Vorlesung Wirtschaftsprivatrecht 08. Einheit - 15.11.2011 Institut für Recht der Wirtschaft
Wirksamkeit von Verträgen Die Geschäftsfähigkeit Die Geschäftsfähigkeit Als Geschäftsfähigkeit wird die Fähigkeit bezeichnet, wirksam Willenserklärungen abgeben (und entgegennehmen, 131 BGB) o. Verträge schließen zu können. Die volle Geschäftsfähigkeit tritt grundsätzlich mit der Volljährigkeit (Vollendung d 18. Lebensjahres, 2 BGB) ein. Das Gesetz kennt zwei Einschränkungsgrade: Geschäftsunfähigkeit Beschränkte Geschäftsfähigkeit Institut für Recht der Wirtschaft 2 /26
Wirksamkeit von Verträgen Geschäftsunfähigkeit Geschäftsunfähigkeit Der Erklärende ist noch nicht 7 Jahre alt, 104 Nr. 1 BGB oder geistesgestört, 104 Nr. 2 BGB. Die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen ist nichtig, 105 Abs. 1 BGB. (Ausnahme: Alltagsgeschäfte, 105 a BGB). Gleiches gilt bei vorübergehenden Bewusstseinsstörungen ( 105 Abs. 2 BGB) Institut für Recht der Wirtschaft 3 /26
Wirksamkeit von Verträgen Beschränkte Geschäftsfähigkeit Beschränkte Geschäftsfähigkeit Beschränkt geschäftsfähig ist, wer das siebte, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, 106 und 2 BGB. Der Minderjährige benötigt grundsätzlich die Einwilligung (vorherige Zustimmung, 183 BGB) seines gesetzlichen Vertreters. Ausnahmen: Lediglich rechtlicher Vorteil, 107 BGB Taschengeldparagraph, 110 BGB Minderjähriger Unternehmer, 112 BGB Minderjähriger Arbeitnehmer, 113 BGB Institut für Recht der Wirtschaft 4 /26
Wirksamkeit von Verträgen Beschränkte Geschäftsfähigkeit Beschränkte Geschäftsfähigkeit Bei Rechtsgeschäften ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters gilt: Einseitige Rechtsgeschäfte sind nichtig, 111 Satz 1 BGB. Verträge hängen von der Genehmigung (nachträgliche Zustimmung, 184 BGB) des gesetzlichen Vertreters ab (schwebende Unwirksamkeit), 108 BGB. Zur Betreuung vgl. 1902, 1903 BGB. Institut für Recht der Wirtschaft 5 /26
Wirksamkeit v. Verträgen - Willensmängel Die Willensmängel Unter Willensmängeln ist das Abweichen des subjektiven Willens vom objektiv Erklärten zu verstehen. Zwei Fallgruppen sind zu unterscheiden: Bewusstes Abweichen ( 116 118 BGB) Geheimer Vorbehalt Scheingeschäft Scherzerklärung Unbewusstes Abweichen - Irrtümer ( 119, 120) - Täuschung ( 123) - Drohung ( 123 I S.2) Institut für Recht der Wirtschaft 6 /27
Wirksamkeit v. Verträgen - Willensmängel Bewusstes Abweichen ( 116 118 BGB) Geheimer Vorbehalt (das Erklärte nicht zu wollen) D. geheime Vorbehalt ist unerheblich, 116 Satz 1 BGB, sofern der andere Teil den Vorbehalt nicht erkennt (sonst: Nichtigkeit, 116 Satz 2 BGB) Scheingeschäfte (d beiderseits Erklärte nicht zu wollen) Scheingeschäfte im beiderseitigen Einvernehmen sind nichtig, 117 Abs. 1 BGB; das dadurch verdeckte Geschäft gilt, sofern dieses im Übrigen wirksam ist, 117 Abs. 2 BGB. Scherzerklärungen sind nichtig, 118 BGB; ggf. aber Vertrauensschadensersatz gemäß 122 BGB. Institut für Recht der Wirtschaft 7 /27
Fall 16 - (Geschäftsfähigkeit) Der 16-jährige K kauft von seinem Taschengeld ein Lotterielos und gewinnt 1.000,00. Als er erfährt, dass V, nachdem er von seinen Eltern zu seinem 18. Geburtstag ein Auto geschenkt bekommen hat, sein altes Mofa verkaufen will, meldet er sein Interesse an. V und K werden sich zu einem Preis von 1.000,00 handelseinig. Nach Zahlung des Kaufpreises erhält K sofort das Mofa einschließlich aller Papiere und Unterlagen mit. Die Eltern des K erfahren von dem Geschäft, als K mehrere Stunden lang mit seinem Gefährt vor seinem Elternhaus hin- und herröhrt. Entsetzt verweigern sie ihre Zustimmung. Kann V, der zwischenzeitlich einen besseren Interessenten aufgetan hat, Rückgabe des Mofas verlangen? Institut für Recht der Wirtschaft 8
