8 Das unbestimmte Integral So wie ie Bilung von Reihen, also Summenfolgen, ein zur Bilung er Differenzenfolgen inverser Prozess ist, kann man ie Integration als Umkehrung er Differentiation ansehen Stammfunktionen Im Sinne er Umkehrung er Differentiation sucht man zu einer gegebenen Funktion f eine sogenannte Stammfunktion F, eren Ableitung ie gegebene Funktion f ist Eine solche Stammfunktion gibt es zu en meisten "vernünftigen" Funktionen (zb zu allen stetigen Funktionen), aber nicht immer: Beispiel : Die Signum-Funktion x s( x ) für x 0 un s(0)0 x besitzt keine Stammfunktion Denn eine solche müßte für alle x 0 en Wert x haben, aber iese Funktion ist nur urch en Wert 0 stetig an er Stelle 0 ergänzbar un nach ieser Ergänzung im Nullpunkt nicht ifferenzierbar Existiert eine Stammfunktion zu f, so ist sie zwar nicht eineutig bestimmt, enn mit F( x ) ist auch jee um eine Konstante C vertikal verschobene Funktion F( x ) + C eine Stammfunktion; aber wie schon früher erwähnt, folgt aus em Mittelwertsatz, aß es keine weiteren Stammfunktionen geben kann Denn un aher F G beeutet G -F (G-F) 0, G( x ) F( x ) G( b ) + F( b ) ( x b ) ( G ( z ) F ( z )) 0 für beliebige x, b aus em Definitionsbereich un geeignete Werte z zwischen x un b Also gilt für festgehaltenes C G( b ) F( b ) : G( x ) F( x ) + C
Verschiebungsregel Je zwei Stammfunktionen erselben Funktion unterscheien sich um eine aitive Konstante Diese Regel gilt aber nur auf Intervallen! Beispiel : Stammfunktionen für x Die für alle x außer 0 efinierte Funktion f( x) x hat unter aneren ie Stammfunktionen F( x ) ln( x ) un G( x ) ln( x ) + s( x ) ( x 0), wobei s( x ) wieer ie Signum-Funktion aus Beispiel bezeichnet Hier unterscheien sich F un G auf em gesamten Definitionsbereich nicht nur um ein un ieselbe aitive Konstante - auf negativen bzw positiven Teilintervallen allerings schon! Beispiel 3: Arcussinus un Arcuscosinus Eine Stammfunktion zu f( x) x ist er Arcussinus, enn mit Hilfe er Differentiationsregel für Umkehrfunktionen un er Formel sin ( y ) cos( y ) sin( y )
hatten wir herausbekommen: arcsin ( x) x Analog ergab sich für en Arcuscosinus: arccos ( x) x Ist also arcsin( x) arccos( x )?? Nein, sonern π arcsin( x ) arccos( x ), allerings nur im Bereich zwischen π un π f( x ), F( x ) arcsin( x ), G( x ) arccos( x ) x Das unbestimmte Integral einer Funktion f ist ie Gesamtheit aller Stammfunktionen zu f (sofern es eine solche gibt) Man bezeichnet es mit f( x ) x (wobei statt x natürlich auch eine beliebige anere Variable gewählt weren kann) Es ist also für eine beliebige Stammfunktion F von f: f( x ) x { F + C, C aus R} Oft läßt man ie aitive Konstante weg un meint mit f( x) x eine spezielle Stammfunktion
Aus er Linearität er Differentiation folgt ie Linearität er Integration: c f( x ) + g( x ) x c f( x) x + g( x ) x Manchmal (aber nicht besoners oft) kann man eine Stammfunktion irekt erkennen Beispiel 4: Eine Anwenung er Kettenregel Mit er Kettenregel ("Nachifferenzieren") sieht man sofort: Die Funktion f( x) x sin( x ) hat ie urch (0,0) verlaufene Stammfunktion F( x) cos( x ) In vielen Fällen ist eine Integration mit Hilfe "elementarer" Funktionen leier nicht möglich Beispiel 5: Das Fresnel-Integral Obwohl ie Funktion f( x ) sin( x ) auf en ersten Blick harmloser als ie aus Beispiel 4 aussieht, finet sich unter en uns bekannten Funktionen keine, eren Ableitung sin( x ) ergibt Trotzem besitzt f als stetige Funktion sicher Stammfunktionen Die urch en Nullpunkt verlaufene Stammfunktion F( x ) zu sin( x ) wir nach em Mathematiker un Physiker Jean Augustin Fresnel (788-87) Fresnel-Integral genannt
