MACHT UND OHNMACHT IN DER SOZIALEN ARBEIT

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Transkript:

MACHT UND OHNMACHT IN DER SOZIALEN ARBEIT 6. HILDESHEIMER KINDER- UND JUGENDHILFETAG 14.6.2016 CHRISTIAN SCHRAPPER

I. ERSCHEINUNGSFORMEN

Postkarte, Kinderheim Rickenbach, 1962 (kiha)

Kinder erhalten in der Kinder-Tafel "Ra-Ta-Tui" in Wetzlar ihr Mittagessen. Foto: Thomas Lohnes/ddp

I. ERSCHEINUNGSFORMEN Anstalt = machtvolle Strukturen Beratung = machtvolle Beziehungen Tafel = machtvolle Not-Versorgung...

II. ERKLÄRUNGEN Macht und Kapital Macht und Herrschaft Macht und Systeme Macht und Wissen Macht und Erziehung

MACHT UND KAPITAL KARL MARX (1818-1883) Die Macht der herrschenden Klassen ruht weniger auf Gewaltausübung als auf der stummen Macht ökonomischer Verhältnisse. Die Macht des Kapitalisten basiert auf der Größe seines Kapitals, das er befehligt - sei es eigenes oder geliehenes Wirtschaftsmacht wird durch Staatsmacht ergänzt und gestützt. Die Macht der unterdrückten Klassen besteht in ihrer Zahl und im gemeinsamen Handeln, das ihre Überzahl zur Wirkung bringt. Verwandlung persönlicher Machtverhältnissen in sachliche Machtverhältnisse sind das Eigentümliche moderner Gesellschaften, als Macht des Geldes und Herrschaft des Kapitals, aber auch als doppelt freier Lohnarbeiter Sozialarbeit als Büttel des Kapitals

MACHT UND HERRSCHAFT MAX WEBER (1864 1920) Definition: Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. Typen der Herrschaft: Traditionale Herrschaft: Herrschaft und Diener Charismatische Herrschaft: Glaube und Gefolgschaft Legale Herrschaft: Bürokratie und Verwaltung als reinste Form Die Wirkweisen sind entscheidend

MACHT UND SYSTEM NIKLAS LUHMANN (1927 1998) Kritik der klassischen Machttheorien: basieren auf kausalen Annahmen über Ursachen und Wirkungen und erfassen nicht die Kausalität des Unterlassens Macht nicht Besitz oder Eigenschaft, sondern ein soziales Interaktionsmedium Macht als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium des politischen Systems hat in erster Linie die Funktion, die Mo glichkeit des Nein- Sagens unwahrscheinlicher zu machen, die in jeder sprachlichen Kommunikation vorhanden sei. achte auf Symbole und Inszenierungen

MACHT UND WISSEN MICHEL FOUCAULT( 1926-1984) Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert. Sie ist das organisierende Prinzip von Beziehungen und Kra fteverha ltnissen und wird unter Mitwirkung aller, d.h. in diesen Beziehungen und Kra fteverha ltnissen, immer wieder reproduziert und modifiziert. Überwachen und Strafen: die Geburt des Gefängnisses Die Disziplinarmacht als produktive Strategie soziale Verhältnisse hervorzubringen Erziehen und Strafen als Urknall der modernen Sozialpädagogik

MACHT/ZWANG UND ERZIEHUNG IMMANUEL KANT (1724 1804) Aufkla rung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmu ndigkeit. Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Aber: Woher die Freiheit bei all dem Zwange? Zwang ist notwendig, weil das Kind den unvermeidlichen Widerstand der Gesellschaft fuḧlen mu sse. Zwang diene hier dem Interesse spaẗerer Selbsta ndigkeit Die Einschra nkung der Freiheit (= Zwang) ist nur in dem Maße gerechtfertigt, wie sie sich im Interesse zuku nftiger Freiheit (= Selbsta ndigkeit) als erforderlich erweist. Ohne (Selbst-)Zwang keine (soziale) Freiheit?

MACHT UND AUTORITÄT HEINRICH POPITZ (1925 2002) Autorität ist eine soziale Positionierung, die einer Institution oder Person zugeschrieben wird und bewirken kann, dass sich andere Menschen in ihrem Denken und Handeln nach ihr richten Autoritaẗ beruht auf der Anerkennung einer U berlegenheit, die zu einer starken Anpassungsbereitschaft fuḧrt. Die Anerkennung von Autoritaẗ beinhalte immer auch die Hoffnung, selber ebenfalls anerkannt zu werden. Die Autoritaẗsbindung ist wohl diejenige fundamentale soziale Bindung, die am eindeutigsten zur Machtausu bung disponiert. Doch ist diese Macht zugleich, wie immer sie gemeint sein mag, behuẗend oder bedru ckend, in besonderer Weise riskant. Erziehung basiert auf Generationen-Autorität, gelingt aber nur durch selbstkritische Personen- Autorität

MACHTQUELLEN IN DER HEIMERZIEHUNG KLAUS WOLF (*1954) materielle Leistungen und Versorgung, emotionale Zuwendung und Zuwendungsentzug Orientierungsmittel ko rperliche U berlegenheit Die schlimmste Strafe fu r Kinder ist, wenn die Erzieherin tagelang nicht mit ihnen spricht. Das Problem kann aber nicht umgangen werden, indem man so tut, als ob diese Asymmetrie nicht bestu nde das kann der Ma chtigere sich gerne vormachen, der Abha ngigere spu rt sehr wohl die Differenz. Keine Erziehung ohne machtvollen Zwang

OHNMACHT? Macht als komplexes Beziehungsgeschehen ist keine Einbahnstraße Die Macht des Kindes/jungen Menschen in der Erziehung? Erziehung als Selbsterziehung = das Kind soll wollen, was es soll Erziehung = ko-produktive Leistung mit ungewissem Ausgang Die Macht der Verweigerung und Subversion trotzdem hat die erwachsene Erzieherin die alleinige Verantwortung für die Gestaltung der machtvolle Erziehungsbeziehung Ohnmachtsgefühle nicht mit Machtlosigkeit verwechseln!

III. PERSPEKTIVEN Macht basiert immer noch auf Besitz und Kapital(ien) Macht ist sozialen Verhältnissen und menschlichen Beziehung immanent, gibt es immer und ist immer auch eine Zumutung Macht wird gehandelt, inszeniert und organisiert Macht muss gezeigt und reflektiert werden, Macht muss entlarvt und skandalisiert werden Macht muss strukturell kontrolliert werden, damit sie in Beziehungen ausgehalten und produktiv genutzt werden kann

III. PERSPEKTIVEN (2) Erziehung ist das prägendste Machtverhältnis im Leben jedes Menschen Erziehungs- und Beratungs-Organisationen sind Machtverstärker Die Sozialen inszenieren ihre Macht mehr verdeckt, als sie zu offen zu demonstrieren

III. PERSPEKTIVEN (2) Erziehung ist das prägendste Machtverhältnis im Leben jedes Menschen Erziehungs- und Beratungs-Organisationen sind Machtverstärker Die Sozialen inszenieren ihre Macht mehr verdeckt, als sie zu offen zu demonstrieren und nutzen vor allem die Macht der Verweigerung von Verstehens- und Verständigungsanstrengung daher müssen organisierte Erziehungsverhältnisse immer wieder sehr machtkritisch geprüft und kontrolliert werden

VIELEN DANK Prof. Dr. Christian Schrapper e-mail: schrappe@uni-koblenz.de