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Der V kann die Herausgabe des Mofas verlangen, wenn er einen Anspruch auf die Herausgabe hat. A. Anspruch gem. 985 BGB Ein Anspruch gem. 985 BGB setzt voraus, dass der V Eigentümer des Mofas ist und dass d. K kein besseres Recht zum Besitz hat ( 986 BGB). I. Übereignung des Mofas gem. 929 I BGB V könnte sein Eigentum jedoch durch Übereignung des Mofas an K verloren haben. Neben der Übergabe, die erfolgt ist, müsste eine Einigung zwischen V u. K über d. Eigentumsübergang erfolgt sein. Institut für Recht der Wirtschaft 9
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Die Einigung über den Übergang des Eigentums erfolgt durch Angebot und Annahme ( 145 ff BGB). Im vorliegenden Fall ist die Einigung über den Übergang des Eigentums konkludent (durch eindeutiges Handeln) dadurch zustande gekommen, dass V dem K das Mofa nach Zahlung des Kaufpreises mitgeben hat. Zwischenergebnis Eine Einigung über den Übergang des Eigentums liegt vor. Danach könnte K Eigentümer des Mofas geworden sein. Institut für Recht der Wirtschaft 10
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Fraglich ist jedoch, ob die Einigung gemäß 108 BGB unwirksam ist, denn der 16-jährige K war zur Zeit des Vertragsschlusses noch minderjährig und damit in der Geschäftsfähigkeit gemäß 106 und 2 BGB beschränkt. Der beschränkt Geschäftsfähige braucht zwar grundsätzlich die Einwilligung seines gesetzl. Vertreters ( 183 BGB). Dies gilt jedoch nicht bei Rechtsgeschäften, die lediglich rechtlich vorteilhaft sind. Der K hat hier das Angebot des V auf Übertragung des Eigentums am Mofa angenommen, ohne die Einwilligung (vorherige Zustimmung, 183 BGB) seiner Eltern als gesetzliche Vertreter einzuholen. Institut für Recht der Wirtschaft 11
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Da K jedoch durch das Rechtsgeschäft der Einigung über die Übertragung des Eigentums ausschließlich einen rechtlichen Vorteil erlangte, nämlich das Eigentum an dem Mofa, war die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter gem. 107 BGB nicht erforderlich. II. (Zwischen-) Ergebnis Damit ist das Mofa wirksam an K übereignet worden. Mangels Eigentümerstellung des V scheidet ein Anspruch aus 985 BGB daher aus. Institut für Recht der Wirtschaft 12
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) B. Anspruch gem. 812 BGB V könnte gegen K jedoch einen Anspruch aus 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB haben. Dann müsste K ohne rechtlichen Grund Eigentum und Besitz an dem Mofa durch Leistung des V erlangt haben. I. Kaufvertrag, 433 BGB Ein rechtlicher Grund könnte sich aus dem Kaufvertrag zwischen K und V ergeben. Dazu müsste der Kaufvertrag wirksam sein. Institut für Recht der Wirtschaft 13
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Ein Vertrag über den Verkauf des Mofas ist zwar durch Angebot und Annahme zwischen V und K zustande gekommen, als sich beide handelseinig wurden. Fraglich ist jedoch, ob der Vertrag gemäß 108 BGB unwirksam ist, denn der 16-jährige K war zur Zeit des Vertragsschlusses noch minderjährig und damit in der Geschäftsfähigkeit gemäß 106 und 2 BGB beschränkt. Und der beschränkt Geschäftsfähige benötigt d. Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters ( 183 BGB). Institut für Recht der Wirtschaft 14
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Vertragsschluss eines Minderjährigen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Auf die Einwilligung kann auch nicht gem. 107 BGB verzichtet werden, denn anders als bei der Übereignung (Einigung über den Übergang des Eigentums) war bei dem Kaufvertrag die Einwilligung der ges. Vertreter erforderlich, denn durch den schuldrechtlichen Kaufvertrag wurde der K auch zur Kaufpreiszahlung verpflichtet. Dies stellt einen rechtlichen Nachteil im Sinne des 107 BGB dar. Institut für Recht der Wirtschaft 15
