E. Rechtsfragen der Arbeitszeit I. Allgemeines 1. Rechtsgrundlagen Tarifverträge, Arbeitsvertrag, ArbZG, Europarecht 2. Menge der Arbeitszeit richtet sich nach der vertraglichen Vereinbarung, alternativ nach dem TV/der BetrV, sonst nach der betriebsüblichen Arbeitszeit 3. Verteilung der Arbeitszeit Lage der Arbeitszeit idr. umfasst vom Direktionsrecht des AG, es sei denn, es ist in ArbV/TV/BetrV etwas anderes festgelegt und damit das Direktionsrecht des AG eingeschränkt II. Wichtige Arbeitszeitbegriffe und Abgrenzungen 1. Arbeitszeit Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhepausen 2. Ruhezeit/Ruhepause Ruhezeit ist die Zeit vom Ende der Arbeit bis zum Beginn der Arbeit Ruhepause ist ein (kürzerer) Zeitraum, für den die Arbeitszeit kurz unterbrochen wird Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 61
3. Arbeitsbereitschaft/Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft a) Arbeitsbereitschaft (Bsp.: Nachtportier) ist die Zeit, in der der AN nicht ständig seine volle Tätigkeit entfalten, aber ständig den Arbeitsablauf beobachten muss, um jederzeit in den Arbeitsprozess eingreifen zu können Arbeitszeit, vergütungspflichtig (geringere Bezahlung mgl.) b) Bereitschaftsdienst (Bsp.: Arzt im Krankenhaus) ist die Zeit, in der der AN machen kann, was er möchte, er muss sich aber an der vom AG bestimmten Stelle aufhalten, um umgehend seine Arbeit aufnehmen zu können, wenn es nötig ist Arbeitszeit, vergütungspflichtig c) Rufbereitschaft (Bsp.: Notstaatsanwalt im Nachtdienst) ist die Zeit, in der der AN machen kann, was er will, er muss den AG aber darüber informieren, wie er zu erreichen ist und er muss sich auf Abruf zur Arbeit bereithalten keine Arbeitszeit (solange die Arbeit des AN nicht abgerufen wird), aber vergütungspflichtig (str., vgl. LAG Hamm, Urt. v. 15.3.2013, AZ: 18 Sa 1802/12 ( juris): umstritten ist, ob bei 612 BGB als AGL eine Vergütungserwartung für Rufbereitschaftszeiten bejaht werden kann oder nicht) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 62
4. Feste Arbeitszeit/Arbeit auf Abruf a) Feste Arbeitszeit z.b. 40 h / Woche b) Arbeit auf Abruf ( 12 TzBfG) Festlegung nur von Mindestarbeitszeit AG kann dann bis zu +25% bzw. -20% dieser festgelegten Arbeitszeit abrufen nach entsprechender Vorankündigung 5. Mehrarbeit/Überstunden/Kurzarbeit a) Mehrarbeit die Arbeitszeit, die über die gesetzlich normalerweise zulässige Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich hinausgeht b) Überstunden die Arbeitszeit, welche die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit im Rahmen eines aufgrund bestimmter Umstände vorübergehenden zusätzlichen Arbeitsbedarfs überschreitet c) Kurzarbeit das vorübergehende teilweise Ruhen von Arbeits- und Entgeltzahlungspflicht (ebenso wie Überstunden kann der AG Kurzarbeit nicht einseitig anordnen) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 63
6. Schichtarbeit Feste Schichten: AN arbeitet immer entweder in der Frühschicht (regelmäßig 6-14 Uhr), der Spätschicht (regelmäßig 14-22 Uhr) oder in der Nachtschicht (regelmäßig 22-6 Uhr) Wechselschicht: die Arbeitsschichten des AN wechseln nach einem im Voraus festgelegten Plan wichtig bei Wechselschichten: möglichst eine nach vorne rollierende Woche (Frühschicht Spätschicht Nachtschicht) Grund: Wechselschichten belasten den AN zusätzlich, Anpassung so leichter 7. Arbeitszeitmodelle betreffen Lage der Arbeitszeit (Bsp.: Gleitzeitmodell) oder Lage und Umfang der Arbeitszeit (Bsp.: Vertrauensarbeit) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 64
III. Vorgaben des ArbZG im Einzelnen Schutzrichtung: ArbZG als ÖR-Vorschrift Adressat: AG 1. Schutzzweck, 1 ArbZG Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer Verbesserung der Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten Schutz der Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Ruhe 2. Tägliche Höchstarbeitszeit, 3 ArbZG Werktägliche Arbeitszeit: 8 Stunden Sonderregelung für Nachtarbeit, 6 ArbZG 3. Ruhepausen während der Arbeitszeit, 4 ArbZG Ruhepause von 30 min bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis 9 Stunden Ruhepause von 45 min bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 65
4. Ruhezeiten nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit, 5 ArbZG Ruhezeit von mind. 11 Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit 5. Sonn- und Feiertagsruhe, 9, 10 ArbZG Keine Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen von 0-24 Uhr 10 ArbZG Ausnahmen 6. Tarifdispositive Sonderregeln, 7, 12 ArbZG 7. Sonderregeln für Krisenfälle, 14 ArbZG 8. Ausnahmen vom Geltungsanspruch des ArbZG, 18 ArbZG 9. Bußgeld- und Strafvorschriften, 22, 23 ArbZG Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 66
