Andreas Hantsch (Autor) RADARBASIERTE SENSORIK FÜR DIE FAHRDYNAMIKERFASSUNG BEI KRAFTFAHRZEUGEN

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Transkript:

Andreas Hantsch (Autor) RADARBASIERTE SENSORIK FÜR DIE FAHRDYNAMIKERFASSUNG BEI KRAFTFAHRZEUGEN https://cuvillier.de/de/shop/publications/1845 Copyright: Cuvillier Verlag, Inhaberin Annette Jentzsch-Cuvillier, Nonnenstieg 8, 37075 Göttingen, Germany Telefon: +49 (0)551 54724-0, E-Mail: info@cuvillier.de, Website: https://cuvillier.de

Einleitung Im Verlauf der letzten 30 Jahre wurde in modernen Kraftfahrzeugen eine Vielzahl von Assistenzsystemen eingeführt, die den Fahrer in kritischen Fahrsituationen sowie bei Routineaufgaben unterstützen.imjahr1978führte das Unternehmen Bosch erstmals serienmäßig das Antiblockiersystem (ABS) ein [1], das das Blockieren der Räder beim Bremsen zuverlässig verhindert und so eine optimale Bremswirkung bei gleichzeitiger Lenkbarkeit des Fahrzeuges ermöglicht. Über Drehzahlsensoren an allen vier Rädern werden die einzelnen Radgeschwindigkeiten gemessen. Droht ein Rad zu blockieren, wird mit Hilfe hydraulischer Ventile der Bremsdruck des Rades reduziert und damit die Bremswirkung abgeschwächt bis das Rad wieder den optimalen Bremsschlupf aufweist [2]. Für die Regelung ist es notwendig, die Geschwindigkeit des Fahrzeuges über Grund zu kennen. Zu ihrer Bestimmung werden die Raddrehzahlen aller Räder ausgewertet. Aufgrund des Schlupfes der Räder und des nicht genau bekannten Umfangs der Reifen ist die auf diese Weise gemessene Geschwindigkeit jedoch relativ ungenau. Insofern wäreeswünschenswert, die Geschwindigkeit des Fahrzeuges über Grund unabhängig von den Raddrehzahlen messen zu können. Die Weiterentwicklung des ABS führte 1986 zur Antriebsschlupfregelung (ASR) [1]. Sie verhindert ein Durchdrehen der angetriebenen Räder bei Beschleunigungsvorgängen, indem einzelne Räder abgebremst werden oder die Motorleistung elektronisch reduziert wird. Die tatsächliche Geschwindigkeit über Grund kann hierbei durch eine Messung der Raddrehzahlen der nicht angetriebenen Räder ermittelt werden. Bei Fahrzeugen mit Allradantrieb steht diese Möglichkeit jedoch nicht zur Verfügung. Somit ist auch hier eine von den Raddrehzahlen unabhängige Möglichkeit der Geschwindigkeitsmessung wünschenswert. Ein weiteres bahnbrechendes Assistenzsystem für die Fahrsicherheit wurde im Jahr 1995 von Bosch in Zusammenarbeit mit Mercedes Benz mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) eingeführt [1]. Es beinhaltet die Funktionen von ABS und ASR und stellt darüber hinaus eine Funktion zur Regelung der Querdynamik eines Fahrzeuges bereit [2]. Mit Hilfe eines Gierratensensors wird die aktuelle Drehbewe- 1