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Da die Eltern des K die Genehmigung des Geschäftes verweigert haben, ist der Kaufvertrag gem. 108 BGB nichtig. Ausnahmeregelung gem. 110 BGB Es könnte jedoch die Ausnahmeregelung des 110 BGB eingreifen. Dieser setzt voraus, dass der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung, hier den Kaufpreis, mit Mitteln bewirkt hat, die ihm zu diesem Zwecke oder zur freien Verfügung überlassen worden sind. Institut für Recht der Wirtschaft 16
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) Fraglich ist, ob der Erlös aus dem Loskauf (1.000,- EUR) ebenfalls zu den Mitteln gehört, die gem. 110 BGB dem Minderjährigen überlassen wurden. Nach dem Sinn des 110 BGB, kommt es auf die Zweckbestimmung des gesetzlichen Vertreters an. Daher gehören zu den dem K zur freien Verfügung überlassenen Mittel insbesondere das Taschengeld selbst. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass auch die Erlöse aus dem Taschengeld von der Vorschrift umfasst sind. Die Ausnahmevorschrift des 110 BGB greift nicht ein. Der Kaufvertrag ist unwirksam. Institut für Recht der Wirtschaft 17
Fall 16 Lösung (Geschäftsfähigkeit / Herausgabeansprüche) II. Ergebnis Zwar ist die sachenrechtliche Übereignung des Mofas wirksam, da jedoch der schuldrechtliche Kaufvertrag unwirksam ist, hat K ohne rechtlichen Grund Eigentum und Besitz an dem Mofa durch Leistung des V erlangt. Die Voraussetzungen des 812 BGB liegen damit vor. K hat das Mofa gemäß 812 BGB herauszugeben. Institut für Recht der Wirtschaft 18
Fall 17 V möchte an K sein in Hamburg-Altona belegenes Grundstück veräußern. Beide werden sich zu einem Preis von 500.000,00 handelseinig. Um Kosten für die anfallenden Notar- und Gerichtsgebühren, sowie die Grunderwerbsteuer zu sparen und eine etwaige Einkommenssteuerbelastung des V zu reduzieren, geben sie anlässlich des Notarstermins, bei dem der Kaufvertrag beurkundet wird, einen Preis von EUR 400.000,00 an. Als V und K anschließend in Streit geraten, will K von dem Geschäft nichts mehr wissen. V fragt seinen Anwalt nach Zahlungsansprüchen gegen K. Institut für Recht der Wirtschaft 19
Fall 17 Lösung (Willensmängel, Scheingeschäft, Formnichtigkeit) K kann von V Kaufpreiszahlung gemäß 433 Abs. 2 BGB verlangen, wenn ein wirksamer Kaufvertrag besteht. I. Zustandekommen eines Kaufvertrages Der Kaufvertrag könnte durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen ( 145 ff BGB) zustande gekommen sein. V und K wurden sich zu einem Preis von 500.000,00 handelseinig. Angebot und Annahme über einen Kaufpreis für das Grundstück in dieser Höhe lagen vor. Institut für Recht der Wirtschaft 20
Fall 17 Lösung (Willensmängel, Scheingeschäft, Formnichtigkeit) Fraglich ist jedoch, wie es sich auswirkt, dass lediglich einen Betrag von 400.000,00 beurkundet wurde. Nach dem Auslegungsgrundsatz falsa demonstratio non nocet gilt bei objektiv unzutreffenden Erklärungen das Gewollte, wenn insofern Willensübereinstimmung besteht. Dies wird durch 117 Abs. 1 BGB bestätigt. Danach ist eine im Einverständnis mit dem anderen Teil nur zum Schein abgegebene Willenserklärung nichtig. Institut für Recht der Wirtschaft 21
Fall 17 Lösung (Willensmängel, Scheingeschäft, Formnichtigkeit) Der beurkundete Vertrag ist daher unwirksam. Vielmehr bleibt es gemäß 117 Abs. 2 BGB bei dem durch das Scheingeschäft verdeckten Rechtsgeschäft, hier dem Kaufvertrag über einen Betrag von 500.000,00. Institut für Recht der Wirtschaft 22
Fall 17 Lösung (Willensmängel, Scheingeschäft, Formnichtigkeit) II. Nichtigkeit Dieser Kaufvertrag ist allerdings gemäß 125 Satz 1 BGB nichtig, weil er einer im Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt. Nach 311 b Abs. 1 Satz 1 BGB müssen Grundstückskaufverträge notariell beurkundet werden, während hier die tatsächlich gewollte Absprache nur mündlich erfolgte. Dieser Formverstoß wäre nur dann unerheblich, wenn der Formmangel durch Vollzug des Kaufvertrages gemäß 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt worden wäre. Dies war nicht der Fall. Daher fehlt ein wirksamer Kaufvertrag und K schuldet keinen Kaufpreis. Institut für Recht der Wirtschaft 23