Dickdarmerkrankungen. Ursula Seidler Medizinische Hochschule Hannover Abt. für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie

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A.M A.M A.M. 1978

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Transkript:

Dickdarmerkrankungen Ursula Seidler Medizinische Hochschule Hannover Abt. für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie

Häufigkeit von Dickdarmerkrankungen Divertikelperforationen C. ulcerosa Dickdarmkrebs Häufigkeit/ 100.000 Einwohner 20 50-80 70 Zahl der Betroffenen in Deutschland 20 000 Fälle/Jahr 90.000 56.000 Reizdarm/Reizmagen 15.000 2.500.000

Divertikulose - Epidemiologie Divertikelträger 27.3% Inzidenz der Perforation pro Jahr 16/100.000 Krankenhaus-Aufnahmen pro Jahr 209/100.000 Mortalität 3% Anteil der Gescreenten [%] 60 50 40 30 20 10 0 <20 20-49 50-59 60-69 70-79 >80 Alter [Jahre] Delvaux, Aliment Pharmacol Ther 2003: 71-74

Ätiologie Genauer Entstehungsmechanismus der Erkrankung ist nicht geklärt Vermutete Ätiologie: Faserarme und ballaststoffarme Kost Altersbedingte Darmwandveränderungen Gesteigerte Druckverhältnisse im Darm (z.b. bei chron. Obstipation)

Klinik Reizlose Divertikel (Divertikulose) machen i.d.r. keine Beschwerden Divertikel werden häufig als Zufallsbefund im Rahmen einer Koloskopie diagnostiziert Infolge von Stuhlretention in den Divertikeln kann es zu einer Entzündung (Divertikulitis) kommen In 95% der Fälle ist das Colon sigmoideum betroffen

Divertikulitis

Divertikulitis mit Perforation und Abzeß mit Gas

Konservative Therapie Systemische Antibiose (z.b. mit Sulbactam und Ampicillin) Parenterale Ernährung Nach klinischer Besserung: Kostaufbau

Komplikationen Wandphlegmone Intraabdomineller Abszess Freie Perforation mit eitriger/kotiger Peritonitis Stenose Ausbildung von Fisteln Blutung (häufig bei älteren Patienten mit Sigmadivertikeln)

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) Entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes mit chronischer Verlaufsform und ungeklärter Genese Morbus Crohn (MC) Colitis ulcerosa (CU) Mikroskopische Kolitis Kollagene Kolitis Lymphozytäre Kolitis Eosinophile Gastroenteritis

Befallsmuster - M. Crohn - Segmentale Ausbreitung

Befallsmuster - C. ulcerosa - Meist nur Kolon Oft distal ausgeprägt Rektum ist immer betroffen Kontinuierliche Ausbreitung Terminales Ileum ist selten im Rahmen einer Backwash- Ileitis mitbetroffen

Klinische Symptomatik M. Crohn C. ulcerosa Diarrhö (selten blutig, Zeichen des Kolonbefalls) Diarrhö (häufig blutig, schleimig) Abd. Schmerzen (häufig rechter UB) Abd. Schmerzen (häufig mittlerer UB, häufig in Zusammenhang mit Stuhlgang, Tenesmen) Allgemeinsymptome (Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit, Fieber oder subfebrile Temperaturen, Appetitlosigkeit, Überlkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust)

Diagnostik Ileokoloskopie Sonographie (im Notfall) CT/MRT (Dünndarmbefall, Komplikationen) Blutuntersuchungen (unspezifisch)

Ileokoloskopie bei MC Normale Kolonschleimhaut Morbus Crohn

Ileokoloskopie bei CU Normale Kolonschleimhaut Colitis ulcerosa Colitis ulcerosa

Histologie Morbus Crohn transmurale Entzündung Granulome (in der Serosa) Fissur Epitheloidzellgranulom