Einleitung gung des Fahrzeuges um die Hochachse gemessen. Der Vergleich mit dem vom Fahrer vorgegebenen Lenkwinkel und mit den einzelnen Raddrehzahlen lässt Rückschlüsse auf die Stabilität des Fahrzeuges und ein drohendes Ausbrechen bzw. Schleudern zu. Durch verschiedene Regeleingriffe, wie dem Abbremsen einzelner Räder oder in neuen Varianten auch Lenkeingriffen, kann das System die Stabilität des Fahrzeuges positiv beeinflussen und ein Ausbrechen im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten verhindern. Die Nutzung der Gierrate als Regelgröße ist dabei der Bedeutung dieser Größe für die Fahrdynamik und der Sensorverfügbarkeit geschuldet. Gierratensensoren sind als Inertialsensoren unabhängig von Umgebungseinflüssen und können mit mikromechanischen Prozessen monolithisch integriert werden. Sie können die Gierrate in einer sehr hohen Genauigkeit und mit einer extrem hohen Zuverlässigkeit messen [2, 3]. Für die Anwendung des ESP besser wäre jedoch die zusätzliche direkte Messung des Schwimmwinkels, d.h. des Winkels zwischen der resultierenden Fahrzeuggeschwindigkeit und der Fahrzeuglängsachse. Er stellt eine zentrale Größe der Fahrzeugquerdynamik dar [2]. In heutigen ESP-Systemen wird der Schwimmwinkel aufgrund fehlender preisgünstiger und zuverlässiger Sensoren jedoch nicht gemessen. Wenn hingegen ein preisgünstiger Sensor den Schwimmwinkel als Messgröße liefern könnte, wären weitere Verbesserungen im Regelverhalten des ESP möglich. Neben den Sicherheitssystemen wurden in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße Komfortsysteme eingeführt, die den Fahrer von Routineaufgaben entlasten. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die seit dem Jahr 1999/2000 verfügbare automatische Abstandsregelung (ACC, engl. Adaptive Cruise Control) [4,5]. Sie erweitert den Tempomaten dahingehend, dass sich das Fahrzeug automatisch auf die Geschwindigkeit eines vorausfahrenden Fahrzeuges einstellt und einen entsprechenden Abstand zu diesem einhält. Realisiert wird diese Funktion über Radarsensoren, die mittels modulierter elektromagnetischer Wellen im Frequenzband von 76 bis 77 GHz den Raum vor dem Fahrzeug überwachen. Dabei wird der Dopplereffekt zur Bestimmung der Geschwindigkeit und die Signallaufzeit zur Bestimmung des Abstandes eines oder mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge genutzt. Weitere radarbasierte Assistenzsysteme, die derzeit in der Entwicklung oder in der ersten Einführungsphase sind, überwachen die komplette Umgebung eines Fahrzeuges im Nahbereich und leisten Hilfestellung z.b. beim Spurwechsel oder bei Notbremsungen [6, 7]. Mit der automatischen Abstandsregelung sind erstmals Radarsysteme in Serie im Kraftfahrzeug verfügbar. Die voranschreitende Weiterentwicklung der Systeme, die zunehmende Integration und die sich vergrößernde Verbreitung wird die Kosten, insbesondere für die Hochfrequenzkomponenten, in Zukunft stark verringern. Es stellt sich 2

Einleitung also die Frage, ob diese Technik auch für andere Funktionen bzw. Sensoren eingesetzt werden kann. Die Möglichkeit mit dem Dopplereffekt Geschwindigkeiten messen zu können, stellt einen interessanten Ansatzpunkt dar, um die beim ABS, ASR und ESP wünschenswerte, von den Raddrehzahlen unabhängige Messung der Geschwindigkeit über Grund zu realisieren. Im Folgenden wird genau dieser Ansatzpunkt eingehend untersucht. Kapitel 1 stellt zuerst die für das Verständnis der Geschwindigkeits- und Schwimmwinkelmessung notwendigen Grundlagen und Begriffe der Fahrdynamik zusammen. Außerdem wird auf den derzeitigen Stand der Technik und die Anforderungen an die Geschwindigkeitsmessung eingegangen. Anschließend wird in Kapitel 2 die eindimensionale Geschwindigkeitsmessung mit dem Dopplereffekt untersucht. Es wird ein Modell der Rückstreuung einer elektromagnetischen Welle von der Fahrbahn aufgestellt und daraus das Spektrum des Dopplersignals abgeleitet. Auch wird auf die Auswertung des Dopplersignals mit verschiedenen Methoden der Frequenzschätzung eingegangen. Zur Bestimmung des Schwimmwinkels wird die eindimensionale Geschwindigkeitsmessung in Kapitel 3 auf die vektorielle Geschwindigkeitsmessung erweitert. Es wird gezeigt, wie mit mehreren eindimensionalen Geschwindigkeitsmessungen die vektorielle Geschwindigkeit bestimmt werden kann und welche Fehler dabei auftreten können. Die Theorie wird in Kapitel 4 schließlich in die Praxis umgesetzt und ein vektorieller Geschwindigkeitssensor realisiert. Es wird ein Sensor vorgestellt, der bei einer Betriebsfrequenz von 76.5GHz sehr kompakt und preisgünstig zu realisieren ist. Insbesondere wird auf die spezielle Auslegung der Antenne und die durch ihre Eigenschaften zu erwartenden Spektren der Dopplersignale eingegangen. Kapitel 5 widmet sich schließlich den Ergebnissen von realen Fahrversuchen mit den realisierten Sensoren. 3