Stammfunktionen von Polynomen Besoners häufig muß man Polynome p( x) integrieren Wegen n p 0 + p x + + p n x n p k x k k 0 x ( k + ) x k x + C k + (Probe urch Ableiten!) un er Linearität es unbestimmten Integrals erhalten wir n p( x ) x k 0 p k x ( k + ) k + n + k p k xk k Wir zeichnen ie Monome q k ( x ) x k für k,, 3, 4: Rationale Funktionen Um eine rationale Funktion, also einen Quotienten r( x) p( x ) q( x ) zweier Polynome p( x ) un q( x ) zu integrieren, muß man ie vollstänige Zerlegung es Nenners in Faktoren ersten oer zweiten Graes kennen (azu müssen minestens ie Nullstellen es Nenners bekannt sein) Sin ( x a) k bzw ( x + b x + c ) m ie höchsten Potenzen solcher Faktoren, ie als Teiler es Nenners vorkommen, so kann ie gesamte rationale Funktion r( x ) als Summe von einem Polynom un relativ einfachen Brüchen folgener Form argestellt weren: a j ( x a ) ( j,, k) bzw b j x + c j ( x + b x + c ) ( j,, m )
Partialbruchzerlegung nennt man ie Zerlegung er gegebenen rationalen Funktion in eine Reihe von Summanen er obigen Form (plus einem Polynom, falls er Zählergra minestens so hoch wie er Nennergra ist) Die Zahlen a j, b j, c j ermittelt man im allgemeinsten Fall, inem man en Hauptnenner q( x ) aller Summanen bilet un ann ie Koeffizienten im Zählerpolynom mit enen es gegebenen Polynoms p( x ) vergleicht Das führt auf ein lineares Gleichungssystem für ie Koeffizienten a j, b j, c j Es gibt spezielle Ansätze un Tricks, um hier schneller zum Ziel zu kommen Wir übergehen iese Methoen, a ie meisten Computeralgebra-Programme ie Partialbruchzerlegung irekt liefern Haben wir ie Partialbruchzerlegung erreicht, so müssen wir zur Integration einer rationalen Funktion außer en Integralen von Polynomen nur ie folgenen Integrale kennen: () x a x ln ( x a ) () x ( x a ) k ( k ) ( x a ) ( k ) b (3) x + c x + b x + c x b ln ( x + b x + c ) + falls 0 < 4 c b un 4 c b ( c b b) arctan x + b Ist 4 c b < 0, so kann man en Nenner x + b x + c in Linearfaktoren zerlegen un en Integranen als Summe von Partialbrüchen er Form () un () arstellen Verifizieren Sie ie Gleichungen () - (3) urch Differentiation beier Seiten! Beispiel 6: Logarithmus, Arcustangens un Areatangens hyperbolicus Wir bilen ie Partialbruchzerlegung x + + 4 ( x ) ( + x ) ( + x ) 4 ( + x ) 4 ( x ) Damit ist ln ( x + ) ln ( x ) x + x 4 4 4 MAPLE liefert hingegen arctan( x) ( + x )
x arctanh( x) + arctan( x) x 4 Auch nicht schlecht - aber ist ies as gleiche Ergebnis? Nicht ganz, wie wir gleich sehen weren! MAPLE bezeichnet (etwas irreführen) mit arctanh en Areatangens hyperbolicus, ie Umkehrfunktion es Tangens hyperbolicus tanh( y ) e y e ( y) y e y + e ( ) sinh( y ) cosh( y ) Dieser nimmt nur Werte zwischen - un an Deshalb ist seine Umkehrfunktion nur auf em offenen Intervall ]-,[ efiniert, währen ln ( + x ) 4 ln ( x ) 4 4 + x x für alle von - un verschieenen x erklärt ist Im Intervall ]-,[ gilt tatsächlich + x x arctanh( x ), aufgrun er folgenen Äquivalenzen: y + x x + x <> x y <> + x e ( y ) ( x ) e ( ) <> x ( e ( y ) + ) e ( y ) <> x e y e ( y ) <> e y + e ( y ) y arctanh( x ) f( x ), F( x ) ln ( + x ) ln ( x ) + arctan( x) x 4 4 4 Beachten Sie, aß er linke un er rechte Ast er Stammfunktion verlorenginge, wenn man statt + x x nur + x x ln ( + x ) ln ( x ) nähme; enn er rechte Ausruck ist nur für - < x < efiniert Umgekehrt hätten wir en mittleren Ast verloren, wenn wir statt
