17. Die Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts als zentraler Kontrolleur des Staatshandelns Gedankliche Annäherung an die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit Verfassungsgerichtsbarkeit: Justizförmige Entscheidungen von Konflikten entweder zwischen verschiedenen Staatsorganen oder zwischen Staat und Bürgern nach den Regeln des Verfassungsrechts Modelle der Verfassungsgerichtsbarkeit Österreichisches Kelsianisches Modell Amerikanisches inzidentes Modell Verfassungsgerichtsbarkeit ist dabei an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht verortet Beschränkung von staatlicher Herrschaft durch die Verfassung Judicial self restraint vs. Judicial activism Verändertes Grundrechteverständnis Kompensation von Gesetzgebungsdefiziten 136
Kompetenzen der Verfassungsgerichtbarkeit Normenkontrolle (Verfassungsgerichtsbarkeit im engeren Sinn) Wahlgerichtsbarkeit Sondergerichtsbarkeiten Kompetenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit Staatsgerichtbarkeit Kompetenzgerichtsbarkeit 137 Verfassungsgerichtsbarkeit im sozialwissenschaftlichen Fokus Verschiedene differente sozialwissenschaftliche Ansätze der Verfassungsgerichtsbarkeit Institutioneller Ansatz Struktur, Zusammensetzung, Kompetenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit Beziehung zu anderen Staatsorganen Funktionalistischer Ansatz Funktion von Verfassungsgerichten im Rahmen eines politischen Systems Durch die politische Dimension der Verfassung werden durch Verfassungsgerichte auch politische Entscheidungen getroffen Behavioristischer Ansatz Fokussiert u.a. das Entscheidungsverhalten der RichterInnen Schwierigkeit, weil zwar die Entscheidungen, nicht aber die Entscheidungsfindung öffentlich bekannt gemacht wird Konflikte zwischen politischen Parteien werden vor Verfassungsgerichten ausgetragen Verfassungsgerichte müssen zum Teil hoch sensible politische Fragestellungen klären 138
Ausgewählte politikwissenschaftliche Fragestellungen zur Verfassungsgerichtbarkeit Der Gleichheitsgrundsatz als zentraler Wertungsmaßstab der Verfassungsgerichtbarkeit An der Grenze zur richterlichen Rechtsschöpfung verortet Verfassungsgerichtsbarkeit als Element der deliberativen Demokratie Genaue, präzise Begründung Detailliertes Auseinandersetzen mit den vorgebrachten Argumenten Offener Umgang und auch Lernbereitschaft gegenüber vorgebrachter Kritik an verfassungsgerichtlichen Erkenntnissen Die Möglichkeit eines Sondervotums (dissenting opinion) Entscheidungszwang bei delikaten Sachverhalten Notwendigkeit der demokratischen Legitimation der handelnden Verfassungsrichter Letztentscheidungsbefugnis des Verfassungsgesetzgebers Grenzen? 139 Verfassungsgerichtsbarkeit in Gefahr? Aushöhlen der Verfassungsgerichtsbarkeit als eine Gefahr für die Demokratie innerhalb eines politischen Systems Ungarisches Verfassungsgericht 3. Verfassungsnovelle in Ungarn vom März 2013 Politische Antwort der Regierung Orbán auf nicht genehme Erkenntnisse des ungarischen Verfassungsgerichts Starke personelle Abhängigkeit durch Wahl der Mitglieder bzw. Ernennung des Präsidenten des ungarischen Verfassungsgerichtshofes durch das ungarische Parlament Nur mehr formelles Prüfungsrecht des Verfassungsgerichts Prüfungsmaßstab nur mehr die Verfassung von 2012 Konterkarieren bzw. Rücknahme von Erkenntnissen des Verfassungsgerichts Drohung der EU mit Einleitung von Verfahren nach Art. 7 EUV (Schwerwiegende Verletzung bzw. Gefährdung europäischer Werte) 140
Verfassungsgerichtsbarkeit auf europäischer Ebene Europäischer Gerichtshof (EuGH) Sitz in Luxemburg Zentrales Organ der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) Sitz in Straßburg Kein Organ der Europäischen Union Eigenständiger Gerichtshof 28 Mitgliedsstaaten 47 Mitgliedstaaten des Europarats Zentrale Kompetenz: Überwachung der Einhaltung der Europäischen Verträge, Zentralisierte Auslegung von Unionsrecht Dem Europäischen Gerichtshof ist seit 1988 das Europäische Gericht (EuG) erster Instanz beigeordnet Entscheidungsvorbereitung durch Generalanwälte Zentrale Kompetenz: Überwachung der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und ihrer Zusatzprotokolle Geurteilt wird in Kammern und Sektionen (Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Urteile des EGMR) Zentrale Verfahren: Vertragsverletzungsverfahren, Vorabentscheidungsverfahren Staaten und Individualbeschwerden 141 18. Über das Wesen und die Funktion von Rechtsinstituten
