b sp aw T f rad rad V Vs Hz s s s rad rad Square Wave 10 0.4 35 0 0.02 1 0 0.01 Ändern Sie den Verstärkungsfaktor (k p ) in Schritten von 0,04 Vs Vs bis 0,3, um den rad rad Regelkreis für P-Regler mit unterschiedlichen Verstärkungen zu untersuchen. Erläutern Sie kurz Ihre Betrachtungen. Welchen Effekt hat die Änderung von k p auf das Verhalten des Systems? Untersuchen Sie auch den Effekt von Änderungen der Amplitude des Referenzsignals. Bestimmen Sie die kritische Verstärkung, bei der das System grenzstabil ist und ungedämpft zu oszillieren beginnt (Hier ist es empfehlenswert kleinere Frequenzen für das Referenzsignal zu wählen). Außerdem ist die Frequenz der ungedämpften Oszillation zu ermitteln. 4
Untersuchen Sie, ob die Ausgangsgröße dem Referenzsignal folgen kann, wenn dieses ein Sprung ist (Das können Sie erreichen, indem die Amplitude des Referenzsignals auf Null und der Offset auf den gewünschten konstanten Wert gesetzt wird). Wählen Sie als Referenzsignal einen Sprung, sodass sich eine konstante Winkelgeschwindigkeit einstellt. Erzeugen Sie eine Störung auf das System, indem Sie das Rad ganz leicht mit dem Finger berühren. Was ist der Effekt auf die Winkelgeschwindigkeit? Aufgabe 1.4 (P-Regler: Theoretische und simulative Stabilitätsuntersuchung) Untersuchen Sie die Stabilität des geschlossenen Regelkreises für verschiedene Werte von k p durch Anwendung des Nyquistkriteriums. Ermitteln Sie mithilfe des Bodediagramms den kritischen Wert k p, bei dem das System ungedämpft zu oszillieren beginnt. Untersuchen Sie mithilfe einer Scilab-Simulation, ob die Ausgangsgröße einer sprungförmigen Änderung des Referenzsignals folgen kann. Welchen Effekt hat die Änderung von k p auf die Sprungantwort des Regelkreises? Zeigen Sie analytisch durch Verwendung des Endwertsatzes der Laplace-Transformation, wie groß der vorhandene stationäre Regelfehler lim e(t) für ein sprungförmiges Führungssignal ist, wenn 0 < k p < k p t. Die hochfrequenten Anteile, d.h. Polstellen mit einem Realteil sehr viel kleiner als Null, haben wenig Einfluss auf das Verhalten des Systems und können einfachheitshalber entsprechend vernachlässigt werden. Überprüfen Sie, ob die Übertragungsfunktion des Streckenmodells solche Polstellen besitzt und vernachlässigen Sie diese gegebenfalls. Vergleichen Sie die Sprungantworten der originalen und approximierten Übertragungsfunktion, um zu untersuchen, wie gut die beiden Systembeschreibungen übereinstimmen. Vergleichen Sie Ihre Antworten mit den experimentiellen Ergebnissen der vorigen Aufgabe. Hinweis: Für die Berechnung der Amplituden- und Phasenreserve und der Übertragungsfunktion können unter Scilab folgende Befehle verwendet werden: Amplitudenreserve: [gm,fr]=g margin(h) gibt die Amplitudenreserve gm in db und die dazugehörige Frequenz f r in Hz zurück. h repräsentiert ein lineares System als Zustandsraumdarstellung oder Übertragungsfunktion. Phasenreserve: [phm,fr]=p margin(h) gibt die Phasenreserve phm in und die dazugehörige Frequenz f r in Hz zurück. h repräsentiert ein lineares System als Zustandsraumdarstellung oder Übertragungsfunktion. Berechnen der Polstellen: mithilfe von ss2tf ist die Berechnung der Übertragungsfunktion aus einer Zustandsraumdarstellung möglich. Mit ÜF-Name.num und -.den hat man Zugriff auf das Zähler- und Nenner-Polynom der Übertragungsfunktion und mit roots kann man die Nullstellen eines Polynoms berechnen. Es ist zu beachten, dass die Wurzeln unter Scilab als komplexe Werte gespeichert werden, selbst dann wenn sie reell sind, wird 5
ein Imaginärteil von Null abgespeichert. Bei der Definition eines linearen Systems über Polynome kann es daher zu Fehlermeldungen kommen, da hierbei nur Polynome mit reellen Koeffizienten verwendet werden dürfen. Daher ist es in den Fällen, in denen reelle Wurzeln zur Berechnung von linearen Systemen weiterverwendet werden, notwendig, die virtuellen Imaginärteile der Wurzeln mithilfe der Scilab-Anweisung real wegzuwerfen. 6