IV. Einhaltung des ArbZG und Sanktionen 1. Verantwortung für die Einhaltung Unternehmensleitung (Aufsicht, Kontrolle, Anweisungen) Führungskräfte für ihre Mitarbeiter 2. Sanktionen bei Nichteinhaltung Bußgelder und Strafvorschriften, 22, 23 ArbZG Nichtigkeit von Vereinbarungen, die gegen das ArbZG verstoßen gem. 134 BGB AN hat ein Leistungsverweigerungsrecht, soweit sonst die Vorschriften des ArbZG verletzt werden würden Schadensersatzansprüche betroffener AN wegen Verletzung der Fürsorgepflicht des AG, 280, 241 Abs. 2, 249, 253 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB i.v.m. dem ArbZG (Normen des ArbZG als Schutzgesetze) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 67
V. Möglichkeiten des AG zur Flexibilisierung von Arbeitszeit Notwendigkeit: Gestaltungsspielraum für Personalpolitik und Betriebsinteressen eines Unternehmens und für Mitarbeiterinteressen zu beachten sind dabei jedoch tatsächliche Vor- und Nachteile für AG und AN und die rechtlichen Grenzen 1. Leiharbeitnehmer (sog. Zeitarbeit) Arbeitgeberfunktion bei Verleiher und Entleiher Vorteil für AG: Flexibilität, er kann die Leih-AN gezielt nur bei Auftragsspitzen ausleihen Nachteile: AG: Leih-AN sind teurer und müssen immer wieder neu eingearbeitet werden AN: ständig wechselnde Einsatzorte zu beachten ist das AÜG: insbesondere 1, 9 und 10 AÜG Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 68
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2. Arbeitszeitkonten zu beachten ist das ArbZG Vorteil für AG und AN: flexible Arbeitszeiten Nachteil für AN: Verdichtung von Arbeitsleistung in bestimmten Zeitabschnitten 3. Arbeit auf Abruf zu beachten ist 12 TzBfG: es muss eine Mindestarbeitszeit festgelegt werden, die darüber hinausgehende Arbeitszeit darf höchstens 25 % betragen, max. 20 % weniger darf AG abrufen Vorteil für AG: Flexibilität je nach Arbeitsanfall Nachteil für AG: Flexibilität wird durch 12 I TzBfG stark eingeschränkt Nachteil für AN: Unsicherheiten hinsichtlich des monatlich zu erzielenden Gehaltes/ bzgl. Planbarkeit von Freizeit, Nebenjobs 4. Kurzarbeit zu beachten sind 95 ff. SGB III (zum Kurzarbeitergeld) Vorteil für AG: qualifizierte Mitarbeiter müssen nicht gekündigt werden, das Know-How bleibt dem Unternehmen damit erhalten Vorteil für AN: der AN behält seinen Arbeitsplatz und eine gewisse Grundversorgung Nachteil für AN: Einkommensverluste (Kurzarbeitergeld ersetzt nur einen Teil des ausfallenden Gehaltes) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 70
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5. Befristete Beschäftigung grds. solche Arbeitsverhältnisse, die eine auflösende Befristung nach 163 BGB enthalten zu beachten ist 14 TzBfG: die Befristung muss mit sachlichem Grund gem. 14 I TzBfG erfolgen oder mittels einer zeitlichen Befristung gem. 14 II TzBfG Wichtig: die vertragliche Befristung muss gem. 14 IV TzBfG schriftlich erfolgen, wird diese Formvorschrift verletzt, entsteht ein unbefristetes ArbV! Auch bei unwirksamer Befristung gilt das Arbeitsverhältnis als unbefristet, siehe 16 TzBfG Vorteil für AG: keine Kündigung nach Ablauf der Befristung notwendig Nachteil für AN: keine feste Anstellung, Unsicherheit Sonderproblematik: Kettenbefristungen (hier prüfen die ArbG immer genauer, ob beim aktuellen Vertrag wirklich noch ein Sachgrund vorlag + Grenze für Sachgrundbefristungen: 242 BGB), siehe dazu Urteil des EuGH v. 26.1.2012, C-586/10 Kücük und des BAG v. 18.7.2012, 7 AZR 443/09, NJW 2013, 1254 Zur Vertiefung vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (beck-online), 14. Aufl. 2014, TzBfG, 14-16 TzBfG Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 72
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6. Arbeit in Teilzeit Anspruch des AN gem. 8 TzBfG auf Verringerung der AZ Problematik: wann stehen isv 8 Abs. 4 S. 1 TzBfG betriebliche Gründe der Teilzeitarbeit entgegen? Berücksichtigungsgebot für den AG gem. 9 TzBfG auf Verlängerung der AZ des AN Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 75
7. Durchsetzung im bestehenden Arbeitsverhältnis stets auf Grundlage des bestehenden AV, falls dazu keine Regelungen getroffen wurden: einvernehmliche Vertragsänderung Betriebsvereinbarung i. S. des 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Kündigung (dazu H.) Änderungskündigung (Kündigung mit Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Bedingungen) Vorlesung Individualarbeitsrecht, Prof. Dr. Jochen Mohr Folie Nr. 76