Das Rechtsinstitut als politikwissenschaftliches Analyseinstrumentarium (1/2) Zentrales Werk: Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, Wien 1929. Abgrenzung von Rechtsgebiet (die Ansammlung alle eine Thematik behandelnde Normen und ihre rechtsdogmatische Analyse) zu einem Rechtsinstitut Ein Rechtsinstitut ist dabei mehr als die von Rechtsdogmatik geprägte Rechtskunde: Wir haben die ökonomische und soziale Wirksamkeit der Norm, nachdem sie einmal besteht und in Geltung ist, und unter der Voraussetzung, daß sie unverändert bleibt, zu untersuchen. (58) Karl Renner (1870 1950) 143 Das Rechtsinstitut als politikwissenschaftliches Analyseinstrumentarium (2/2) Bei Karl Renner fungiert das Rechtsinstitut als ein Analyseinstrument der sozialen Wirklichkeit Ein Rechtsinstitut ist demnach Gesamtheit aller funktionalen Bestimmungen, die ein Rechtsverhältnis oder einen Lebenssachverhalt regeln Die Rechtssätze, die eine Gesellschaft ordnen, bestehen und wirken keineswegs in einem chaotischen Nebeneinander, sie ergänzen, stützen und beschränken einander, sie gruppieren sich so um je ein sie beherrschendes Rechtsverhältnis, das einen grundlegenden Tatbestand des Lebens regelt. Ein solches Rechtsverhältnis mit allen es bestimmenden Rechtssätzen ist ein Rechtsinstitut. Karl Renner, Rechtsinstitute 1929, S. 230 Rechtsinstitute verwendet man demnach zur Umschreibung und Untersuchung von grundlegenden Rechtsfunktionen Einige, zentrale Rechtsinstitute erfahren durch die Rechtsordnung institutionelle Bestandsgarantien im Verfassungsrang z.b. Eigentumsrecht (Art 5 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867) bzw. Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) 144
Zentrale Grunddeterminanten des Definition: Regelt das Verhältnis des Einzelnen zum Staat oder anderen Trägern (Strafrecht, Prozessrechte) sowie das Verhältnis der Verwaltungsorgane (Verwaltungsrecht) oder Staaten (Völkerrecht) untereinander Rechtsträger treten mit Imperium, mit Hoheitsgewalt, auf Es herrschst ein Verhältnis der Subordination (sprich Unter und Überordnungsverhältnis) Im öffentlichen Recht dominiert das zwingende Recht (keine rechtlichen Abweichungen vorgesehen) Zuständig für die Vollziehung sind Verwaltungsbehörden Öffentliches Recht regelt den Aufbau und die Funktionsweisen von staatlichen Institutionen und ist deshalb auch im besonderen Interessenfokus der Politikwissenschaft gelegen Nur das öffentliche Recht ist prinzipiell Gegenstand von Kompetenzverteilungen 145 Grundlegende Gedanken zum Privatrecht Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehungen von Privatpersonen untereinander und die Form, in der sich Beziehungen vollziehen. Rechtsbeziehungen zwischen den Privatpersonen werden auf der Ebene der Gleichordnung geregelt. Zur Durchsetzung eigener Interessen gegen einen anderen ist das Rechtssubjekt auf die Hilfe des Staates angewiesen, da hier ein Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger besteht. Aufgabe des Privatrechts ist die Zurverfügungstellung der notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es gibt Auskünfte darüber, wer und inwieweit jemand privatautonom Rechte gestalten und darüber verfügen kann bzw. darf. Das Privatrecht stellt die für die privatautonome Rechtsgestaltung erforderlichen Rechtsinstitute (Eigentums, Vertrags, Testierfreiheit, usw.) zur Verfügung. Es unterstützt die privatautonome Rechtsgestaltung durch dispositives Recht. Es weist jene, die aufgrund ihrer Überlegenheit versucht sein könnten, ihre Privatautonomie zu missbrauchen, durch zwingende Regelungen in ihre Schranken. 146
Zentrale Grundsätze des Privatrechts Formelle Rechtsgleichheit Vertragsfreiheit (Privatautonomie) Abschlussfreiheit Gestaltungsfreiheit Formfreiheit Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten) Grundsatz von Treu und Glauben Zuständig sind in der ultima ratio die ordentlichen Gerichte Auch makroökonomische Bedeutung Grundlage der Gesellschafts und Wirtschaftsordnung eines politischen Systems Eingriffe in die durch die Privatautonomie garantierten Freiheitsrechte bestimmen den Freiheitsgrad einer Rechtsordnung Privatrechtsordnung werden regelmäßig auf Gesamtstaatsebene normiert 147