Histologie Colitis ulcerosa Zelluläres Infiltrat in die Mukosa Kryptenabszesse

Behandlungsschema - akuter Schub M. Crohn - Leichter bis mittlelschwerer Schub bei Ileitis oder Ileokolitis: Budenosid 9 mg/d für 8-16 wo Ausschleichen über 2-4 wo Kolitis: Sulfasalazin 3-6g/d über 16 wo Kein Ansprechen Steroide p.o. 1mg/kg KG Prednison/d Schwerer Schub Kein Ansprechen Ausschleichen über 2-3 Mo! Kein Ansprechen Umstellung auf Steroide i.v. 1-1.5 mg/kg KG Predn. in 2 Dosen und parenterale Ernährung Adalimumab Certolizumab Infliximab + Immun- Suppression Frühe Chirurgie bei kurzstreckigem Befall

Behandlungsschema - akuter Schub C. ulcerosa - Beginn bei leichtem bis mittlelschweren Schub Beginn bei schweren Schub Beginn bei fulminantem Schub Visilizumab? 5-ASA Kein Ansprechen 5-ASA + Steroide Kein Ansprechen 5-ASA + Steroide + parenterale Ernährung Kein Ansprechen + schwere Symptomatik 5-ASA + Steroide + parenterale Ernährung Infliximab? + Cyclosporin lap. Proktokolektomie mit ileoanalem Pouch Kein Ansprechen Kolektomie

Definition des Reizdarmsyndroms Manning Kriterien für RDS (BMJ 1978) Kruis Kriterien für RDS (Gastroenterology 1984) Rom-I Kriterien für RDS, FD (Gastroenterol Int 1990) Rom-II Kriterien für RDS, FD (Gut 1999) Rom-III Kriterien für RDS, FD (Gastroenterology 4/2006)??? Bauchschmerzen oder Unwohlsein >3Tage/ Monat/ 3 Monate und - Linderung durch Defäkation - Verbunden mit Änderung der Stuhlfrequenz - Verbunden mit Änderung der Stuhlkonsistenz Beginn vor > 6 Monaten

Theorien zur Entstehung der Symptome Störung der Empfindlichkeit des Enddarmes bei Dehnung mit Ballon 100 80 Pat. mit RDS Probanden mit Schmerz, % 60 40 20 Gesunde Probanden 0 Ritchie, Gut 1973 0 20 40 60 100 200 300 Ballonvolumen (ml)

Theorien zur Entstehung funktioneller Magendarmerkrankungen Zentrale Modulation Schmerzhafte Rektumdehnung Schmerzerwartung Kontrollen Kontrollen Aktivierung anteriorer cingulärer Cortex Reizdarm Aktivierung li. dorsolat. präfrontaler Cortex Reizdarm Silverman DHS et al. Gastroenterology 1997

Gegen den Durchfall: Opiate und -abkömmlinge Loperamid (z.b. Imodium, Opiumtinktur) Pflanzliche Mittel Behandlung Uzarawurzel, Tannin, usw. Mikroorganismen oder ihre Produkte Lactobacillus, Trockenhefe 5-HT3-Antagonisten (in der Entwicklung) Gegen die Verstopfung: Ballaststoffe, Abführmittel, Prokinetika 5-HT 4 Agonisten wirken stimulierend auf die Kolonmotilität

Behandlung Gegen die Bauchschmerzen: Muskelrelaxantien z.b. Duspatal, Mebemerck, Spasmalgan Schmerzmittel Opiate, Phenazone, Kombipräparate Stimmungsaufheller Trizyklische Antidepressiva Serotoninrezeptoragonisten und -antagonisten? Gegen die psychische Belastung: Stabile Arzt-Patienten-Beziehung Psychopharmaka Psychotherapie

Zusammenfassung Die Ursache funktioneller Magen-Darmerkrankungen ist multifaktoriell (angeborene Faktoren, Umwelt, moduliert durch Psyche). Junge Patienten sind häufig betroffen. Die meisten Patienten gehen nicht zum Arzt. Patienten mit einem Reizmagen/Reizdarmsyndrom haben eine gesteigerte viszerale Empfindlichkeit. Bei einem Teil der Patienten wohl Folge einer banalen Darminfektion Die Behandlung ist derzeit noch weitgehend symptomatisch und nicht sehr befriedigend