Einleitung 4

Kapitel 1 Grundlagen der Fahrdynamik von Kraftfahrzeugen Bevor in den nächsten Kapiteln auf die tatsächliche Geschwindigkeitsmessung eingegangen wird, sollen in diesem Kapitel die wesentlichen Kenngrößen der Fahrdynamik eines Kraftfahrzeuges definiert und erläutert werden. Die genaue Definition der Begriffe wird sich später für die systematische Untersuchung der Eigenschaften eines Geschwindigkeitssensors als wichtig erweisen. Zusätzlich werden für einige Größen typische Werte angegeben, die im Betrieb eines Kraftfahrzeuges auftreten. Diese Werte sind hilfreich, um die Anforderungen an einen Geschwindigkeitssensor festlegen zu können. 1.1 Koordinatensysteme Ein Fahrzeug bewegt sich normalerweise auf einer Ebene im Raum, um eine Entfernung zurückzulegen. Gleichzeitig kann es sich aber auch um seine Achsen drehen. Bei Kurvenfahrt wird es sich um seine Hochachse drehen, um die Fahrzeugfront in Fahrtrichtung zu belassen. Gleichzeitig wird es sich durch die Kurvenkräfte um einen kleinen Winkel um die Längsachse drehen, was als Wanken bezeichnet wird. Bei Brems- und Beschleunigungsvorgängen hingegen wird es durch die auftretenden Brems- bzw. Antriebskräfte zu einer kleinen Drehung um die Querachse kommen. Diese Bewegung wird als Nicken bezeichnet. Um all diese unterschiedlichen Arten der Bewegung eines Fahrzeuges beschreiben zu können, werden in DIN 70000 [8] verschiedene Koordinatensysteme definiert. Dabei wird eine Beschränkung auf eine Bewegung in der Ebene vorgenommen. Der natürliche Geländeverlauf mit Bergen und Tälern kann allein mit diesen Koordinatensystemen also nicht beschrieben werden. Für die Beurteilung der Fahrdynamik ist dies jedoch 5

1 Grundlagen der Fahrdynamik von Kraftfahrzeugen Z E X E Z H Y E Z V ϕ X V Y V ψ θ X H Y H Fahrbahnebene Abb. 1.1: Definition der Fahrzeug-Koordinatensysteme ohne Bedeutung, da hierfür die Bewegung des Fahrzeuges als Bewegung in einer Ebene angenommen werden kann. Abbildung 1.1 zeigt die verschiedenen Koordinatensysteme. Ortsfestes Koordinatensystem (X E,Y E,Z E ) Das ortsfeste Koordinatensystem ist ein rechtwinkliges Koordinatensystem, das unabhängig von der Bewegung des Fahrzeuges an einem bestimmten Ort verankert bleibt. Die (X E,Y E )-Ebene bestimmt die Fahrbahnebene, d.h. die Ebene in der sich das Fahrzeug bewegt. Die Z E -Achse ist nach oben gerichtet. Fahrzeugfestes Koordinatensystem (X V,Y V,Z V ) Das fahrzeugfeste Koordinatensystem ist ein rechtwinkliges Koordinatensystem, das seinen Koordinatenursprung an einem beliebigen Punkt im Fahrzeug hat. Üblicherweise wird hierfür der Schwerpunkt gewählt. Die X V -Achse zeigt nach vorn in Längsrichtung des Fahrzeuges. Die Y V -Achse zeigt in Querrichtung des Fahrzeuges und die Z V -Achse nach oben. Die Winkellage des fahrzeugfesten Koordinatensystems in Bezug auf das ortsfeste Koordinatensystem wird durch die drei Winkel ψ, θ und ϕ bestimmt. Der Winkel ψ 6

1.2 Bewegungsgleichungen wird als Gierwinkel, der Winkel θ als Nickwinkel und der Winkel ϕ als Wankwinkel bezeichnet. Für die eindeutige Bestimmung der Winkellage müssen die Drehungen nach DIN 70000 in der Reihenfolge erst Gieren, dann Nicken und abschließend Wanken durchgeführt werden. Horizontiertes Koordinatensystem (X H,Y H,Z H ) Das horizontierte Koordinatensystem [8] ist ein rechtwinkliges Koordinatensystem, das mit seiner (X H,Y H )-Ebene in der (X E,Y E )-Ebene des ortsfesten Koordinatensystems liegt. Die Richtung der X H -Achse ist durch die Projektion der X V -Achse des fahrzeugfesten Koordinatensystems auf diese Ebene gegeben. Die Z H -Achse zeigt nach oben. 1.2 Bewegungsgleichungen Mit Hilfe der soeben definierten Koordinatensysteme kann nun die Bewegung eines beliebigen Punktes des Fahrzeuges beschrieben werden. Dazu wird eine Beschränkung auf die zweidimensionale Bewegung in der Ebene vorgenommen. Abbildung 1.2 zeigt schematisch ein Fahrzeug in Draufsicht, in dem die hierfür notwendigen Kenngrößen und Koordinatensysteme dargestellt sind. Als Bewegung wird eine beliebige Bewegung des Schwerpunktes A vorausgesetzt, die durch eine Drehbewegung des Fahrzeuges um die Hochachse überlagert wird. In Abschnitt 1.2.1 wird zuerst auf die Bewegung eines beliebigen Punktes im ortsfesten Koordinatensystem eingegangen. Mit Hilfe der dort aufgestellten Gleichungen, kann dann in Abschnitt 1.2.2 auf die Bewegungsgrößen im horizontierten Koordinatensystem geschlossen werden. 1.2.1 Bewegungsgleichungen im ortsfesten Koordinatensystem Ortsvektor eines beliebigen Punktes Der Ortsvektor r ep eines beliebigen Punktes P ist im ortsfesten Koordinatensystem durch ( ) xea + x hp cos ψ y hp sin ψ r ep = (1.1) y ea + x hp sin ψ + y hp cos ψ gegeben. Er setzt sich aus der Position (x ea,y ea ) des Schwerpunktes A und einer vom Gierwinkel ψ abhängigen Komponente durch den Abstand (x hp,y hp ) des Punktes P vom Schwerpunkt zusammen. Außer diesem Abstand können alle Größen als zeitabhängig angenommen werden. 7