+ x x x + x nur x + x genommen hätten, enn ieser Ausruck ist nur für x > oer x < efiniert, er Ausruck ln ( x + ) ln ( x ) sogar nur für x > Außerem sei noch einmal betont, aß man jeen er rei Äste unabhängig voneinaner vertikal verschieben kann un stets wieer eine Stammfunktion bekommt, zb G( x ) F( x) +, 4 π x < - H( x ) F( x ), 4 π < x Anhang Rekursionsformeln zur Integration von Brüchen Bei Integralen, in enen x + b x + c mit höheren Potenzen im Nenner auftritt, kann man mit en nachfolgenen Rekursionsformeln Schritt für Schritt en Exponenten m es Nenners um ernierigen: (4) x ( x + b x + c ) m x + b ( + ( 4 m 6 ) ( 4 c b ) ( m ) ( x + b x + c ) ( m ) x ), ( x + b x + c ) ( m ) (5) x x b ( x + b x + c ) m ( m ) ( x + b x + c ) ( m ) x ( x + b x + c) m Beispiel 7: Höhere Nennerpotenzen Versuchen wir für beliebige natürliche Zahlen n ie Stammfunktionen F n ( x) x mit F ( ) ( x 4 ) n n 0 0 zu finen! Die zuvor genannten Formeln nützen uns hier herzlich wenig
Schon ie Partialbruchzerlegung erweist sich als ziemlich aufwenig, obwohl ie Faktorisierung es Nenners klar ist: ( x 4 ) n ( x ) n ( + x) n ( + x ) n Partialbruchzerlegung für n : 3 3 + + + + ( x 4 ) 6 ( x + ) 6 ( x ) 6 ( x + ) 6 ( x ) 4 ( x + ) 4 ( x + ) Die Formel für allgemeines n schafft auch MAPLE nicht mehr Wir müssen uns also etwas aneres einfallen lassen un betrachten simultan ie Funktionen f n ( x ) ( x 4 ) ( n ) un g n ( x ) x ( x 4 ) ( ) Differentiation von g n ( x ) führt auf x g n ( x ) ( x 4 ) ( ) n x ( n ) ( x 4 ) ( ) n n 4 x 3 ( x 4 ) ( n ) 4 n ( x 4 ) ( n ) + 4 n ( x 4 ) ( n ) 4 n f n + ( x ) ( 4 n ) f n ( x ), also 4 n f n + ( x ) ( 4 n ) f n ( x ) + g ( ) x n x un nach Integration 4 n F n + ( x ) ( 4 n ) F n ( x ) + g n ( x ) Zur Abkürzung setzen wir noch q sowie q n + 4 n holen uns aus Beispiel 6 ie Startfunktion 4 q F ( x ) arctan( x ) + 4 n q n x + x un gewinnen araus schließlich ie explizite Formel n j x + 4 q n F n ( x ) arctan( x ) + + x 4 j 4 j, n q + k k g k ( x) k Die ersten rei Stammfunktionen lauten also 4 x arctan( x ) + x 4 + x x
6 + x 3 x arctan( x ) + ln x 4 + 4 x x 3 x 4 3 8 + x x arctan( x ) + ln x 4 + 4 x + 6 x 3 x 4 Die folgenen Grenzwerte kennen wir schon: x + lim arctan( x) π un lim 0 x x x x ( x 4 ) Interessanterweise konvergieren ie Funktionen x + n p n ( x ) 4 q n F n ( x ) arctan( x ) + + x q k + g k ( x) k k aber viel rasanter gegen π als arctan( x ), un zwar mit einem Restglie er Größenornung x ( ) Die Korrekturglieer verbessern also ie Konvergenz erheblich Zum Beispiel liefert p n ( 0 ) ie Zahl π auf minestens 4 n Stellen genau, währen arctan( 0 ) 9455348 noch nicht einmal ie erste Stelle richtig angibt! p ( 0) 3496043, p ( 0 ) If (, 0 ), p 3 ( 0) 3459653 Die Funktionen 4 q n f n ( x ) un ihre Stammfunktionen p n ( x ) 4 q n F n ( x ) im Bile für ungerae n 4 n un für gerae n Im Bereich zwischen - un unterscheien sich ie Funktionen für gerae n kaum von enen für ungerae n, währen in en Außenbereichen (wo π un π liegt) er Unterschie eklatant ist