1 Grundlagen der Fahrdynamik von Kraftfahrzeugen v hp Y H y hp v yp P α p v xp v h Y E v hr x hs vy A x hp β ψ v x X H v hs y ea α r vxr v yr R d r v ys S y hs α s v xs x ea X E Abb. 1.2: Fahrdynamische Kenngrößen Geschwindigkeitsvektor eines beliebigen Punktes Die Ableitung des Ortsvektors r ep nach der Zeit t ergibt den Geschwindigkeitsvektor ( v ep = d r ep vxe = ψ ) (x hp sin ψ + y hp cos ψ) v ye + ψ (1.2) (x hp cos ψ y hp sin ψ) des Punktes P im ortsfesten Koordinatensystem. Die Geschwindigkeiten v xe und v ye stellen die Geschwindigkeitskomponenten des Schwerpunktes im ortsfesten Koordinatensystem dar. Sie sind durch v xe = dx ea und v ye = dy ea (1.3) gegeben. Zusätzlich wird die Gierrate ψ als zeitliche Ableitung des Gierwinkels ψ durch ψ = dψ (1.4) eingeführt. Der Geschwindigkeitsvektor v ep eines Punktes P setzt sich also aus der Geschwindigkeit des Schwerpunktes und einer von der Gierrate, vom Gierwinkel und vom Abstand des Punktes zum Schwerpunkt abhängigen Komponente zusammen. 8

1.2 Bewegungsgleichungen Beschleunigungsvektor eines beliebigen Punktes Der Beschleunigungsvektor a ep des Punktes P im ortsfesten Koordinatensystem kann wiederum durch eine zeitliche Ableitung des Geschwindigkeitsvektors v ep ( a ep = d v ep axe = ψ (x hp sin ψ + y hp cos ψ) ψ ) 2 (x hp cos ψ y hp sin ψ) a ye + ψ (x hp cos ψ y hp sin ψ) ψ (1.5) 2 (x hp sin ψ + y hp cos ψ) bestimmt werden. Die Beschleunigungen a xe und a ye stellen die Beschleunigungskomponenten des Schwerpunktes im ortsfesten Koordinatensystem dar. Sie sind durch a xe = dv xe und a ye = dv ye (1.6) gegeben. Zusätzlich wird die Gierbeschleunigung ψ als zeitliche Ableitung der Gierrate ψ durch ψ = d ψ (1.7) eingeführt. 1.2.2 Bewegungsgleichungen im horizontierten Koordinatensystem Im Fahrzeug können die Größen des ortsfesten Koordinatensystems nicht direkt beobachtet werden. Ein Sensor im Fahrzeug wird immer fest mit dem Fahrzeug verbunden sein und sich somit bei einer Gierbewegung des Fahrzeuges im ortsfesten Koordinatensystem drehen. Damit wird sich die Messrichtung des Sensors zeitabhängig verändern. Die im Fahrzeug gemessenen Größen werden deshalb im horizontierten Koordinatensystem definiert. Mit Hilfe der Einheitsvektoren ( ) ( ) cos ψ sin ψ e x = und e y = (1.8) sin ψ cos ψ des horizontierten Koordinatensystems im ortsfesten Koordinatensystem können die Größen im horizontierten Koordinatensystem aus den in Abschnitt 1.2.1 berechneten Größen im ortsfesten Koordinatensystem bestimmt werden. Längs-, Quer- und Horizontalgeschwindigkeit Die Längsgeschwindigkeit v xp und die Quergeschwindigkeit v yp des Punktes P im horizontierten Koordinatensystem sind mit Gleichung 1.2 und Gleichung 1.8 durch v xp = v ep e x =+v xe cos ψ + v ye sin ψ ψy hp (1.9) v yp = v ep e y = v xe sin ψ + v ye cos ψ + ψx hp (1.10) 9